Deutscher Bundestag
English    | Français   
 |  Home  |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ
Druckversion  |       
Startseite > Blickpunkt Bundestag > Blickpunkt Bundestag - Jahresübersicht 1999 > Deutscher Bundestag - Blickpunkt Bundestag 4/99 Inhaltsverzeichnis >
Mai 04/1999
[ zurück ]   [ Übersicht ]   [ weiter ]

"Kein geschickter Schachzug"

Der Abbau von Subventionen beschäftigt den Bundestag schon viele Jahre – ohne durchschlagenden Erfolg. Jetzt hat Bundeswirtschaftsminister Werner Müller die Wirtschaft gebeten, selbst Vorschläge für Subventionskürzungen zu machen. Ein umstrittener Weg, wie das vom Journalisten Axel Mörer moderierte Streitgespräch der beiden Wirtschaftsexperten und stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden von F.D.P. und SPD, Rainer Brüderle und Ernst Schwanhold, zeigt.

Blickpunkt Bundestag: War die Bitte von Minister Werner Müller an die Wirtschaft, selbst Vorschläge für Subventionskürzung vorzulegen, ein geschickter Schachzug, um die Betroffenen mit ins Boot zu bekommen?

Brüderle: Es ist überhaupt kein geschickterSchachzug, die Wirtschaft zu bitten, die eigenen Aufgaben zu erledigen. Politiker und Regierungen werden gewählt, damit sie entscheiden und handeln. Man hat Vorschläge zu machen, die man auch mit den Betroffenen besprechen sollte. Dafür gibt es ja auch eingeführte Verfahren. Das ist nicht immer eine angenehme Sache. Aber es ist der Tiefpunkt in der Debatte um den Subventionsabbau zu sagen: Schlagt jetzt vor, was wir streichen sollen, und daraus machen wir eine Unternehmenssteuerreform. Das ist vom Verfahren her nicht in Ordnung und der Sache nicht angemessen. Wir können Politik nicht durch Befragung der deutschen Wirtschaft ersetzen. Notwendig sind nicht kosmetische Verschiebungen, sondern eine Nettoentlastung, um die Investitionsfähigkeit der Unternehmen zu stärken.

Schwanhold: Es ist schon erstaunlich, wenn gerade die F.D.P., die 16 Jahre in der alten Regierung den Wirtschaftsminister gestellt hat, die Initiative von Werner Müller kritisiert. Die alte Regierung hat beim Subventionsabbau nichts bewegt. Bei dem erbitterten Widerstand derjenigen, die Subventionsempfänger sind, ist es völlig richtig, daß Müller die Wirtschaft mit einbezieht. Auf dem Prüfstand steht jetzt, ob die Wirtschaft zum immer wieder geforderten Subventionsabbau bereit ist, ob sie kritikfähig, konsens­ und gestaltungsfähig ist. Am Ende der Vorschläge muß natürlich das Parlament durch das Haushaltsgesetz entscheiden, wo Subventionen abgebaut werden. Daß neben Subventionsabbau auch eine Steuerreform notwendig ist, die die Sätze senkt und damit internationale Anleger in stärkerem Maße wieder in die Bundesrepublik Deutschland zieht, ist richtig. Das, was uns Sorgen macht, ist das Ergebnis einer 16 Jahre durch die F.D.P. verantworteten Politik, zu der sich Herr Brüderle aber offensichtlich nicht bekennt.

Ernst Schwanhold

ERNST SCHWANHOLD:
"Die alte Regierung hat beim Subventionsabbau nichts bewegt."

Die alte Bundesregierung hat erfahren müssen, wie schwer der Subventionsabbau ist, weil sich die Betroffenen vehement und oft erfolgreich wehren. Ist die Einladung an die Wirtschaft deshalb nicht ein erfolgreicher, erster Schritt?

Brüderle: Nein, sie ist kein erster Schritt, sondern ein Tiefpunkt und das komplette Kneifen vor der politischen Führungsaufgabe. Eine Regierung hat Konzepte zu unterbreiten.

Schwanhold: Ich begrüße ausdrücklich diesen Schritt und erhoffe mir Vorschläge. Allerdings können und werden diese Vorschläge nicht die Entscheidung der Regierung und am Ende des Parlamentes ersetzen. Der Bundestag wird entscheiden, welche Subventionen wie schnell abgebaut werden und wo wir auch in Zukunft Subventionen erhalten, weil wir diese Bereiche fördern wollen.

Kann eine Konsensrunde mit der Wirtschaft dazu führen, daß die schmerzhaften Einschnitte in den Branchen gelingen, die besonders hohe Subventionen beanspruchen, wie Landwirtschaft, Bergbau und Werften?

Schwanhold: Im Bergbau, in der Schiffsförderung, aber auch in der Landwirtschaft hat es in der Vergangenheit Einschnitte bei den Subventionen gegeben. Diese sind übrigens nach schwierigen Diskussionen auch einvernehmlich mit den Gewerkschaften und den Unternehmen verhandelt worden. Es ist nicht so, daß nicht auch eine Bereitschaft in diesen Bereichen bestände, am Subventionsabbau mitzuwirken.

Brüderle: Das ist Wunschdenken. Man kann doch nicht von den Betroffenen wie dem Ruhrbergbau oder den Werften erwarten, daß die sagen, wir kürzen unsere Subventionen, damit die Gesamtwirtschaft fünf Prozentpunkte Steuerermäßigung bekommt. Das ist doch völlig irreal und Utopie. Wir haben einen enormen Handlungsbedarf: vier Millionen Arbeitslose, eine lahmende Konjunktur, außenwirtschaftliche Risiken etwa durch Osteuropa, Asien und die Brasilienkrise. In dieser Situation, wo kraftvolles Handeln notwendig ist, macht der deutsche Wirtschaftsminister wie ein Fernsehtalkmaster einen Vorschlag.

Schwanhold: Sie machen es sich zu einfach. Es gibt objektive Probleme auf den Weltmärkten, und es ist eine politische Entscheidung, ob man in diesen drei Bereichen durch Subventionen ein Mindestmaß an Produktion aufrechterhalten will oder nicht. In allen Bereichen haben wir eine Spitzenleistungsfähigkeit. Im Schiffbau liegen wir an dritter Stelle und haben einen hochmodernen Schiffbau als Zukunftstechnologie, den es auch zu sichern gilt. Gleiches gilt für den Bergbau und den Bereich der Gewinnung von Kohle. Wer in dem einen oder anderen Bereich gänzlich Subventionen abbauen und diese Arbeitsplätze dadurch mittel­ oder langfristig abschaffen will, muß dieses der Ehrlichkeit halber sagen. Die versteckten Subventionen, die im Bundeshaushalt und in der Steuergesetzgebung enthalten sind, machen mir mehr Ärger.

BDI­Präsident Hans­Olaf Henkel hat Subventionsstreichungen mit Hinweis auf die Steuerbelastungen der Wirtschaft durch die Steuerreform abgelehnt, DIHT­Präsident Hans Peter Stihl hat eine lineare Kürzung um zwei bis vier Prozent pro Jahr vorgeschlagen. Offenbar ist zumindest ein Teil der Wirtschaft bereit, auf Müllers Vorschlag einzugehen. Ist das nicht schon ein Erfolg?

Brüderle: Das ist kein Erfolg: Stihls Vorschlag ist ja überhaupt nicht das, was Müller will. Der Minister will der Wirtschaft das bei der Unternehmenssteuerreform gutschreiben, was sie bei den Subventionen abbauen will. Das stärkt jedoch überhaupt nicht die Investitionsfähigkeit und nutzt den Arbeitslosen gar nichts. Es geht ja in der ganzen Diskussion darum, Subventionen in bestimmten Bereichen stärker zu kürzen als in anderen. Das jetzige Verfahren läuft darauf hinaus, daß Herr Müller als Notar die Vorschläge der Wirtschaft bestätigt und als Frühstücksdirektor die Gespräche mit der Wirtschaft garniert. So wird das Ganze zu einer rein kosmetischen Operation.

Schwanhold: In den vergangenen Jahren habe ich von Herrn Henkel kaum einen Vorschlag gehört, den er selbst zu verantworten hat und der konstruktiv war. Jeder Verband muß natürlich selber wissen, von wem er sich repräsentieren läßt. In manchen Bereichen ist Herr Henkel mit seinen öffentlichen Aussagen zu einer Belastung geworden. Daß Hans Peter Stihl sich anders verhält, zeugt von unterschiedlichem Verantwortungsbewußtsein. Sicherlich ist es politisch das Leichteste, Rasenmäherkürzungen durchzusetzen, gleichgültig, ob nun um zwei oder fünf Prozent. Richtig ist, daß erst politische Gewichtungen Sinn machen: Wo kann mehr abgebaut werden, wo müssen Subventionen ganz auslaufen, wo müssen Subventionen etwa zur Markteinführung bestimmter Produkte, die sich sonst nicht durchsetzen lassen, sogar aufgebaut werden? Dieses ist die politische Entscheidung und die politische Gewichtung, die gefordert ist.

Bei der politischen Gewichtung werden Sie wieder auf die Egoismen der Betroffenen stoßen...

Schwanhold: In einer komplexen Wirtschaft ist es deshalb klug, Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Um egoistische Widerstände zu überwinden, können Bündnisse gar nicht breit genug sein. Sie, Herr Brüderle, machen es sich mit Ihren Schuldzuweisungen zu leicht. Frühstücksdirektoren als Wirtschaftsminister hatten wir schon in der Vergangenheit. Wer das Ziel hat, Subventionen abzubauen und die Energiewende herbeiführen will, der kann sich nicht als Frühstücksdirektor hinsetzen, sondern muß schon echt gestalten, wie dies Wirtschaftsminister Müller tut.

Rainer Brüderle

RAINER BRÜDERLE:
"Herr Müller garniert als Frühstücksdirektor die Geschpräche mit der Wirtschaft."

Wenn die Opposition der Bundesregierung vorhält, nicht zu führen, könnten Sie, Herr Brüderle, ein Gesetz einbringen mit konkreten Kürzungsvorschlägen.

Brüderle: Es ist Aufgabe der Regierung mit ihrem großen Regierungsapparat, entsprechende Vorschläge zu machen. Regieren heißt handeln. Wenn man nachbessert, wie das die neue Regierung ständig tut, dann hat man seine Hausaufgaben nicht anständig gemacht.

Wundert es Sie, Herr Schwanhold, daß ausgerechnet die F.D.P., die besonders lautstark den Subventionsabbau fordert, den Müller­Vorstoß ablehnt?

Schwanhold: Das ist der Opportunismus, zu dem Oppositionsparteien gelegentlich fähig sind. Das hat uns selbst in der Vergangenheit auch erreicht. Die F.D.P. hat nichts vorzuweisen, obwohl sie 16 Jahre lang den Wirtschaftsminister gestellt hat. Deshalb ist es einfach, um von eigenen Versäumnissen abzulenken, alles das vom neuen Wirtschaftsminister zu fordern, was man selbst nicht geschafft hat. Ich glaube, daß Herr Müller Erfolg hat und auch weiterhin bei der Lösung der schwierigen Probleme zu einem anderen Politikstil greift als die Vorgängerregierung. In modernen Unternehmen ist es längst üblich, Probleme zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern konsensual zu lösen. Das ist auch für moderne Volkswirtschaften das richtige Prinzip.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1999/bp9904/9904062
Seitenanfang [TOP]
Druckversion Druckversion