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Dezember 12/2000
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SCHILY IM INNENAUSSCHUSS

Grundlegende Veränderung des Stasi-Unterlagengesetzes beabsichtigt

(in) Das Ergebnis der Gutachten zur Verwendung von Stasi-Abhörprotokollen hat Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) am 6. Dezember im Fachausschuss vorgestellt. Schily, der nach der früheren Kontroverse zwischen Joachim Gauck und dem Bundesdatenschutzbeauftragten Joachim Jacob die Professoren Klaus Marxen und Gerhard Werle von der Humboldt-Universität mit einem abschließenden Gutachten beauftragt hatte, legte den Mitgliedern des Ausschusses eine Synopse aller Stellungnahmen als Arbeitsgrundlage vor.

Danach vertreten der Bundesdatenschutzbeauftragte Jacob und Professor Philip Kunig von der Freien Universität Berlin grundsätzlich andere Positionen als der frühere Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Joachim Gauck, seine Amtsnachfolgerin Marianne Birthler und die beiden vom Innenminister zuletzt mit der Vorlage eines Gutachtens beauftragten Professoren Marxen und Werle.

So haben Jacob und Kunig jegliche Berechtigung zur Herausgabe von Unterlagen über "öffentliche Personen" aus Abhöraktionen des Staatssicherheitsdienstes an Untersuchungsausschüsse, Wissenschaftler oder Medien auf der Grundlage des Grundgesetzes entschieden verworfen.

Schutz der Persönlichkeit auch für "öffentliche" Personen vorrangig

Auch "für Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen und Amtsträger in Ausübung ihres Amtes" gelte das eindeutig geregelte Persönlichkeitsrecht des Grundgesetzes, hatten Jacob und Kunig wiederholt und nachdrücklich betont. Sie stehen damit in Widerspruch zu den anderen Gutachtern, die unter Berufung auf den geltenden Wortlaut des Stasiunterlagengesetzes eine Verwendung des Materials in bestimmten Fällen bejahen oder in eng gefassten Grenzen für zulässig halten.

Die überwiegende Zahl der Abgeordneten im Innenausschuss machte bei ihren Stellungnahmen deutlich, dass auch sie überwiegend die Herausgabe von Tonbandmitschnitten abgehörter Gespräche, von Abhörprotokollen im Wortlaut und von zusam.menfassenden Vermerken des MFS über die Inhalte abgehörter Gespräche des genannten Personenkreises ablehnen.

Die SPD begrüßte, dass der Innenminister in "dieser außerordentlich schwierigen Frage" das Votum des Parlaments und der Abgeordneten einhole, bevor eine abschließende Reformierung des Stasiunterlagengesetzes angegangen werde.

Es habe sich, so die Sozialdemokraten, bei der Intention des Stasiunterlagengesetzes immer darum gehandelt, "die Opfer zu schützen und nicht die Täter". Niemand, so die SPD, habe seinerzeit bei der Erarbeitung und Verabschiedung des Gesetzes daran gedacht, einen ehemaligen Bundeskanzler mit illegalen Tonbandabhörprotokollen zu konfrontieren. Angeführt wurde dabei auch, dass es, wenn solche illegal beschafften Informationen von einem anderen, ausländischen Geheimdienst vorliegen würden, es nicht den geringsten Zweifel an einer Nichtveröffentlichung geben würde.

Die CDU/CSU kritisierte, der Innenminister habe zu lange und zu sybillinisch über die schutzwürdigen Interessen geredet, ohne noch ausstehende Fragen mit Gauck zu klären, während dieser noch im Amt gewesen sei.

Auch von der Fraktion der F.D.P. wurde der Schutz von Politikern gemäß Artikel 10 des Grundgesetzes betont. Die Liberalen stellten fest, wenn eine Kehrtwendung in dieser Frage erfolgen solle, so liege die zuständige Rechtsaufsicht für die "Gauckbehörde" beim Innenministerium. Danach sei es Angelegenheit der Regierung, ihre Rechtsaufsicht wahrzunehmen.

Kohl war "eindeutig Opfer" der Stasi-Abhörmaßnahmen

Die PDS erklärte ebenfalls, der ehemalige Bundeskanzler Kohl sei "eindeutig Opfer der Stasi", daher teile sie auch die Bewertung Kunigs.

Allein Bündnis 90/Die Grünen hielten an ihrer bisherigen Position einer herabgesetzten Schwelle für Informationen über öffentliche Personen bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Schutzes der Intimsphäre fest. Die Bündnisgrünen beklagten, mit der Übernahme der Position Kunigs durch den Gesetzgeber werde eine historische Aufarbeitung auf der Grundlage des bisherigen Stasiunterlagengesetzes unterlaufen.

Chance zur historischen Aufarbeitung wird unterlaufen

Gauck-Nachfolgerin Marianne Birthler erinnerte daran, dem Gesetzgeber sei "von vornherein klar gewesen, dass das Stasiunterlagengesetz ein Fremdkörper im Rechtssystem der Bundesrepublik ist". Beabsichtigt war danach nicht nur ein Opferschutz, sondern auch eine Aufarbeitung des Stasi-Unrechts.

Nach den Äußerungen des Ausschusses erklärte Schily, er habe bei der Vorstellung der Gutachten vor dem Ausschuss bewusst keine eigene Wertung abgegeben, um der freien Meinungsbildung nicht vorzugreifen. Anfangs habe auch er die Ansicht von Joachim Gauck geteilt, dem er im Übrigen seinen allergrößten Respekt bezeuge.

Inzwischen neige er aber hinsichtlich der gesetzlichen Vorgaben der Auffassung und Interpretation von Jacob und Kunig zu. Schily wandte sich damit an Birthler mit der Bitte, keine Vorentscheidung durch die weitere Herausgabe von Unterlagen zu treffen, bevor man zu einer endgültigen Auffassung gelangt sei.

Die neue Leiterin der Bundesbehörde entgegnete, ein solches Moratorium stelle ihr Amt vor ein praktisches Problem. Die jetzige Grundlage des Stasiunterlagengesetzes erlaube es der Behörde nicht, die Herausgabe von Daten zu verweigern.

Der Bitte des Bundesinnenministers zu folgen, hieße zudem auch, "alles zu stoppen". Birthler wies darauf hin, dass damit zugleich auch eine Ungleichbehandlung erfolge, da inzwischen eine Herausgabe von Unterlagen über Wehner, Schmidt, Strauß und andere erfolgt sei, während dies nun bei anderen Fällen in Frage gestellt werde.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2000/bp0012/0012041
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