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Juli 06/1999
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Interview mit der Vorsitzenden des Finanzausschusses, Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen

Christine Scheel

Blickpunkt Bundestag: Erstmals in seiner 50jährigen Geschichte wird der Finanzausschuß nicht von einem Politiker oder einer Politikerin von F.D.P. oder CDU/CSU geleitet. Die Finanzpolitik ist, im Rückblick betrachtet, nicht gerade das Herzstück grüner Politik. Welche Bedeutung hat das Amt der Ausschußvorsitzenden für Sie und für die Finanzpolitik Ihrer Fraktion?

Scheel: Sicher ist die Finanzpolitik in den Anfangszeiten kein urgrünes Thema gewesen. Dies hat sich aber durch solide Arbeit in der Legislaturperiode stark gewandelt, denn Bündnis 90/Die Grünen haben im Zusammenhang mit der Steuerreformdebatte eines der klarsten Modelle zur Reform der Einkommensteuer vorgelegt, das neben Gerechtigkeit und Transparenz auch für niedrige Steuersätze eintritt, und dies ohne zusätzlichen Finanzbedarf. Aber auch in anderen Steuerbereichen haben wir gute Konzepte entwickelt. Daher ist der Vorsitz im Finanzausschuß sowohl für mich als auch für die gesamte grüne Fraktion eine Gelegenheit, diese Kompetenz anzuwenden. Ein Großteil der Berührungsängste der Interessenvertreter gegenüber den Grünen konnte ich durch persönliche Gespräche ausräumen.

Sie sind nun über ein halbes Jahr im Amt. Zwei wichtige Steuerreformgesetze wurden in dieser Zeit verabschiedet. Wenn Sie diesen Zeitraum Revue passieren lassen, sind Sie mit der Arbeit des Finanzausschusses im Gesetzgebungsverfahren zufrieden?

Wir können mit der Arbeit unseres Ausschusses sehr zufrieden sein, denn zunächst einmal haben wir innerhalb kürzester Zeit die lange überfälligen Reformen auf den Weg gebracht und hierbei alle Beteiligten frühzeitig eingebunden, indem wir öffentliche Anhörungen durchführten, eine Vielzahl von Einzelgesprächen mit Verbandsvertretern führten und uns in unzähligen Ausschußsitzungen mit den Details der Reform und ihren Auswirkungen befaßt haben. Trotz des hohen Zeitdrucks haben wir sehr solide gearbeitet.

Der Finanzausschuß hatte über viele Jahre hinweg den Ruf, ein an der Detailarbeit orientiertes Kollegium von Fachleuten zu sein, das die große Auseinandersetzung meidet. Während der Gesetzesberatungen im Winter haben Oppositionsabgeordnete schon mal aus Protest den Sitzungssaal verlassen. Hat sich das Klima im Ausschuß seit dem Regierungswechsel verändert?

Naturgemäß fanden sich die Vertreter der Opposition zunächst schwer in ihrer neuen Rolle zurecht. Darunter fällt auch der taktische Versuch, über das Verlassen des Sitzungssaals ihren Protest kundzutun. Langsam aber sicher normalisiert sich das Klima. Ich sehe das mit großer Gelassenheit.

Experten verlangen in der Steuergesetzgebung immer häufiger den "großen Wurf" statt eines weiteren Kurierens an Symptomen. Glauben Sie, daß eine solche große Lösung, die das Steuerrecht radikal vereinfachen und Steuervergünstigungen kappen würde, wünschenswert wäre? Wenn ja, wäre sie angesichts des erlebten Widerstands beim Steuerentlastungsgesetz überhaupt durchsetzbar?

Ich persönlich vertrete seit langem die Ansicht, daß der richtige Weg zu Steuergerechtigkeit der Abbau von Sonderregelungen bei niedrigen Steuersätzen ist. Vor allem auch als Signal für international tätige Unternehmen. Wir haben das Spießrutenlaufen der Interessensverbände erlebt, und ich denke, "Klappern gehört zum Handwerk", allerdings dürfen sich Parlament und Bundesregierung nicht erpressen lassen.

Der Finanzausschuß beobachtet auch eingehend alle finanzpolitischen Entwicklungen auf europäischer Ebene und läßt sich monatlich von der Bundesregierung darüber berichten. Reicht dies Ihrer Meinung nach aus, oder muß das Parlament noch stärker in die europäischen Prozesse eingebunden werden?

Eine stärkere Einbeziehung des Parlaments in die europäische Steuergesetzgebung halte ich für sinnvoll, da mehr und mehr Vorgaben aus Brüssel umzusetzen sind und die Währungsunion erst am Anfang steht. Gerade erst haben wir die Kontakte zur OECD intensiviert und haben hier die Erfahrung gemacht, wie wichtig ein regelmäßiger Austausch auf internationaler Ebene ist.

Nach der Sommerpause tagt auch der Finanzausschuß in Berlin. Was wird in der zweiten Jahreshälfte auf der Agenda des Ausschusses stehen?

In Berlin werden wir uns im Finanzausschuß mit der Ausgestaltung der Unternehmensteuerreform und des Familienleistungsgesetzes zu befassen haben. Die nächsten Stufen der ökologischen Steuerreform sind zu beschließen. Auch die Ausgestaltung der Zinsbesteuerung auf europäischer Ebene muß diskutiert und entschieden werden. Der gesamte Bereich der Altersvorsorge und die damit verbundenen nötigen steuerlichen Regelungen stehen auf der Agenda.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1999/bp9906/9906083
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