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Oktober 09/2000
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Rentenreform

Ringen um Konsens

Vor dem Bundestag liegt eine seiner wichtigsten Aufgaben in dieser Wahlperiode. Es geht um die Reform der gesetzlichen Rentenversicherung. Die rot-grüne Koalition bemüht sich um einen möglichst breiten Konsens im Parlament, doch ihre Pläne sind noch umstritten.

Arbeits- und Sozialminister Walter Riester.
Arbeits- und Sozialminister Walter Riester.

Dabei geht es um vier wesentliche Komponenten:

1. Das Rentenniveau (Verhältnis der Rente nach 45 Beitragsjahren zum durchschnittlichen Nettoeinkommen) wird durch einen ab 2011 greifenden Abschlagsfaktor von 0,3 Prozent gesenkt. Das bedeutet: Wer 2011 in Rente geht, hat 0,3 Prozent weniger Rente als nach geltendem Recht, für Neurentner des Jahres 2021 sind es bereits drei Prozent und 2030 oder später sogar sechs Prozent. Vorher erfolgt bereits eine Verringerung um vier Prozent durch die Berücksichtigung der Privatvorsorge in der Rentenformel (siehe Punkt 2). Trotz des Abschlagsfaktors aber steigen die Rentenbeiträge der Arbeitnehmer nach dem Jahr 2020 auf 22 Prozent. Ohne diese Maßnahme würden sie auf bis zu 26 Prozent klettern. Das Rentenniveau für Neurentner sinkt damit bis 2030 von jetzt 70 auf 64,5 Prozent des Nettoeinkommens.

2. Um die dadurch entstehenden Versorgungslücken zu schließen, wird eine freiwillige Privatvorsorge stufenweise ab kommendem Jahr staatlich gefördert. Bis 2008 sollen jeweils 0,5 Prozent des Bruttoeinkommens für die Privatrente aufgebracht werden. In acht Jahren sind das dann vier Prozent des Einkommens. Gefördert wird die private Vorsorge in der Endstufe mit 20 Milliarden Mark an staatlichen Subventionen. Die Grundförderung beträgt jährlich 300 Mark für Ledige und 600 Mark für Verheiratete. Besserverdienende können ihre Prämien stattdessen von der Steuer absetzen, wenn es für sie günstiger ist. Pro Kind gibt es weitere 360 Mark.

3. Damit im Zusammenhang steht die neue Rentenformel: Künftig werden die Renten wieder wie die Bruttolöhne steigen. Abweichungen davon gibt es nur aufgrund von Beitragsveränderungen bei der Rente und der Aufwendungen für die Privatvorsorge. Praktisch heißt das: Für alle Rentner fallen die Rentenerhöhungen der Jahre 2001 bis 2008 um einen halben Prozentpunkt geringer aus. Denn die Privatvorsorge der Arbeitnehmer steigt entsprechend. Das ist der Beitrag der heutigen Rentner zur Stabilisierung der Rentenbeiträge.

4. Die geplante Grundsicherung für bedürftige Rentner soll Armut im Alter verhindern. Es handelt sich um eine Aufstockung von Minirenten auf Sozialhilfeniveau, sofern keine sonstigen Einnahmen oder Vermögen vorhanden sind. Der wesentliche Unterschied zum geltenden Recht ist, dass die Rentner dafür nicht erst zum Sozialamt gehen müssen und dass die Sozialhilfe nicht von ihren Kindern zurückgefordert werden soll.

Der Gesetzentwurf beinhaltet ferner eine Reform der Hinterbliebenenversorgung und sorgt zudem für Verbesserungen bei der eigenständigen Alterssicherung der Frauen.

Blickpunkt Bundestag hat die Experten der fünf Fraktionen um eine Bewertung der Regierungspläne gebeten.


Ulla Schmidt, SPD
Ulla Schmidt, SPD
ursula.schmidt@bundestag.de.

Lebensstandard der Älteren bleibt erhalten

Es ist noch nicht lange her, als Horst Seehofer (CSU) das Reformkonzept des Bundesarbeitsministers mit der Bemerkung, es handele sich um einen Quantensprung, gelobt hat. In wenigen Wochen wird der Bundesarbeitsminister seinen Gesetzentwurf zur Reform der Alterssicherung vorlegen, dann wird sich zeigen, ob die Opposition bereit ist, mit uns den Konsens zu suchen, damit die Reform mit großer Mehrheit im Parlament verabschiedet werden kann.

Nach dem Referentenentwurf ist klar, dass die ältere Generation weiterhin mit einer Lebensstandardsicherung im Alter rechnen kann. Für sie bleibt das Rentenniveau immer deutlich über 68 Prozent. Alle Jüngeren erhalten die Chance, über eine zusätzliche kapitalgedeckte Alterssicherung ihren Lebensstandard auf möglichst hohem Niveau zu sichern. Wer die Gelegenheit zum Aufbau der staatlich geförderten privaten oder betrieblichen Vorsorge genutzt hat, erreicht ein Gesamtversorgungsniveau von über 70 Prozent. Gleichzeitig sorgen wir dafür, dass der Beitragssatz bis zum Jahr 2020 unter 20 Prozent bleibt und bis zum Jahr 2030 die Grenze von 22 Prozent nicht überschreiten wird.

Zwei neue Säulen für die Alterssicherung

Bereits im Wahlprogramm haben wir angekündigt, dass die gesetzliche Rente durch zwei weitere Säulen gestärkt werden soll. Die zweite Säule steht für die betriebliche Altersvorsorge und die dritte Säule für die private Vorsorge. Mit dieser neuen Altersvorsorge wird die umlagefinanzierte Rentenversicherung nachhaltig stabilisiert und bleibt somit das tragende Element der Alterssicherung. Der Aufbau der kapitalgedeckten Altersvorsorge ist freiwillig.

Damit möglichst alle die private Vorsorge aufbauen, werden schrittweise von 0,5 bis zu 4 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung steuerfrei gestellt. Für all diejenigen, die von der steuerlichen Entlastung nicht profitieren, werden Zuschüsse gezahlt. Die jährliche Zulage beträgt für Ledige 300 Mark und 600 Mark für Verheiratete. Familien mit Kindern erhalten darüber hinaus einen Zuschuss von 360 Mark pro Kind.

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können die staatlich gewährten Zuschüsse auch in die betrieblichen Altersvorsorgesysteme einbringen. Hierzu gehört auch der neu zu schaffende individuelle Rechtsanspruch auf Entgeltumwandlung. Damit eröffnen sich für die Tarifvertragsparteien vielfältige Möglichkeiten, die betriebliche Altersvorsorge auszugestalten.

Verschämte Altersarmut soll verhindert werden

Unser Ziel ist es, insbesondere älteren, hilfebedürftigen Menschen eine soziale Grundsicherung zu gewähren. Vor allem ältere Menschen verzichten auf bestehende Sozialhilfeansprüche, weil sie den Unterhaltsrückgriff auf ihre Kinder befürchten. Das ist einer der Hauptgründe für verschämte Altersarmut. Mit unserer Reform wollen wir sicherstellen, dass Ansprüche auf ergänzende Sozialhilfe tatsächlich geltend gemacht werden und ein Rückgriff auf unterhaltspflichtige Kinder nicht mehr stattfindet. Darüber hinaus soll Armut auch bei dauerhaft Erwerbsunfähigen vermieden werden.

Selbst wenn es gelingt, die erforderlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu schaffen, werden Frauen (oder auch Männer) wegen der Kindererziehung ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen oder Teilzeit arbeiten. Diese Entscheidung unterstützen wir durch den Aufbau eigener Anwartschaften und durch eine höhere rentenrechtliche Bewertung der während der Kindererziehung geleisteten Erwerbsarbeit.


Karl-Josef Laumann, CDU/CSU
Karl-Josef Laumann, CDU/CSU karl-josef.laumann@bundestag.de.

Lasten für die Generationen gerecht verteilen

Die Union hat der Bundesregierung im letzten Jahr Gespräche über eine Reform der Rentenversicherung angeboten. Sie hat sich in den letzten Monaten intensiv an den Bemühungen um eine Lösung der grundlegenden Probleme der Alterssicherung beteiligt und substanzielle eigene Vorstellungen in die Diskussion eingebracht. Rot-Grün hat dagegen in der letzten Legislaturperiode einen Rentenkonsens kategorisch ausgeschlagen. Rot-Grün hat die Blümsche Rentenreform zurückgenommen und damit die Probleme der Alterssicherung lange ignoriert und Problemlösungen erschwert.

Riesters Konzept weist erhebliche Mängel auf

Das jetzt vom Bundesarbeitsminister vorgelegte Konzept weist erhebliche Mängel auf. Es belastet überproportional die junge Generation, begünstigt die Entstehung von Altersarmut, benachteiligt die Rentnerinnen und Rentner durch Kürzungen aufgrund willkürlicher Rechengrößen, schafft neue Ungerechtigkeiten für Frauen und beeinträchtigt damit die soziale Balance des gesamten Systems. Aus diesen Gründen ist der Entwurf in seiner jetzigen Form nicht zustimmungsfähig.

Die Union will eine Rentenreform, die die demographischen Lasten generationengerecht verteilt. Die Bundesregierung plant dagegen einen so genannten Ausgleichsfaktor von jährlich 0,3 Prozent für die Rentenzugänge von 2011 bis 2030, also insgesamt 6 Prozent. Seine Bezeichnung ist eine Täuschung. Er gleicht nichts aus, denn er ist lediglich ein Kürzungsfaktor. Er belastet Versicherte um so stärker, je später sie in Rente gehen. Damit werden die Belastungen einseitig auf die jüngere Generation verschoben. Außerdem wird gegen den Grundsatz der Generationengerechtigkeit verstoßen.

Wir wollen, dass die Menschen in ihrer Eigenvorsorge nicht alleine gelassen, sondern nachhaltig unterstützt werden. Nach langem Zögern hat die Bundesregierung unsere Kernforderungen nach einer stärkeren Förderung der privaten Alterssicherung im Grundsatz erfüllt. Allerdings ist die Umsetzung im vorliegenden Entwurf mangelhaft und unzureichend ausgestaltet. Rot-Grün beginnt im nächsten Jahr bei der Kinderkomponente mit einem Betrag von 3,75 DM pro Monat und mit 3,13 DM Grundzulage. Damit wird das Ziel eines schnellen und breiten Einstiegs in die private Vorsorge nicht erreicht. Ein frühzeitiger und kräftigerer Einstieg ist für uns unabdingbar.

Soziale Schieflage bei der Hinterbliebenenversorgung

Eine soziale Schieflage entsteht auch durch die vorgesehenen Neuregelungen zur Hinterbliebenenversorgung. Dies betrifft wiederum insbesondere Frauen. Das Einfrieren des Freibetrages führt zur Abkoppelung von der allgemeinen Einkommensentwicklung und damit zum langfristigen Aus für die Hinterbliebenenversorgung. Die vollständige Anrechnung aller Einkommensarten untergräbt den Anreiz zur Eigenvorsorge und verstößt ebenfalls gegen das Leistungsprinzip in der Rentenversicherung. Ansprüche aus der Hinterbliebenenversorgung dürfen auch bei Wiederverheiratung nicht verloren gehen, sondern müssen zu eigenständigen Anwartschaften werden. Das im Diskussionsentwurf vorgesehene Rentensplitting kann dazu führen, dass selbst erworbene Rentenansprüche in vielen Fällen erheblich gekürzt werden.

Eine tragfähige Reform der Alterssicherung erfordert nicht nur einen politischen, sondern auch einen gesellschaftlichen Konsens. Deshalb werden wir parallel zum Gesetzgebungsverfahren in einen intensiven Dialog mit den Sozialpartnern, Sozialverbänden, Rentenversicherungsträgern und den betroffenen gesellschaftlichen Gruppen treten. Die Ergebnisse des Dialogs und einer vertieften Prüfung des vorliegenden Diskussionsentwurfs werden in das weitere Gesetzgebungsverfahren eingebracht.


Katrin Göring-Eckardt, B'90/Die Grünen
Katrin Göring-Eckardt, B'90/Die Grünen katrin.goering-eckardt@bundestag.de.

Gefragt sind Ehrlichkeit und Mut

Für Bündnis 90/Die Grünen sind bei der Diskussion um die Zukunft der Rente vor allem Ehrlichkeit und Mut notwendig. Der Handlungsbedarf ist klar: Der demographische Wandel und die hohe Arbeitslosigkeit lassen die Rentenversicherung seit Jahren unter Druck geraten. Die unzureichende eigenständige Alterssicherung von Frauen und die Absicherung unsteter Erwerbsverläufe machen eine Reform erforderlich.

Die gesetzliche Rentenversicherung basiert auf dem Prinzip der Solidarität. So wird es auch bleiben. Eine Abkehr von der paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung steht für uns nicht zur Debatte.

Die Grünen halten die Kombination aus der Stabilisierung der gesetzlichen Rentenversicherung bei gleichzeitiger Stärkung der privaten und betrieblichen Vorsorge für den richtigen Weg, damit die Rente weiterhin sicher ist.

Für einen zukunftsfähigen Generationenvertrag

In der vorliegenden Reform sind für uns vor allem drei Punkte wichtig:

Generationengerechtigkeit: Die Grünen verstehen sich bei der Rente als Anwalt der jungen Generation. Dazu gehört eine konsequente Verfolgung der Beitragssatzstabilität, damit ein gerechter Ausgleich zwischen den Generationen erfolgt. Die heutigen Rentner leisten ihren Beitrag durch eine niedrigere Rentenanpassung in diesem Jahr und durch die modifizierte Nettolohnanpassung in den folgenden Jahren. Die heute Jungen leisten ihren Beitrag durch in Zukunft niedrigere Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung, da ab dem Jahr 2011 der Rentenanstieg durch den Ausgleichsfaktor gebremst wird. Das geringere Rentenniveau wird mit der Privatvorsorge ausgeglichen. Die Beiträge dafür müssen von den heute Jungen zusätzlich aufgebracht werden, wenn sie auch massiv staatlich gefördert wird. Mit einem stabilen Beitragssatz und einem kalkulierbaren Rentenniveau geben wir der jungen Generation das Vertrauen in die Rentenversicherung wieder.

Soziale Fairness: Die Grünen stehen für die Besserstellung von Familien mit Kindern und einer eigenständigen Absicherung der Frauen im Rentensystem. Das gewährleistet die Rentenreform, indem die Phasen der Kindererziehung und Weiterbildung, die mit Teilzeitarbeit verbunden sind, stärkere Berücksichtigung finden. Zusätzlich werden die individuellen Entgelte bei Frauen mit niedrigem Einkommen, die Kinder unter 10 Jahren erziehen und erwerbstätig sind, um 50 Prozent auf maximal 100 Prozent des Durchschnittseinkommens aufgestockt. Auch in der Hinterbliebenenversorgung werden die Kindererziehungsleistungen stärker berücksichtigt. Auch die Förderung der privaten Altersvorsorge hat eine Kinderkomponente: Bei einer Sparsumme von 4 Prozent privater Vorsorge gibt es in der Zulagenförderung pro Kind und Jahr 360 Mark zusätzlich. Somit soll die private Vorsorge gerade für Familien mit Kindern erschwinglich sein.

Altersarmut muss vermieden werden

Vermeidung von Altersarmut: Der Armut im Alter begegnen wir durch die gezielte Aufwertung von Frauenrenten und unterbrochenen Erwerbsbiografien. Hauptursache für Altersarmut ist aber der Unterhaltsrückgriff im Sozialhilferecht, so dass viele Rentner aus Scham ihnen zustehende Leistungen nicht in Anspruch nehmen. Deshalb haben wir uns erfolgreich für den Wegfall der Unterhaltspflicht von Kindern gegenüber ihren alten Eltern eingesetzt und die Zusammenarbeit von Rentenversicherungsträgern und Sozialämtern in der Reform verankert.

In den jetzt anstehenden parlamentarischen Beratungen werden wir uns weiter für die Ziele Generationengerechtigkeit, soziale Fairness – insbesondere gegenüber Lebensgemeinschaften mit Kindern – und der Vermeidung von Altersarmut einsetzen.


Irmgard Schwaetzer, F.D.P.
Irmgard Schwaetzer, F.D.P. irmgard.schwaetzer@bundestag.de.

Regierung springt mit ihrem Entwurf zu kurz

Der Entwurf der Bundesregierung zur Rentenreform geht mit der Stärkung der privaten kapitalgedeckten Altersvorsorge zwar in die richtige Richtung, aber er springt zu kurz.

Nach wie vor addiert sich der ab 2030 vorgesehene Beitragssatz von 22 Prozent oder mehr zur gesetzlichen Rente und den angestrebten 4 Prozent zur freiwilligen Vorsorge auf 26 Prozent. Angesichts der weltweit höchsten Lohnzusatzkosten und einer Gesamtabgabenbelastung des Durchschnittsverdieners von bis zur Hälfte seines Einkommens sollten die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung und zur privaten Zusatzvorsorge zusammen nicht die 20-Prozent-Marke übersteigen.

Beiträge sollen schrittweise von der Steuer befreit werden

Nach wie vor fehlt ein klares Bekenntnis der Bundesregierung, alle Vorsorgeformen, also die Beiträge zur privaten, zur betrieblichen und auch zur umlagefinanzierten Vorsorge (nicht den jetzigen Rentenbestand), von der Besteuerung schrittweise zu befreien. In dem Maße, wie die Rente aus steuerfreien Beiträgen finanziert wird, soll sie in Zukunft – mit einem dann geringeren Steuersatz – steuerpflichtig werden. Eine solche nachgelagerte Besteuerung, die das Bundesverfassungsgericht in einem für das kommende Jahr erwarteten Urteil fordern wird, schafft für den Beitragszahler den notwendigen Anreiz, um eine private Vorsorge aufzubauen, und sie ermöglicht ihm auch, zusätzlich zu den massiven direkten Forderungen aus dem Bundeshaushalt die notwendig gewordene Zusatzvorsorge bewältigen zu können.

In einem System mit mehreren tragenden Säulen zählt nicht das Rentenniveau nur einer Säule, sondern das Gesamtniveau: Das Geld für die Sicherung des Lebensstandards im Alter wird sich in Zukunft sowohl aus umlagefinanzierten wie auch aus kapitalgedeckten und versicherungsähnlichen Vorsorgeformen zusammensetzen. Nicht hinreichend deutlich wird, warum der neue Abschlagsfaktor mit der Rente parallel zum Aufbau der privaten Vorsorger zurückgeführt wird, erst ab 2011 bis 2030 und dann erst mit einem Faktor von 0,3 Prozent eingeführt wird. Alle heutigen Rentner sowie die Arbeitnehmer, die bis zu diesem Zeitpunkt in den Ruhestand gehen, werden von dem Abschlag nicht erfasst, obwohl deren längere Rentenbezugszeiten die höheren Beiträge der Jüngeren verursachen. Im Interesse der Generationengerechtigkeit fordert die F.D.P. eine echte demographische Komponente, die die Höhe der Rentenanpassung mit der Steigerung der Lebenserwartung verknüpft.

Kapitalgedeckte Vorsorge schneller aufbauen

Die Kriterien der Förderung und Anlageformen der privaten Kapitalvorsorge werden schließlich den wahren Wert des künftigen Rentensystems bestimmen. Hier wird sich der Grad an Wahlfreiheit manifestieren, den der Bürger im Gegenzug für die höhere Eigenverantwortung bei der Daseinsvorsorge erlangt. Erst 2008 werden die insgesamt in Aussicht gestellten 19,5 Milliarden Mark Förderung erreicht. Nur wenn mit dem Aufbau kapitalgedeckter Vorsorge rascher begonnen wird, können ausreichende Zinseszinseffekte über die kritische Phase der Bevölkerungsentwicklung hinweghelfen, die um das Jahr 2015 beginnt. Nicht ersichtlich ist, warum der Erwerb eines selbst genutzten Hauses oder einer Eigentumswohnung nicht gefördert werden soll, um im Alter mietfrei wohnen zu können.

Bei den vorgesehenen Neuregelungen zur Hinterbliebenenversorgung dürfte die vollständige Anrechnung aller Einkommensarten mit dem Anreiz zur Eigenvorsorge schwer vereinbar sein. Der vorgesehene vollständige Ausschluss des Rückgriffs in der Sozialhilfe ist in dieser Form überzogen. Hier muss eine Einkommensbegrenzung erörtert werden.


Heidi Knake-Werner, PDS
Heidi Knake-Werner, PDS heidi.knake-werner@bundestag.de.

Ziel verfehlt: Regierung schafft kein Vertrauen

Der von Arbeitsminister Riester vorgelegte Entwurf für ein Rentenreformgesetz enthält eine unakzeptable Absenkung des Niveaus der gesetzlichen Standardrente von heute gut 70 Prozent des durchschnittlichen Nettolohnes auf 61 Prozent im Jahr 2030. Damit würde auch für langjährig Versicherte, die zum Beispiel regelmäßig 75 Prozent eines Durchschnittsverdienstes versichern, eine spätere Rente oberhalb des Sozialhilfeniveaus kaum noch erreichbar, denn sie müssten 42 Jahre Beiträge entrichten, um dieses Niveau zu erreichen. Gegenwärtig versichern 26 Prozent der westdeutschen und 40 Prozent der ostdeutschen Arbeitnehmer sowie 58 Prozent der westdeutschen und 53 Prozent der ostdeutschen Arbeitnehmerinnen Jahresentgelte unterhalb dieser 75-Prozent-Grenze. Auf diese Art und Weise erhält die Frage, warum überhaupt noch Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt werden sollen, völlig unnötig neue Nahrung.

Beitragsstabilität nur für die Arbeitnehmer

Die Senkung des Rentenniveaus sollen die Arbeitnehmer ab dem nächsten Jahr durch eigene private Vorsorge, ohne paritätische Beteiligung der Arbeitgeber, ausgleichen. Grundsätzlich fördert die Ersetzung eines Teils der gesetzlichen Rente durch private Vorsorge die soziale Schieflage zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Denn die Rentenreform verspricht zwar Beitragssatzstabilität, doch verwirklicht sie die nur für die Arbeitgeberanteile: Wenn die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung auf einer Obergrenze von 22 Prozent festgeschrieben werden, so liegt der hälftige Arbeitgeberanteil von 11 Prozent zwar unter den ohne diese Reform zu erwartenden 12 bis 13 Prozent, doch mit weiteren 4 Prozent für die private Vorsorge sollen die Arbeitnehmer mit 15 Prozent eine höhere Beitragslast tragen als ohne die rot-grüne Reform.

Mit der quasi gesetzlichen Einführung der privaten Vorsorge und ihrer staatlichen Förderung will die Bundesregierung zugleich mit den egalitären Grundprinzipien der gesetzlichen Rentenversicherung brechen: Einen einheitlichen Beitragssatz für alle, für Männer und Frauen und alle sozialen Risikogruppen, soll es nicht geben; Frauen müssen für die gleiche monatliche Rente bei den Privatversicherern höhere Beiträge entrichten als Männer. Es ist nicht hinnehmbar, dass diese Diskriminierung auch noch aus öffentlichen Mitteln steuerlich gefördert wird. Da neben der staatlichen Zulage zu den Privatbeiträgen auch eine steuerliche Förderung in Form eines "Sonderausgabenabzugs" geschaffen werden soll, werden die höher Verdienenden besser gefördert als die normal- oder unterdurchschnittlich Verdienenden.

Nicht mehr, sondern weniger Gerechtigkeit

Alle diese Elemente schaffen nicht mehr, sondern weniger soziale Gerechtigkeit. Ungleichheiten werden gefördert statt gemildert. Mit dem Reformentwurf schafft die Regierung nicht, was in der öffentlichen Rentendiskussion am dringlichsten ist: neues Vertrauen in die gesetzliche Rente durch mehr Verlässlichkeit auf eine ausreichende Alterssicherung aufzubauen. Daran ändern auch die wenigen positiv zu bewertenden Schritte hinsichtlich der Schließung von Versicherungslücken bei Berufseinsteigern und die Verbesserungen für kindererziehende Arbeitnehmerinnen nichts. Die PDS, die von den vorbereitenden Rentenkonsens-Gesprächen ausgeschlossen wurde, wird weiterhin für ihre Alternativen für eine solidarische Rentenreform und Sicherung der Alterseinkommen werben.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2000/bp0009/0009012
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