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Mai 04/1999
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Buchtips von Bernward Baule

Rückkehr zur politischen Mitte?

Heiner Geißler: Zeit, das Visier zu öffnen
Demokratie ist ohne Grundkonsens nicht denkbar, ebensowenig aber auch ohne die Auseinandersetzung um Programme, Konzepte, Personalien und Strategien. Heiner Geißler ist bekannt als ein streitbarer Geist, der sich gern mit seinen Gedanken und Argumenten in die öffentliche Gemengenlage begibt. Er ist ein Kämpfer, der sich politisch kenntlich macht: mit offenem Visier. Das wird deutlich auch in seinem jüngsten Buch, in dem er eine klare Position im politischen Koordinatenkreuz der Bundesrepublik bezieht. Geißler analysiert die Wahlniederlage der CDU in der letzten Bundestagswahl. Sie sei verloren gegangen nicht nur durch den Wechselwunsch der Wähler oder die Konfrontationsstrategie Lafontaines, sondern ebenso auch durch eine Reihe strategischer Fehler der eigenen Partei: die Fixierung auf den Bundeskanzler und das daraus resultierende "geistige Sultanat", die nichtgelöste Übergabe der Nachfolge, mangelnde Darstellung der Leistungen der Koalition, Verkrustungen der Partei, das Scheitern des Bündnisses für Arbeit, das zu weite Eingehen auf den neoliberalen Kurs der F.D.P. und die verlorene Sozialstaatsdiskussion. Ihm geht es um die Wiedergewinnung von Glaubwürdigkeit, Mut zu geistiger Erneuerung, Profilierung des Charakters der CDU als Volkspartei, die sich nicht auf "Pragmatismus, Nationalismus und Monetarismus" reduzieren lassen dürfe.In diesem Zusammenhang konstatiert er eine Reihe von Schieflagen der CDU, die es wieder ins Gleichgewicht zu bringen gelte. Dazu gehöre die (Rück­)Besinnung auf die Grundwerte der CDU, eine konsequente Menschenrechtspolitik, eine tatsächliche soziale Marktwirtschaft, eine den Menschen achtende Ausländer­ und Asylpolitik. Vor allem in seiner argumentativen Verteidigung des bundesdeutschen, "rheinischen" Modells – Orientierung an Freiheit und Solidarität, kooperative Strukturen des Interessensausgleichs, Sicherung der sozialen Risiken durch Arbeitslosen­, Kranken­ und Rentenversicherung – zeigen sich seine Stärken. Anderes dagegen wird sicher in der CDU wie in der politischen Öffentlichkeit kontrovers zu diskutieren sein: seine Vorstellungen zu einer internationalen Sozialen Marktwirtschaft, zum Umgang mit der PDS, zur Öffnung der traditionellen sozialen Sicherungssysteme für Reformen oder zur Frage, was an neuen Ansätzen von anderen Ländern lernen oder abzulehnen ist. Geißlers (manchmal etwas holzschnitzartige) Thesen fordern heraus – in der Zustimmung zu seinen Positionen wie in der Schärfung von Gegenargumenten. Er will die politische Auseinandersetzung – und damit den Kampf um die Mitte der Gesellschaft neu beginnen.

Heiner Geißler: Zeit, das Visier zu öffnen, Köln 1998,
Kiepenheuer & Witsch, 39,80 DM

Auf Tuchfühlung mit den Bundeskanzlern

Hans Ulrich Kempski: Um die Macht. Sternstunden und sonstige Abenteuer mit den Bonner Bundeskanzlern 1949 bis 1999

In unserem aufgeklärten 2o. Jahrhundert wissen wir, daß sich Politik auf Institutionen, Strukturen und Prozesse bezieht. Doch wie sehr sie zugleich in der politischen Willensbildung und Gestaltung abhängig ist von den großen Persönlichkeiten, daß wird an dem Buch von Kempski, dem Altmeister der politischen Reportage, deutlich. Darin schildert er auf spannende und farbige Weise die Begegnungen mit den sieben Bundeskanzlern der Bundesrepublik Deutschland. Obwohl für ihn Bundeskanzler zu sein "der schrecklichste Beruf" ist, hat er doch alle begleitet, sei es auf Reisen, im Wahlkampf, auf Konferenzen, im Interview. Aus diesen Begegnungen, aus den präzisen Beobachtungen aus der Nähe wie der Distanz, gewinnt Kempski eine fast intime politische Kenntnis der handelnden Personen. Dabei kommen die politischen Weichenstellungen in den verschiedenen Phasen der Bundesrepublik – von der Westbindung bis zur deutschen Einheit – ebenso zur Sprache wie die zeitgeschichtlichen Ereignisse und politischen Kontroversen. Jedoch ist Kempskis Buch keine Darstellung der Bundesrepublik von ihren Anfängen bis zu Gegenwart, es ist vielmehr ein Geschichtsbuch der besonderen Art. Denn die bundesdeutsche Geschichte wird lebendig durch die Personen an ihrer Spitze: ihre Art der Wahrnehmung der Problemlagen, ihren Umgang mit Menschen, ihrer Denk­ und Lebensweise, ihren Rivalitäten und persönlichen Zuneigungen, ihren Höhen und Tiefen, Siegen und Niederlagen im Kampf um die politische Macht, ihren Zweifeln und Festigkeiten in der politischen Willenskraft angesichts der Herausforderungen der jeweiligen Zeit. Es sind einfühlsahme, detailgetreue Nahaufnahmen, die sich zu differenzierten, in manchen Aspekten auch einseitigen Porträts der Bundeskanzler, aber auch ihrer jeweiligen Gegenspieler und Herausforderer um die Kanzlerschaft auf eindrucksvolle Art verdichten. Zugleich wird deutlich, wie sehr sich im Lauf der Zeit das Beziehungsgeflecht zwischen den Politikern und Journalisten, der Politik und den Medien zu einer inzwischen fast symbiotischen Form entwickelt hat. Daß Politiker auch Menschen sind, ist eine immer wieder strapazierte Binsenweisheit. Doch was personale Begegnungen in der Politik bedeuten und wie sehr es dabei auch "menschelt", zeigen die vielen Anekdoten, die Kempski in seinem Buch versammelt. Diese Art journalistischer Schilderung dessen, wie es in der Politik (auch) zugeht, eröffnet für viele vielleicht besser als manches Lehrbuch den Zugang zum Politischen. Eine baldige Taschenbuchausgabe würde die Verbreitung – gerade auch bei der jüngeren Generation – sicher fördern.

Hans Ulrich Kempski: Um die Macht. Sternstunden und sonstige Abenteuer mit den Bonner Bundeskanzlern 1949 bis 1999, Berlin 1999
Alexander Fest Verlag, 48,– DM

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1999/bp9904/9904071
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