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Das Parlament
Nr. 43 / 24.10.2005

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Balduin Winter

Der Rote Drache macht Washington zunehmend nervös

China im Spiegel amerikanischer Meinungen

Welche Politik soll gegenüber der neuen Supermacht China eingeschlagen werden? Dass sich die Volksrepublik auf dem Weg zum ernsthaften Herausforderer der USA befindet, ist für die meisten Strategen der US-Think Tanks - der politischen Elite und der Fachleute in der Bush-Administration - inzwischen klar. Schon in den 90er-Jahren fand eine lebhafte Debatte über "Engagement" versus "Containment" plus Verfeinerungen, wie Frank Umbach bemerkt, einen deutlichen publizistischen Fall-out. Zunehmend wird China, die kommunistische Diktatur plus Kapitalismus, als unberechenbarer Faktor eingeschätzt. Dabei findet das Land sowohl Bewunderer als auch scharfe Gegner.

"Amerikaner bewundern Schönheit, aber wirklich fasziniert sind sie von Größe", so "Newsweek"-Chefredakteur Fareed Zakaria im Mai dieses Jahres. Differenziert skizziert er die wichtigsten Probleme: "Weil China … US-Staatsanleihen kauft, können Amerikaner und ihre Regierung weiterhin auf Pump konsumieren, und die Weltwirtschaft wächst weiter." Dann warnt er: "Chinas Aufstieg ist die dritte große Verschiebung im globalen Kräftespiel - der Aufstieg Asiens."

Taucht ein neuer Aufsteiger auf, kommt es zu Spannungen, denn die bestehende Ordnung wird erschüttert; für die USA ist das eine Herausforderung. Käme es zu einem Konflikt zwischen den beiden Großmächten, würden "all die Probleme, die uns heute beschäftigen - Terrorismus, Iran, Nordkorea - vergleichsweise unspektakulär wirken".

Tendiert dieses Land mit seiner reichen Kultur zu etwas historisch Neuem, wie es der Ex-Herausgeber des "Time Magazine", Joshua C. Ramo, in "The Beijing Consensus" darlegt? Ramo hat mit Hunderten chinesischer Denker diskutiert. Offen ist, wohin die Reise geht. Seine Schilderungen vermitteln eine Ahnung, wie rasch und widersprüchlich die Modernisierungsprozesse ablaufen. Land und Führung haben, so Ramo, größtes Interesse an einem sicheren Umfeld und einer ruhigen Atmosphäre. Er schreibt: "Ein oft genannter Wunsch in Washington ist, dass Chinas KP auf Grund der Veränderungen auf der Kippe des Absturzes steht. Tatsächlich ist die KP die Quelle der meisten Änderungen in China während der letzten 20 Jahre." Ramo zählt zu den wenigen US-Experten, die trotz "marketization" und Beitritt zur WTO nicht von einer "Verwestlichung" Chinas sprechen; vielmehr zitiert er zahlreiche Fachleute Chinas und Indiens, die Chinas Entwicklung als eigenen, mit kapitalistischen Ländern nicht vergleichbaren Weg analysieren.

Im außenpolitischen Denken, so Ramo, tauchen neuerdings Elemente westlicher Art auf, doch dominiere eindeutig chinesische Tradition: "Das Ziel des Chinesen ist nicht Konflikt, sondern die Vermeidung des Konflikts." Das sei eine grundlegend andere Haltung als etwa die der USA mit ihrem kostspieligen militärischen Apparat. China nehme eine prinzipiell multilaterale Haltung ein und suche gute Beziehungen zu anderen Staaten.

Herz des Nationalen Sicherheitskonzepts, im April 2004 von Hu Jintao vorgeschlagen, sind vier Punkte: Kein Hegemonismus, keine Machtpolitik, keine Bündnisse und keine Wettrennen (mit den USA). Ramo bezeichnet das Konzept als "chinesische Monroe-Doktrin". China passe sich lediglich den erhöhten Anstrengungen der USA an, die im Westpazifik, wie die chinesischen Führer befürchten, dabei sind, ein militärisches Aufrüsten zu beginnen.

Der amerikanische Geheimdienst CIA hat zusammen mit zahlreichen Nichtregierungs-Organisationen (NGO) im Dezember 2004 sein "Mapping the Global Future" zur globalen Entwicklung bis 2020 vorgelegt. Als aufsteigende Mächte werden China und Indien charakterisiert, deren Wirkung auf den Wandel der geopolitischen Landschaft "möglicherweise so drastisch wie jener in den vergangenen zwei Jahrhunderten" sein wird: China und Indien werden "den Prozess der Globalisierung umwälzen". Bereits in wenigen Jahren werde China Japan ökonomisch übertreffen. Auch Gefahren werden skizziert, so der demografische Faktor, die Überalterung der Gesellschaft (2020: rund 400 Millionen Chinesen über 65 Jahre) und die daraus resultierende Explosion der Altersvorsorge, epidemische Krankheiten, Korruption, hohe Arbeitslosigkeit und soziale Unruhen.

Zwischen den Mächten werde es "bedeutende Veränderungen" geben: China und die USA hätten zwar "einen starken Ansporn, eine Konfrontation zu vermeiden, aber der wachsende Nationalismus in China und die zunehmende Angst in den USA vor China als auftauchendem strategischen Konkurrenten könne ein im steigenden Maße entgegenwirkendes Verhältnis erzeugen".

Eine Schreckensvision des Weltmachtrivalen der USA entwickeln Richard Bernstein und Ross H. Munro in ihrem viel gelesenen Buch "Coming Conflict with China", das sogar CIA-Experten zur Widerrede veranlasst hat: "Prophetentum aus vollkommener Unklarheit." Dem steht diametral gegenüber das Buch des Stanford-Professors Gordon Chang, der in "The Coming Collapse of China" den Rivalen als einen "Papiertiger" bezeichnet, dessen wirtschaftliche Blüte alle Anzeichen des Zerfalls in sich trägt: Peking könne nicht gleichzeitig "kapitalistisch und kommunistisch" sein, die KP sei unfähig zu einem Wirtschaftserfolg, die staatlichen Unternehmen versagten, die Korruption säge an der Substanz der Gesellschaft.

Erstaunlich, dass in der Strategischen Bewertungsgruppe, dem ideologischen Hirn des CIA, neuerdings philosophiert wird. Josh Kerbel orakelt über "nichtlineare Systeme" mit nahezu nicht berechenbaren komplexen Verhalten, demgegenüber viele Beobachter dazu neigen, sich "auf die niedrig hängende Frucht zu konzentrieren". Er zitiert eine liberale Historikerin: "China war schon immer ein Problem, für das es keine amerikanische Lösung gab."


Frank Umbach

Konflikt oder Kooperation in Asien-Pazifik? Chinas Einbindung in regionale Sicherheitsstrukturen und die Auswirkungen auf Europa.

R. Oldenbourg, München 2002; 396 S., 45,80 Euro


Fareed Zakaria

"Does the Future Belong to China?"

In: "Newsweek International", 09.05.2005


Joshua C. Ramo

The Beijing Consensus.

Foreign Policy Centre Books, London 2004; 79 S., 9,95 £


Mapping the Global Future.

Report of the National Intelligence Council's 2020 Project.

Washington 2004; 114 S. http://www.cia.gov/nic/NIC_globaltrend2020_imp.html)


Richard Bernstein, Ross H. Munro

Coming Conflict with China.

Knopf Ltd., New York 2004; 272 S., 13 US-Dollar


Gordon Chang

The Coming Collapse of China.

Random House, New York 2001; 368 S., 14,95 US-Dollar


Josh Kerbel

Thinking Straight: Cognitive Bias in the US Debate about China.

In: Studies in Intelligence. Journal of the American Intelligence Professional. Vol. 48, No. 3, 2004 (http://www.cia.gov/csi/studies/vol48no3/article03.html)

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