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Dezember 12/2000
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ANHÖRUNG DES RECHTSAUSSCHUSSES

Sachverständige beurteilten Reform des Zivilprozesses uneinheitlich

(re) Unterschiedliche Reaktionen hat am 6. Dezember ein Gesetzentwurf von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Reform des Zivilprozesses (14/3750) hervorgerufen. Während in einer Anhörung des Rechtsausschusses vor allem Anwaltsverbände und Richterbund neben zustimmenden Worten viel Kritik übten, gab es Unterstützung aus der Praxis, aber auch von Wissenschaftsvertretern und von Gewerkschaftsseite. Inzwischen legte auch die Bundesregierung einen mit der Fraktionsinitiative weithin identischen Gesetzentwurf (14/4722) vor. Gegenstand der Anhörung war zudem ein Gesetzentwurf zum CDU/CSU (14/163) zum zivilgerichtlichen Verfahren.

Der Deutsche Anwaltverein rief in dem Hearing die Regierungskoalition dazu auf, sich mit Vertretern der Praxis zusammenzusetzen. Eine "Reform gegen die Praxis" sei zum Scheitern verurteilt, so der Vertreter des Anwaltvereins, Felix Busse. Bernhard Dombek, Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer, sprach sich vor dem Ausschuss ebenfalls dagegen aus, das "bewährte Rechtsmittelsystem" zu verändern. Die Vorschläge dazu verkürzten unvertretbar die Rechte der Prozessparteien. Eine umfassende Berufung gegen zivilgerichtliche Urteile sei "Bestandteil unserer Rechtskultur".

Der Deutsche Richterbund argumentierte unter anderem, die personellen Auswirkungen der Reform könnten in keiner Weise verlässlich kalkuliert werden. Befürchtet werden müsse deshalb, dass das Vorhaben zu einer personell nicht abgedeckten Mehrbelastung der Justiz führe.

"Keinerlei Leidensdruck"

Professor Reinhard Böttcher, Vorsitzender der ständigen Deputation des Deutschen Juristentages, widersprach in seiner Stellungnahme der Ansicht, eine Reform des Zivilprozesses in Deutschland sei erforderlich, um berechtigten Ansprüchen Recht suchender Bürger sowie der Wirtschaft zu entsprechen. Es gebe, so Böttcher, diesbezüglich in der Praxis keinerlei "Leidensdruck". Der deutsche Zivilprozess stehe nach dem Urteil vieler Sachkenner im internationalen Vergleich gut da.

Auch Uwe Bornhak, Präsident des Amtsgerichts Leipzig, erklärte, eine grundlegende Reform der Zivilprozessordnung halte er nicht für geboten. Das gegenwärtige Recht biete dem verantwortungsvoll arbeitenden Amtsrichter bereits jetzt genügend Gestaltungsmöglichkeiten. Im Übrigen stehe der Ungewissheit mit Blick auf notwendige personelle Verstärkung der Amtsgerichte die Gewissheit einer arbeitsaufwändigeren Verfahrensbehandlung gegenüber, würden die Vorschläge der Regierungskoalition Wirklichkeit. Dies gelte insbesondere für die beabsichtigte obligatorische Güteverhandlung.

"Amtsgerichte überlastet"

Demgegenüber bezeichnete es der ehemalige Vorsitzende des Rechtsausschusses, Horst Eylmann, als "merkwürdig", dass manche Vertreter der Praxis heute so täten, als sei am Amtsgericht "alles paletti". Noch 1997 sei in einer Anhörung des Ausschusses überwiegende die Ansicht geäußert worden, die erste Instanz sei zu stärken. Nun liege ein entsprechender Entwurf vor, werde aber als praxisfremd kritisiert.

Im Gegensatz dazu müsse er, Eylmann, aus seiner Tätigkeit als Anwalt feststellen, dass Amtsrichter immer überlasteter seien. Seit Jahren nähmen schriftliche Verfahren zu, die Anhörung der Prozessparteien werde immer seltener, die Vorbereitungen auf Verhandlungen falle immer kurzfristiger aus. Es sei ein "grundlegender Irrtum", so Eylmann weiter, dass die geringe Zahl von Berufungen gegen Urteile des Amtsgerichts für deren Qualität sprächen. Vielmehr sei es so, dass bei einem Streitwert bis 10.000 DM das Kostenrisiko für die Beteiligten zu groß sei, um in die nächste Runde vor Gericht zu gehen. Eylmann bezeichnete die Vorschläge der Regierungskoalition als "im Großen und Ganzen" vernünftig.

Der ehemalige Präsident des Bundesgerichtshofes, Karlmann Geiß, bedauerte, dass die Standpunkte in der Reformdiskussion sehr verfestigt seien. Man dürfe die geltende Justizordnung nicht kaputtreden. Die Amtsgerichte erledigten ihre Arbeit alles in allem sehr effektiv; auch die Rechtsmittelzüge funktionierten. Man dürfe sich aber andererseits auch nicht "in die Tasche lügen", da das Rechtsmittelsystem in verschiedener Hinsicht "Schlagseite aufweise".

Auch Iris Fatouros von der Deutschen Justizgewerkschaft sprach sich für eine Reform der Zivilprozessordnung aus. Sie sei nach nunmehr fast 124 Jahren in der geltenden Fassung "überholt". Die Gesellschaft sei im Wandel, die Justiz müsse sie nachvollziehen. Ein Umdenken innerhalb der Richterschaft sei deshalb geboten, so Fatouros.

Grundsätzliche Zustimmung zu ihrem Reformvorhaben erntete die Koalition unter anderem auch von der Neuen Richtervereinigung und der Deutschen Justiz-Gewerkschaft. Die Richtervereinigung bescheinigte dem Entwurf, er beruhe auf einem "umfassenden und ausgewogenen rechtspolitischen Konzept". Durch die beabsichtigte nachhaltige Stärkung der Eingangsinstanz werde die Justiz "vom Kopf auf die Füße gestellt". Auch Professor Peter Gottwald von der Universität Regensburg war der Ansicht, der Koalitionsentwurf verwirkliche eine ganze Reihe rechtspolitischer Reformvorhaben.

Bundesrat unzufrieden

Uneinheitlich fielen auch die Stellungnahmen der Sachverständigen zu der Absicht aus, die Berufungen künftig bei den Oberlandesgerichten (OLG) zu konzentrieren. Während sich Geiß und die Neue Richtervereinigung dafür aussprachen, lehnten unter anderem Professor Reinhard Greger (Universität Nürnberg-Erlangen) und die Präsidentin des Oberlandesgerichtes München, Hildegund Holzheid, die Vorschläge als unpraktikabel ab. Ähnlich argumentiert der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf. Die "erheblichen Mehrkosten" der Reform seien für die Länder angesichts der Lage der öffentlichen Haushalte nicht verkraftbar. Die Bundesregierung wies diese Auffassung zurück. Die Reform lasse sich vielmehr ohne zusätzliche Belastungen für die Länderhaushalte umsetzen.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2000/bp0012/0012046
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