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221/1998
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BEWEISLASTUMKEHR BEI BEKÄMPFUNG DER SCHEINSELBSTÄNDIGKEIT UMSTRITTEN

Bonn: (hib) as- Der Kriterienkatalog zur Abgrenzung von abhängiger und selbständiger Erwerbstätigkeit sowie die geplante Beweislastumkehr haben am Donnerstag vormittag im Mittelpunkt der ersten Diskussionsrunde bei der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung gestanden. Basis des Hearings ist der Gesetzentwurf von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte (14/45). Bei der Anhörung, die zur Stunde noch andauert, ging es vor allem um den Bereich der "Scheinselbständigkeit" und die Änderungen im Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Die Vertreterin der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) erklärte, die Personen, die im Bereich der Scheinselbständigkeit arbeiteten, seien besonders schutzbedürftig. Wollten sie an den sozialen Sicherungssystemen teilhaben, müßten sie die Beiträge eigenständig einzahlen. Dies sei aber bei den meisten Scheinselbständigen aufgrund der prekären finanziellen Situation nicht möglich. Der oftmals vormalige Arbeitnehmer und jetziger Auftraggeber entziehe sich seiner Verantwortung. Der Vertreter der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) betonte hingegen, der Begriff der Scheinselbständigkeit sei kein Rechtsbegriff, sondern ein "politischer Kampfbegriff". Sämtliche diskutierten Kriterien seien völlig ungeeignet, zur Feststellung einer Scheinselbständigkeit. Es gebe entweder Selbständige oder Arbeitnehmer. In eine ähnliche Richtung argumentierte das Institut der Deutschen Wirtschaft. Dessen Vertreter legte dar, es sei wichtig, festzustellen, inwieweit Scheinselbständigkeit die Verdrängung bestehender Beschäftigung sei, oder das Entstehen neuer Beschäftigung. Die These, daß es eine sogenannte Flucht aus der Sozialversicherungspflicht gebe, sei nicht haltbar. Der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten an der gesamten volkswirtschaftlichen Beschäftigung liege konstant bei etwa 80 Prozent. Man könne einen Aufwuchs neuer Beschäftigungsformen konstatieren, zu denen auch die sogenannte Scheinselbständigkeit gehöre, die sich um den "Kern" der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse bilde.

Von den Einzelsachverständigen betonten vor allem Dr. Jürgen Brand (Präsident des Landessozialgerichtes NRW) und Dr. Hans-Jürgen Kretschmer (Richter am Landessozialgericht Berlin) die Praktikabilität des von den Koalitionsfraktionen vorgeschlagenen Kriterienkatalogs zur Feststellung von Scheinselbständigkeit. Es müsse aber gesehen werden, daß diese Kriterien unterschiedliche Qualität hätten. So sei es im Prinzip richtig, einen Ein-Mann-Betrieb als scheinselbständigen Betrieb zu definieren, in der Phase der Existenzgründung greife dies jedoch nicht. Auch das Kriterium der Bindung an nur einen Vertragspartner, sei zwar prinzipiell richtig, es gebe jedoch zum Beispiel Probleme in der Automobilindustrie. Ein ganz wichtiges Kriterium sei das Auftreten am Markt aufgrund unternehmerischer Tätigkeiten. Für die Rechtsprechung werde es interessant sein, dies "auszufüllen", so Brand. Ein schlechtes Kriterium - vor allem mit Blick auf zunehmendes Outsourcing - sei die Festlegung, daß eine Scheinselbständigkeit dann vorliege, wenn eine für Beschäftigte typische Arbeitsleistung erbracht werde. Kretschmer hob den großen Fortschritt in der Praxis durch die Beweislastumkehr hervor. Bisher sei die Ermittlung für die Sozial- und Arbeitsgerichte sehr schwer gewesen. Der Vertreter des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger schloß sich dem an und meinte, auch für die Sozialversicherungsträger sei die Neuregelung besser, da diese nun nicht den mehr den Nachweis führen müßten, ob es sich um eine Scheinselbständigkeit handele. Dem hielt Professor Dr. Karl-Georg Loritz von der Universität Bayreuth entgegen, der Kriterienkatalog erleichtere zwar durchaus die Arbeit der Sozialgerichte, erhöhe aber nicht die Treffsicherheit der Entscheidungen.

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Quelle: http://www.bundestag.de/bic/hib/1998/9822101
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