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Das Parlament
Nr. 38 - 39 / 23.09.2005

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Günter Pursch

Die Würfel sind gefallen - aber für wen?

Bundestagswahl 2005: Keine Mehrheit für Rot-Grün oder Schwarz-Gelb - Linke.PDS in Totalopposition
Deutschland hat gewählt. Mit der von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) herbeigeführten vorgezogenen Neuwahl am 18. September verliert die rot-grüne Koalition die parlamentarische Mehrheit im Bundestag. Schwarz-Gelb - also CDU/CSU und FDP - kann die über Wochen vorher von den Meinungsforschungsinstituten prognostizierte Regierungsmehrheit nicht erreichen. Die Linkspartei - die in den neuen Bundesländern den Zusatz PDS führt - kann dagegen in Fraktionsstärke wieder in den Bundestag einziehen, aus dem sie 2002 wegen des deutlichen Nichterreichens der Fünf-Prozent-Hürde herausgefallen war. Während SPD und Union ziemlich herbe und Grüne geringe Stimmenverluste hinnehmen müssen, können FDP und Linkpartei.PDS beträchtliche Zugewinne verzeichnen.

Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis entfielen auf die CDU/CSU 35,2 Prozent (2002: 38,5 Prozent). Für die SPD stimmten 34,3 Prozent (38,5). Ihr bisheriger Koalitionspartner, die Grünen, kamen auf 8,1 Prozent (8,6). Die FDP verbesserte sich stark auf 9,8 Prozent (7,4). Die Linkspartei.PDS mit Ex-SPD-Chef Oskar Lafontaine und Gregor Gysi erreichte 8,7 Prozent (2002 PDS: 4,0). Die Wahlbeteiligung lag bei 77,7 Prozent (2002: 79,1). Im Wahlkreis 160 (Dresden) muss wegen des Todes einer Direktkandidatin am 2. Oktober nachgewählt werden. Im neuen Bundestag werden 613 Abgeordnete arbeiten: Die CDU/CSU stellt mit 225 Mandaten (davon 149 direkt) nach 1998 wieder die stärkste Fraktion. Die SPD folgt knapp mit 222 (145) Mandaten auf Platz zwei. Die FDP erreicht mit 61 Abgeordneten den dritten Rang. Die Linkspartei überholt mit 54 Sitzen (3) die Grünen, die mit 51 (1) Abgeordneten in das Parlament einziehen. Die 15 Überhangmandate verteilen sich mit neun auf die SPD - 1 in Hamburg, 3 in Brandenburg, 4 in Sachsen-Anhalt und 1 im Saarland - und sechs auf die Union - je 3 in Sachsen und Baden-Württemberg. Es ist nach 1949 das erste Mal, dass kein politisches Lager im Deutschen Bundestag eine Mehrheit gewinnen konnte.

Deutschland hat mehrheitlich links gewählt. Aber mit diesem Ergebnis haben die Wähler die im Bundestag vertretenen Parteien vor nur schwer zu lösende Probleme gestellt. Die Lager von Rot-Grün und von Schwarz-Gelb haben jeweils keine Mehrheit. Mit der Linkspartei.PDS will keine andere Partei im Bundestag zusammenarbeiten. Wie sie auch selbst nach Aussagen führender PDS-Politiker mit einer anderen Formation im Parlament weder koalieren noch sie tolerieren will. Totalopposition ist von den Linsksozialisten angesagt.

Trotz des schlechten Abschneidens der Sozialdemokraten fühlte sich Bundeskanzler Schröder noch am Wahlabend "bestätigt, für unser Land dafür zu sorgen, dass es auch in den nächsten vier Jahren eine stabile Regierung unter meiner Führung geben wird". Niemand außer ihm selbst sei "in der Lage, eine stabile Regierung zu bilden", erklärte er dem staunenden Fernsehpublikum. Aber wie soll das geschehen?

Als Mehrheitsbeschaffer können für SPD und Union nur FDP und Grüne gemeinsam dienen. Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle hatte jedoch bereits im Wahlkampf immer betont, dass eine Ampel - also Rot, Gelb und Grün - mit seiner Partei keinesfalls in Betracht kommt. Diese Linie wird von den Liberalen auch nach der Wahl strikt verfolgt. Sie lehnen selbst Sonderungsgespräche mit den Sozialdemokraten ab.

In eine große Koalition will die SPD nur unter der Führung Schröders eintreten. Denn - so sagen führende Sozialdemokraten - schließlich sei sie als die stärkste Partei aus der Wahl hervorgegangen. CDU und CSU müssten getrennt betrachtet werden. Koalitionsverhandlungen führten die Parteien und nicht die Fraktionen. Ein Bündnis mit der Union unter Führung von Angela Merkel als Bundeskanzlerin schloss Schröder ausdrücklich aus. In eine Koalition unter Führung von Schröder werde die CSU nicht eintreten, erklärte wiederum deren Parteichef Edmund Stoiber. Zu ersten Sondierungsgesprächen wollten die Führungen von Union und Sozialdemokraten am 22. September - nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe - zusammenkommen.

Seit dem Wahlabend macht jedoch eine neue Wortschöpfung im politischen Berlin die Runde: "Jamaika-Koalition". Nach den Farben der Landesflagge des Karibik-Staates ist ein Bündnis von Schwarz, Gelb und Grün gemeint. Gerade wegen heftiger Auseinandersetzungen zwischen den Grünen und der FDP in der Vergangenheit und insbesondere im zurückliegenden Bundestagswahlkampf sind Gespräche zwischen diesen Parteien jedoch nicht eingeplant. Die politischen Gegensätze sind einfach zu groß. Union und Grüne wollen am 23. September "ernsthaft" miteinander reden. Am Tag zuvor wird es Gespräche zwischen der Union und der FDP geben. Es wird sicherlicher nicht einfach, die gerade zwischen Union und FDP einerseits und Grünen andererseits bestehenden Meinungsverschiedenheiten auf gemeinsame Nenner zu bringen. Deshalb hält die Grünen-Spitze auch das Zustandekommen eines "Jamaika-Bündnisses" für sehr unwahrscheinlich.

In dieser doch recht unübersichtlichen Situation formierten sich schneller als ursprünglich vorgesehen die Fraktionsführungen von CDU/CSU und SPD, um demonstrativ gestärkt in die bevorstehenden Gespräche und Verhandlungen gehen zu können. Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel erhielt am 20. September trotz ihres schwachen Abschneidens bei der Bundestagswahl überragende 98,6 Prozent ihrer Fraktionskolleginnen und -kollegen. Sie erhielt 219 von 222 abgegebenen Stimmen.

Im Amt bestätigt wurde auch CSU-Landesgruppenchef Michael Glos. Auf ihn entfielen 39 (88,6 Prozent) von 44 Stimmen. Auch der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering wurde in seinem Amt als Fraktionsvorsitzender mit 95,2 Prozent deutlich bestätigt. 200 von 210 SPD-Abgeordneten votierten für ihn.

Überraschend verzichtete der Außenminister und Spitzenkandidat der Grünen, Joseph Fischer, auf den Fraktionsvorsitz. Er wird sein Bundestagsmandat jedoch annehmen. Für den Fraktionsvorsitz wollen die bisherigen Amtsinhaber Katrin Göring-Eckhardt und Christa Sager aber auch die Noch-Minister Renate Künast und Jürgen Trittin sowie der Wahlkampfmanager der Partei, Fritz Kuhn, kandidieren.

Im Streit um den Fraktionsvorsitz bei den Freien Demokraten sprach sich FDP-Vize Andreas Pinkwart für Parteichef Guido Westerwelle aus. Aus der FDP-Fraktion hieß es dagegen, Wolfgang Gerhardt wolle selbst bestimmen, ob und wann er das Amt abgebe.

Bundespräsident Horst Köhler hält eine Regierungsbildung trotz der schwierigen Ausgangsbedingungen für machbar. "Ich glaube, eine Lösung ist möglich", sagte er am 21. September in Berlin. Jetzt seien die Parteien am Zuge, sie sollten nachdenken. "Aber jetzt sollten wir ihnen auch die Ruhe geben und die Zeit, dieses auszuarbeiten." Zum Anspruch von Kanzler Gerhard Schröder, die Regierung zu bilden, wollte sich Köhler nicht äußern: Man werde "sicherlich nicht erwarten, dass ich das jetzt kommentiere".

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