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Juli 06/1999
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ATOMKRAFTWERKE IN DER UKRAINE

Bundestag gegen Vergabe von Krediten für den Weiterbau

(um) Die Bundesregierung soll bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) darauf hinwirken, daß an die Ukraine keine Kredite für den Weiterbau der Atomkraftwerke Chmelnizki 2 (K2) und Riwne 4 (R4) vergeben werden. Die Ukraine soll dagegen beim Aufbau einer effizienten und sicheren Energieversorgung ohne Atomkraft unterstützt werden, beschloß der Bundestag am 17. Juni auf Empfehlung des Umweltausschusses ( 14/1143).

Der Ausschuß hatte am 15. Juni einen entsprechenden Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ( 14/795) gegen die Stimmen der CDU/CSU und F.D.P. angenommen. Im Ausschuß hatte Umweltminister Jürgen Trittin auf die Schlüsselfunktion der Kredite der EBWE für die weitere Förderung der ukrainischen Projekte hingewiesen und dabei betont, es gebe Zweifel, ob die geplanten Kernkraftwerke notwendig sind und risikoarm betrieben werden können.

Verhandlungen mit Kiew

Die Bundesregierung stehe mit der ukrainischen Regierung in Verhandlungen, ob nicht wirtschaftlichere, nichtnukleare Anlagen die Energieversorgung nach der notwendigen, möglichst bald erfolgenden Abschaltung des Kernkraftwerks in Tschernobyl sichern können, sagte der Minister. Dabei sei an Gaskraftwerke gedacht. Trittin stellte fest, daß die neuen Kernkraftwerke kein Ersatz für die stillzulegenden Reaktoren in Tschernobyl seien. Sie würden erst 2004 bis 2006 fertiggestellt. Vordringlich sei es, die Sicherung des beschädigten Reaktorblocks zu finanzieren.

SPD und Bündnisgrüne hoben hervor, nun bestehe die Chance, die ihrer Auffassung nach falsche Zusage der vorigen deutschen Regierung aus dem Jahr 1995 zu korrigieren. Die Kosten für die Fertigstellung von K2 und R4 würden derzeit auf 3,4 Milliarden DM geschätzt, von denen 810 Millionen DM auf Deutschland entfallen würden. Es stimme nicht, daß alle in der Ukraine nach der leidvollen Erfahrung für neue Kernkraftwerke seien. Auch gehe es nicht darum, frühere Zusagen mit politischer, aber nicht rechtlicher Bindungswirkung zurückzunehmen, sondern bei der Planung neuer Anlagen effizienter vorzugehen. Der Bundestag sei in seiner Entscheidung nicht gebunden.

Bündnis 90/Die Grünen wiesen darauf hin, daß auch die Weltbank aus ökonomischen Erwägungen nicht für den Weiterbau der Kernkraftwerke sei. Kredite für Energiesparmaßnahmen würden von ihr wegen des Baus der Kernkraftwerke zurückgehalten. Im übrigen gebe es auch in anderen europäischen Ländern Zweifel an der Notwendigkeit, die Kernkraftwerke zu bauen. Dies bestätigte die SPD unter Hinweis auf Gespräche mit französischen Abgeordneten.

Die PDS, die einen eigenen Antrag ( 14/708) gegen den Weiterbau der neuen Anlagen eingebracht hatte und für die Vorlage von SPD und Bündnisgrünen stimmte, merkte an, daß sich ukrainische Regierungsvertreter vor zwei Jahren für Alternativen wie Gaskraftwerke ausgesprochen hätten. Ihr Antrag wurde bei Enthaltung der Koalition abgelehnt.

Standards verbessern

Die CDU/CSU verlangte in ihrem Antrag (14/ 819) den zügigen Weiterbau mit europäischer Unterstützung. In der Diskussion verwies sie darauf, daß die Sicherheitsstandards mit westlicher Hilfe verbessert würden. Die Fraktion verlegte sich in ihrer Argumentation vornehmlich auf offensichtliche Unterschiede in den öffentlichen Äußerungen des Kanzleramtes und des eingebrachten Antrags. Der Antrag wurde abgelehnt. Für die F.D.P. kommt es darauf an, sicherzustellen, daß die Ukraine bei Abschaltung der Reaktoren in Tschernobyl weiterhin auf der Grundlage der bisherigen Zusagen eine sichere Energieversorgung erhält. Dazu erklärte die Bundesregierung, die Ukraine verfüge auch ohne die Reaktorleistung von Tschernobyl über Überkapazitäten in der Stromerzeugung.

Im Finanzausschuß erklärte die SPD am selben Tag, die Regierung solle prüfen, ob Spielräume für eine andere Entscheidung existieren. Die Koalition betreibe den geregelten Ausstieg aus der Kernenergie, so daß es unlogisch wäre, Kernkraftwerke in der Nachbarschaft mitzufinanzieren. Nach Ansicht der Bündnisgrünen gibt es noch Spielräume. Die Union warf der Koalition vor, die Interpretation ihres Antrags decke sich nicht mit dem Wortlaut, in dem die Regierung aufgefordert werde, darauf hinzuwirken, daß die EBWE für den Weiterbau keine Kredite mehr bereitstellt.

Tschernobyl schließen

Im Wirtschaftsausschuß, der auf eine Beratung der Anträge verzichtete, teilte Bundeswirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) am 16. Juni mit, daß die Ukraine eine wirtschaftliche Alternative zum Weiterbau der beiden Kraftwerke ablehne. Die Reaktoren seien zu zwei Dritteln fertiggestellt. Anschließend soll der Atomreaktor in Tschernobyl geschlossen werden. Zur Zeit prüfe die EBWE die Kreditvergabe. Eine Entscheidung darüber sei im frühen Herbst zu erwarten. Der Minister wies allerdings darauf hin, daß die Bundesrepublik innerhalb der sieben führenden Industriestaaten (G 7) mit einer ablehnenden Haltung isoliert dastünde.

Nach Mitteilung Müllers werden die beiden Reaktoren in jedem Fall fertiggestellt. Die Frage sei nur, ob sie mit russischer oder mit westlicher Technik zu Ende gebaut werden. Die Bundesregierung stehe vor der Frage, ob sie die Verantwortung dafür tragen wolle, daß der Reaktor in Tschernobyl nicht geschlossen werde. Sie könne nicht isoliert aus einem seit Jahren verfolgten Konzept aussteigen. Vertreter der Bundesregierung würden Anfang Juli in die Ukraine reisen, um mit der dortigen Regierung zu sprechen. Die CDU/CSU betonte, ihr Hauptanliegen sei es, daß Tschernobyl abgeschaltet wird. Die SPD begrüßte den ernsthaften Versuch, in der Sache zu neuen Überlegungen zu kommen. Allerdings gebe es keine Signale, daß die Ukraine dazu bereit sei. Die Bündnisgrünen verwiesen auf die Haltung der Weltbank.

Mit 472 Neinstimmen bei 27 Jastimmen und einer Enthaltung lehnte der Bundestag einen Änderungsantrag der F.D.P.­Fraktion ( 14/1160) zum Antrag der Koalitionsfraktionen ab. Die F.D.P. wollte die Kreditzusage an die Bedingung knüpfen, daß Tschernobyl im Jahr 2000 abgeschaltet wird, die Ukraine zu einer Umschichtung der Kredite auf den Bau anderer Kraftwerke nicht bereit ist und sie keine weiteren Forderung an die G7­Staaten stellt.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1999/bp9906/9906065
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