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Das Parlament
Nr. 43 / 24.10.2005

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Susanne Sitzler

Ich habe keine israelischen Freunde

Jacky, palästinensische Schülerin:

Jacky Al Arja ist 16 Jahre alt. Sie ist Palästinenserin und Schülerin einer ganz besonderen Schule in Beit Jala, die mitten auf der "grünen Grenze" liegt, einer unsichtbaren, aber vorhandenen Trennlinie zwischen Israel und dem Westjordanland.

Wenn Jacky morgens ihre Schule betritt, benutzt sie den Hintereingang, denn der liegt im so genannten A-Gebiet, das unter palästinensischer Verwaltung steht. Ihre palästinensischen Mitschüler aus dem israelischen Teil benutzen den Vordereingang, der zur israelisch verwalteten C-Zone gehört. Nur zehn Prozent der Schüler kommen von "jenseits der Grenze", wie Schulleiter Georg Dürr erklärt. Doch um die macht er sich Sorgen. Denn die israelische Regierung plant, die Mauer zur Westbank direkt vor seiner Schule verlaufen zu lassen. Wenn es dort dann keinen eigenen Durchgang für seine Schüler gibt, werden nur noch Palästinenser zum Unterricht kommen können - der Umweg über andere Checkpoints dauert einfach zu lang.

Noch eine weitere Besonderheit gibt es an Jackys Schule: Sie steht unter der Trägerschaft des Berliner Missionswerks und hat eine spezielle Aufgabe: die Versöhnung zwischen Christen und Muslimen. Jacky und ihre Familie sind Christen, wie rund 40 Prozent der Palästinenser in der Region um Bethlehem.

Jacky weiß, dass sie priveligiert ist, weil sie die Schule "Talitha Kumi" - zu deutsch "Mädchen, steh auf!" - besuchen kann. Die Schule ist um ein vielfaches teurer als andere. Aber Jackys Famile kann sich das Schulgeld von rund 500 Dollar pro Jahr leisten. Der Vater besitzt eine Kleiderfabrik, aus der auch die Schuluniform der Jungen und Mädchen stammt: eine graue Hose und ein weißes T-Shirt, auf dem die Friedenstaube zu sehen ist. Jacky sagt, ihre Schule ist die allerbeste. Acht Stunden Unterricht hat sie am Tag, Englisch seit Klasse eins, Deutsch seit Klasse drei.

Kontakt zu israelischen Jugendlichen hat Jacky nicht. Als Palästinenserin darf sie nur mit besonderer Erlaubnis über die grüne Grenze. "Ich habe keine israelischen Freunde", sagt sie. "Aber wenn ich welche hätte, wären die bestimmt nett!" Einmal sei sie mit Freunden unerlaubt über die Grenze gefahren - zum nahegelegenen Toten Meer. Sie wollte einfach baden und dachte sich: "Was soll passieren? Wenn sie uns erwischen, schicken sie uns eben zurück." Alles klappte.

Gewalt hat Jacky aber auch erlebt. Vor ungefähr fünf Jahren, zu Beginn der zweiten Intifada, sei ihr Haus von israelischen Soldaten beschossen worden. Warum, weiß sie nicht. Niemand wurde verletzt, doch Jacky war geschockt: "Das hat mein Leben verändert. Ich habe mich so gefürchtet."

Computer und Technik liebt Jacky besonders. Über das Internet kommuniziert sie mit ihrer älteren Schwester, die in Zypern Grafikdesign studiert. Wenn Jacky die Schule beendet hat, will sie auch studieren - in Bethlehem. Was genau, weiß sie noch nicht. Aber ihr Vorbild ist Bill Gates. Eine Erfindung machen wie er, das fände sie toll: "Bill Gates hatte auch einfach nur eine geniale Idee", meint sie. Vielleicht hat sie auch einmal eine.

Weg aus dem Westjordanland will Jacky nicht. Sie lebt gerne hier und glaubt, dass sie keine schlechteren Zukunfts-chancen hat als junge Mädchen anderswo.

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