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November 11/2000
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tagesläufe

Berlin – Leipzig – Berlin

Sechzehn Stunden sind ein Tag

Michaele Hustedt, Abgeordnete der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist an einem solchen Tag Diskutierende, Zuhörende, Moderatorin, Planerin, Berichterstatterin und noch einiges mehr.

Michaele Hustedt im Untersuchungsausschuss.
Michaele Hustedt im Untersuchungsausschuss.
Michaele Hustedt im Untersuchungsausschuss.
Michaele Hustedt im Untersuchungsausschuss.
Michaele Hustedt im Untersuchungsausschuss.
09.13 Uhr: Untersuchungsausschuss.
09.13 Uhr: Untersuchungsausschuss.

Sie kommt um neun, noch ein wenig müde vom gestrigen langen Arbeitstag, der kurz vor Mitternacht geendet hatte. Sie trägt zwei Taschen, über jeder Schulter eine. Viel Papier ist an so einem Tag mitzunehmen, und außerdem wird es abends noch eine Reise nach Leipzig geben. Vielleicht muss sie auch in Leipzig übernachten, wenn dieser Abendtermin sehr lange dauert. Sicherheitshalber bringt sie also an diesem Morgen alles mit, was nötig ist.

Michaele Hustedt, Abgeordnete der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Mitglied im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und im Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, dazu energiepolitische Sprecherin der Fraktion, hat einen Tag vor sich, dessen Beginn definiert und dessen Ende nicht absehbar ist. Ein ganz normaler Mittwoch in einer ganz normalen Sitzungswoche also, der mit einem kleinen, aber ganz alltäglichen Dilemma beginnt: Beide Ausschüsse, in denen die Grünen-Abgeordnete den Hauptsitz für ihre Fraktion inne hat, tagen an diesem Tag gleichzeitig. Der Weg zwischen den Tagungsräumen ist zwar kurz, aber einfach ist es trotzdem nicht. "Wenn man sich teilen könnte", seufzt Michaele Hustedt und nimmt ihren Platz im Umweltausschuss ein.

Michaele Hustedt im Büro der Mitarbeiter.
Michaele Hustedt im Büro der Mitarbeiter.
Michaele Hustedt im Büro der Mitarbeiter.
Michaele Hustedt im Büro der Mitarbeiter.
Michaele Hustedt im Büro der Mitarbeiter.

Um 9.20 Uhr kommt ihr Mitarbeiter und bringt Unterlagen für die morgendliche Ausschussarbeit. Eine grüne Mappe für den Umweltausschuss, eine rote Mappe für die Wirtschaft. Der Sitzungssaal, bis unter die Decke in dunklem Blau gehalten, füllt sich. Rings um die Abgeordneten gruppieren sich Mitarbeiter und Experten, um zuzuhören. Irgendjemand war bei der Einrichtung des Raumes auf die Idee gekommen, die dunkelblauen Regale mit ebenfalls dunkelblauen Buchbänden zu füllen – die Buchrücken allerdings in Gold beschriftet.

In zehn Minuten beginnt die Arbeit. Michaele Hustedt ist vorbereitet, hat die Papiere beisammen und redet noch kurz mit ihrem Fraktionskollegen. Sie trägt ein dunkles Samtjacket, einen weißen Pullover, einen Chiffonschal in zartfröhlichen Farben, eine Kette mit terrakottafarbenen großen Perlen, eine dunkle Hose, bequeme Schuhe.

12.30 Uhr: Büro der Mitarbeiter.
12.30 Uhr: Büro der Mitarbeiter.

Das Diskussions- und Abstimmungsprogramm des Ausschusses ist lang. Da geht es um einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Atomgesetzes, um die Änderung der Batterieverordnung, um die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung in Bauleitplanungen, um Regelungen zum Tanken von eingefärbtem Agrardiesel, um einen Entschließungsantrag zur EU-Grundrechtecharta, um die Sanierung einstiger Betriebsflächen des Uranbergbaus.

Manche Tagesordnungspunkte sind auf dem Blatt von Michaele Hustedt grün gemarkert. Da ist sie Berichterstatterin.

Es geht schnell und zügig voran. Zwischendurch muss die Abgeordnete hin und wieder den Raum verlassen, um schnell am Telefon etwas zu klären. Sitzt sie wieder im Ausschuss, schreibt sie mit, hört zu, redet kurz und präzise zu einigen Punkten, stimmt mit ab.

12.57 Uhr: Besprechung im Büro der Abgeordneten.
12.57 Uhr: Besprechung im Büro der Abgeordneten.

Um 12 Uhr wartet eine Mitarbeiterin aus ihrem Büro vor dem Sitzungssaal. Kurze Besprechung, dann geht es rüber ins Büro, in die Luisenstraße. Laufen, auch wenn es nur ein Stück und nicht allzu viel Bewegung ist. Michaele Hustedt hat in Berlin keine Zeit für viel Bewegung oder Sport. Ein Defizit, an dem sie wenig ändern kann.

Michaele Hustedt in einer Besprechung in ihrem Büro.
Michaele Hustedt in einer Besprechung in ihrem Büro.
Michaele Hustedt in einer Besprechung in ihrem Büro.
Michaele Hustedt in einer Besprechung in ihrem Büro.
Michaele Hustedt in einer Besprechung in ihrem Büro.

Um 12.30 Uhr ist sie im Büro und diktiert ihrer Mitarbeiterin zuerst einen Brief. Das geht schnell. Ihr eigenes kleines Bürozimmer wirkt fröhlich, funktional und persönlich. Zwei kupferne Vögel stehen auf ihrem Schreibtisch, Ibisse oder Reiher – das weiß sie nicht so genau. Ein Foto im Rahmen daneben, an den Wänden Bilder. "Jetzt machen wir Termine und sprechen die zu erledigenden Arbeiten durch", erklärt die Abgeordnete noch kurz, bevor die Planungsrunde mit zwei Mitarbeitern und einer Mitarbeiterin beginnt. Und dann geht es Schlag auf Schlag – vier gut vorbereitete und aufeinander eingespielte Leute reden miteinander und für Außenstehende klingt das, was sie da reden, wie eine Art Geheimsprache oder gar Code: Wann ist der Kohletermin? Wir brauchen dafür einen Haushälter. Sag was zum Stand ATG-Novelle. Wie sieht es mit der Gasliberalisierung aus? Am 20. Dezember will das BMWi das im Kabinett haben. Setz mal bei der Energie-AG als dritten Punkt die Gasliberalisierung drauf. Wir müssen den Unterschied zur Stromnovelle darstellen. Biogas? Die haben gegenwärtig keine Lobby. Gestern ist der Entschließungsantrag durch. Wir müssen zu einem Verordnungstext kommen. Lass uns eine Abfallrunde machen... Alles gibt nur für diejenigen einen wirklichen Sinn, die miteinander reden.

Zwischendurch strukturiert Michaele Hustedt das Besprochene, fasst es noch einmal in vier oder fünf Punkten zusammen, macht eine Zeitschiene für die nächsten Arbeitsschritte, reibt sich ab und zu die Augen, sieht manchmal für einen kurzen Augenblick ganz müde aus. Sie isst schnell ein paar Kekse und trinkt einen Kaffee, für ein richtiges Essen wird auch an diesem Tag wieder die Zeit fehlen. Im Büro nebenan klingelt häufig das Telefon, laufen Faxe rein und raus, werden Mails verschickt, Termine gemacht, Briefe geschrieben.

Michaele Hustedt bei einer Anhörung in der Parlamentarischen Gesellschaft.
Michaele Hustedt bei einer Anhörung in der Parlamentarischen Gesellschaft.
Michaele Hustedt bei einer Anhörung in der Parlamentarischen Gesellschaft.
Michaele Hustedt bei einer Anhörung in der Parlamentarischen Gesellschaft.
Michaele Hustedt bei einer Anhörung in der Parlamentarischen Gesellschaft.

Kurz nach halb zwei muss Michaele Hustedt fort. Um 14 Uhr beginnt im Haus der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft eine von ihr organisierte kleine Anhörung zum Thema "Das KWK-Zertifikat – Handelsmodell in der Praxis". Das klingt wie die Fortsetzung des Gesprächs im Büro. Denn, bitte – was ist ein KWK-Zertifikat? Für die Ungeübten lässt sich aus der Veranstaltung entnehmen, dass es hier um die Eckpunkte einer Quotenregelung zum Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung geht. Und dass es sich bei den Zertifikaten um ein umweltpolitisches Instrument handelt, für das sich Michaele Hustedt einsetzt, weil sie es wichtig und gut findet. Und während sie noch den Raum Bonn im Haus der Parlamentarischen Gesellschaft für die Veranstaltung mit vorbereitet, einen Tisch für die Referenten organisiert, die ersten Gäste und Referenten begrüßt, ist es Zeit, ihren Mitarbeiter zu fragen, wofür "ATG" steht, nachdem man KWK gerade erklärt bekam. Atomgesetznovelle also. Ein Puzzleteil des vorangegangenen Bürogesprächs hat seinen Platz gefunden.

14.10 Uhr: Anhörung in der Parlamentarischen Gesellschaft.
14.10 Uhr: Anhörung in der Parlamentarischen Gesellschaft.

Für die KWK stehen zwei Stunden auf dem Plan – bis 16.00 Uhr also.

Um 16.00 Uhr beginnt in der Luisenstraße ein fraktionsinternes Treffen zum Thema Hermes-Bürgschaften. Die Vergabekriterien für diese Bürgschaften sollen verändert und transparenter gemacht werden. Es gelte, vor allem den Umweltschutzgedanken zu verstärken und den Mittelstand zu fördern, erklärt die Abgeordnete.

Michaele Hustedt schafft es nicht pünktlich. Die Debatte zur Kraft-Wärme-Kopplung, die sie leitet, dauert länger als geplant. Um 16.32 Uhr kommt die Abgeordnete zum fraktionsinternen Treffen. Etwas außer Atem. Ihr bleibt nur noch eine Stunde für diese Veranstaltung, denn sie muss nach Leipzig. Dort will sie spätestens um 20 Uhr sein. Gemeinsam mit ihrer Fraktionskollegin Kerstin Müller fährt sie kurz nach 18 Uhr aus der Stadt – der Zug war nicht mehr zu schaffen, also musste das Fraktionsauto genommen werden. Beide kommen rechtzeitig zum ÖTV-Gewerkschaftstag und mitten hinein in die Diskussionen nach dem Rücktritt des ÖTV-Vorsitzenden Mai.

Michaele Hustedt im fraktionsinternen Treffen zu Hermes-Bürgschaften.
Michaele Hustedt im fraktionsinternen Treffen zu Hermes-Bürgschaften.
Michaele Hustedt im fraktionsinternen Treffen zu Hermes-Bürgschaften.
Michaele Hustedt im fraktionsinternen Treffen zu Hermes-Bürgschaften.
Michaele Hustedt im fraktionsinternen Treffen zu Hermes-Bürgschaften.
15.58 Uhr: Fraktionsinternes Treffen zu Hermes-Bürgschaften.
15.58 Uhr: Fraktionsinternes Treffen zu Hermes-Bürgschaften.

Der Parteienabend findet trotzdem statt. Die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter haben Diskussionsbedarf, und die beiden Grünen-Abgeordneten stehen dafür den ganzen Abend zur Verfügung. Es geht zum Beispiel um Rentenreform, die Liberalisierung der Energie-, Abfall- und Wassermärkte.

Um 22.30 Uhr machen sich Michaele Hustedt und Kerstin Müller auf den Heimweg nach Berlin. Eine Übernachtung in Leipzig würde den Beginn des nächsten Arbeitstages verzögern. Und der nächste Arbeitstag ist ein Sitzungstag. Um 00.30 Uhr ist die Abgeordnete Hustedt wieder in der Hauptstadt und wenig später zu Hause.

Was hat sie an diesem langen Tag ob der Gleichzeitigkeit der Ereignisse nicht tun können? Der Unterausschuss Telekommunikation und Post, dem sie angehört, hatte beraten, es gab eine Aktuelle Stunde im Bundestag und eine 30-minütige Befragung der Bundesregierung, verschiedene Arbeitskreise der Fraktion standen auf ihrem Tagesplan: Frauenspezifische Gesundheitsversorgung, Behindertenrecht, Schwangerschaftsabbruch mit Medikamenten, Energiekosten und Vereine und die Änderung der Einkommensteuer wären die Themen gewesen. Zu allem hätte sie etwas zu sagen gehabt und gesagt, wäre ihr die Möglichkeit gegeben, gleichzeitig an drei Orten zu sein. Sie war immer nur an einem. Aber das richtig.
Kathrin Gerlof

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2000/bp0011/0011080
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