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„Stellung der Abgeordneten aufwerten“

Bild: Bundestagspräsident Norbert Lammert (Links) mit dem Autor Rudolf Speth.
Bundestagspräsident Norbert Lammert (Links) mit dem Autor Rudolf Speth.

Interview: Rudolf Speth, Lobbyismusforscher

Die Einbindung von Interessensgruppen in die Gesetzgebung ist notwendig und legitim, „Der Gegenstand von Politik sind Interessen“, betont Bundestagspräsident Norbert Lammert. „Insofern spricht unter empirischen wie normativen Gesichtspunkten alles dafür und nichts dagegen, dass in der Gesellschaft vorhandene Interessen auch artikuliert und wahrgenommen werden.“ Allerdings gibt es auch Tendenzen im Lobbying, die durchaus kritisch zu betrachten sind. BLICKPUNKT BUNDESTAG sprach mit dem Politologen Rudolf Speth, Mitherausgeber des Sammelbandes „Die fünfte Gewalt. Lobbyismus in Deutschland“.

Blickpunkt Bundestag: Herr Speth, der Sammelband „Die fünfte Gewalt“, den Sie gemeinsam mit Thomas Leif herausgegeben haben, setzt sich sehr kritisch mit dem Phänomen des Lobbyismus auseinander. Was bereitet Ihnen vor allem Sorge?

Rudolf Speth: Dass die Zahl der Lobbygruppen, die vor allem punktuelle, wenig am Gemeinwohl orientierte Interessen verfolgen, stark zunimmt. Diese Lobbygruppen verfügen über viel Geld und Know-how und können dem einzelnen Abgeordneten gut aufbereitete Informationen bereitstellen. Außerdem liefern sie nicht nur Informationen, sondern immer öfter komplette Gesetzentwürfe. Hinter vorgehaltener Hand wird das von vielen Lobbyisten bestätigt – nicht nur aus dem Wirtschafts-, sondern auch aus dem NGO-Bereich.

Blickpunkt: Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?

Speth: Sie hat mehrere Ursachen. Zum einen haben Verbände und Gewerkschaften einen Bedeutungsverlust erfahren, weil sich viele Unternehmen heute vorwiegend am Kapitalmarkt orientieren. Zwar sind die meisten von ihnen noch Mitglied in einem Verband, aber sie betreiben auch auf eigene Faust Lobbying, um ihre ganz spezifischen Unternehmensinteressen zu vertreten. In Berlin haben wir etwa hundert solche Firmenrepräsentanzen. Durch die Öffnung der Grenzen – Stichwort Globalisierung – gibt es zudem immer mehr ausländische Unternehmen in Deutschland, die natürlich nicht Mitglied etwa im Bundesverband Deutscher Industrie sind. Zum anderen differenziert sich die Wirtschaft immer mehr aus, das heißt die Zahl der Verbände nimmt zu. So gab es früher nur einen Pharmaverband, heute sind es vier.

Blickpunkt: Welche Politikbereiche sind denn vom Lobbying besonders betroffen?

Speth: Am heftigsten umkämpft sind die Bereiche, in denen die Chancen der Unternehmen, auf dem Markt Geld zu verdienen, vor allem politisch bestimmt werden. Überall dort, wo es starke staatliche Regulierung gibt, gibt es auch starkes Lobbying. Das ist vor allem im Gesundheitsbereich und im Energiesektor der Fall. Für diese Legislaturperiode wurden ja grundlegende Änderungen im Gesundheitsbereich angekündigt. Umso mehr werden viele mächtige Interessensgruppen versuchen, anstehende Gesetzesvorhaben in ihrem Sinne zu beeinflussen – etwa indem sie die Mitglieder des Gesundheitsausschusses mit Informationen versorgen.

Blickpunkt: Nun ist ja kein Abgeordneter gezwungen, diese Informationen kritiklos zu übernehmen.

Speth: Richtig. Das Problem ist nur, dass er im Normalfall sehr begrenzte Möglichkeiten hat, sie zu bewerten oder unabhängige Expertise zu sammeln. Unser parlamentarisches System wird ja sehr stark von den Parteien dominiert. In den USA hingegen haben die Abgeordneten eine ganz andere Stellung. Es sind quasi Kleinunternehmer mit einem großen wissenschaftlichen Mitarbeiterapparat, der auch aus sich heraus tätig werden und Informationen einholen kann.

Blickpunkt: Sie plädieren also dafür, dem einzelnen Volksvertreter mehr Mitarbeiter zur Verfügung zu stellen?

Speth: Ja. Die Abgeordneten müssen in die Lage versetzt werden, die zunehmend komplizierter werdenden Gesetzesvorhaben adäquat beurteilen und verstehen zu können. Das Ziel sollte sein, die Abgeordneten insgesamt aufzuwerten und ihnen die nötigen Voraussetzungen zu verschaffen, um gegenüber Interessensgruppen selbstbewusster auftreten zu können. Außerdem sollten die Aktivitäten der Lobbyisten transparenter gemacht werden.

Blickpunkt: Wie könnte das geschehen?

Speth: Indem zum Beispiel jedes Gesetzesvorhaben einen Passus beinhaltet, in dem steht, welche Interessensgruppe dabei mit welchem Ziel lobbyiert hat.

Blickpunkt: Viele Politiker wechseln nach dem Ende ihrer politischen Karriere zu Unternehmen, für die sie dann ihrerseits Lobbying betreiben. Halten Sie das für problematisch?

Speth: Ich glaube, das sollte man nüchtern beurteilen. Auch einem Politiker muss erlaubt sein, nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik beruflich weiter tätig zu sein. Wenn er allerdings als Lobbyist in einem Bereich arbeiten will, den er vorher politisch verantwortet hat, sollte er meiner Meinung nach eine gewisse zeitliche Distanz wahren. Andernfalls besteht die Gefahr, dass er in seinem neuen Job von politischen Entscheidungen profitiert, die er selbst getroffen hat.

Blickpunkt: Mit Ihrem Buch wollen Sie auch zur öffentlichen Diskussion über Lobbyismus beitragen. Finden Sie, dass diese Diskussion noch nicht in ausreichendem Maße stattfindet?

Speth: Ich denke, sie kommt allmählich in Gang. Was früher üblich war, wird heute von der politischen Moral zunehmend weniger geduldet – etwa dass Politiker auf der Gehaltsliste von Unternehmen stehen. Die Öffentlichkeit schaut kritischer hin, zweifellos.

Text: Nicole Alexander
Foto: Deutscher Bundestag
Erschienen am 20. März 2006

Weitere Informationen:

Das Buch „Die fünfte Gewalt. Lobbyismus in Deutschland“, herausgegeben von Thomas Leif und Rudolf Speth, kann bei der Bundeszentrale für politische Bildung bestellt werden:

Webseite: www.bpb.de/publikationen


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