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Ein Praktikum mit Folgen

Bild: Xenia Solovyeva im Gespräch
Xenia Solovyeva im Gespräch.

Bild: Xenia Solovyeva vor riesigen Aktenstapel
Aktenberge.

Bild: Xenia Solovyeva liest vor
Xenia Solovyeva präsentiert ihr Land.

Bild: Xenia Solovyeva
Im Hörsaal in der Freien Universität Berlin.

Bild: Xenia Solovyeva
Xenia Solovyeva.

Bild: lachende Gruppe
Lockere Atmosphäre bei der Vorstellung der 21 Länder.

Bild: Xenia Solovyeva im Gespräch
Schulung in der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Bild: Eingangsbeschriftung der Friedrich-Ebert-Stiftung
Die Friedrich-Ebert-Stiftung.

Bild: Sitzungssaal des Bundestages
Einblicke in die Parlamentsarbeit.

Bild: Hörsaal der Freien Universität.
Im Hörsaal der Freien Universität.

Bild: Xenia Solovyeva
Xenia Solovyeva während der Schulung.

Xenia Solovyeva nimmt an den Internationalen Parlamentspraktika des Bundestages teil. Sie ist glücklich über diese Möglichkeit und die damit verbundenen Bildungsangebote.

Trotz aller Aufregung ringsum wirkt die junge, groß gewachsene Frau mit den hochgesteckten blonden Haaren gelassen. Nur manchmal verrät ein kleines, nervöses Lächeln, dass auch sie nicht unbeeindruckt ist von diesem Tag und allem, was heute beginnt. In ein paar Minuten wird sie auf ihren eleganten hochhackigen Schuhen im Hörsaal A nach vorn gehen, um sich und ihr Land vorzustellen: „Mein Name ist Xenia Solovyeva“, wird sie sagen. „Ich komme aus Kasachstan …“

Im Henry-Ford-Bau der Freien Universität Berlin geht es an diesem Tag im März fröhlich laut zu. 97 junge Menschen aus 21 Ländern, vorrangig jungen europäischen Demokratien, sind gekommen, um sich begrüßen zu lassen, sich vorzustellen und einzustimmen auf einen fünfmonatigen Aufenthalt in Deutschland.

In der Eingangshalle warten die Stipendiatinnen und Stipendiaten aus Kasachstan und Georgien auf die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Beide Länder nehmen zum ersten Mal an diesem Programm teil, das sich Internationale Parlamentspraktika (IPP) nennt. Deshalb wird es diesen Fototermin geben. Doch die Vizepräsidentin, Susanne Kastner, steckt im Stau. Dann aber kommt sie endlich, und alles läuft ganz fröhlich und unkompliziert ab. Es wird viel gelacht, die Abgeordnete bekommt kleine Geschenke aus den Heimatländern der Gäste, sie stellt Fragen, und fast geriete man ins Plaudern, wenn nicht die Zeit drängte und das Programm so voll wäre.

„Mein Name ist Xenia Solovyeva. Ich komme aus Kasachstan.“

Mit auf das Foto kommt auch die 25-jährige Xenia Solovyeva. Gerade erst ist sie zur Sprecherin ihrer fünfköpfigen Landesgruppe gewählt worden. Eine gute Wahl, meint man, schon allein vom Anschauen und ersten Gespräch her. Xenia ist eine freundlich zugewandte, gut aussehende und selbstbewusste junge Frau. Und sie kennt Deutschland, schließlich hat sie im bayerischen Eichstädt Journalistik studiert. Nach dem Studium ging sie wieder zurück nach Almaty, der lange wirklichen und nun noch immer heimlichen Hauptstadt Kasachstans, um dort bei einer deutschen Firma als Übersetzerin zu arbeiten.

Im Hörsaal A sitzen inzwischen die Stipendiatinnen und Stipendiaten, mehr Frauen als Männer, und dann beginnen die Reden und Begrüßungen und somit offiziell das IPP, finanziert vom Deutschen Bundestag und in diesem Jahr unter dem Vorsitz der Freien Universität Berlin und in Zusammenarbeit mit der Humboldt- und der Technischen Universität.

Xenia stellt als eine von 21 Sprecherinnen und Sprechern ihr Land und ihre Gruppe vor. In diesen zwei Stunden wird im Hörsaal viel gelacht und geklatscht, denn die Vorstellungen sind eine Mischung aus kurzweiligem politischen Exkurs in das jeweilige Land und Hohelied auf seine menschlichen und touristischen Attraktionen. Versprochen wird, dass in den kommenden Monaten jede Gruppe einen Länderabend gestaltet, bei dem man sich besser kennen lernen und alle Register ziehen kann, wenn es um Werbung für das Heimatland geht.

Versprochen ist auch, das sagen viele, dass man sich der Ehre, an diesem Programm teilnehmen zu können, würdig erweisen wird. „Wir möchten Ihnen dabei helfen“, sagt der Bundestagsabgeordnete und Hauptberichterstatter für das IPP, Wolfgang Börnsen, zur Begrüßung, „dass Sie sich zu Hause, in Ihren Demokratien engagieren. Wir wollen, dass Sie Freunde unseres Landes bleiben. Sie sind hier in der Werkstatt der Demokratie, im Parlament. Es ist ein großartiges Gefühl, Sie hier zu sehen.“

Und es ist ein großartiges Gefühl, dabei zu sein. Das sagen die jungen Frauen und Männer aus Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Estland, Frankreich, Georgien, Kasachstan, Kroatien, Lettland, Litauen, Mazedonien, Polen, Rumänien, Russland, Serbien und Montenegro, der Slowakei, Slowenien, Tschechien, der Ukraine, Ungarn und den USA. 1.900 Bewerberinnen und Bewerber gab es insgesamt. Sie sind die 97, die es geschafft haben. Und alle verbinden mit diesen Monaten in Deutschland große Pläne. Für jetzt und später.

Auch Xenia verbindet mit dem Praktikum dieses Gefühl: Hier fängt die Zukunft an. Sie ist auf alles neugierig. Und alles bedeutet viel, denn das IPP ist eine einzige große Bildungsreise.

In den ersten Wochen nehmen sich vier große Parteistiftungen der Stipendiatinnen und Stipendiaten an. Damit es möglichst effektiv für alle wird, sind vier Gruppen gebildet worden. Für Xenia, die zur Gruppe 4 gehört, beginnt das Programm in der Heinrich-Böll-Stiftung in Dresden. Eine Stadt, die sie sehr beeindruckt, wie sie nach der Rückkehr sagt. Ebenso die Stiftung, in der es, wie sie beschreibt, fast nur vegetarisches Essen gibt und in der kaum ein Mann eine Krawatte trägt. „Es geht locker zu, das hat mir gefallen, und das Programm war anspruchsvoll.“

„Ich genieße mein Praktikum wirklich in jeder Minute.“

Auf die Böll-Stiftung folgt die Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin, da trifft man die junge Frau wieder. Noch immer haben ihre Schuhe hohe dünne Absätze und sie sagt, das ginge auch gut in der Stadt, obwohl die Wege ziemlich weit seien. Außerdem trügen die Frauen in ihrem Land eben am liebsten hochhackige Schuhe. Inzwischen kennt Xenia Berlin schon ein wenig besser, auch im Wohnheim in der Rhinstraße haben sich alle eingelebt.

Diese ersten vierzehn Tage waren aufregend und ein wenig hektisch, jetzt beginnt so etwas wie Alltag, wenn auch keine Routine. Xenia findet die Stadt wunderbar: „Sie ist offen und auf eine besondere Weise gemütlich. Wir waren im Tiergarten und an der Siegessäule und haben einfach nur die Menschen beobachtet. Alles ist schön, finde ich. Man muss ständig nachdenken, weil man so viele Impulse bekommt. Ich genieße mein Praktikum wirklich in jeder Minute.“

In die Zeit der Stiftungen fällt auch noch eine Reise nach Brüssel, um das Europäische Parlament kennen zu lernen. Nach Brüssel geht es nach Gummersbach in die Friedrich-Naumann-Stiftung. Hier wird das Programm – es gefällt Xenia übrigens am besten von allen – kombiniert mit Ausflügen in die Natur und Exkursionen in nahe gelegene Orte und Regionen. Am 18. April dann, mehr als einen Monat nach der Ankunft in Berlin, beginnt das dreimonatige Praktikum im Bundestag. Xenia kennt ihren Abgeordneten und Mentoren, Wolfgang Börnsen, bereits gut. Er hat sich als einer der Berichterstatter des Programms stets über den Fortgang der Dinge auf dem Laufenden gehalten. Inzwischen haben sich auch die Sprecherinnen und Sprecher der Länder zu einer ersten Auswertung getroffen und befunden, dass alles gut organisiert ist und wunderbar läuft. Man hat sich zusammengefunden, über alle Ländergrenzen hinweg. Samstags wird jetzt oft in gemischten Mannschaften Fußball gespielt, und die ersten Länderabende sind in Vorbereitung.

Während der Praktikumsmonate im Bundestag wird man sich nicht mehr so oft sehen, jede und jeder hat bei seiner oder seinem Abgeordneten ausreichend zu tun. Xenia ist gleich an den ersten Tagen mit Aufträgen versorgt worden, außerdem muss sie sich langsam Gedanken über ihre Abschlussarbeit machen. Sie will nicht einfach nur einen Bericht über das Praktikum abgeben, sondern ein politisches Thema wählen. Xenia wird in diesen Monaten Ausschuss- und Plenarsitzungen besuchen, Arbeitskreise der CDU/CSU-Fraktion, der ihr Mentor angehört. Ihr Abgeordneter wird sie zu Terminen mitnehmen, und nach und nach wird sie so eine Vorstellung von den Abläufen im Bundestag bekommen.

Am 20. April nimmt Xenia zum ersten Mal an einer Ausschusssitzung teil. Und sie kommt in Schuhen mit flachen Absätzen. Darauf angesprochen, lacht sie und sagt: „Die Stadt hat gewonnen, es ist wirklich bequemer so.“

Die Zwischenbilanz fällt für die junge Russin aus Kasachstan mehr als gut aus, und sie beginnt schon jetzt, darüber nachzudenken, wie es nach dem Praktikum weitergehen könnte. Es ist, das weiß sie bereits jetzt, eine Zäsur in ihrem Leben, vor allem in ihrer beruflichen Entwicklung. Man bekomme so ein Gefühl, sagt sie, dass einem alle Türen offen stehen. Dass man wählen kann. Ein unglaublich gutes Gefühl sei das.

Schaut man sich einmal an, was aus früheren Bundestagspraktikanten geworden ist, muss man sagen, dass dieses gute Gefühl ganz gewiss nicht trügt. Aus den „Ehemaligen“ sind Regierungsmitglieder, Botschafter, Attachés, Journalistinnen, Leiterinnen von Ministerbüros, Bürgermeister, Pressereferentinnen, Unternehmerinnen, Direktoren, Anwältinnen geworden. In Vereinen ehemaliger IPP’ler bleiben sie vor Ort miteinander und mit der jeweiligen Deutschen Botschaft in Kontakt.

Viele von ihnen sind der Beweis dafür, dass ein Programm wie das IPP unschätzbare Dienste für eine gute Zusammenarbeit zwischen Menschen verschiedener Nationen leistet. Es schafft einfach gute Verbindungen, die Verstand und Herz gleichermaßen ansprechen.

Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier
Erschienen am 30. Mai 2005

IPP in Kürze:

Das vom Bundestag finanzierte IPP gibt es seit 21 Jahren. Mehr als hundert Abgeordnete engagieren sich dafür, indem sie in der fünfmonatigen Ausbildung die „Patenschaft“ über eine Praktikantin oder einen Praktikanten übernehmen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhalten ein Stipendium von monatlich 511 Euro aus den Haushaltsmitteln des Bundestages. Die Unterkunft ist frei. Voraussetzungen für die Teilnahme sind Politikinteresse, gute Deutschkenntnisse und ein abgeschlossenes Hochschulstudium. Ausgewählt werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Zusammenarbeit mit den drei Berliner Universitäten, den deutschen Botschaften und den Parlamenten in den jeweiligen Ländern.

Im ersten Monat erfolgt durch die Partneruniversitäten eine Einführung ins akademische Leben und durch den Bundestag eine in die parlamentarische Arbeit. Es schließen sich Seminare in den politischen Stiftungen des Landes an. Drei Monate absolvieren die jungen Hochschulabsolventen dann ein Praktikum im Büro einer oder eines Bundestagsabgeordneten. Parallel dazu läuft ein wissenschaftliches Begleitprogramm der drei Berliner Hochschulen.

Weitere Informationen unter www.bundestag.de (Dialog).


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