Bildwortmarke des Deutschen Bundestages . - Schriftzug und Bundestagsadler
English    | Français   
 |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ  |  Druckversion
 
Startseite > DOKUMENTE > Plenarprotokolle > Vorläufige Plenarprotokolle >
15. Wahlperiode
[ zurück ]   [ Übersicht ]   [ weiter ]

   39. Sitzung

   Berlin, Mittwoch, den 21. Juni 2006

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Mechthild Dyckmans, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Bürokratie schützt nicht vor Diskriminierung - Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz ist der falsche Weg

- Drucksache 16/1861 -

(siehe 38. Sitzung)

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus

ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Neubesetzung des Amtes des Koordinators für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit

- Drucksache 16/1885 -

Beschlussfassung

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Gisela Piltz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Konsequenzen ziehen aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 30. Mai 2006 zur Weitergabe europäischer Fluggastdaten an die Vereinigten Staaten von Amerika

- Drucksache 16/1876 -

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Lazar, Irmingard Schewe-Gerigk, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Rechtsextremismus ernst nehmen - Bundesprogramme Civitas und entimon erhalten, Initiativen und Maßnahmen gegen Fremdenfeindlichkeit langfristig absichern

- Drucksache 16/1498 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Diana Golze, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN

Fortführung und Verstetigung der Programme gegen Rechtsextremismus

- Drucksache 16/1542 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Karin Binder, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN

Elterngeld sozial gestalten

- Drucksache 16/1877 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Ausschuss für Arbeit und Soziales

ZP 7 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu Tagesordnungspunkt III)

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Götz, Dirk Fischer (Hamburg), Dr. Klaus W. Lippold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Petra Weis, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Stadtentwicklung ist moderne Struktur- und Wirtschaftspolitik

- Drucksache 16/1890 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ute Koczy, Jürgen Trittin, Undine Kurth (Quedlinburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Schaden von der Reputation der Osteuropabank abwenden - Das Öl- und Gasprojekt Sachalin II als Lackmustest für die Einhaltung internationaler Umwelt- und Sozialstandards

- Drucksache 16/1668 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias Berninger, Dr. Thea Dückert, Margareta Wolf (Frankfurt), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Deutsche Steinkohle AG muss zügig belastbares Datenmaterial vorlegen

- Drucksache 16/1672 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss

   Der Tagesordnungspunkt I.13 d entfällt, da der Antrag auf Drucksache 16/1681 zurückgezogen wurde.

   Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.

   Schließlich möchte ich Sie schon heute darauf aufmerksam machen, dass der Beginn der Plenarsitzung am Freitag auf 8 Uhr vorgezogen wird.

   Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesordnungspunkt I - fort:

I. a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2006

(Haushaltsgesetz 2006)

- Drucksachen 16/750, 16/1348 -

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Finanzplan des Bundes 2005 bis 2009

- Drucksachen 16/751, 16/1348, 16/1327 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Otto Fricke
Steffen Kampeter
Carsten Schneider (Erfurt)
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk

   Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.6 auf:

I.6. hier: Einzelplan 04

Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt

- Drucksachen 16/1304, 16/1324 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Petra Merkel (Berlin)
Jürgen Koppelin
Roland Claus
Alexander Bonde
Anna Lührmann

   Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor.

   Ich weise darauf hin, dass wir im Anschluss an die Aussprache über den Einzelplan namentlich abstimmen werden.

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache vier Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Rainer Brüderle, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Rainer Brüderle (FDP):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kennen Sie noch das Plakat der CDU „Deutschland braucht den Wechsel“ mit orangefarbenem Hintergrund?

(Zuruf von der CDU/CSU: Ja!)

Ich vermute, Sie haben damit nicht gemeint, dass die deutsche Nationalelf das Trikot der Holländer tragen soll. Sie wollten einen Politikwechsel. Sie haben mehr Freiheit versprochen. Nach sechs Monaten einer CDU-Kanzlerin wissen wir nun, was Sie mit dem Wechsel gemeint haben: mehr Steuern, mehr Staat, mehr Bürokratie. Das ist Ihr Konzept.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Die Empfehlungen des Sachverständigenrates, der Bundesbank und des Bundespräsidenten werden ignoriert. Ein führender Sozialdemokrat beschimpft den Bundespräsidenten als Besserwisser. Sie haben gestern erkannt, dass Deutschland ein Sanierungsfall ist. - Das ist die Situation. Deshalb sollten wir nicht über den Repräsentationsetat der Kanzlerin sprechen, sondern über ihre Politik.

(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin (FDP))

   Sie haben an dieser Stelle versprochen, mehr Freiheit zu wagen. Ist es mehr Freiheit, wenn Sie die Menschen in Deutschland mit 20 Milliarden Euro pro Jahr mehr abkassieren? Das ist nicht mehr Freiheit, das ist weniger Freiheit. Das ist die Realität.

(Beifall bei der FDP - Petra Merkel (Berlin) (SPD): Sie haben aber einen komischen Freiheitsbegriff!)

Statt mehr Eigenverantwortung bekommen wir mehr Bevormundung, statt mehr Freiheit mehr Regulierung. Deutschland freut sich, wenn die Kanzlerin die Nationalelf anfeuert. Aber ein bisschen Schwung, wie Sie ihn im Dortmunder Westfalenstadion und gestern im Berliner Olympiastadion gezeigt haben, könnten Sie schon in die Regierung mitbringen.

   Enttäuschung macht sich im Land breit. Manche kehren Ihrer Partei den Rücken. Andere hoffen noch darauf, dass Sie sich zu mehr Freiheit bekennen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Selbst Herr Thumann vom BDI hat seine vornehme Zurückhaltung aufgegeben. Da hilft es auch nichts, dass Sie Herrn Röttgen aus Ihrer Prätorianergarde dorthin abordnen. Die Stimmung wird schlechter, weil keine entsprechende Politik umgesetzt wird.

(Beifall bei der FDP - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Dummes Zeug!)

   Nehmen wir nur die Familienpolitik. Weil Sie nicht mehr wissen, wen Sie eigentlich alimentieren bzw. unterstützen wollen, erhalten alle ein bisschen. Sie schaffen neue bürokratische Regeln. Wahrscheinlich sind Sie froh, dass es den Normenkontrollrat noch nicht gibt, und hoffen, dass die Menschen deshalb mehr Kinder kriegen. Es geht doch nicht um eine Art Zuchtprämie für Doppelverdiener; es geht um bessere Betreuung und darum, Familie und Beruf besser zu vereinbaren. Das muss Kernstück der Politik sein.

(Beifall bei der FDP)

   Generell sollten Sie von der Subventionitis die Finger lassen. Sie haben vor wenigen Tagen die größte Steuererhöhung in der Geschichte des Landes im Bundesrat absegnen lassen. Sie mussten den Ländern 500 Millionen Euro zahlen, damit Sie eine Mehrheit bekommen. Auch das muss der Steuerzahler blechen. Es bleibt dabei: Sie nehmen dem Bauern ein Schwein, geben ihm drei Koteletts zurück und dafür soll er sich auch noch bedanken. Das ist keine überzeugende Politik.

(Beifall bei der FDP)

   Dann „pofallat“ es in der Debatte über das Ehegattensplitting. Das ist eine Scheindebatte. Sie kennen die Verfassungslage. Ich kann dazu nur sagen: „Pofallala“. Das ist kein Ansatz, der überzeugen kann.

(Beifall bei der FDP - Widerspruch bei der CDU/CSU)

Führen Sie eine Flat Tax mit anständigen Kinderfreibeträgen ein! Dann haben Sie mit einem Schlag viele Probleme gelöst. Beim Antidiskriminierungsgesetz hat die Union alle Vorsätze über Bord geworfen.

(Beifall bei der FDP)

Mit der Forderung nach einer Eins-zu-eins-Umsetzung sind Sie in den Wahlkampf gezogen. Damals haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, wörtlich an die Adresse von Rot-Grün gesagt - ich zitiere -: Sie haben wieder draufgesattelt. Das sind die Leute leid, weil sie spüren, dass sie in Europa nicht mehr wettbewerbsfähig sind. - Das haben Sie vor der Wahl richtig erkannt. Jetzt sind Sie als Bettvorleger der SPD gelandet und setzen mit der SPD das um, was die Grünen wollten.

(Beifall bei der FDP - Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Gleichbehandlungsgesetz läutet das Ende der Vertragsfreiheit ein. Ihr Gesetz ist ein Antigleichbehandlungsgesetz. Die Benachteiligten werden noch weniger Chancen haben, da die Angst vor der Prozessflut dazu führt, dass es weniger Einstellungschancen gibt. Sie haben vor der Wahl immer gesagt: Versprochen, gebrochen. - Das haben Sie nach der Wahl vergessen.

   Meine Damen und Herren von der Union, Sie haben sich das alte Weltbild der SPD überstülpen lassen. Das ist das falsche Weltbild. Es ist von gestern. Die Sozialdemokratisierung der Union ist erschreckend schnell vorangeschritten. Wir werden von zwei sozialdemokratischen Parteien regiert.

(Beifall bei der FDP)

Eine ist rot angestrichen, die andere ist schwarz angestrichen und beide sind falsch programmiert. Das ist die Situation.

(Beifall bei der FDP)

Wir leben von Vielfalt. Gleichmacherei schafft nicht einmal Mittelmaß.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Substanzlose Rede!)

Gleichmacherei ist die Orientierung an dem Schlechtesten. Das sehen wir jetzt beim Streit über die Gesundheitsreform. Statt endlich mehr Wahlmöglichkeiten für alle zu schaffen, darf jetzt der politische Fliegenpilz Lauterbach seinen Traum von der sozialistischen Einheitsversicherung umsetzen. Das ist der falsche Weg.

(Beifall bei der FDP - Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!)

Sie sind dabei, das funktionierende System der privaten Krankenkassen kaputtzuschlagen. Die Einbeziehung der Privatversicherten in den Gesundheitsfonds kommt einer Enteignung gleich.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Sie haben selbst formuliert - ich zitiere Sie, Frau Merkel -: Da, wo Sie falsche Konzepte vertreten wie zum Beispiel die Bürgerversicherung, würden Sie Deutschland nicht nutzen, sondern Deutschland schaden. - Das haben Sie der SPD gesagt. Versprochen, gebrochen. Jetzt machen Sie etwas anderes.

(Beifall bei der FDP)

   Die Union ist dabei, im Schatten des FC Klinsmann ein weiteres Wahlversprechen zu brechen. Im ganzen Land schwenken die Menschen die deutsche, schwarz-rot-goldgelbe Fahne. Die Autos fahren mit Fahnen durch die Städte. Der neue Fahnenpatriotismus ist die größte Straßendemonstration gegen die große Koalition.

(Lachen bei der CDU/CSU und der SPD)

Jede deutsche Flagge zeigt: Schwarz-rot allein reicht nicht. Da fehlt etwas. Da fehlt nämlich die gelbe Kraft, die Vernunft. Dafür kämpfen wir.

(Beifall bei der FDP - Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Mainz bleibt Mainz, wie es stinkt und lacht! - Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Helau!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Angela Merkel.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben in diesen Tagen die Welt zu Gast bei uns in Deutschland. Deutschland hat lange auf das größte Sportereignis nach den Olympischen Spielen hingearbeitet. Die Organisatoren haben jede erdenkliche Mühe aufgewandt. Die Wirtschaft hat geholfen, zum Beispiel mit der Kampagne „Deutschland - Land der Ideen“, unser Land nach innen und nach außen so zu präsentieren, wie es ist. Die Politik hat das Menschenmögliche für die Sicherheit und einen reibungslosen Ablauf getan. Viele Tausende Helferinnen und Helfer haben keine Mühe und keine Zeit gescheut - sie tun das auch in diesen Tagen nicht - und sich freiwillig zur Verfügung gestellt. Hierfür möchte ich allen ganz herzlich danken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

32 Fußballmannschaften geben ihr Bestes oder haben ihr Bestes gegeben, darunter eine deutsche, auf die wir stolz sein können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Das alles ist aber nur Vorbereitung, Rahmen und Unterstützung, damit das Vorhaben gelingen kann. Das Eigentliche leisten die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Wie ich finde, tun sie das einfach großartig. Sie sind die eigentlichen Gastgeber. Sie feiern mit Begeisterung die Siege der eigenen und der anderen Mannschaften. Sie leiden mit, sie trösten sich gegenseitig und freuen sich miteinander. Wenn ich sehe, welches Potenzial an Begeisterung und Fröhlichkeit in unserem Lande steckt, wenn ich sehe, wie andere in diesen Tagen von außen auf uns schauen und begeistert sind, dann wird mir nicht bange, dass unser Land die Herausforderungen, vor denen es steht, nicht meistern könnte.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Ich bin ganz fest davon überzeugt, hier liegt der Schlüssel für das Gelingen. Die Bürgerinnen und Bürger, für die wir Politik machen, sind diejenigen, die unser Land stark machen. Politik setzt einen Rahmen; Politik schafft Voraussetzungen; Politik muss deutlich machen, dass wir Vertrauen in die Menschen dieses Landes haben. Nur dann - davon bin ich überzeugt - können wir die Schwierigkeiten überwinden, vor denen wir stehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Das gilt auch für die Schwierigkeiten in der Außenpolitik. Ich möchte an dieser Stelle nur erwähnen, der Bundesaußenminister und ich haben in vielen Gesprächen mit einen Beitrag dazu geleistet, dass die Europäische Union zusammen mit den Vereinigten Staaten von Amerika, Russland und China dem Iran ein Angebot unterbreitet hat. Ich hoffe, dass der Iran auf dieses Angebot eingeht und die Chance nutzt, einen Konflikt, der diese Welt bedrückt, zu beseitigen, und zwar auf diplomatischem Wege. Ich hoffe, dass die Vernunft siegt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Wir haben auf der letzten Tagung des Europäischen Rates in Brüssel einen Beitrag dazu geleistet, Wege zu finden, wie die Europäische Union im Nahen Osten trotz der Anforderungen, die das Quartett im Nahostprozess mit Recht stellt, humanitäre Hilfe leisten kann. Trotzdem sagen wir der Hamas ganz deutlich: Ihr müsst das Existenzrecht Israels anerkennen; ihr müsst auf Gewalt als Lösungsmöglichkeit verzichten; ihr müsst akzeptieren, dass der Verhandlungsprozess fortgesetzt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wir haben einen Plan erarbeitet, wie wir den Verfassungsprozess in der Europäischen Union trotz aller Schwierigkeiten fortsetzen können. Die deutsche Präsidentschaft wird einen Beitrag dazu leisten. Wir haben Ziele gesetzt, die etwas mit Wachstum und Beschäftigung in Europa zu tun haben. Deutschland muss seinen Beitrag dazu leisten: Wir müssen zum Beispiel endlich wieder die Maastrichtkriterien einhalten.

   So, wie wir die Schwierigkeiten in der Außenpolitik meistern können, wenn unsere Politik von einem Vertrauen in die Menschen geprägt ist, so - davon bin ich überzeugt - werden wir auch die Schwierigkeiten in der Innenpolitik meistern können, wenn wir eine Politik des Dialogs auf die Beine bringen, die vom Vertrauen in die Bürger geprägt ist.

   Es ist natürlich das eine, dass eine Opposition - Herr Brüderle hat es heute wieder vorgemacht - über diesen und jenen Teilaspekt diskutiert und ihn kritisiert.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Keine Beleidigungen!)

Das ist sicherlich auch die Funktion einer Opposition. Wir alle würden hier gern über Steuersenkungen sprechen; wir würden gern Wohltaten verkünden; wir würden gern dies und jenes versprechen. Aber ich sage Ihnen: Ich habe eine andere Aufgabe, die Bundesregierung hat eine andere Aufgabe und auch die sie tragenden Koalitionsfraktionen haben eine andere Aufgabe. Sie haben die Aufgabe, das Ganze zu sehen, die Dinge im Zusammenhang zu sehen, weil es um ganz Deutschland und seine Zukunft geht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie können wegen Brüderle doch nicht die ganze Opposition beleidigen!)

   Wer sich mit dem Haushalt beschäftigt, wer sich mit der Realität beschäftigt - dabei geht es nicht um Schuldzuweisungen -, der muss feststellen: Natürlich ist das Wort „Sanierungsfall“ ein hartes Wort. Ich habe aber deutlich gemacht, dass das nicht die ganze Realität Deutschlands ist. Ich kann mich jedoch vor den Realitäten dieses Haushaltes nicht drücken.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sehr richtig!)

Es gibt ein strukturelles Defizit - das im Übrigen niemand, auch niemand von der Opposition leugnen kann, weil die Zahlen eindeutig sind - von 60 Milliarden Euro. Bei aller Detailbetrachtung, die Sie von der Opposition in den Haushaltsberatungen angestellt haben, muss man sagen: Ihre Vorschläge sind entweder nicht redlich oder sie decken nicht einmal die Maßgabe des Art. 115 des Grundgesetzes. Das heißt, wenn wir das wollen - zu dieser Überzeugung kommt neben der großen Mehrheit des Bundestages auch die große Mehrheit des Bundesrates -, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als auch zu dem Mittel von begrenzten Steuererhöhungen zu greifen.

(Ulrike Flach (FDP): Begrenzte Steuererhöhungen?)

   Wir wissen im Übrigen, dass wir den Menschen damit schwierige Aufgaben aufbürden. Es ist nicht einfach, den Sparerfreibetrag zu reduzieren; es ist nicht einfach, die Pendlerpauschale zu reduzieren; es ist nicht einfach, die Eigenheimlage zu streichen.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jahre zu spät!)

Glauben Sie nicht, dass das irgendeinem der Abgeordneten hier in diesem Hause leicht fällt. Das zeigt sich im Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern. Wir haben uns in voller Verantwortung in Bezug auf mögliche Nebenwirkungen einer Mehrwertsteuererhöhung zwischen Zukunftssicherung und dem, was heute zu tun ist,

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Umverteilung!)

und der Möglichkeit, alles unter den Tisch zu kehren und morgen und übermorgen noch schwierigere Schritte zu gehen, entschieden. Wir machen dieses Land zukunftsfest.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Diejenigen, die sich einer sachlichen Betrachtung nicht verschließen - sei es die Europäische Kommission, sei es der Bundesrechnungshof, sei es die Bundesbank, sei es die OECD -, weisen darauf hin, dass Steuererhöhungen immer problematisch sind, dass sie aber zur Konsolidierung unserer Haushalte notwendig sind.

(Zuruf von der FDP: Falsch gelesen!)

Deshalb haben wir an dieser Stelle Entscheidungen getroffen; aber sie sind nicht singulär, nicht losgelöst, sondern ganz deutlich in ein Gesamtkonzept eingebettet, das heißt: Sanieren, Reformieren, Investieren. Genau daran arbeiten wir seit sieben Monaten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wir haben den erfreulichen Sachverhalt, dass die wirtschaftliche Lage besser ist, als sie manches Jahr war. Wir haben den erfreulichen Sachverhalt, dass wir seit Jahren - man kann fast sagen: seit einem Jahrzehnt - erstmals keine Zuschüsse mehr für die Bundesagentur für Arbeit brauchen. Wir haben weniger Insolvenzen. Wir wollen genau diesen Impuls ausnutzen und mit Reformen und mit Investitionen die Bewegung weitertreiben und gleichzeitig eine Konsolidierung der Haushalte durchführen. Diese Entwicklung muss fortgesetzt werden.

   Das, was wir in sieben Monaten geschafft haben, kann sich sehen lassen.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich sehe nichts außer Steuererhöhungen!)

Wir haben verbesserte Abschreibungsregelungen. Wir haben die Istbesteuerung so verändert, dass in den neuen Bundesländern besser gearbeitet werden kann. Wir haben ein Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz auf den Weg gebracht. Das ist etwas, was Rot-Grün über Monate und Jahre nicht zustande gebracht hat.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sehr wahr! Weil die Grünen blockiert haben!)

86 Großprojekte können jetzt sehr viel schneller durchgesetzt werden. Bei 4,5 Millionen Arbeitslosen ist es natürlich nicht egal, ob ein Großprojekt innerhalb von 15 oder 20 Jahren umgesetzt wird oder innerhalb von fünf oder zehn Jahren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb ist es ein spürbarer Fortschritt für die Menschen, dass wir in Zukunft schneller vorankommen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wir haben ein Mittelstandsentlastungsgesetz auf den Weg gebracht. Meine Damen und Herren von der FDP, wir sind jederzeit bereit, gute Vorschläge aufzugreifen.

(Widerspruch bei der FDP - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Wir haben 500 Vorschläge gemacht, Frau Bundeskanzlerin! - Weiterer Zuruf von der FDP: Alles leere Worte!)

- Was zum Beispiel den Bürokratieabbau anbelangt, muss ich Ihnen sagen: Die Vorschläge, die gemacht werden, müssen seriös sein.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Etwa so seriös wie Ihr Gleichbehandlungsgesetz?)

Maßnahmen, die Geld kosten und erneut zu Lücken im Haushalt führen, nützen uns überhaupt nichts.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Wir haben die rechtliche Grundlage für die Bildung eines Normenkontrollrates geschaffen. Dadurch werden wir zum ersten Mal eine systematische Betrachtung der Bürokratiekosten auf den Weg bringen. Damit haben unsere Nachbarn in Holland sehr gute Erfahrungen gemacht. Auch die Europäische Kommission führt dieses Verfahren jetzt ein. Im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 werden wir genau diese Art und Weise des Herangehens weiter betreiben. Wir wollen auch auf europäischer Ebene eine bessere Rechtsetzung. Weniger Rechtsetzung kann auch in Europa mehr und besser für die Bürgerinnen und Bürger sein. Das, was wir in unserem Lande tun, wollen wir auch auf europäischer Ebene tun.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wir wissen: Deutschland braucht eine Unternehmensteuerreform. Die Koalition bekennt sich dazu. Der Bundesfinanzminister arbeitet an ihren Eckpunkten, die noch vor der Sommerpause vorgelegt werden. Hier werden mutige Schritte gemacht. Denn wir müssen sicherstellen, dass unsere Unternehmen international wettbewerbsfähig arbeiten können, damit sie in Deutschland Steuern zahlen und nicht abwandern.

(Beifall des Abg. Hartmut Koschyk (CDU/CSU))

   Wir müssen eine vernünftige Balance zwischen kleinen und großen Unternehmen schaffen und uns damit auseinander setzen, dass eine Abgeltungssteuer heutzutage in vielerlei Hinsicht eine moderne Antwort auf die Frage der Kapitalbildung darstellt.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sehr wahr!)

Wir müssen dafür Sorge tragen, dass auf der einen Seite die Kommunen ihre Einnahmen nicht verlieren, dass aber auf der anderen Seite das gesamte Steuersystem in sich schlüssig und wettbewerbsfähig bleibt. Diese Aufgabe werden wir lösen. Dabei sind wir auf einem guten Weg.

   Meine Damen und Herren, alles, was wir tun, orientiert sich an der Frage: Schaffen wir mehr Arbeitsplätze? Angesichts von 4,5 Millionen Arbeitslosen können wir nicht zufrieden sein. Der Rückgang der Beschäftigung ist zwar in diesem Frühjahr zum ersten Mal gestoppt; aber die Situation, in der wir sind, kann uns nicht zufrieden stellen. Wir können weder damit zufrieden sein, dass so viele junge Menschen keine Chance haben, Arbeit zu bekommen, noch damit, dass so viele Menschen schon mit 50 oder 55 Jahren aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Deshalb müssen wir uns an dieser Stelle ganz klar an der Frage orientieren: Was schafft mehr Arbeit?

   Zu diesem Zweck werden wir in einem dauernden Prozess überprüfen: Funktionieren die Instrumente, die wir anwenden? Ich will ganz deutlich sagen: Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe war und bleibt ein richtiger Schritt. Hier gibt es überhaupt kein Vertun.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) - Oskar Lafontaine (DIE LINKE): 50 000 Euro nehmen Sie den älteren Arbeitnehmern weg!)

Aber diese zwei Transfersysteme, die zusammengelegt wurden, haben sehr unterschiedliche Wirkungen. Daher müssen wir auch immer wieder kontrollieren: Funktionieren die Anreizwirkungen dieses Systems? Da wir uns das Motto „Fördern und Fordern“ auf die Fahnen geschrieben haben, müssen wir hinterfragen: Fordern wir genug und schaffen wir das Fördern?

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das können Sie so nicht schaffen!)

   Ich will an dieser Stelle sagen: Wenn die FDP bei den Eingliederungshilfen 3 Milliarden Euro streichen will, dann geschieht das auf dem Buckel der Langzeitarbeitslosen. Das wollen wir nicht. Wir wollen, dass diese Mittel auf richtige und vernünftige Art und Weise ausgegeben werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dass das im vergangenen Jahr noch nicht gelungen ist, bedeutet nichts anderes, als dass das System noch nicht voll gearbeitet hat.

(Ulrike Flach (FDP): Sie wissen doch ganz genau, dass diese Gelder nicht abgerufen werden, Frau Kanzlerin!)

- Hören Sie doch zu!

(Ulrike Flach (FDP): Ja! Natürlich höre ich Ihnen zu!)

- Dass diese Gelder im vergangenen Jahr noch nicht in vollem Umfang abgerufen wurden, bedeutet nicht, dass die Eingliederungshilfen der falsche Weg sind,

(Ulrike Flach (FDP): Das hat auch niemand gesagt!)

sondern, dass die Bundesagentur Anfangsschwierigkeiten hatte, was im Übrigen nicht verwunderlich ist. Das muss in diesem und im nächsten Jahr besser funktionieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das ist Satire!)

Wir wollen vernünftige Wege gehen, um die Menschen in Arbeit zu bringen. Das ist unsere Antwort.

   Meine Damen und Herren, wir haben die Ich-AGs kritisch auf den Prüfstand gestellt und sie durch ein neues Instrument ersetzt. Mit dem Hartz-IV-Fortentwicklungsgesetz, das noch im Juli dieses Jahres vom Bundesrat beschlossen wird, wollen wir dafür sorgen, dass das Fordern besser durchgesetzt werden kann. Wer mehrmals - um es ganz deutlich zu sagen: dreimal - eine angebotene Arbeit ablehnt, der bekommt im Rahmen des Arbeitslosengeldes II keine Geldleistungen mehr. Das finde ich richtig und wichtig.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Im Herbst werden wir dann in einem nächsten Schritt weitere Probleme lösen müssen. Ich sage ganz selbstkritisch: Ich war sehr dafür, dass Zuverdienstmöglichkeiten eingeführt werden. Aber heute bin ich mir nicht mehr sicher, ob diese Anreize wirklich funktionieren.

   Wir werden uns daran gewöhnen müssen, miteinander eine vernünftige Debatte zu führen. Wir können nicht davon ausgehen, dass wir mit einer revolutionären Neuerung, die wir einführen - wie der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe -, für alle Zeiten ohne jede Änderung weiterkommen. Das ist moderne Politik, meine Damen und Herren: dass man aus dem lernt, was nicht vollkommen funktioniert.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich bin dem Bundesarbeitsminister sehr dankbar, dass er an dieser Stelle, zusammen mit den Fraktionen, die ersten Änderungsvorschläge gemacht hat.

   Wir werden eine Initiative fortsetzen, die sich um mehr Ausbildungsplätze kümmert. Es ist nicht in Ordnung - ich sage das auch an die deutsche Wirtschaft gewandt -, dass heute, in den wenigen Jahren, in denen noch mehr Schulabsolventen einen Ausbildungsplatz suchen werden, an vielen Stellen nicht ausreichend ausgebildet wird. Ich habe selber die 300 größten Unternehmen in Deutschland angeschrieben, um deutlich zu machen: Es ist eine Notwendigkeit und im Übrigen auch eine Zukunftsinvestition, dass die jungen Menschen in diesem Lande eine Ausbildung bekommen, vorzugsweise eine betriebliche Ausbildung. Ich hoffe, dass dieser Ausbildungspakt wieder mit Leben erfüllt wird, sodass wir am Jahresende sagen können: Jeder bekommt einen solchen Ausbildungsplatz.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Das macht der Bundeswirtschaftsminister, das macht die Bundesbildungsministerin und das macht die ganze Bundesregierung.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir sehen nichts! - Gegenruf des Abg. Steffen Kampeter (CDU/CSU): Augen auf, Frau Künast! - Zurufe des Abg. Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

- Falls Sie mitmachen würden, Herr Kuhn, wäre das auch kein Schaden für unser Land, wirklich nicht!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Meine Damen und Herren, wir wissen - das ist ein Kernanliegen unserer Reform -, dass wir die Lohnzusatzkosten unter 40 Prozent bringen müssen. Wir haben an dieser Stelle bereits erste Schritte eingeleitet: Die Entscheidung, die Lebensarbeitszeit zu verlängern, ist keine einfache Entscheidung, aber eine zukunftsweisende; denn wir müssen unsere Gesellschaft darauf vorbereiten, dass die demografischen Veränderungen weitergehen und sich immer klarer zeigen werden.

   Wir arbeiten im Augenblick an einer Gesundheitsreform. Da wäre es schön, wenn die politischen Gruppierungen, die in diesem Hause versammelt sind, die Kraft finden würden, eine Debatte zu führen, von der die Bürgerinnen und Bürger draußen sagen: Die ringen um die richtigen Lösungen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn sich manch einer, der sich damit nicht so beschäftigt hat, dazu frank und frei äußert, dann ist das in Ordnung. Aber hier einfach Dinge zu behaupten, die weder beschlossen noch diskutiert sind, das ist nicht in Ordnung.

(Martin Zeil (FDP): Meinen Sie die „Süddeutsche Zeitung“?)

   Was sind die Ziele unserer Gesundheitsreform? Die Ziele unserer Gesundheitsreform sind eindeutig definiert: Wir wollen, dass die Menschen in diesem Lande - unter den demografischen Veränderungen, aber auch angesichts besserer medizinischer Möglichkeiten - alle, und zwar unabhängig vom Alter und unabhängig vom Wohlstand des Einzelnen, das medizinisch Notwendige und das medizinisch Mögliche bekommen. Wir wollen ein Gesundheitssystem, in dem durch Wettbewerb Wachstumskräfte freigesetzt werden und in dem diejenigen, die in den medizinischen Berufen arbeiten, die Chance haben, dafür auch das entsprechende Geld zu bekommen. Ich möchte an dieser Stelle den Ärztinnen und Ärzten, ob freiberuflich oder im Krankenhaus, den Krankenschwestern und den vielen, die in den Heilberufen arbeiten, auch einmal ein herzliches Dankeschön sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wenn wir dieses Gesundheitssystem mit diesen Menschen nicht hätten, dann hätten wir große Schwierigkeiten.

   Ich finde, in diese Debatte gehört ein Stück Ehrlichkeit.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

- Ja; das ist schon mal ein guter Ausgangspunkt. - Zu dieser Ehrlichkeit gehört, zu sagen, dass in unserem System an vielen Stellen mehr Wettbewerb möglich ist. Ich bin der Meinung, dass wir auch Strukturveränderungen brauchen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

   Wir werden dazu eine Reihe von Vorschlägen machen, und zwar wirkliche Vorschläge. Wer aber glaubt, dass man Strukturveränderungen vornehmen kann, ohne neue Strukturelemente einzuführen, der glaubt an etwas, was wir eigentlich alle abgelegt haben: den Weihnachtsmann oder so etwas. Denn was heißt mehr Transparenz? Wo gibt es Intransparenz in unserem System? Da kann ich Ihnen zwei Bereiche nennen: Die eine Intransparenz liegt darin, dass wir nicht wissen, wie sich der ambulante Bereich hinsichtlich seiner Kostenstruktur zum stationären verhält. Wenn Sie das durchdenken, dann müssen Sie zu dem Schluss kommen: Wir brauchen eine Gebührenordnung für Ärzte, damit Ärzte wissen, was sie für das, was sie tun, bekommen. Wir müssen die Preise im ambulanten und im stationären Bereich miteinander vergleichen können. Das heißt in der Endkonsequenz, dass wir die gleiche Finanzierungsform brauchen, sprich: eine monistische Krankenhausfinanzierung. Dafür werden wir im Übrigen nicht ein Jahr brauchen und nicht zwei Jahre, sondern wahrscheinlich 15.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 15 Jahre Gesundheitsreform?)

Nur wenn wir diese Strukturen ändern, können wir vernünftig entscheiden: Machen wir das besser ambulant oder in einem Krankenhaus?

   Zweiter Punkt. In dem heutigen System der Gesundheitsversorgung weiß ich nicht, wie sich die Einnahmen zu den Ausgaben verhalten. Wenn ich wissen möchte, wer wo wie viel einzahlt und welche Kasse für wen wie viel ausgibt, dann muss ich ganz einfach eine Trennung zwischen den Einnahmen und den Ausgaben vornehmen. Bis dahin ist noch nichts anderes passiert, als diese beiden Sachen auseinander zu halten, sodass ich hinterher feststellen kann, wer mit den Geldern effizient arbeitet und wer das nicht tut.

   Nichts anderes verfolgt der Gedanke, der hinter einem solchen Fondsmodell steht. Ich finde es schon dramatisch, dass Sie, die Sie genau wissen, dass heute 30 bis 40 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Krankenkassen damit beschäftigt sind, Beiträge einzuziehen, schlankweg behaupten, das Ganze würde bürokratischer. Ich sage Ihnen: Wenn wir uns für einen solchen Fonds entscheiden sollten, dann wird nichts bürokratischer und dann wird auch nicht mehr Personal benötigt. Im Gegenteil, zum Schluss werden wir aufpassen müssen, dass wir keine Beschwerden erhalten, weil die Leute etwas anderes tun, als Beiträge einzuziehen. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Die Art der Debatte bekümmert mich wirklich ein bisschen, um es einmal ganz vorsichtig zu sagen.

(Jörg Rohde (FDP): Oh Gott!)

Schließlich schauen die Menschen immer dann, wenn es um die Gesundheit geht, besonders schnell mit Angst und Sorge auf die Diskussion..

(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des Abg. Oskar Lafontaine (DIE LINKE))

Deshalb haben all jene, die die Thematik verstehen, auch die Pflicht, diese Debatte redlich zu führen; denn es wird keine Strukturveränderungen geben, ohne dass sich etwas ändert.

(Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann fangen Sie mal an!)

   Es wird noch eine zweite Wahrheit geben, um die sich auch die Opposition aus meiner Sicht nicht drücken darf. Diese zweite Wahrheit heißt: Auch bei noch mehr Struktureffizienz und noch mehr Transparenz wird dieses System der solidarischen Gesundheitsvorsorge in den nächsten Jahren tendenziell nicht billiger, sondern teurer. Auch das müssen wir den Menschen sagen und wir müssen uns überlegen, auf welche Art und Weise wir diese Probleme lösen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Aus diesem Grunde glaube ich, dass es sehr angezeigt ist, zu überlegen, wie wir die solidarischen Systeme - dazu gehört vor allem das Gesundheitssystem - in Zukunft organisieren und wie wir die solidarische Grundlage verbreitern, anstatt sie zu verschmälern.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Ich füge für mich allerdings hinzu: Das kann nicht die Zerschlagung von funktionierenden wettbewerblichen Systemen in diesem Bereich bedeuten.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lächerlich!)

Wir müssen andere Formen der Solidarität finden und vor allen Dingen müssen wir - deshalb ist die Abkopplung von den Arbeitskosten so wichtig - unseren Anteil an den Lohnzusatzkosten unter 40 Prozent halten.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das ist eine Eierei!)

Genauso wie die Einhaltung des Art. 115 Grundgesetz ist das die Aufgabe dieser Regierung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Genau unter dieser Maßgabe diskutiert die Koalition in diesen Tagen und Wochen das Thema Gesundheitsreform. Angesichts der Beschwerlichkeit eines solchen Weges und der Schwierigkeit eines solchen Umbaus ist das übrigens keineswegs zu lang. Noch vor der Sommerpause werden wir unsere Eckwerte dafür vorlegen, sodass zum 1. Januar 2007 eine Gesundheitsreform in Kraft treten kann, die ihre Wirkungen über viele Jahre entfalten wird, weil sie sehr grundsätzliche Neuordnungen enthalten wird. Das sind der Anspruch und die Aufgabe einer großen Koalition. Genau das werden wir auch erreichen.

(Oskar Lafontaine (DIE LINKE): Warum klatscht ihr denn nicht? - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Ein bisschen Beifall! - Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Koalition ist kurz weggenickt!)

   Neben den Themen Sanieren und Reformieren werden wir natürlich auch das Thema Investieren miteinander zu bereden haben. Diese Bundesregierung hat sich trotz des Konsolidierungskurses entschieden, weitere Mittel in den Bereichen zu investieren, in denen wir die Zukunft dieses Landes sehen, um die wirtschaftliche Entwicklung zu beleben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD - Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was ist mit der Mehrwertsteuererhöhung?)

Dazu gehört, dass man sich die Frage stellt: Wo können wir neue Arbeitsmöglichkeiten in einer sich verändernden Welt schaffen? - Aus diesem Grunde haben wir damit begonnen, die privaten Haushalte als Arbeitgeber zu entwickeln. Noch sind wir damit nicht fertig; aber immerhin haben wir es bereits möglich gemacht, die Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen, von Kinderbetreuungskosten und von haushaltsnahen Dienstleistungen zu verbessern. Auf diesem Weg müssen wir schrittweise vorangehen. Hier handelt es sich nämlich nicht um kleine Schräubchen, mit denen hie und da eine steuerliche Maßnahme verändert wird, sondern hier handelt es sich um ein beschäftigungspolitisches Zukunftsfeld, das wir in den nächsten Jahren und Jahrzehnten systematisch weiterentwickeln müssen, weil es Menschen neue Formen von Arbeit eröffnet, die wir so bisher nicht kannten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wir haben uns entschieden, mit dem CO2-Gebäudesanierungsprogramm einen Schwerpunkt zu setzen. Daneben wollen wir die Bauinvestitionen stärken und dabei mehr für die Infrastruktur investieren. Das halte ich für richtig und wichtig. In einem modernen Industrieland muss Mobilität möglich sein. Anstatt große ideologische Debatten darüber zu führen, ob in die Bahn oder in die Straße investiert wird, sorgen wir dafür, dass man sich auf den verschiedenen Verkehrswegen in Deutschland vernünftig bewegen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): CO2 zu reduzieren - was ist daran ökologisch?)

   Darüber hinaus investieren wir mit dem Elterngeld in die Zukunft. Herr Brüderle, ich bin über Ihre Reaktion sehr erstaunt; das muss ich einmal sagen. Sie werden sich diese Maßnahme angeschaut haben. Eigentlich müsste es die FDP für einen sehr modernen Weg halten, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. Natürlich gehört dazu auch die Kinderbetreuung; das ist keine Frage. Dadurch wird vor allen Dingen denen, die eine bessere Qualifizierung haben, die Möglichkeit gegeben, dass die Entscheidung für Kinder von der Gesellschaft anerkannt wird. Das ist deshalb ein Paradigmenwechsel, weil wir Familienpolitik auch, aber nicht mehr nur als Transfer- und Sozialpolitik begreifen; vielmehr als eine gesellschaftspolitische Aufgabe im umfassenden Sinne, die mit Sozial- und Berufspolitik zu tun hat. Mit dieser Neuerung muss man sich wenigstens auseinander setzen. Ich halte das für einen richtigen Schritt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Bei all diesen Investitionen haben wir einen wesentlichen Schwerpunkt gesetzt: die Erhöhung der Ausgaben für Forschung und Innovation. Ich bin der festen Überzeugung: Unsere Entscheidung, 3 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Forschung ausgeben zu wollen, ist eine Weichenstellung, die auf sehr lange Zeit, und zwar weit über das Jahr 2010 hinaus, ihre Wirkung entfalten wird. Zum ersten Mal hat die Politik die Voraussetzungen in diesem Bereich umfassend erfüllt. Deshalb werden wir die Wirtschaft auffordern, ihrerseits den notwendigen Beitrag zu leisten. Das heißt, dass die Wirtschaft 2 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Forschung und Entwicklung ausgeben muss. Wir werden mit der Wirtschaft über die Instrumente zu sprechen haben, wie man das schaffen kann. Wir werden mit der Wirtschaft über die Rahmenbedingungen zu sprechen haben, Stichwort Novelle des Gentechnikgesetzes; das ist vollkommen klar. So wie die Wirtschaft von der Politik mit Recht manches fordert, wird die Politik in dieser Frage deutlich machen, dass ihre Erwartungen an die Wirtschaft in diesem Lande hier ganz klar sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wer ein modernes und innovationsfreundliches Land fordert, der muss an dieser Stelle handeln.

   Es ist richtig, dass die Bundesbildungsministerin einen Dialog mit der Wirtschaft darüber führt, wie man zum Beispiel mittelständischen Unternehmen Investitionen in Forschung und Entwicklung erleichtern kann. Hier muss auch die Bereitschaft hinzukommen, etwas zu wagen; denn unser Wohlstand wird in Zukunft davon abhängen - davon bin ich zutiefst überzeugt -, ob wir auf der Welt zu denen gehören, die Produkte nicht nur erfinden, sondern die Produkte auch einsetzen und herstellen, mit denen dann in unserer Gesellschaft Geld verdient wird und Steuern gezahlt werden.

   Wir werden eine Hightechstrategie für 17 Branchen entwickeln - die Bundesbildungsministerin hat sie bereits vorgestellt -, in denen Deutschland führend sein kann und die wir zu einem Markenzeichen dieses Landes machen wollen. Deshalb liegt hier ein großer Schwerpunkt unserer Aufgaben.

   Wir werden noch vor der Sommerpause die Föderalismusreform verabschieden.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das werden wir mal sehen!)

Ich weiß, dass über vieles diskutiert wird und durch die Anhörungen Fragen aufgeworfen wurden.

(Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Kleinstaaterei!)

- Die Föderalismusreform bedeutet eine sehr grundsätzliche Diskussion, die nichts mit Kleinstaaterei zu tun hat, sondern in der wir der Frage nachgehen, wie unser Land am besten organisiert werden kann.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dabei wird immer wieder die Auffassung vertreten, dass der Zentralstaat die beste Möglichkeit ist, ein Land zu organisieren. Wir glauben, dass ein Land mit 80 Millionen Einwohnern am besten in der Form organisiert ist, dass es zentrale Verantwortlichkeiten kennt und die Länder in einem Wettbewerbsföderalismus auf Länderebene um die beste Meinung ringen, die an vielen Stellen auch nur aufgrund der bestehenden Unterschiede ausprobiert werden kann.

(Zuruf von der FDP: Sieht das die SPD auch so?)

   Eines der besten Beispiele ist für mich - das sage ich hier frank und frei -, dass es nach meiner Überzeugung in Deutschland heute nicht das Abitur nach zwölf Jahren gäbe, wenn wir in der Bundesrepublik Deutschland ein zentrales Schulsystem hätten. Es war nur deshalb möglich, weil sich Sachsen und Thüringen nach der Wiedervereinigung zu diesem Schritt entscheiden konnten, weil sie anschließend dafür geworben und bei der PISA-Studie gut abgeschnitten haben. Jetzt sind selbst die Bayern der Meinung, dass man das in zwölf Jahren schaffen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

- Damit ich auch den Beifall des Kollegen Ramsauer erheischen kann: Die Bayern haben - im Übrigen zu Recht - darauf hingewiesen,

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Jetzt wird es wieder geheilt!)

dass die Verkürzung der Schulzeit an sich kein Wert ist, wenn damit der Ausbildungsstand verschlechtert wird.

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Nur durch die Kombination der PISA-Studie und dem guten Abschneiden von Sachsen und Thüringen ist der Beweis erbracht worden, dass man auch in zwölf Jahren etwas schaffen kann, das man andernorts - allerdings sehr gut; denn Bayern liegt in der PISA-Studie auf Platz eins - in 13 Jahren schafft. Das war der Ausgangspunkt dafür, dass sich auch Bayern den anderen Ländern angeschlossen hat. Das war nach meiner festen Überzeugung der richtige Weg.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Deshalb bitte ich, dass, wenn wir nächste Woche über die Föderalismusreform abstimmen, in den ganzen Diskussionen um die vielen Einzelheiten, in denen sicherlich auch richtige und gewichtige Argumente vorgebracht werden, eines nicht untergeht: Wir werden bei einer Vielzahl von Gesetzgebungsvorhaben zu einer deutlich besseren Aufteilung der Verantwortlichkeit von Bund und Ländern kommen. Wir werden - das halte ich für wichtig - aus der Situation herauskommen, dass 60 bis 70 Prozent der Gesetze zustimmungspflichtig sind, was immer wieder dazu führt, dass schließlich in einem für die Bürgerinnen und Bürger sehr intransparenten Vermittlungsverfahren von Bund und Ländern Entscheidungen getroffen werden, bei denen sich letzten Endes jeder vor der Verantwortung drücken kann.

   Wir vom Bundestag nehmen sehr bewusst die neuen Herausforderungen an. Denn es wird mehr zustimmungsfreie Gesetze geben und wenn diese nicht funktionieren sollten, dann werden wir nicht mehr die Ausrede haben, dass irgendein Land seinen Willen durchsetzen wollte. Wir werden uns vielmehr damit auseinander setzen müssen. Das Ganze wird im Übrigen zu verbesserten Ausschussberatungen im Deutschen Bundestag führen.

   Ich halte die Föderalismusreform für einen Schritt zur Stärkung der Möglichkeiten des Deutschen Bundestages und zu mehr Transparenz. Genau das ist für die Akzeptanz der Demokratie unter der Maßgabe der Bürgerinnen und Bürger notwendig.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Sieben Monate große Koalition! Wichtige Projekte sind auf den Weg gebracht oder umgesetzt worden, die der Konsolidierung unserer Finanzen und damit der Zukunftsfähigkeit unseres Landes dienen, damit die jungen Menschen in diesem Lande sagen können: Jawohl, wir bleiben; hier wird auch an unsere Interessen in 20 oder 30 Jahren gedacht. Das ist eine sehr wichtige Botschaft.

   Wir haben die Weichen in Richtung Forschung und Innovation gestellt. Wir haben Weichen gestellt, die die Möglichkeiten, in Arbeit zu kommen, verbessern. Wir haben Weichen für diejenigen gestellt, die in Deutschland investieren wollen. Wir werden das fortsetzen und die Unternehmensteuerreform wie auch die Erbschaftsteuerreform in einer Art und Weise durchführen, dass die Unternehmen etwas davon haben und ihre Vorhaben praktizieren können. Wir haben zudem die Föderalismusreform und die notwendigen Veränderungen unserer sozialen Sicherungssysteme in Angriff genommen.

Alle diese Maßnahmen erfordern eine große Ernsthaftigkeit, weil sie für die Menschen mit Veränderungen verbunden sind und weil wir in einer Zeit leben, in der wir erkennbar weniger zu verteilen haben, als es in früheren Zeiten der Fall war. Es ist immer einfacher, Politik zu machen, wenn man schöne Dinge versprechen kann. Es ist manchmal sehr hart, Politik zu machen, bei der man sagen muss: Dies und jenes können wir uns im Augenblick nicht leisten. Ich glaube aber, dass der Kompass, dass die Grundausrichtung der großen Koalition - dabei gibt es Dinge, die jedem schwer fallen - richtig ist, weil wir uns auf die richtigen Schwerpunkte konzentrieren: Arbeitsplätze zu schaffen, Zukunft zu sichern, die Integration derjenigen, die in unserer Gesellschaft noch nicht ausreichend integriert sind, zu sichern sowie die Zukunft der Energiepolitik zu besprechen und zu manifestieren. Das alles heißt, dicke Bretter zu bohren.

   In den letzten sieben Monaten haben wir schon einiges geschafft. Aber in den nächsten Monaten haben wir noch viel vor uns. Wir wollen dies in einem Geist tun - das ist jedenfalls mein Wunsch und, soweit es das Kabinett angeht, will ich mich dafür ganz herzlich bedanken -, wohl wissend, dass wir zwar zum Teil aus sehr unterschiedlichen Richtungen kommen, aber eine gemeinsame Verantwortung haben. Diese Verantwortung nehmen wir gerne für die Menschen in unserem Lande wahr, weil wir Vertrauen in sie haben.

   Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU - Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Kollege Dr. Gregor Gysi, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Frau Bundeskanzlerin, ich habe Ihnen genau zugehört. Ich glaube, wir beide sollten ein Eingeständnis machen. Es gibt eine Gemeinsamkeit zwischen uns: Unser gemeinsamer Leistungsanteil an den Erfolgen der deutschen Fußballnationalmannschaft ist gleich null.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn das stimmt, sollten Sie nicht versuchen, die Erfolge der Nationalmannschaft für die Regierung zu vereinnahmen. Das bekommt man beim besten Willen nicht hin.

   Ich hatte erwartet, dass Sie uns in Ihrer Rede erklären, wohin Sie mit Deutschland wollen. Aber ich habe es nicht verstanden, weder außenpolitisch noch innenpolitisch. Ich glaube, das ist die entscheidende Frage.

   Zur Außenpolitik: Sie haben über den Iran gesprochen und gesagt, Sie strebten eine diplomatische Lösung des Konflikts an. Das wäre tatsächlich sehr wichtig, wenn es denn gelänge. Ich hoffe darauf. Aber ich möchte in diesem Zusammenhang auf ein paar Punkte hinweisen:

   Erstens. Der Präsident des Iran macht Äußerungen zu Israel und dem Holocaust, die in diesem Hause parteiübergreifend als völlig indiskutabel betrachtet werden. Das steht, glaube ich, fest.

   Zum Zweiten will er für seinen Staat die friedliche Nutzung der Atomenergie in Anspruch nehmen. Darüber kann man unterschiedlicher Auffassung sein. Aber das Problem ist, dass sie allen Staaten erlaubt ist. Also kann man sie dem Iran nicht verbieten.

   Das Dritte ist: Es wird unterstellt, er wolle Atomwaffen. Angenommen, es stimmte, dann brächte uns das in einen Konflikt, und zwar unter anderem deshalb, weil die fünf Atommächte noch nicht einmal das Ende des Kalten Krieges genutzt haben, um den Atomwaffensperrvertrag zu erfüllen und schrittweise ihre Atomwaffen abzubauen,

(Beifall bei der LINKEN)

weil inzwischen auch Israel, Indien und Pakistan Atomwaffen haben und weil Kriege gegen Jugoslawien, den Irak und Afghanistan geführt worden sind, immer gegen Staaten, die keine Massenvernichtungswaffen hatten. Deshalb denken andere, dass sie unangreifbar wären, wenn sie solche Waffen besäßen. Wir müssen aber aus dieser Logik heraus. Dazu müssen zuerst die Atommächte andere Schritte gehen.

(Beifall bei der LINKEN)

   Frau Bundeskanzlerin, ich bitte Sie für die Öffentlichkeit, für die Bevölkerung im eigenen Land um eine Antwort auf folgende Frage: Was machen wir denn nun, wenn George W. Bush wieder durchdreht und Krieg gegen den Iran führt? Erklären Sie hier doch einmal eindeutig und verbindlich, dass Deutschland dann nicht zur Koalition der Willigen gehören und daran teilnehmen wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie, wie ich hoffe, das eines Tages erklären, hätte ich gerne noch Ihre Antwort auf die Frage gewusst, ob wir dann zu 80 Prozent - wie unter Schröder - oder ob wir zu 100 Prozent nicht teilnehmen, was bedeutete, dass auch unsere Geheimdienste nicht mitmachen und dass keine Flughäfen zur Verfügung gestellt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

   Sie haben nun George W. Bush zum Wahlkampf nach Stralsund eingeladen. Frau Bundeskanzlerin, ich bitte Sie! Wer George W. Bush für den Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern braucht, der hat die Wahlen schon verloren. Ich glaube, das geht daneben.

(Beifall bei der LINKEN - Heiterkeit bei der FDP)

   Lassen Sie mich noch eine andere außenpolitische Frage ansprechen, die mir wichtig ist, weil wir darüber gerade so viel diskutiert haben: die EU-Verfassung. Sie wollen die EU-Verfassung natürlich irgendwie in Kraft treten sehen. Ich verstehe auch, dass die EU eine bessere Struktur braucht. Aber die EU-Verfassung hat eben entscheidende Mängel. Zwei Völker haben durch Volksentscheid mehrheitlich Nein gesagt.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber ganz viele haben zugestimmt!)

- Jetzt heißt es, viele andere Länder hätten aber Ja gesagt. In den 16 Ländern, die Ja gesagt haben, ist das in zwei Fällen durch Volksentscheid, im Übrigen nur durch die Parlamente geschehen.

(Joachim Poß (SPD): Nur die Parlamente?! Was haben Sie für ein Verständnis vom Parlament?)

Sie wissen, dass es leichter ist, eine Mehrheit dafür im Parlament zu bekommen als in der Bevölkerung.

(Beifall bei der LINKEN)

Das gilt auch für Deutschland. Auch wir hätten hierzu einen Volksentscheid gebraucht.

   Abgesehen davon möchte ich wissen: Wie sieht denn Ihr Weg aus? Wollen Sie den Willen der beiden Völker umgehen? Wollen Sie ein anderes Annahmeverfahren installieren? Wollen Sie die Verfassung ändern? Wollen Sie sie sozialer gestalten, weniger neoliberal? Wollen Sie sie entmilitarisieren? Wollen Sie vielleicht die Steuern harmonisieren, all das tun, was wir in der Europäischen Union dringend benötigten?

(Beifall bei der LINKEN)

   Damit bin ich bei der Innenpolitik. Sie haben gestern gesagt, Deutschland sei ein Sanierungsfall. Das ist ein mutiges Eingeständnis.

(Zuruf)

- Okay, wir sind nicht nur ein Sanierungsfall - ich kenne die Ergebnisse der Nationalmannschaft -,

(Heiterkeit bei der LINKEN)

aber wir sind auch ein Sanierungsfall. Hinzuzufügen ist aber: Die Regierenden haben aus Deutschland einen Sanierungsfall gemacht, und zwar angefangen bei der vorigen Regierung und fortgesetzt durch die jetzige; das gehört zur Ehrlichkeit dazu.

(Beifall bei der LINKEN)

   Bestimmte Zahlen nennen Sie nicht. Ich will einmal die Steigerung einer Größe von 2004 zu 2005 nennen. Die Gewinne und Einkommen aus Vermögen sind im Vergleich von 2004 zu 2005 um 31 Milliarden Euro gewachsen. Im selben Zeitraum sind die Bruttolöhne und -gehälter der Bevölkerung um 5,7 Milliarden Euro gesunken. Das ist die Wahrheit im Vergleich von 2004 zu 2005. Das sind die Folgen Ihrer Politik.

(Zuruf von der SPD)

- Gerade Ihrer; denn da war Schröder noch Kanzler.

(Beifall bei der LINKEN - Joachim Poß (SPD): Das ist Sache der Tarifpartner! So viel müssen Sie schon auseinander halten können! Demagogie!)

   Was haben die Konzerne für die Steuergeschenke versprochen, Frau Bundeskanzlerin? Sie haben gesagt, wenn die Kosten gesenkt würden, könnten sie Arbeitsplätze schaffen. Dann haben sie Pressekonferenzen gemacht. Auf den Pressekonferenzen haben sie die Politik verhöhnt und gesagt: Das war sehr nett. Schönen Dank. Wir haben tolle Gewinne. Dafür bauen wir Arbeitsplätze ab. - In einem Fall waren es 8 000 und in einem anderen Fall über 10 000 Arbeitsplätze. Ich habe gehofft, Herr Steinbrück, dass Sie sagen: Dann fordern wir von denen wenigstens gerechte Steuern. - Aber Sie machen es genau umgekehrt.

   Das erklären Sie auch. Sie sagen, wir - das ist eine Kritik, die sich immer an mich und meine Fraktion richtet - hätten nicht begriffen, dass man in Steuerkonkurrenz lebe, und weil man in Steuerkonkurrenz lebe, müsse man sich so verhalten. Sie sagen also: Man muss sich im Hinblick auf diese Steuerkonkurrenz ein- und unterordnen.

   Selbst wenn das stimmte, muss ich noch eine Frage stellen. Haben die Urväter Wilhelm Liebknecht und August Bebel, als sie die Sozialdemokratie gründeten, wirklich daran gedacht, dass sie nur dafür da ist, sich ein- und unterzuordnen? Die waren noch kapitalismuskritisch und wollten, dass man in dieser Gesellschaft mal etwas angreift, mal etwas verändert.

(Beifall bei der LINKEN)

   Wo sind Ihre Initiativen beim G-8-Gipfel oder auch bei den Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU, die darauf abzielen, wenigstens einmal zu diskutieren, ob man nicht eine internationale soziale Marktwirtschaft und eine Steuerharmonisierung hinbekommt?

(Joachim Poß (SPD): Machen wir doch!)

Es passiert nicht!

   Was Sie sagen, stimmt auch gar nicht. Die ganze Konkurrenzsituation, die Sie schildern, ist nicht gegeben. In der Europäischen Union der 25 liegen wir bei den Steuern auf Platz 24. Wir sind die Vorletzten. Nur die Slowakei hat geringere Steuern als Deutschland.

   Dann sagen Sie immer, die Lohnnebenkosten, die Abgaben seien so hoch; das müsse man bei der Berechnung einbeziehen. Gut, rechne ich das mit ein. Wenn ich Steuern und Abgaben einbeziehe, sind wir in der Europäischen Union auf Platz 16. 15 Länder der Europäischen Union haben höhere Steuern und Abgaben als Deutschland, und zwar an ganz anderen Stellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb geht es dort auch etwas gerechter zu. Deshalb haben die auch nicht den Sozialabbau, den Sie hier in Deutschland organisieren.

   Welche Vorschläge machen Sie in dieser Situation? Im letzten Jahr sind die Gewinne bei 20 DAX-Konzernen um mindestens 30 Prozent gestiegen. Welche Vorschläge machen Sie, Herr Steinbrück, lassen sie sich von der SPD-Führung genehmigen? Ihr Vorschlag lautet, die Körperschaftsteuer zu halbieren, nämlich von 25 Prozent auf 12,5 Prozent. Weil Sie immer die Konkurrenzsituation anführen, darf ich Sie daran erinnern: Die USA haben eine Körperschaftsteuer von 35 Prozent,

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Aber die haben keinen Gysi!)

Frankreich hat eine von 33 Prozent, Großbritannien von 30 Prozent. Sie schlagen 12,5 Prozent vor. Wenn es hier jemanden gibt, der Steuerkonkurrenz organisiert, Frau Bundeskanzlerin, dann sind das Sie und Herr Steinbrück und nicht die anderen Länder.

(Beifall bei der LINKEN - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Was für ein Dummschwätzer!)

   Dann machen Sie noch einen Vorschlag hinsichtlich der Abgeltungssteuer. Die Einkünfte aus Kapital, Aktien und Immobilien unterliegen der Einkommensteuer. Unter Kohl hatten wir einen Spitzensteuersatz von 53 Prozent, jetzt haben wir einen Spitzensteuersatz von 42 Prozent. Nun schlagen Sie eine Abgeltungssteuer von 30 Prozent im ersten Schritt und 25 Prozent im zweiten Schritt vor. Wieder sollen die Vermögenden, die Bestverdienenden deutlich besser gestellt werden. Aber wozu? Was soll dabei herauskommen, außer dass die soziale Ungerechtigkeit in unserem Land grob zunimmt? Einen positiven Effekt können Sie nicht nennen.

   Konzerne, Bestverdienende und Vermögende haben zwei Dinge in Deutschland nicht zu fürchten: die Union und die SPD.

(Beifall bei der LINKEN)

Inzwischen gibt es - das muss man sich wirklich einmal überlegen - Reiche, die selbst fordern, höhere Steuern zu bezahlen. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie: Es gibt Reiche, die inzwischen linker sind als die Sozialdemokratie! So weit haben Sie es gebracht.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Union will an die Konzerne und die Reichen nicht heran. Das entspricht ihrer politischen Ausrichtung; das kann ich verstehen. Aber Ihnen von der SPD fehlt jeder Mut diesbezüglich. Darüber sollten Sie nachdenken.

   Deshalb haben wir keine gerechte Vermögensteuer, keine gerechte Veräußerungserlössteuer, keine gerechte Körperschaftsteuer, keine internationale Börsensteuer, nichts von dem, was wir benötigten, um Sozialabbau zu verhindern und mehr Gerechtigkeit in diesem Lande zu finanzieren.

   Wer soll das Ihrer Meinung nach alles bezahlen? Sie wollen das über die Mehrwertsteuer finanzieren. Frau Bundeskanzlerin, eines muss ich Ihnen lassen: Sie haben die Erhöhung im Wahlkampf immerhin ehrlich angekündigt, auch wenn es Ihnen nicht viel gebracht hat

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sie ist Bundeskanzlerin!)

und Sie nur von 2 Prozent gesprochen haben, es aber nun 3 Prozent geworden sind. Ich kann mich noch sehr gut an den Wahlkampf 1990 erinnern, meine Damen und Herren von der SPD. Ich weiß noch, dass Herr Kohl damals sagte, es werde im Osten keine Massenarbeitslosigkeit geben und die Einheit koste kein Geld; es gebe keine Steuererhöhungen. Ebenso kann ich mich erinnern, dass Sie damals einen Spitzenkandidaten namens Oskar Lafontaine hatten, der sagte: Erstens wird es Massenarbeitslosigkeit geben und zweitens wird es zu Steuererhöhungen kommen.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und dann hat er sich vom Acker gemacht!)

Ich sage aus Bescheidenheit nicht, dass auch andere das ausgesprochen haben; er jedenfalls hat es gesagt.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt ist er bei der PDS gelandet! Furchtbar!)

Sie wissen, wie die Wahlen ausgegangen sind. Danach kamen Massenarbeitslosigkeit und der Solidaritätszuschlag, also eine Steuererhöhung. Was haben Sie - nur darum geht es mir - damals gesagt? Sie haben gesagt, das sei erstens eine Steuerlüge und zweitens Wahlbetrug.

   Jetzt schalten wir einmal um auf das Jahr 2005. Ich bin aus ökonomischen und sozialen Gründen strikt gegen die Mehrwertsteuererhöhung. Frau Merkel hat sie immerhin angekündigt. Sie jedoch haben sich auf Plakaten gegen die Erhöhung ausgesprochen. Dadurch haben wir Veränderungen bei den Umfrageergebnissen erlebt. Als nämlich Herr Schröder vorzeitige Neuwahlen ankündigte, lag die Union noch knapp bei der absoluten Mehrheit. Das war schon erschreckend. Ihre Umfragewerte hingegen lagen im Keller; daran kann ich mich erinnern. Gerade wegen der Auseinandersetzung bezüglich der Mehrwertsteuererhöhung sackten die Werte der Union immer weiter ab und Ihre stiegen immer höher. Unmittelbar nach der Wahl haben Sie dann gesagt: Alles Geschwätz von gestern; wir wollen nicht 2 Prozent, sondern 3 Prozent Mehrwertsteuererhöhung.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Jetzt frage ich Sie einmal: Hätten Sie 2005 Plakate gegen Frau Merkel geklebt, auf denen gestanden hätte: „Nicht 2 Prozent, sondern 3 Prozent Mehrwertsteuererhöhung“, was glauben Sie, wie viele von Ihnen hier jetzt nicht säßen, weil Ihr Wahlergebnis viel schlechter gewesen wäre?

(Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was allerdings nicht schön wäre: Es säßen dann mehr von der Union hier.

   Es geht mir um dieses Thema, weil das ein Vorgang ist, der alle Politikerinnen und Politiker beschädigt. Denn letztlich, ob Sie das wollen oder nicht, sagen die Leute: Die sind doch alle gleich; erst versprechen sie das eine und dann machen sie das andere. - Dann unterscheiden die Leute nicht mehr zwischen uns.

(Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Nicht alle heißen Gysi!)

- Nein, leider. Aber es hat auch seinen Vorteil: Wir können uns dadurch ganz gut unterscheiden.

Die Mehrwertsteuererhöhung ist ökonomisch und sozial falsch. Wir haben dadurch natürlich etwas höhere Einnahmen. Aber wen treffen Sie mit dieser Erhöhung, Frau Kanzlerin? Nicht sich selbst, nicht mich; wir können das verkraften. Aber denken Sie einmal an die Arbeitslosen, an die Rentnerinnen und Rentner, an die Geringverdienenden. Sie alle müssen diese 3 Prozent mehr zahlen und es gibt nicht eine einzige Ausgleichsleistung für sie. Damit schwächen Sie die Kaufkraft. Das hat in ganz Deutschland erhebliche negative ökonomische Folgen. Bei Unternehmen, die schon jetzt an der Grenze sind, ist die Insolvenz absehbar. Dann gibt es wieder mehr Arbeitslose und Herr Steinbrück wird erneut vorschlagen, die Unternehmensteuern zu senken und die Leistungen für Arbeitslose zu kürzen. Genau diesen Weg können wir nicht mehr gehen.

(Beifall bei der LINKEN)

   Seit dem Jahr 2000 hatten wir in Deutschland - auch das muss man einmal bei all dem Steuerkonkurrenzgerede sagen - einen Exportboom. Wir sind Exportweltmeister. Das sind wir nicht deswegen, weil hier alles so teuer ist, dass man überhaupt keine Produkte mehr herstellen und verkaufen kann. Wir verkaufen weltweit prozentual mehr als alle anderen Länder; das muss man einfach sehen. Dadurch sind in Deutschland 1 Million Arbeitsplätze entstanden. Durch die Schwäche der Binnenkonjunktur, durch die Schwäche des Binnenmarktes, sind 1,3 Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen, sodass wir ein zusätzliches Minus von 300 000 Arbeitsplätzen haben. Das ist die Wahrheit.

   Warum sind wir in der Lage, uns beim Export erfolgreich ökonomisch zu entwickeln, und lassen bei der Binnenwirtschaft derart nach? Die Antwort ist ganz einfach: weil Sozialabbau herrscht, weil die Kaufkraft der Bevölkerung abnimmt

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Völliger Blödsinn! Hanebüchener Blödsinn!)

und weil Sie die Bevölkerung täglich neu verunsichern, sodass sie sich gar nicht mehr traut, einzukaufen, und wenn doch, dann nur noch in diesem Jahr, weil sie glaubt, es sich nächstes Jahr überhaupt nicht mehr leisten zu können.

(Beifall bei der LINKEN - Steffen Kampeter (CDU/CSU): So ein Blödsinn!)

   Was tun Sie noch? Neben der Mehrwertsteuererhöhung wollen Sie die Pendlerpauschale einschränken. Was heißt denn das? Sie fordern einen flexiblen Arbeitsmarkt und sagen, man müsse heute bereit sein, auch einmal 100 Kilometer weit zu fahren, um zu seinem Arbeitsplatz zu kommen. Gleichzeitig kürzen Sie die Leistungen dafür und machen es Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern immer schwerer, darauf einzugehen.

   Sie kürzen den Sparerfreibetrag. Das stört doch nicht Vermögende. Dieser Freibetrag ist für die Kleinsparer, die bisher davon profitiert haben, gedacht. Viele fallen dann nicht mehr unter diesen Freibetrag und müssen Steuern zahlen. Das ist wieder eine Maßnahme zulasten der sozial Schwachen.

   Was machen Sie bei Hartz IV? Jeden Tag kommt ein neuer Vorschlag dazu, wo man etwas kürzen kann. Jeden Tag kommt ein neuer Vorschlag dazu, wie man die Betroffenen drangsalieren kann. Was ist eigentlich eine zumutbare Arbeit? Soll ein Ingenieur verpflichtet werden können, Schuhputzer zu werden? Ist das für Sie zumutbar?

(Widerspruch bei der SPD)

Ist das die Zukunft unserer Gesellschaft? Darf ich einmal etwas fragen: Wir haben kaum offene Stellen. Wohin wollen Sie die Leute vermitteln? Sie drangsalieren in der Hoffnung, dass weniger Anträge auf Bezug von Arbeitslosengeld gestellt werden, um auf diese Art und Weise Geld zu sparen. Das ist nicht in Ordnung.

(Beifall bei der LINKEN - Widerspruch bei der SPD)

   Eine dreiste sozialdemokratische Sozialkürzung war dies: 36 Monate lang gab es das Arbeitslosengeld I. Diese Bezugsdauer haben Sie auf zwölf Monate, um zwei Drittel, gekürzt. Einen solchen Sozialabbau hatte es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bis dahin nicht gegeben; das haben Sie zusammen mit den Grünen verabredet. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt sagt Herr Rüttgers - Sie lassen sich aber auch vorführen! -, dies gehe zu weit. Wer sehr lange Beiträge gezahlt habe, müsse länger Arbeitslosengeld I bekommen. Jetzt überholt die CDU Sie sozialdemokratisch. Sie sollten wirklich anfangen, nachzudenken.

(Beifall bei der LINKEN)

   Was macht - lassen Sie mich das noch sagen - Ihr Vorsitzender, Herr Beck? Herr Beck sagt: Die Arbeitslosen sollten nicht immer alle Leistungen in Anspruch nehmen.

(Dr. Peter Struck (SPD): So hat er das überhaupt nicht gesagt!)

Man sollte nicht immer all das, was einem nach dem Gesetz zusteht, annehmen. Er mahnte etwas Bescheidenheit an.

   Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Wir alle sollten so etwas nicht sagen. Man sollte von anderen Leuten nie verlangen, was wir auch von uns nicht verlangen. Weder hat Herr Beck bisher an das zuständige Ministerium geschrieben und darum gebeten, ihm weniger als sein gesetzliches Gehalt auszuzahlen,

(Dr. Peter Struck (SPD): Das ist doch lächerlich! Was soll der Quark?)

noch haben wir deshalb an Herrn Lammert geschrieben. Das werden wir auch nicht tun. Solange wir das aber nicht machen, sollten wir keinem Arbeitslosen sagen, er solle nicht all das in Anspruch nehmen, was ihm zusteht. Natürlich tut er das und das ist auch sein Recht.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Peter Struck (SPD): Lächerlich!)

   Frau Kanzlerin, Sie haben zu Recht über die fehlenden Ausbildungsplätze gesprochen. Es fehlen 50 000. Aber es fällt Ihnen nichts anderes ein, als das zu tun, was Helmut Kohl getan hat. Helmut Kohl hat jedes Jahr einen Brief an die Unternehmen geschrieben. Dieser war immer ähnlich wirkungslos. Er hat nichts gebracht. Hinterher gab es Tausende Jugendliche ohne Perspektive. Wenn Sie einem Jugendlichen keine Ausbildungschance geben, was soll dann aus ihm werden? Es mag sein, dass Ausbildung teuer ist. Aber Jugendgefängnisse sind viel teurer. Ich verstehe nicht, mit welchem Recht meine Generation meint, der nächsten Generation das Recht auf Ausbildung teilweise absprechen zu können.

(Beifall bei der LINKEN)

   Ich muss Ihnen sagen: Diese Bittbriefe an die Unternehmen helfen gar nichts. Entweder muss der Staat dann ausbilden - das ist nicht das Ideale, das weiß ich; aber es wäre immerhin eine Ausbildung - oder wir müssen endlich die Ausbildungsplatzabgabe wirklich einführen. Sie haben es in diesem Zusammenhang zwar zu einem Gesetz gebracht, es aber nicht in Kraft gesetzt. Auch das ist typisch sozialdemokratisch.

   Eine solche Ausbildungsplatzabgabe wäre eine Lösung. Ich weiß, die FDP ist strikt dagegen. Sie ist immer für die Freiheit der Ausbeutung. Das geht uns zu weit; wenn ich das einmal so sagen darf.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb meine ich, dass wir hier einen anderen Ansatz brauchen.

Zum Elterngeld. Am Elterngeld gefällt mir natürlich, dass man den Bezug um zwei Monate verlängern kann, wenn auch der andere Sorgeberechtigte - in der Regel ist dies ja wohl der Mann - zwei Monate lang zugreifen muss. Das gefällt mir. Die Nörgelei in der Union, die es dazu gibt, werden Sie schon durchstehen. Aber was mich wirklich umhaut: Eine solche verordnete Umverteilung von unten nach oben habe ich in dieser Direktheit noch nie erlebt. Ich will zwei Beispiele nennen. Das erste Beispiel: Alle haben einen Anspruch auf einen Bezug dieser Leistungen bis zu 14 Monaten, aber ALG-II-Empfänger haben nur einen Anspruch auf zwölf Monate. Das können Sie nicht erklären. Wieso bekommen sie die Leistungen zwei Monate weniger? Das zweite Beispiel: Sie bekamen bisher Erziehungsgeld, und zwar zwei Jahre lang monatlich 300 Euro. Jetzt sagen Sie: Es gibt die monatlichen 300 Euro nur ein Jahr lang. Das heißt, die Leistung wird nur für die Hälfte der Zeit gewährt. Ferner sagen Sie: Besserverdienende bekommen monatlich bis zu 1 800 Euro. - Es ist doch nicht hinnehmbar, dass Sie Arbeitslosen nur noch die Hälfte geben und den Besserverdienenden dagegen ein Elterngeld in Höhe von bis zu 1 800 Euro zugestehen. Das ist nicht nachvollziehbar. Das ist eine reine Umverteilung.

(Beifall bei der LINKEN - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das ist Neidpolitik, nur Neidpolitik!)

   Wenn wir die Steuer- und Abgabenquote Frankreichs hätten, hätten wir im Jahr 200 Milliarden Euro Mehreinnahmen und brauchten alle diese sozialen Kürzungen nicht. Wenn wir nur den Durchschnitt der Steuer- und Abgabenquote in der EU hätten, wären unsere Einnahmen aufgrund von Steuern und Abgaben um 6 Prozent höher; das entspräche 130 Milliarden Euro. All diese Zahlen stammen aus der OECD-Statistik. Ich finde es gut, wenn immer wieder darauf hingewiesen wird, wie die Realitäten in anderen Ländern aussehen.

   Sie haben auch noch die tolle Idee, die Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge zu privatisieren. Ich warte die Ergebnisse Ihrer Gesundheitsreform ab; ich will mich vorher nicht festlegen. Das Einzige, was ich bis jetzt verstanden habe, ist: Sie wollen eine neue große Bürokratie schaffen.

(Dr. Peter Struck (SPD): Quatsch! Unsinn!)

Was sie bringen soll, ist mir völlig schleierhaft. Aber, wie gesagt, ich warte die Vorschläge ab. - Nur noch Folgendes: Ich habe heute gelesen, sogar die Besserverdienenden sollen mehr bezahlen. Ich bin sehr gespannt, was dabei herauskommt.

(Heiterkeit bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Hat die Privatisierung der Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge bewirkt, dass es billiger geworden ist, wie es immer angekündigt worden ist? Es wurde gesagt, private Konzerne seien effektiv, es sei wunderbar für die Kundinnen und Kunden. Nichts davon ist eingetreten. Es gibt höhere Kosten für die Betroffenen, den Abbau von Personal und im Falle von Wohnungsgesellschaften auch noch höhere Mieten.

   Nehmen wir die Energieversorgung. Vier Stromkonzerne haben wir in Deutschland; es ist ja fast alles privatisiert worden. Am Anfang sank der Strompreis etwas - das stimmt -, aber nur am Anfang. Inzwischen ist er ins Gigantische gestiegen. Die Stromkonzerne machen riesige Gewinne und fordern, dass das von den Bürgerinnen und Bürgern und auch von der Wirtschaft bezahlt werden soll. Es ist dabei also nichts von dem herausgekommen, was Sie versprochen haben.

   Lassen Sie mich einen Satz zum Föderalismus sagen. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben darüber länger gesprochen. Sie haben in diesem Zusammenhang auch Bildung und Wettbewerb genannt. Ich bitte Sie, mir die Logik des Ganzen zu erklären. Die Union tritt dafür ein, dass der Arbeitsmarkt flexibler wird. Das heißt, Sie sagen Eltern mit zwei schulpflichtigen Kindern: Wenn ihr einen Arbeitsplatz wollt, müsst ihr auch bereit sein, das Bundesland zu wechseln. Das sei heute nun einmal so. Ich will jetzt einmal davon absehen, dass Ihre gesamte Ideologie in Bezug auf Kirchenchor und Schützenverein, denen man vielleicht sogar 40 Jahre lang angehören sollte, angesichts eines so flexiblen Arbeitsmarkts nicht mehr aufgeht; das geht alles ein bisschen durcheinander. Aber das macht ja nichts; das ist Ihr Problem.

(Heiterkeit bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich will auf etwas ganz anderes hinaus: Die Eltern können das alles doch nicht mehr verantworten. Wenn Eltern mit schulpflichtigen Kindern heute zweimal das Bundesland wechseln müssen, verhalten sie sich gegenüber ihren Kindern unverantwortlich und verschlechtern deren Bildungschancen. Es ist keine Strukturfrage, sondern eine Frage der Chancengleichheit für unsere Kinder, dass wir einheitliche Qualitätsstandards für die Bildung in ganz Deutschland einführen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Abitur in Bayern und das in Mecklenburg-Vorpommern müssen gleich viel wert werden. Dafür haben wir zu sorgen, und auch dafür, dass der Abschluss nach der zehnten Klasse und die Berufsausbildung gleichwertig werden.

   Ich verstehe Ihre Haltung nicht. Es ist eine einfache Frage der Logik. Da muss man nicht links oder rechts oder sonst etwas sein, sondern einfach nur vernünftig und schon könnte man das anders regeln. Dann würden Sie auch die Bevölkerung für das Prinzip des Föderalismus begeistern können. Diese Strukturhackerei, die Verfahrensweise, dass die reichen Bundesländer meinen, sie könnten die Bedingungen für die armen diktieren, wird niemandem einleuchten, und das zu Recht.

   Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zur deutschen Einheit sagen. Wir haben jetzt den Abschluss zwischen den zuständigen Landesministern und dem Marburger Bund für die Klinikärzte erlebt. Ich sage Ihnen: Das ist einfach eine Unverschämtheit; es ist wirklich eine Unverschämtheit.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Sie stellen sich im Jahre 16 der deutschen Einheit hin und sagen: Im ersten und im zweiten Jahr erhält eine Klinikärztin oder ein Klinikarzt in den neuen Bundesländern mit Sicherheit 400 Euro weniger als eine Klinikärztin oder ein Klinikarzt in den alten Bundesländern. Das ist arrogant. Es ist demütigend. Es ist ökonomisch falsch und sozial grob ungerecht. Das ist durch nichts mehr zu verteidigen - wirklich nicht.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Nun wollen wir einmal sehen, wie es dort weitergeht. Aber ich weiß natürlich, wer da sitzt. Ich weiß, welche Landesminister und wer da vom Marburger Bund sitzt. Diese Arroganz müssen wir überwinden. Wir brauchen nicht eine Einheit, wir brauchen eine Vereinigung. Das heißt, wir müssen aufeinander zugehen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Neue Töne bei der PDS!)

   Frau Bundeskanzlerin, Sie kommen aus Ostdeutschland; deshalb interessiert mich sehr, ob Sie diesbezüglich etwas leisten werden, ob Sie wenigstens einen Fahrplan aufstellen. Sind Sie dafür, dass man für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn erhält? Sind Sie dafür, dass man für die gleiche Lebensleistung die gleiche Rente erhält? Ich weiß, Sie können das nicht zum 1. Januar 2007 einführen; das verlange ich auch nicht. Aber es wäre doch nicht falsch, wenn Sie Auskunft gäben und sagten: Das ist unser Fahrplan. In diesen Schritten wollen wir das erreichen. - Wir haben diesbezüglich noch nichts von Ihnen gehört. Ich will wissen, ob Sie die Angleichung wollen oder ob sie bei dieser Bundesregierung abgeschrieben ist.

(Beifall bei der LINKEN)

   Wenn wir die Arbeitslosigkeit senken wollen, brauchen wir einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor wie in Mecklenburg-Vorpommern. 600 Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter arbeiten dort nachmittags an den Schulen, machen Förderunterricht und vieles andere. Sie erzielen Einnahmen. Diese Einnahmen reichen aber nicht aus, um sie zu bezahlen. Also zahlt das Land etwas dazu. Dadurch spart der Bund Arbeitslosengeld. Glauben Sie, wir bekommen solch eine kleine Strukturfrage geregelt? Man könnte etwa sagen: Von dem gesparten Geld geht die Hälfte an Mecklenburg-Vorpommern, dann könnte es den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor erweitern. So könnte man das in jedem Land machen. Hier sind also Verbesserungen möglich.

   Wir brauchen keine Arbeitszeitverlängerung, sondern Arbeitszeitverkürzung.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Blödsinn!)

Wir brauchen gerechte Steuern - ich hatte darüber gesprochen - und Investitionen in Bildung, Kultur, Wissenschaft, Forschung und Infrastruktur. Liebe Frau Bundeskanzlerin, die Situation der Ostdeutschen, der Arbeitslosen in ganz Deutschland, der gering und durchschnittlich verdienenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Kranken und der Rentnerinnen und Rentner verlangt unser Nein zu Ihrem Etat.

   Danke.

(Anhaltender Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Olaf Scholz, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Olaf Scholz (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Uff“ möchte man sagen, wenn Herr Gysi gesprochen hat. Er ist alles losgeworden, was er einmal sagen wollte, auch wenn nicht alles einen großen Zusammenhang hatte.

(Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Er hätte noch viel mehr zu sagen!)

   Wenn man zugehört hat, was links außen und rechts außen im Parlament gesprochen wurde - so ist jedenfalls die Sitzordnung von FDP und Linken -, dann hat man das Gefühl: Das sind zwei Gegensätze, die sich hier miteinander unterhalten wollen. Die einen sagen: Das Übel, das wir in unserer Gesellschaft haben, ist der Staat. Die anderen sagen: Der Staat löst alle unsere Probleme, dann kommt Manna vom Himmel und wir müssen keine Politik mehr machen. - Das ist keine sinnvolle Politik, das ist nicht maßvoll. Ich glaube, dass man sich mehr Mühe geben muss, wenn man das Land regieren will, als solche Sprüche abzulassen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Ich glaube auch, dass sich die FDP, die eine große Tradition als Regierungspartei in unserem Land hat,

(Zurufe von der SPD: Hatte!)

überlegen muss, ob sie sich in diesem Gegensatz und mit dieser extremen Positionierung in Fragen der Sozialpolitik richtig verortet. Sie wäre gut beraten, das zu ändern.

   Es ist von Herrn Brüderle und auch in vielen anderen Reden schon gesagt worden: Da gibt es Kontinuität. Es gab sieben Jahre lang die Regierung Schröder/Fischer. Wenn man schaut, was jetzt passiert, dann stellt man fest, dass vieles bei dem ansetzt, was schon vorher stattgefunden hat. Ich frage mich immer, warum ich mich darüber ärgern soll.

(Beifall bei der FDP)

Ich fand, die sieben Jahre der rot-grünen Regierung waren nicht so schlecht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Wir müssen ja nicht in allen Fragen einer Meinung sein! - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Eine kluge Rede von Herrn Scholz!)

Deshalb: Reden Sie nur weiter so! Das macht noch einmal deutlich, dass das, was wir heute tun, was wir heute fortsetzen, was wir heute weiterentwickeln, an eine der mutigsten Reformpolitiken der letzten Jahrzehnte anknüpft, die in der siebenjährigen Regierungszeit der vorherigen Regierung angefangen hat. Es ist richtig, dass wir da weitermachen und nicht aufhören oder eine Kehrtwende beginnen.

(Beifall bei der SPD)

   Zum Antidiskriminierungsgesetz.

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Juhu!)

Herr Brüderle hat darüber gesprochen, Herr Westerwelle wird sicherlich auch noch darüber sprechen.

(Otto Fricke (FDP): Das heißt doch gar nicht mehr so!)

- Das heißt jetzt Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz; das ist übrigens ein wirklicher Fortschritt.

(Lachen bei der FPD)

- Ja, das klingt besser.

   Ich stelle mir immer vor - es war schon einmal so -, die FDP würde mit den Sozialdemokraten regieren. Dann müssten Sie von der FDP das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, so wie es dem Deutschen Bundestag vorliegt, hier begründen.

(Zurufe von der FDP: Nein!)

Ich frage mich immer, was Herr Brüderle dann sagen würde. Er würde wohl sagen: Das muss so gemacht werden; denn es gibt europäische Richtlinien. Wir haben gar keine große Wahl, wir müssen es so tun. - Herr Westerwelle würde wohl sagen: Das ist richtig so; denn wenn wir schon von der EU gezwungen werden, vorzuschreiben, dass Ausländer und Frauen im allgemeinen Zivilleben nicht diskriminiert werden dürfen, dann lässt sich nicht gut erklären, warum wir nicht auch alten Menschen, Behinderten oder Homosexuellen den gleichen Schutz gewähren sollen. Das ist der Grund dafür, dass wir dieses Gesetz so beschließen wollen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle?

Olaf Scholz (SPD):

Ja.

Dr. Guido Westerwelle (FDP):

Herr Kollege, Sie haben gesagt, wir sollten uns einmal vorstellen, wir würden zusammen regieren. Als die erste Variante, das Antidiskriminierungsgesetz, in der letzten Legislaturperiode beschlossen worden ist, regierten SPD und FDP zusammen, und zwar im Land Rheinland-Pfalz. Ist Ihnen bekannt, dass es seinerzeit aus Rheinland-Pfalz - mit dem Ministerpräsidenten und jetzigen SPD-Vorsitzenden Kurt Beck - nicht nur verbalen Widerstand gegen das Prinzip „Toleranz durch Bürokratie“ gab?

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Guido!)

Olaf Scholz (SPD):

Es ist mir nicht bekannt, dass Kurt Beck den Ausdruck „Toleranz durch Bürokratie“ verwandt hat; dafür ist er viel zu intelligent.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Es ist mir aber sehr wohl bekannt, dass zum Beispiel der rheinland-pfälzische Ministerpräsident und der frühere nordrhein-westfälische Ministerpräsident, der jetzt Finanzminister dieser Republik ist - ich habe damals öfter mit ihm darüber diskutiert -, dafür gesorgt haben, dass der erste Gesetzentwurf, über den wir geredet haben, so gut geworden ist, dass wir jetzt auf dieser qualitätsvollen Arbeit aufbauen können.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Herr Westerwelle, ich möchte mein Gedankenspiel noch ergänzen. Wären Sie in der Regierung, müssten Sie den Gesetzentwurf hier rechtfertigen. Das ist eine Perspektive, die sich eine Partei wie die Ihre gelegentlich erlauben sollte. Sie sollten darüber nachdenken: Ginge das, was ich in der Opposition sage, auf, wenn ich in der Regierung wäre? Könnte ich irgendetwas von dem, was ich hier erzähle, wahr machen? Oder gibt es Umstände, Zwänge, gesetzliche Regelungen, die es mir gar nicht ermöglichten, die großen Reden fortzuführen, die ich vorher gehalten habe?

   Ich bin ganz sicher, dass sich unsere Freunde von der Union zwar ärgern, dass sie Ihnen nicht die Rede halten können, die Herr Brüderle der Union hält, sich aber mehr darüber freuen, dass sie in der Regierung sind und Gestaltungsmacht haben, anstatt hier Reden ohne Wirkung zu halten.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Seitdem sich die neue Regierung gebildet hat, ist eine ganze Reihe von Reformen auf den Weg gebracht worden, die mit großen Schritten vorangebracht werden. Es ist merkwürdig, was wir jetzt erleben: Der eine schreibt auf Seite 3 der Zeitung, nichts geschehe; der andere schreibt auf Seite 2, alle seien nervös, weil jetzt so große Dinge passierten. Die Wahrheit ist: Beides zugleich kann nicht richtig sein, schon gar nicht, wenn beides in einem Leitartikel steht. Es kommt aber vor, dass beides behauptet wird. Deshalb möchte ich ein paar Punkte nennen, bei denen wir große Fortschritte machen und die eine Rolle bei dem, was wir in dieser Koalition in der nächsten Zeit voranbringen wollen, spielen.

   Wir sorgen dafür, dass der föderale Staatsaufbau vernünftig organisiert wird. Wir brauchen eine Föderalismusreform. Franz Müntefering und Edmund Stoiber haben eine große Rolle dabei gespielt, die Dinge zur Zeit der rot-grünen Koalition voranzubringen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Vor allen Dingen Stoiber!)

Wir werden die Reform jetzt realisieren; wir wollen vor der Sommerpause fertig sein.

   Der Gesetzentwurf, der hier zur Beratung steht, ist so gut, dass er dafür sorgen würde, dass viel weniger Gesetze im Bundesrat zustimmungspflichtig wären, als es in der Vergangenheit der Fall war. Das zu erreichen, haben wir den Bürgerinnen und Bürgern versprochen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

   Wir haben ihnen auch versprochen, dass wir uns nicht nur mit uns selbst beschäftigen und wir es uns sparen wollen, darüber zu diskutieren, wer wann nachts um vier im Vermittlungsausschuss was gemacht hat.

Wir wollen mit der Föderalismusreform dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, zu entscheiden: Der Struck hat es gut gemacht, der Westerwelle hat es schlecht gemacht; das berücksichtige ich jetzt bei meinen Wahlentscheidungen. Das ist nicht möglich, wenn die Verantwortung nicht zugeordnet werden kann. Es tut dem Föderalismus gut, wenn die Verantwortung des Bundes und die Verantwortung der Länder auseinander gehalten werden können. Wir sind für einen föderalen Staat; wir wollen ihn stärken und nicht schwächen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Natürlich muss es Verbesserungen geben. Es ist eine große Sache, dass es uns gelungen ist, eine Verfassungsbesonderheit zustande gebracht zu haben, nämlich eine gemeinsame Anhörung von Bundestag und Bundesrat im Wesentlichen in diesem Saal. Wir alle wissen: Es muss etwas geändert werden. Das ist für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ganz klar. Wir wollen diese Reform, aber wir wollen noch Veränderungen, die es in der nächsten Woche geben wird. Das wird für jeden sichtbar sein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wichtig ist - das wurde schon gesagt -, dass es im Bereich von Wissenschaft und Forschung möglich sein muss, zusammenzuarbeiten. Die Bewältigung des großen Studierendenbergs und der notwendige massive Ausbau in Bezug auf unsere Forschungseinrichtungen und Universitäten dürfen nicht behindert werden, weil wir im Zuge der Verfassungsreform etwa nicht aufgepasst haben. Wir werden aufpassen. Das wird uns gelingen; ich bin da ganz optimistisch.

   Eine der wichtigen Aufgaben, die wir haben und die angesichts der jetzigen Regierungskonstellation vielleicht etwas Besonderes ist, ist es, dafür zu sorgen, dass das Vertrauen der Menschen in die sozialen Sicherungssysteme wieder hergestellt wird, so wie es vor vielen Jahren, vor Jahrzehnten, war. Das Vertrauen ist in die Krise geraten, weil Einnahmen und Ausgaben nicht mehr ohne weiteres zusammenpassen, weil die wirtschaftliche und die demografische Entwicklung, die Zusammensetzung unserer Bevölkerung, Spuren hinterlassen hat.

   Die Sozialversicherung, insbesondere die Renten- und die Krankenversicherung, ist zutiefst mit der Geschichte unseres Landes verbunden. Sie ist keine Erfindung der letzten Jahre, sondern ist weit über 100 Jahre alt; sie stammt noch aus dem vorletzten Jahrhundert. Deshalb gehört eine gute sozialstaatliche Struktur mit dem System der sozialen Sicherung zur Identität, zum Selbstverständnis der Deutschen.

   Die Sozialversicherung gehört auch zur Traditionsgeschichte der beiden Koalitionsparteien; denn der Grundstein dafür wurde im vorletzten Jahrhundert von einem Vorfahren eines jetzigen Bundestagsabgeordneten - ich grüße Carl-Eduard von Bismarck - gelegt, indem er entschieden hat, zwei Dinge zu tun: erstens die Sozialdemokraten ins Gefängnis zu werfen und zweitens dafür zu sorgen, dass eine Sozialversicherung aufgebaut wird, damit die Leute nicht auf falsche Gedanken kommen. Das war der Beginn der Sozialversicherung.

   Es gehört auch zur deutschen Geschichte, dass Konservative und Sozialdemokraten den Sozialstaat weiterentwickelt haben. Deshalb wäre es eine große Sache, wenn wir es im Bereich Rente und Gesundheit fertig bringen würden, einen Konsens zu erzielen, der 10, 20 oder 30 Jahre Bestand hat, und den Menschen damit sagen, dass sie sich auf die Sozialversicherung in Deutschland verlassen können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Bei der Rente sind wir aufgrund der Reformen der letzten Jahre schon sehr weit. Was noch geschehen muss, wird auch geschehen. Irgendwann kann man dann nach vielen Jahren der Propaganda, in denen gesagt wurde, das Rentenversicherungssystem habe keine Zukunft, nicht nur sagen: „Die Rechnung, dass sich Einnahmen und Ausgaben ausgleichen, geht auf“, sondern auch darauf hoffen, dass die Menschen wieder an die Rentenversicherung glauben, weil sie wissen, dass sie in die Zukunft investieren. Ich glaube, das ist ganz wichtig. Die meisten Menschen sind nicht so reich, dass sie sich alle vier Jahre einen Systemwechsel bei der Kranken- und der Rentenversicherung leisten könnten. Die meisten Menschen werden nervös, wenn alle vier Jahre alles zur Disposition steht. Sie sind darauf angewiesen, dass wir, die Abgeordneten in diesem Haus und die Bundesregierung, dafür sorgen, dass der Sozialstaat funktioniert. Das ist die Aufgabe, der wir nachkommen müssen.

   Als Nächstes liegt die Reform der Krankenversicherung an. Dazu ist schon einiges gesagt worden. Ich glaube, dass wir es hinbekommen, eine Reform der Krankenversicherung auf solidarischer Basis zustande zu bringen. Das ist notwendig; denn die Menschen verlangen von uns, dass wir Solidarität herstellen. Solidarität ist gut für diejenigen, die wenig verdienen und die sich ohne solidarische Strukturen etwa in der Krankenversicherung einen vollwertigen Versicherungsschutz nicht leisten könnten. Darum brauchen wir Solidarität insbesondere für die Menschen, die wenig verdienen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir brauchen Solidarität für die Unternehmer, die diese Menschen beschäftigen wollen. Wir sprechen hier über Lohnnebenkosten und über Kosten der Arbeit. Solidarität bedeutet in diesem Zusammenhang Entlastung der Unternehmer; denn davon profitieren gerade Menschen mit geringer Qualifikation und geringem Einkommen. Die Unternehmer dürfen in einem solidarischen System nicht überproportional hohe Beiträge zur Krankenversicherung dieser Arbeitnehmer leisten müssen. Deshalb ist es richtig, dass wir das Krankenversicherungssystem unter Beachtung des Solidaritätsprinzips in Ordnung bringen.

   Sie wissen, dass darüber diskutiert wird. Über Modelle kann man allerdings erst dann diskutieren, wenn sie endgültig da sind. Eines kann man aber als Sozialdemokrat schon jetzt sagen: Ein Beitrag zur Solidarität wird sein müssen, dass wir dafür sorgen, dass man sich von der Sozialversicherung nicht verabschieden kann. Es darf nicht sein, dass man sich, wie es bei Steueroasen der Fall ist - Beispiel Cayman Islands -, der Solidarität entzieht. Das haben wir allerdings mit dem Nebeneinander von privater und gesetzlicher Krankenversicherung, so wie es heute organisiert ist. Wir brauchen vielmehr ein Miteinander. Es gibt viele Wege, wie man das machen kann. Darüber reden und streiten wir. Ich bin sicher, dass wir einen vernünftigen Weg finden werden. Die Menschen werden dafür sein, dass es solidarisch zugeht. Da kann die FDP sagen, was sie will.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDUCSU)

   Bei dieser Gelegenheit möchte ich darauf hinweisen, dass in den Fußballstadien, die von einigen von uns besucht werden, gelegentlich ein sozialdemokratisches Grundsatzprogramm in Form eines Liedes vorgetragen wird. Das berührt die Frage, wie wir mit der Gesundheits- und Rentenreform umgehen. Das Grundsatzprogramm, das dort vorgetragen wird, heißt: You’ll never walk alone. Das ist eigentlich die richtige Überschrift für ein sozialdemokratisches Grundsatzprogramm. So sehen wir die Welt. Ich frage mich, wie Sie sie sehen.

(Beifall bei der SPD)

   Zu unseren Aufgaben gehört auch, dass wir den Haushalt weiter konsolidieren. Das ist nicht leicht. Es ist vor allem nicht so leicht, wie die Leichtmacher sich das denken; denn es gibt eine große Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben.

(Zuruf von der FDP: Wer hat die verursacht?)

Deshalb muss man dafür sorgen, dass die Lücke kleiner wird. Der Koalitionsvertrag hat dazu eine klare Aussage getroffen. Es lohnt sich, sich diese gelegentlich ins Gedächtnis zu rufen. Ich will das tun. Auch die Kanzlerin hat einen Teil daraus vorgetragen.

Wir werden: sanieren, reformieren und investieren und dabei die Lasten gerecht auf alle Schultern verteilen.
Wir werden mutig sparen und Subventionen abbauen. Das hat Vorrang. Aber ohne Steuererhöhung ist die für unser Land wichtige Konsolidierung nicht zu schaffen.

Dieses Zitat aus dem Koalitionsvertrag ist wahr und richtig. Seitdem wir gemeinsam regieren, sind wir daran, diese klare Aussage in allen Details bei der Haushaltskonsolidierung umzusetzen.

   Auch da gibt es eine gewisse Kontinuität; man ist ja nicht geschichtslos. Manche der Subventionen, die in den letzten Monaten abgebaut worden sind, und die Subventionen, die wir demnächst abbauen werden, haben mehrfach auf der Tagesordnung dieses Parlaments gestanden. Aber es war immer das gleiche Spiel: Der Bundestag schaffte sie ab, der Bundesrat rettete die Subventionen. Dieses Spiel ist jetzt aus. Das ist der eigentliche Fortschritt. Wir treiben den Subventionsabbau voran, ob das Filmfonds betrifft, ob das die Eigenheimzulage ist oder ob das verschiedene einfach oder schwer zu begründende Subventionen sind. Wir sind miteinander mutig.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Miteinander mutig“!)

Das ist wichtig, weil wir unser Land und den Staatshaushalt in Ordnung bringen wollen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Herr Gysi, Steuererhöhungen für alles und jeden sind nicht die Lösung des Problems. Daher kommt auch nicht das viele Geld, das Sie sich erhoffen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir die richtige Balance finden. Wir brauchen eine Besteuerung, die für die Menschen, für die Unternehmen und international vertretbar ist. Gleichzeitig brauchen wir eine Situation, in der der Staat die Aufgaben, die - ich wähle jetzt mal diese Reihenfolge - die Unternehmen, die Bürgerinnen und Bürger, die Arbeitnehmer, die Studierenden, die Schülerinnen und Schüler, die alle an uns stellen, auch erfüllen kann. Der Staat muss dazu in der Lage sein. Man kann nicht eine super Autobahn haben und gleichzeitig keine Steuern zahlen wollen. Beides gleichzeitig geht nicht. Deshalb werden wir immer das richtige Maß finden müssen. Über dieses Maß kann man streiten. Ich will gerne hinzufügen, dass Mitte und Maß gute Tugenden des Handwerks in unserem Land sind.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mittelmaß!)

Es ist die Sache von Außenseitern, zu behaupten, dass Mitte und Maß etwas mit Mittelmäßigkeit zu tun hätten. Wir werden uns gegen diese Diskreditierung vernünftiger Politik immer zur Wehr setzen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Uns ist schon etwas gelungen,

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was denn?)

sogar eine so schwierige Operation - Herr Gysi und andere haben darüber geredet - wie die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Die ist ja niemandem leicht gefallen. Keiner macht das gerne, gleich ob vor oder nach Wahlkämpfen, es bleibt schwierig, wenn man Steuern erhöht.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Große Leistung! Alles wird teurer! - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Peinlich!)

- Seid mal froh, dass ihr nicht mitregieren müsst, dann wäret ihr auch dafür!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Die Menschen sind nicht so aufgeregt, wie die Debatte in diesem Parlament geführt wird. Was ist uns nicht alles vorhergesagt worden? Es wurden Kampagnen in Zeitungen geschaltet und für diejenigen, die das aufhalten wollten, wurden Orden verteilt. Jetzt wurde gesagt: Das ist die letzte Chance, das sind diejenigen, die das aufhalten können. Wir haben es trotzdem gemacht. Die Menschen freuen sich zwar nicht, verstehen aber, warum das geschehen ist. Deshalb sind sie mit dem Gesamtergebnis dieser Entscheidung einverstanden.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ihr habt die Leute angelogen! So ist es!)

   Das wird übrigens auch für ein anderes Thema gelten, das viele aufregt. Es betrifft nicht alle, auch nicht alle Mitglieder dieses Hauses. Ich bin zwar nicht über die Nebeneinkünfte eines jeden Abgeordneten informiert, glaube aber, dass mit der Reichensteuer keiner oder fast keiner etwas zu tun haben wird.

(Lachen und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Oskar Lafontaine!)

- Oskar Lafontaine, das kann sein. - Dass sie kommt, ist gut, weil das zeigt, dass wir die soziale Balance in dem Besteuerungssystem dieses Landes zustande gebracht haben. Es ist richtig, dass diejenigen, die über breite Schultern verfügen, mitmachen.

   Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen. Einen der größten Fortschritte machen wir auf dem Gebiet der Familienpolitik. Hier gibt es eine gute Kontinuitätslinie. Das Ganztagsbetreuungsprogramm war ein Fortschritt. Es war richtig, dass wir das Angebot an Ganztagsschulen ausgebaut haben.

(Beifall bei der SPD)

Es ist ein Zielwechsel gelungen. Anders als vor wenigen Jahren sagt die ganze Republik, weitgehend parteiübergreifend: Wir müssen ein Angebot an Ganztagskrippen, -kindergärten und -schulen haben. Niemand diskutiert heute mehr darüber, dass Eltern, die ihre Kinder dort hinschicken, Rabeneltern wären.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Niemand - zumindest sind es nicht viele - diskutiert heute mehr darüber, dass es schlecht für die Kinder ist, wenn sie eine Ganztagseinrichtung besuchen. Umgekehrt wissen wir, dass wir manchen unserer jungen Leute nur dann eine Chance geben können, wenn wir ihnen ganz früh Förderung angedeihen lassen, die sie aufgrund der Hintergründe und Umstände von ihren Eltern nicht bekommen können.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Ich bin froh, dass sich diese Linie mit dem Elterngeld fortsetzt. Das ist eine ganz moderne Familienpolitik. Man muss Demagoge sein, um das schlecht zu finden. Es ist eine moderne Politik, weil sie bei den Bedürfnissen der jungen Eltern ansetzt, die sich für Kinder entscheiden, die Beruf und Familie vereinbaren wollen. Wenn wir das jetzt in Deutschland umsetzen, folgen wir Staaten, die uns ansonsten als Vorbild entgegengehalten werden, zum Beispiel Schweden und Frankreich. Das ist eine soziale Maßnahme, das ist eine Maßnahme für alle.

   Eines möchte ich in diesem Zusammenhang noch sagen: Wer, wie Herr Gysi, jemanden, der 1 600 Euro Elterngeld bekommt, weil er sich als Vater um die Betreuung der Kinder kümmert, als Besserverdiener beschimpft, der zeigt, dass er keine Ahnung von dieser Welt hat.

   Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen.

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, ich habe ja geahnt, dass Sie in Ihrer Rede als Erstes versuchen werden, ein bisschen Honig aus der jetzt laufenden Fußballweltmeisterschaft zu saugen.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Sie auch! Sie haben das in der „Bild“-Zeitung gemacht! - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Aber locker, Mädchen! Locker bleiben!)

- Jetzt operieren wir schon mit dem Wort Mädchen, junger Mann.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Danke sehr!)

   Sie haben versucht, den Fußball an dieser Stelle zu nutzen. Aber wahr ist: Wir Abgeordnete haben nicht mittrainiert und wir haben auch nicht mitgespielt. Dass in diesem Land im Augenblick gute Stimmung ist, heißt nicht, dass die gute Stimmung der Regierung geschuldet ist, sondern dem Team von Herrn Klinsmann und denen, die auf diesem Feld spielen. Darüber können wir alle glücklich und froh sein. Die Leistung, die Klinsmann mit seinen Männern erbracht hat, haben Sie, Frau Merkel, erst noch vor sich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Gegensatz zu Klinsmann, der das Team systematisch entwickelt hat, haben wir bei der Bundesregierung im Augenblick doch wohl eher die Sorge, dass Sie mehr und mehr Ausfälle in der Truppe haben. Das werde ich Ihnen begründen.

   Lieber Olaf, du hast gesagt, dass in den Stadien „You’ll never walk alone“ gesungen wird. Die Zuschauer sagen: Dieses Team wird nicht alleine laufen, weil sie Solidarität empfinden und sich mitgenommen fühlen. Sie jubeln einem Team zu, dessen Trainer sagt: Jeder ist wichtig für unseren Erfolg. Diese Leistung, wirklich alle Menschen in dieser Republik einzubeziehen, mitzunehmen, jedem eine Chance zu geben und kein Kind auf der Strecke liegen zu lassen, muss die Bundesregierung erst noch erbringen. Ich sehe sie noch nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Seien Sie doch nicht so verkrampft!)

   Wir werden unseren Teil dazu beitragen. Aber das ändert nichts daran - das sage ich in Richtung SPD -, dass die Regierung als Erstes eine Bringschuld hat, Vorschläge zu machen. Dazu muss ich Ihnen sagen: Auf die vielen Fragen, die im Augenblick auf der Agenda sind - wie schaffen wir Arbeitsplätze inmitten einer internationalen Konkurrenz, wie erhalten wir die natürlichen Lebensgrundlagen, wie schaffen wir eine Energieversorgung ohne Atomrisiko und ohne Klimazerstörung? -, habe ich hier noch keine Antworten gehört. Ich muss Ihnen auch sagen: Die Antwort auf die Frage, wie man in diesem Land Job und Kinder vereinbaren kann, ist von Ihnen auch noch nicht gegeben worden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der SPD: Wir machen das!)

- Sie sagen, Sie würden das machen. Ich sage Ihnen: Was Sie machen, sind zwei Dinge. Sie inszenieren sich als Koalition und entwickeln sich in Ihrem Streit in Richtung kleinstes Karo - man nennt das auch Pepita; das ist kleinkariert -, ohne dass Sie wirklich Lösungen anbieten. Bei der CDU/CSU habe ich darüber hinaus im Augenblick das Gefühl, dass sie sich im Wesentlichen mit sich selbst beschäftigt. Die CDU/CSU beschäftigt sich mit den Fragen, wie sie Ihnen von der SPD in den Städten die Wählerschaft abgreifen kann und wie sie sich selber ein modernes Antlitz gibt.

   Ich will mit dem Thema Elterngeld anfangen. Ich gratuliere Frau von der Leyen. Der Kampf, den Sie gegen die Männer in der CDU/CSU geführt haben, war sicherlich nicht einfach.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Unsinn! - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das ist ein vergiftetes Lob! Das merken wir schon!)

- Das ist einfach die Wahrheit, das ist kein vergifteter Pfeil.

   Aber ich sage Ihnen eines: Das Elterngeld und vor allem die Vätermonate - wie Herr Pofalla, die junge aufstrebende Kraft in der CDU/CSU, sie nennt - zeigen, wie weit Sie, die CDU/CSU, noch von der Realität in Deutschland entfernt sind. Das Elterngeld ist vielleicht ein großer Schritt für die CDU/CSU, um endlich aus den 70er-Jahren heraus und im Jahr 2006 anzukommen. Aber dieses Geld ist kein großer Schritt für die Väter und Mütter in dieser Republik, weil es ihre Probleme nicht löst.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Die Kernfrage lautet: Was macht man in diesem Land als Mutter oder Vater, wenn das eigene Kind zwölf oder 14 Monate alt ist? Hier lassen Sie die erwerbstätigen Väter und Mütter allein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Was schlagen Sie denn vor, Frau Künast?)

   Ich gebe zu: Das, was Sie vorschlagen, sieht modern aus. Aber die Leute merken, dass das Problem dadurch nicht gelöst wird.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Was schlagen Sie denn nun vor?)

Auch Ihr Familiensplitting ist ein solcher Coup.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Halt! Nicht das Thema wechseln! Sagen Sie: Wie sieht Ihr Vorschlag aus?)

Durch das Familiensplitting werden letztlich wieder diejenigen privilegiert, die hohe Einkommen haben. Das Ergebnis ist, dass Kinder in dieser Republik unterschiedlich behandelt werden. Dadurch organisieren Sie, vielleicht als schöner Schein, ein Stück Modernisierung der CDU. Aber wahr ist: Sie zementieren eine neue finanzielle Ungerechtigkeit zulasten der Kinder.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Was wollen Sie?)

   Wir wollen das Ehegattensplitting in eine Individualbesteuerung mit einem übertragbaren Höchstbetrag von 10 000 Euro umwandeln. Das führt letztlich zu einer Einsparung in Höhe von 5 Milliarden Euro. Diese 5 Milliarden Euro sind die Antwort auf die Frage: Was mache ich mit meinem zwölf Monate alten Kind, wenn ich erwerbstätig sein will bzw. muss? Mit diesen 5 Milliarden Euro kann man eine Betreuung der Kinder nach dem ersten Lebensjahr finanzieren. Dafür haben wir ein Konzept vorgelegt, über das wir gerne mit Ihnen diskutieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Unser Ziel muss immer sein, die Kinder in den Mittelpunkt unserer politischen Bemühungen zu stellen und darauf hinzuwirken, dass jedes einzelne Kind gefördert wird. Wir alle kennen die OECD- und PISA-Studien, an denen deutlich wird, dass immer mehr Kinder aus bildungsfernen sowie finanziell und sozial schwachen Familien - überproportional aus Migrantenfamilien -, wenn sie im Alter von sechs Jahren in die Schule kommen, ein Entwicklungsdefizit von ein bis zwei Jahren aufweisen. Dieses Defizit in der Entwicklung der Kinder tut mir in der Seele weh. Deshalb sage ich: Wir brauchen kein Familiensplitting, sondern wir müssen das Geld umtopfen, um ganz konkret die Förderung der Kinder zu gewährleisten. Jedes Kind braucht einen guten Betreuungsplatz und muss in jeder Hinsicht gefördert werden. Das ist deren, das ist unsere Zukunft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Da ich von einer neuen Ungerechtigkeit gesprochen habe, muss ich, wenn ich mir die letzten sieben Monate vor Augen führe, an dieser Stelle auch auf die Steuerpolitik zu sprechen kommen. Frau Merkel, Sie haben es geschafft, die größte Steuererhöhung seit 1949 durchzudrücken, ohne gleichzeitig das einzuhalten, was Sie versprochen haben: tatsächlich mehr für die Haushaltskonsolidierung zu tun und die Lohnnebenkosten zu senken. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Unverfrorenheit, die mich noch mehr ärgert als das unwahre Spiel der SPD, die erst Nein zur Mehrwertsteuererhöhung sagt und dann aus der geplanten Erhöhung um 2 Prozentpunkte eine Erhöhung um 3 Prozentpunkte macht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Jörg Tauss (SPD): Welch eine Schärfe, Frau Kollegin! Ich bin tief betroffen!)

   Die Mehrwertsteuererhöhung wird die kleinen Leute überproportional treffen. Wir wissen, dass jeder Mensch nicht nur Lebensmittel zum Leben braucht, sondern auch Kleidung, Spielzeug, eine Waschmaschine, Waschpulver usw. Bei allen Produkten, die sie kaufen - sogar, wenn sie Handwerkerrechnungen bezahlen -, werden sie von diesen 3 Prozentpunkten betroffen sein.

   Auf der Liste der neuen Ungerechtigkeiten, die Sie produzieren, steht auch das Thema Unternehmensteuerreform. Alles, was man dazu bisher gehört hat, lässt in mir das Gefühl aufkeimen, dass Sie immer noch vorzugsweise auf Lobbyisten hören. Die Nettoentlastung der Unternehmen soll satte 8 Milliarden Euro betragen. Die Frage ist: Wie kann man eine solche Steuerentlastung gegenfinanzieren? Das entspricht 1 Prozentpunkt Mehrwertsteuer. Da Ihnen keine andere Einnahmequelle zur Verfügung steht, bedeutet das: Sie greifen in das Portemonnaie der kleinen Leute, um die großen Unternehmen steuerlich zu entlasten.

(Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Ach! Das ist Quatsch! Das wissen Sie doch besser!)

Das ist der großkoalitionäre, aber kleinkarierte Konsens. Letztlich einigen Sie sich immer auf den Nenner, dem kleinen Mann in die Tasche zu greifen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Das ist ja „PDS light“!)

   Wir brauchen eine konsequente Unternehmensteuerreform. Zwar muss unser Steuerrecht international wettbewerbsfähig sein. Aber die Unternehmensteuerreform sollte aufkommensneutral sein. Sie sollte weder zulasten der öffentlichen Haushalte noch zulasten der kleinen Leute gehen, sondern mit einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage bei den Unternehmensteuern einhergehen.

So wird ein Schuh daraus.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wir brauchen im Steuerrecht Mechanismen, um endlich die Gewinnverlagerung ins Ausland an entscheidender Stelle zu durchbrechen. Wir brauchen eine Stärkung des Mittelstands bei der Eigenkapitalbildung; sie ist die Ursache für die Krisenanfälligkeit der kleineren und mittleren Unternehmen. Außerdem brauchen wir eine Vereinfachung der Gewerbesteuer. Das sind unsere Vorschläge und Ansätze für mehr Gerechtigkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Diese Koalition ist meines Erachtens kraftlos und ziellos - daran ändern all die warmen Worte, die hier gesprochen worden sind, nichts -, weil selbst die großen, angekündigten Reformen noch keine Linie haben und sich widersprechen. Ich nehme als Erstes die Föderalismusreform. Uns wird gesagt, endlich würde klar, wer zuständig ist, und die Bürger wüssten das dann auch. Aber wenn es Ihnen darum geht, dann fangen Sie doch einmal da an, wo Sie es schon könnten, zum Beispiel beim Antidiskriminierungsgesetz. Es ist klar, dass allein der Bund zuständig ist. Zeigen Sie doch, was eine Harke ist, anstatt das Fass aufzumachen, indem Sie auf den Bundesrat zugehen, wo es gar nicht nötig ist!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie können uns die Föderalismusreform doch nicht als klare Trennung verkaufen und hier unnötigerweise ein anderes Verfahren wählen.

   Frau Merkel, Sie haben hier gesagt, welche ungeheuren Entwicklungsmöglichkeiten sich den Schulen eröffneten, wenn man die Verfassung zugunsten der Bundesländer änderte. Aber Sie haben das mit einem Beispiel begründet, das ungeeignet ist, weil man dafür gar nichts ändern müsste. Bei der jetzigen Rechtslage, haben Sie uns erklärt, hat zum Beispiel Sachsen das zwölfjährige Abitur angeschoben und mittlerweile hat auch Bayern davon gelernt. Wozu müssen wir den Bund dann durch diese Verfassungsreform aus der zentralen Aufgabe der Bildungsplanung herauskatapultieren? Das geht doch genau in die falsche Richtung!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

   Bildung ist einer der zentralen Gerechtigkeitspunkte. Ich weiß, dass das gerade den Sozialdemokraten auf der Seele liegt. Bildung, auch eine gute berufliche Ausbildung, ist der Rohstoff der Zukunft. Eine gute Bildung ist das Kapital, das jedes Kind in dieser Republik mitbekommen muss, um seinen Beitrag für die Gestaltung der Gesellschaft leisten zu können, um sich selber entfalten zu können, um das Geld für sein eigenes Leben verdienen zu können. An dieser Stelle dürfen wir kein einziges Kind zurücklassen. Deshalb, sage ich Ihnen, reicht es nicht aus, wenn Sie das Kooperationsverbot im Hinblick auf die Wissenschaft ein bisschen aufheben. Nein, es muss auch in Zukunft möglich sein, dass der Bund mit Finanzspritzen für die Bildung hilft, dass der Bund mit allen Bundesländern gemeinsam kreativ plant, wie die Bildung in diesem Land weiterentwickelt werden soll, für alle Kinder. Das ist ein zentraler Gerechtigkeitspunkt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Nun verstehe ich ja, dass Frau Merkel an dieser Stelle ein besonderes Problem hat: Das Problem heißt Roland Koch.

(Jörg Tauss (SPD): Das ist wahr!)

- Das sagt selbst Herr Tauss. - Frau Merkel, ich verstehe ja, dass Sie dem Prinzip folgen, dass man seine stärksten Gegner immer einbinden sollte. Aber ich finde, es reicht aus, wenn Sie Roland Koch bei der CDU als Vize einbinden - bei der Verfassung sollten Sie als Kanzlerin auf den Tisch hauen und sagen: Da geht es nicht um Parteiinternes, sondern da geht es um die Zukunft der Kinder und deshalb machen wir das so nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Diese Föderalismusreform wird keine Mutter der Reformen, es wird möglicherweise nicht einmal ein blasses Stiefmütterchen.Ich halte die Art und Weise, wie Sie an dieser Stelle vorgehen, für kraftlos, mutlos und ziellos.

   Als Zweites warten wir auf die Gesundheitsreform. Ihre Gesundheitsreform kommt daher wie ein Wolpertinger, obwohl ich glaube, dass das Modell mit dem Fonds, das Sie gerade diskutieren, nicht in Bayern erfunden ist. Für die, die es nicht wissen: Ein Wolpertinger ist ein Fabelwesen, das aus verschiedenen Tieren zusammengesetzt ist. Ich stelle es mir vor als ein Fabelwesen mit einem roten Kopf und einem schwarzen Körper.

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Schaut aus wie Sie, genau wie Sie mit Hörnern! Künast mit Hörnern!)

Niemand weiß genau, was dieser Wolpertinger eigentlich ist und wie gefährlich er ist. So ist es mit Ihrem Modell eines Fonds für die Gesundheitspolitik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Der Fonds ist ja erst einmal nichts anderes. Den kann man ja an sich nicht kritisieren - da haben Sie Recht, Frau Merkel -, weil er ja nichts anderes als eine Hülle ist, die ein wenig der Gesichtswahrung für beide Seiten dient, weil man weder Kopfpauschale noch Bürgerversicherung sagen will. Es kommt jetzt aber darauf an, was darin steckt. Ist das mehr als eine neue Megabehörde, die Gelder einnimmt und dann wieder verteilt? Lösen wir hier irgendein Problem oder werden die gesetzlich Versicherten am Ende nur dreifach abkassiert, indem sie Beiträge zahlen, indem sie das System über Steuern mitfinanzieren und - hier habe ich aufgrund der hohen Belastungen besonders für die AOKler Befürchtungen - eine kleine Kopfpauschale à la Kauder obendrauf finanzieren? Das wäre nicht gerecht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Sie reden wie der Blinde von der Farbe!)

   Wir sagen auch: Die privat Versicherten dürfen nicht unbehelligt bleiben. Man muss mindestens an die Versicherungspflichtgrenze heran. Für uns ist klar - ich versuche jetzt einmal, in Ihrem System zu bleiben -: Eine gute Gesundheitsreform darf nicht einseitig nur zulasten der Versicherten gehen. Es muss mehr Wettbewerb zwischen allen produziert werden, vor allem unter den Ärzten und unter den Apotheken, und die Effizienzpotenziale müssen endlich genutzt werden.

   Lassen Sie mich noch eines dazu sagen: Eine wirklich große Gesundheitsreform braucht ein Präventionsgesetz; denn zwei Drittel der Kosten entstehen durch chronisch-degenerative Erkrankungen, die einer ordentlichen Präventionsarbeit bedürfen und die gerade die sozio-ökonomisch schwachen Schichten belasten. An dieser Stelle sage ich Ihnen: Nur dann, wenn Sie in der Lage sind, dieses Gesamtpaket vorzulegen, erreichen wir eine wirklich gute Umstrukturierung unseres Gesundheitssystems.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Frau Merkel, wenn ich mir andere Politikbereiche anschaue, dann muss ich sagen: Anders als das Team von Klinsmann kommen Sie hier langsam in die gefährliche Zone. Sie haben nämlich lauter Ausfälle in Ihrem Team.

   Der erste Ausfall ist der Wirtschaftsminister.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie heißt der denn?)

Ich kann Ihnen nur sagen: Die Kabarettisten in dieser Republik machen ihn immer nach und müssen gar nicht sagen, wen sie vorführen. Ein großes Gähnen genügt. Diesen Mann hört man immer nur dann, wenn es darum geht, dass man die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängern müsse. Gerüchteweise - ich gebe zu: gerüchteweise - kümmert er sich jetzt auch um Ausbildungsplätze.

   Herr Glos, ich sage Ihnen: Nutzen Sie gleich das Ende der Debatte und gehen Sie dort drüben in die Arena von Adidas. Bezüglich der Ausbildungsquote ist das Unternehmen das absolute Schlusslicht. Sie können dort gleich einmal sagen: Wer hier vor diesem Hohen Hause eine Arena aufbaut, der muss die Mindestanforderung, nämlich eine entsprechende Ausbildungsquote, erfüllen. Hier könnten Sie einmal etwas tun, Herr Glos.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

   Herr Glos, wenn Sie dann noch Zeit haben, dann tun Sie endlich auch einmal etwas für sinkende Strompreise. Wir haben von den Monopolen die Nase voll. Die Netzagentur braucht unsere Unterstützung. Auch dort müssen Sie einfordern, dass die Preise heruntergehen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wenn wir uns die Ausfälle in diesem Kabinett anschauen, dann müssen wir natürlich auch ein Wort zu Herrn Jung sagen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Ein guter Mann!)

Herr Jung ist der Nächste, der in diesem Kabinett offensichtlich überfordert ist.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Sie sind als Sprecherin der Grünen überfordert!)

Er war beim Kongoeinsatz überfordert und beim Thema Weißbuch setzt er jetzt ein heilloses Gemurkse in Gang. Ich sage Ihnen: Wir erwarten, dass diese Strategien zur Sicherheitspolitik in diesem Parlament diskutiert werden und dass wir darüber reden, ob diese Entgrenzung des Verteidigungsbegriffs richtig ist. Nicht jedes Sicherheitsproblem in dieser Welt kann und darf man mit dem Militär lösen. Das muss in einem solchen Papier auch stehen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Die meisten Militäreinsätze in der deutschen Geschichte wurden von Herrn Fischer vorbereitet!)

   Zur Sicherheitspolitik gehören auch Entwicklungspolitik und eine nachhaltige Ressourcenpolitik, damit sich die Länder entwickeln und Arbeitsplätze schaffen können. Auf diese Art und Weise kann und muss man Konflikte entschärfen bzw. gar nicht erst entstehen lassen. Deshalb findet dieses Weißbuch Ihres Herrn Jung unser definitives Nein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Es findet? Wer suchet, der findet!)

Wir erwarten, dass Sie die alltäglichen Sorgen der Menschen ernst nehmen und darauf reagieren.

   Lassen Sie mich an dieser Stelle einige Worte zu Hartz IV sagen. Mich stinkt an, wie Sie hier flächendeckend eine Missbrauchsdebatte organisieren. Das ist abgedroschen und falsch. Es gibt für diesen Missbrauch keine Belege, im Gegenteil.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Die Wahrheit ist, dass die Förderung überhaupt nicht stattfindet. Viele Arbeitslose warten Wochen und Monate auf Eingliederungsgespräche und -vereinbarungen, aber nichts passiert.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das sehen wir genauso wie Sie! Das wird von uns nachhaltigst kritisiert!)

Wir alle miteinander warten auf wirkliche regionale Arbeitsmarktpolitik und den Wettbewerb um die besten Integrationslösungen. Wir warten auf eine Einschränkung bei den 1-Euro-Jobs, weil diese im wahrsten Sinne des Wortes missbraucht werden, um reguläre Arbeitsplätze zu ersetzen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das kritisieren wir genauso wie Sie!)

- Das diskutiere ich gerne auch mit Ihnen, Sie Dauerzwischenrufer. Wir stellen Ihnen gerne unser Progressivmodell vor. Das schafft neue Jobs bei den Niedrigqualifizierten, und zwar ohne Mitnahmeeffekte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Sie, Frau Merkel, haben uns gerade im Blick auf die FDP bei Hartz IV Sand in die Augen gestreut, indem Sie gesagt haben, Sie wollten die Gelder, anders als die FDP, endlich für die Langzeitarbeitslosen einsetzen. Wahr ist: Ihre Fraktion organisiert da wieder Taschenspielertricks. Diese 6,5 Milliarden Euro für aktivierende Maßnahmen wollen Sie nicht entsprechend investieren, sondern Haushaltslöcher damit stopfen. Die Mehrkosten beim ALG II sollen aus den Fördermitteln finanziert werden können. Einer solchen Regelung werden wir nicht zustimmen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Darauf kommt es Gott sei Dank nicht an!)

Dieses Geld gehört den Langzeitarbeitslosen und muss kreativ dafür eingesetzt werden, um ihnen zu helfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Mein letzter Satz

(Volker Kauder (CDU/CSU): Gott sei Dank!)

gilt dem Bundesumweltminister. Die Probleme der Klimafolgen sind von zentraler Bedeutung. Das Wasser steigt immer höher und wird uns irgendwann bis zum Halse stehen. Ich muss Ihnen sagen: Trotz der wunderbaren Rhetorik des Bundesumweltministers steht auch dieser Mann im Verdacht, ein Ausfall zu werden. Reden allein reicht nicht. Zu REACH hat er sich nicht als Ökologe geäußert, sondern war in Brüssel faktisch der Vertreter der Chemielobby. Beim zweiten Nationalen Allokationsplan zum Emissionshandel - das ist das Schlimmste - verteilt er Gratiszertifikate. Der „Tagesspiegel“ vom heutigen Tage titelt zu Recht: Hier wird der Klimaschutz aufgegeben, um die Industrie zu schonen.

   Dann haben Sie noch die Dreistigkeit, anzubieten, einen nationalen Fahrkurs einzuführen. Ich sehe das schon vor mir: Wir alle machen einen Kurs für besseres Autofahren, damit wir vorsichtiger anfahren, um einen Tropfen Sprit einzusparen. Ich halte eine ordentliche Fahrweise für richtig. Aber es ist eine Schildbürgerbotschaft, zu sagen: Wir schonen die Industrie und ersparen ihr Vorschriften zur Reduktion. Mutlos wie Sie sind, trauen Sie sich nicht einmal, die Zertifikate zu versteigern, um endlich Wettbewerb zu erreichen. Stattdessen sollen die Autofahrer an der Ampel nicht so scharf Gas geben. Das ist albern. Das ist keine Klimapolitik. Wenn Sie so weitermachen, Herr Gabriel, haben Sie den Namen „Bundesumweltminister“ nicht verdient.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

   Mit Blick auf den G-8-Gipfel erwarte ich von Ihnen, Frau Merkel, dass Sie dort tatsächlich eine konsistente Energiepolitik machen und dafür sorgen, dass in den nächsten Jahren die G-8-Staaten nicht wie bislang geplant Gelder in Höhe von 17 000 Milliarden US-Dollar - das ist 70 Mal so viel wie der Bundeshaushalt - für Atomkraft und die Erschließung der letzten Öl- und Gasreserven ausgeben. Vielmehr fordere ich Sie auf: Legen Sie ein international abgestimmtes und gutes Konzept vor, das Gelder für Investitionen in erneuerbare Energien, Energieeffizienz und -einsparmaßnahmen vorsieht. Das ist für die Kunden und für die Wirtschaft bei uns wegen der hohen Rohstoffkosten gut. Das schafft am Ende auch Arbeitsplätze. Genau das wollen die Menschen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Mein Fazit dieser sieben Monate der so genannten großen Koalition ist: Viel mehr als den kleinsten gemeinsamen Nenner haben Sie nicht erreicht. Wir stellen unsere Konzepte dagegen. Ich sage Ihnen ganz klar: Finden Sie endlich den Mut und die Kraft, die Dinge anzupacken!

Hören Sie auf, zu lavieren und zu moderieren! Packen Sie die Dinge endlich ernsthaft an, aber machen Sie das gerecht, statt neue Ungerechtigkeiten zu schaffen!

(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Kollege Volker Kauder, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Volker Kauder (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir führen heute die zentrale Debatte über die Frage, wie wir unser Land voranbringen können. Die Regierung hatte dafür ein Konzept. Und sie hat für dieses Konzept einen Bundeshaushalt vorgelegt. Man darf zwar von der Opposition erwarten, dass sie sich mit diesem Konzept und den damit verbundenen Fragen auseinander setzt und ein Gegenmodell vorlegt. Aber gerade für Sie, Frau Künast, gilt: Sie brauchen noch eine erhebliche Zeit in der Opposition, um klarer erkennen zu können, was für unser Land wirklich notwendig ist.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ich habe bei mancher Ihrer Äußerungen in der letzten Zeit - beispielsweise zur Integrationspolitik oder über die Fehler, die in der Vergangenheit gemacht worden sind - gedacht, dass Sie erkannt hätten, dass sich in unserem Land etwas ändern muss. Aber Ihre heutige Rede erreicht nicht das intellektuelle Niveau, das wir brauchen, um Konzepte für unser Land zu entwickeln.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   An die FDP gewandt, möchte ich kurz auf eines hinweisen, Herr Brüderle: Sie haben in diesem Haus und auch auf Veranstaltungen außerhalb festgestellt, dass die von uns beabsichtigte Mehrwertsteuererhöhung nicht in Ordnung sei. Man kann zwar darüber diskutieren, ob Mehrwertsteuererhöhungen ein geeignetes Mittel sind, aber dann muss man auch sagen, welche anderen Mittel zur Verfügung stehen. Wenn man die Ziele im Blick hat - den Haushalt zu konsolidieren,

(Ulrike Flach (FDP): Sparen!)

das Land voranzubringen und vor allem dafür zu sorgen, dass der Weg in den Verschuldungsstaat endlich beendet wird -, dann gibt es dazu aus unserer Sicht keine überzeugende Alternative.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, Herr Brüderle - wenn es nicht so traurig wäre, dann müsste ich insgeheim schmunzeln -: Es ist auch keine Art und Weise der politischen Arbeit, einerseits gegen die Mehrwertsteuererhöhung zu wettern, aber andererseits in den Ländern, in denen Sie mitregieren, die aus dieser Steuererhöhung zu erwartenden Einnahmen bereits in den Haushalt einzustellen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Sie haben die Reden der Opposition gehört. Es lohnt sich nicht, sich weiter damit auseinander zu setzen.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist arrogant!)

   Wir legen heute einen Bundeshaushalt vor, der Teil einer Gesamtstrategie ist, die darauf hinausläuft, unser Land voranzubringen und bessere Chancen für die Menschen in unserem Land zu erwirken. Dieser Bundeshaushalt ist ein Übergangshaushalt von der rot-grünen Bundesregierung zur jetzigen großen Koalition.

   Welche Ausgangslage haben wir denn in der großen Koalition vorgefunden? Als Eröffnungsbilanz haben wir ein strukturelles Defizit von 60 bis 65 Milliarden Euro übernehmen müssen.

(Petra Merkel (Berlin) (SPD): Nicht noch mehr!)

Kann ein vernünftiger Mensch glauben, dass innerhalb von sieben Monaten - diesen Zeitraum hatten wir bisher zur Verfügung - ein so hohes strukturelles Defizit auf null gefahren werden kann, Herr Brüderle? Traumtänzer sind doch Realisten dagegen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Dieser Übergangshaushalt zeigt schon die klare Richtung, dass es mit der Verschuldung eben nicht so weitergeht wie bisher; wir beginnen vielmehr sehr konsequent damit, den Haushalt zu konsolidieren.

   Nun wird mir ständig - auch auf den Hauptversammlungen der verschiedenen Verbände - die Frage gestellt, wo eigentlich gespart worden ist.

(Zurufe von der FDP: Ja! - Richtig!)

   Darauf kann ich nur antworten: Genauso wie ein Blick in das Gesetzbuch die Rechtsfindung erleichtert - das habe ich als Jurastudent schon im ersten Semester gelernt -, erleichtert ein Blick in den vorliegenden Haushaltsentwurf, zu erkennen, welche Strukturen sich bereits verändert haben.

   Ich nenne ein Beispiel - es ist nur eines von vielen -, das belegt, wo wir zu strukturellen Veränderungen gekommen sind und wo wir sparen. So wurden wir ständig - auch von großen Industrieverbänden - aufgefordert, die Eigenheimzulage abzuschaffen, weil dann ein zweistelliger Milliardenbetrag eingespart werden könne. Wir haben die Eigenheimzulage abgeschafft und werden sicherlich einen zweistelligen Milliardenbetrag einsparen, aber nicht schon im Haushalt 2006. Die Herren haben offenbar übersehen, dass es im ersten Jahr nur etwa 250 Millionen sind. Der Weg ist aber richtig.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Jörg Tauss (SPD): Das haben wir immer gesagt!)

   Ich darf daran erinnern - das alles wird sonst nicht gesagt -, dass wir im Zusammenhang mit dem Haushaltsbegleitgesetz Sparmaßnahmen beschlossen haben. Dazu bekennen wir uns und dazu stehen wir, auch wenn es nicht einfach ist; denn diese Maßnahmen sind notwendig. Ich nenne nur die Kürzung der Pendlerpauschale als Beispiel. Glauben Sie bloß nicht, dass uns das leicht gefallen ist! Wenn man aber einen stark ausgabengeprägten Haushaltsplan hat, dann kann man die Ausgaben nicht einfach auf null reduzieren; denn ansonsten fährt man den Staat an die Wand. Schließlich haben wir es mit Menschen zu tun, die einen Teil der infrage stehenden Gelder bekommen und darauf vertrauen. Vielmehr gilt es, zwei Dinge zu tun. Man muss auf der einen Seite die Ausgaben langsam und sozialverträglich zurückfahren und auf der anderen Seite die Einnahmesituation verbessern. Beides tun wir mit dem Haushalt 2006.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kuhn?

Volker Kauder (CDU/CSU):

Ja.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Bitte, Herr Kuhn.

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Kollege, Sie haben beklagt, dass man nicht so schnell die geplanten Milliardenbeträge einsparen könne. Dafür haben Sie um Verständnis geworben. Ist Ihnen eigentlich bekannt, dass die Union spätestens seit 2002 ein riesengroßes Paket von Einsparungsvorschlägen im steuerlichen Subventionsbereich - das gilt auch für die Eigenheimzulage - im Bundesrat systematisch blockiert hat und dass wir uns heute, haushaltstechnisch gesehen, um viele Milliarden besser stünden, wenn Sie diese Blockadepolitik nicht betrieben hätten?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das freut die Genossen!)

Volker Kauder (CDU/CSU):

Herr Kollege Kuhn, es war völlig richtig, dass wir uns damals gegen die Streichung der Eigenheimzulage gewehrt haben; denn wir haben gesehen, dass Ihre Regierung die durch den Wegfall der Eigenheimzulage frei werdenden Mittel nicht zum Einsparen, sondern zum Ausgeben verwenden wollte.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Herr Kuhn, ich sage Ihnen noch eines: Angesichts der Eröffnungsbilanz, die wir vorgefunden haben, wäre es sinnvoller gewesen, wenn Sie soeben geschwiegen hätten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Denn Sie waren im fraglichen Zeitraum nicht sieben Jahre in der Opposition, sondern an der Regierung und sind damit auch für diese Bilanz verantwortlich.

(Beifall bei der CDU/CSU - Petra Merkel (Berlin) (SPD): Wir alle waren daran beteiligt! - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Genossen, ihr müsst klatschen! Das ist euer Partner!)

   Ich habe davon gesprochen, dass der Haushalt 2006 ein Übergangshaushalt ist und dass mit diesem Übergangshaushalt als Teil einer Gesamtstrategie bereits viel erreicht wurde. Wenn ich in den Zeitungen lese, was alles über die Arbeit der großen Koalition gesagt wird, dann habe ich den Eindruck, dass viele meinen, wir seien schon über die Hälfte der Zeit hinaus. Tatsächlich regiert die große Koalition erst sieben Monate. In dieser Zeit wurden bereits große Dinge geleistet und vorangebracht.

(Rainer Brüderle (FDP): Große Schulden!)

- Die Mehrwertsteuererhöhung ist noch nicht einmal erfolgt, Herr Brüderle. Haben Sie das noch nicht mitbekommen? In welcher Realität leben Sie eigentlich?

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Was haben wir erreicht? Wir haben die Haushaltskonsolidierung vorangebracht. Wir haben dafür gesorgt, dass in diesem Land die Investitionen angekurbelt werden. Dafür haben wir ein 25-Milliarden-Programm aufgelegt.

   Sie haben das Stichwort Investitionen genannt. Es gibt Investitionen in unserem Land, die nur die öffentliche Hand tätigen kann. Diese muss die öffentliche Hand auch tätigen. Wir haben einen erheblichen Nachholbedarf bei unserer öffentlichen Infrastruktur, etwa im Straßenbau. Der Straßenbau wird nicht von der privaten Wirtschaft finanziert, sondern von der öffentlichen Hand. Deshalb ist es richtig, dass wir gerade in diesem Bereich Geld in die Hand nehmen, um beim Ausbau der Infrastruktur voranzukommen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ein zentrales Aufgabenfeld unseres Zukunftsprojektes, Deutschland voranzubringen - die Bundeskanzlerin hat es angesprochen -, sind Forschung und Wissenschaft. Auch hier nehmen wir Geld in die Hand. Ich warte darauf, dass die Wirtschaft sagt: An diesem Zukunftsprojekt, Deutschland voranzubringen, beteiligen wir uns im Bereich Wissenschaft und Forschung. Allein können dies die öffentliche Hand und die Bundesregierung nicht schultern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es gibt keinen anderen Bereich, wo ich so viele Möglichkeiten sehe, voranzukommen und neue Chancen zu ermöglichen. Es war früher unsere Stärke, dass infolge qualifizierter Spitzenforschung auch entsprechende Produkte gefertigt wurden. Das hat den hochintelligenten Leuten und denen, die dann produziert haben, Arbeit gegeben. Das müssen wir in unserem Land wieder erreichen. Dafür müssen Blockaden aufgehoben werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wenn wir darüber reden, dass wir Chancen für dieses Land und für die Menschen in diesem Land ermöglichen wollen, reden wir natürlich auch über die junge Generation. Die Bundeskanzlerin hat völlig Recht, wenn sie sagt: Wir müssen dafür sorgen, dass junge Menschen Ausbildungsplätze bekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In diesem Zusammenhang kann ich nur an die Wirtschaft appellieren, junge Menschen einzustellen, sie in Ausbildungsverhältnisse zu übernehmen. Wir tun dies, weil wir Verantwortung dafür tragen, dass junge Menschen in unsere Gesellschaft hineinwachsen können. Ich werde nachher noch einige Sätze zum Thema Integration sagen. Jetzt nur so viel: Wenn junge Menschen keinen guten Start in die Gesellschaft haben, dann tun sie sich auch mit der Integration schwer, egal ob sie Ausländer oder Deutsche sind. Deswegen ist es so wichtig, jungen Menschen Zukunftschancen in diesem Land zu geben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Bei der Frage der Ausbildungsplätze geht es allerdings noch um ein bisschen mehr und das möchte ich der deutschen Wirtschaft sagen. Ich habe den Eindruck, dass das Handwerk in unserem Land dies gut verstanden hat. Es geht darum, ein Ausbildungssystem, das eine gute Mischung aus staatlicher Ausbildung und betrieblicher Ausbildung darstellt, ein Ausbildungssystem, das eben nicht nur „Staat“ heißt, auch für die Zukunft zu erhalten. Dafür, dass dies gelingt, tragen beide Partner Verantwortung: die Wirtschaft und wir. Ich hoffe, dass es gelingt, dieser Verantwortung, die wir für das System und für die jungen Menschen haben, in den nächsten Wochen auch gerecht zu werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Beim Sanieren sind wir auf dem Weg. Wir haben gesagt, dass wir den Haushalt 2007 so gestalten werden, dass nicht nur die Maastrichtkriterien erfüllt sind, sondern dass auch die Grenze des Art. 115 Grundgesetz eingehalten wird. Das ist ein ambitionierter Anspruch. Damit tun sich viele Länder, auch Länder, in denen die FDP an der Regierung beteiligt ist, sehr schwer. Diesen Anspruch zu erfüllen, bedarf der ganzen Kraft. Wir werden den Bundesfinanzminister auf diesem Weg unterstützen. Der Haushaltsentwurf wird noch in diesem Jahr vorgelegt. Ich kann Sie nur ermuntern, Herr Bundesfinanzminister: Bleiben Sie hart! Wir stehen an Ihrer Seite.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD - Zurufe von der FDP: Oh!)

Sanieren, investieren, reformieren: Über die Reformaufgaben, die sich uns stellen, hat die Bundeskanzlerin bereits gesprochen. Da kann ich nur sagen: Wir haben in der Koalitionsvereinbarung der großen Koalition ganz genau festgelegt, wann wir welche Reform auf den Weg bringen. Wenn die Damen und Herren in den großen Hauptversammlungen, die im Augenblick stattfinden, fragen, was bisher passiert ist und was wir auf den Weg gebracht haben, dann kann ich nur sagen: Wir haben Ihnen versprochen, dass es bis zum 1. Januar 2007 eine Reform des Gesundheitssystems geben wird und dass wir dann die Unternehmensteuerreform beschlossen haben werden, sodass Sie planen können. Nach meiner Kenntnis haben wir jetzt aber noch nicht den 1. Januar 2007, sondern gerade einmal Juni 2006.

   Ich kann nur sagen: Wir werden unsere Zusagen einhalten. Alle überzogene Kritik, die jetzt erfolgt, ist wenig hilfreich und überhaupt nicht überzeugend.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Zum Thema Gesundheitsreform hat die Bundeskanzlerin alles gesagt.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Nichts hat sie gesagt!)

   Bei der Unternehmensteuerreform sind wir gerade dabei, die Eckpunkte zu formulieren. Wir werden dafür sorgen müssen, dass wir eine Unternehmensteuerreform durchführen, die die Kapital- und Personengesellschaften, insbesondere den Mittelstand, das Rückgrat unserer deutschen Wirtschaft, in gleicher Weise entlastet und gleiche Situationen schafft.

   Ich weiß, wie schwer es ist, die Gewerbesteuer zu verändern. Auch die Kommunen haben keine leichte Finanzsituation. Im Augenblick sprudeln die Gewerbesteuereinnahmen, was übrigens auch ein Zeichen dafür ist, dass sich in unserem Land etwas bewegt. Wenn wir an diesem Punkt Probleme haben, dann können wir die Gewerbesteuer nicht weiter ausbauen und verfestigen; dann können wir nicht viel verändern. Aber eine Gewerbesteuer aufzubauen, die wieder Elemente der Substanzbesteuerung enthält, nachdem wir die Gewerbekapitalsteuer gerade abgeschafft haben, ist nicht der Weg, den wir von der Union uns vorstellen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Zur Gesundheitsreform - Herr Kollege Scholz hat sie angesprochen -: Wir, auch der Kollege Struck, wissen, dass wir hier eine gute Arbeit abliefern müssen, und das werden wir auch tun. Alle können sich darauf verlassen, dass wir hier zu einem guten Ergebnis kommen. Natürlich diskutieren wir offen miteinander darüber, welchen Beitrag jeder in diesem System leisten muss. Wir brauchen - ich bin froh, dass wir hier dieselbe Überzeugung haben - mehr Wettbewerb im System. Dann - das sage ich schon jetzt voraus - wird es auch nach der Reform eine private Krankenversicherung als Vollversicherung geben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Meine Damen und Herren, die Föderalismusreform ist angesprochen worden. Ich bin sicher, dass die große Koalition auch bei diesem Thema ihre Reformfähigkeit beweisen wird. Aber hier habe ich eine Bitte, Frau Bundeskanzlerin. Die Föderalismusreform zeigt, dass es notwendig ist, klar zu machen, welche Ebene was regeln muss, damit die Transparenz gesichert ist. Sie, Frau Bundeskanzlerin, werden im ersten Halbjahr 2007 die EU-Präsidentschaft führen. Große Projekte stehen an. Man weiß, wie schwer die Aufgabe sein wird. Wir von der Union haben die herzliche Bitte, dass Sie das Thema Subsidiarität während dieser Präsidentschaft erneut ansprechen. Europa muss verstehen, dass es große Aufgaben zu bewältigen hat, die der Nationalstaat allein nicht bewältigen kann. Ich denke beispielsweise an die Energiepolitik - ein großes Feld, wie man an der derzeitigen Entwicklung der Gaspreise sieht -, ich denke aber auch an die Außenpolitik und die Sicherheitspolitik. Aber es gibt Felder, um die sich Europa heute kümmert, um die es sich aber nach dem Prinzip der Subsidiarität nicht zu kümmern bräuchte und nicht kümmern dürfte. Ich bitte Sie, das zum Thema zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wir wollen, dass Europa auch in den Köpfen der Menschen wieder ein Zukunftsmotor wird. Wir wollen an dem Satz festhalten können: Deutschland ist unsere Heimat, Europa unsere Zukunft. Dazu gehört aber auch, dass man das Gefühl der Menschen ernst nimmt, die den Eindruck haben, dass die Europäische Union in der letzten Zeit zu schnell gewachsen ist und wir zu wenig getan haben, um Europa intern zusammenzuführen. Auch da bitte ich Sie, diesen Aspekt während der europäischen Ratspräsidentschaft einzubringen und zu berücksichtigen.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, jenseits aller Wirtschaftsfragen, aller Haushaltsfragen und aller Finanzfragen gibt es Themen in unserer Gesellschaft, die die Menschen bewegen und die wir ernst nehmen müssen. Das ist zum Beispiel das Thema der Integration. Wir erleben im Augenblick ein Land, das nicht schöner zeigen könnte, wie weltoffen es ist und wie wir mit Gästen in unserem Land umgehen. Ich bin stolz darauf, was zurzeit in diesem Land abläuft.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Viele Ausländer, die hierher kommen, sagen: Wir haben gar nicht erwartet, dass wir so offen aufgenommen werden. Auch von einer Dienstleistungswüste ist nichts zu spüren. Bis morgens um 3 Uhr werden die Menschen überall bedient.

(Lachen und Zurufe von der FDP)

- Wenn Sie einen Beitrag dazu geleistet haben, dann seien Sie froh. Sie müssten mir aber noch sagen, welchen.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das wissen Sie ganz genau!)

- Darüber können wir nachher reden. - Es herrscht also eine super Stimmung in diesem Land.

   Ich sage Ihnen aber: Wir müssen uns mit der Integration beschäftigen. Deswegen bin ich der Bundeskanzlerin dankbar dafür, dass sie unsere Initiative aufgegriffen hat, einen Integrationsgipfel durchzuführen. Auf diesem Integrationsgipfel müssen natürlich die Themen Bildung und Sprache angesprochen werden; denn Bildung und Sprache sind die entscheidenden Voraussetzungen dafür, dass die Menschen Anteil an der Entwicklung unserer Gesellschaft nehmen können. Ich bin aber auch der Meinung, dass auf diesem Integrationsgipfel deutlich gemacht werden muss, dass es um Fördern und Fordern gehen muss, dass Integration nicht nur eine Einbahnstraße im Hinblick auf das Angebot unsererseits sein kann, sondern dass es auch eine Annahme dieses Angebots geben muss. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Angebote auch angenommen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Zu diesem Integrationsgipfel gehört nach meiner Überzeugung auch, dass wir das Ausländerrecht daraufhin überprüfen, wo die aktuellen Bestimmungen Integration erschweren. Diese müssen wir dahin gehend ändern, dass sie die Integration erleichtern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Addicks?

Volker Kauder (CDU/CSU):

Ich bin in meiner Redezeit schon sehr knapp und will die Redezeit meiner Kollegen, die noch sprechen werden, nicht verkürzen.

(Lachen bei der FDP)

   Zu den derzeitigen großen Problemen und den Handlungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten sage ich: Diese große Koalition macht ihre Aufgabe richtig. Wir sollten von der Stimmung der Fußballweltmeisterschaft etwas mitnehmen. Olaf Scholz hat gesagt: „you’ll never walk alone“. Ich sage, es gilt auch ein anderer Satz, der deutlich macht, was die Deutschen in diesem Tagen vorleben: „Steh auf, wenn du ein Deutscher bist! Nimm die Sache in die Hand und bring das Land voran!“

   Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU - Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Kollege Dr. Guido Westerwelle, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Guido Westerwelle (FDP):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will an das anknüpfen, was Herr Kollege Kauder am Schluss seiner Rede gesagt hat; ich glaube, das verbindet uns. Ich bin kein großer Fußballspezialist, wie alle Redner vorher es augenscheinlich sind.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kein Neid!)

Deswegen kann ich auch keine Vergleiche anstellen. Aber ich finde, Sie haben am Schluss Ihrer Rede eine kluge Bemerkung gemacht. Sie haben dargestellt, welche Stimmung derzeit in diesem Land herrscht. Nach diesem großen Erfolg gestern und nachdem man gesehen hat, wie bis tief in die Nacht auf den Straßen deutsche Fahnen geschwenkt wurden, möchte ich an das Wort erinnern, das der Präsident des Deutschen Bundestages gestern zur Eröffnung der Haushaltsdebatte gewählt hat: Das ist ein fröhlicher Patriotismus.

   Ich möchte das jetzt in einen Zusammenhang mit dem stellen, was wir von Gewerkschaftsfunktionären der GEW lesen durften,

(Zurufe von der CDU/CSU: Ja!)

nämlich dass, wenn man die deutsche Nationalhymne singe, man ein furchtbares Loblied singe. Heute habe ich gelesen, dass die Jugendorganisation der PDS der Überzeugung ist, dass die schwarz-rot-goldene Fahne für Ausgrenzung stehe.

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! - Pfui!)

Ich empfinde es als eine wunderbare Freude, dass sich unsere Bürger von solchen linken Dämlichkeiten nicht beeindrucken lassen.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

   Ich glaube, was hier stattfindet, wird uns noch lange beschäftigen. Bis vor wenigen Monaten haben wir es ja noch erlebt, dass Bundesminister beim Singen der Nationalhymne die Zähne nicht auseinander gekriegt haben, geschweige denn die Hände aus den Hosentaschen. Da hat sich einfach etwas zum Guten gewendet. Das ist aufgeklärter Patriotismus; das ist ein europäischer Patriotismus, der uns Deutschen auch gut tut. Das sind Weltoffenheit und Toleranz.

   Das ist das Einzige, was ich kommentierend zur Fußballweltmeisterschaft sagen möchte.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Weiter so!)

   Ich möchte gern an das anknüpfen, was die Bundeskanzlerin, die sich ja überraschend früh zu Wort gemeldet hat, am Anfang der Debatte vorgetragen hat. Sie, Frau Bundeskanzlerin, sprachen von einer „begrenzten Steuererhöhung“. Das ist ja, höflich formuliert, ein Akt der babylonischen Sprachverwirrung. Man könnte es auch Veräppelung nennen. Mir würden im Herrenkreise auch andere Bemerkungen einfallen, die ich nicht sagen darf, weil mich die Bundestagspräsidentin dann zu Recht rügen würde. Bei der größten Steuererhöhung seit Gründung der Republik von einer „begrenzten Steuererhöhung“ zu sprechen, ist eine schlichte Unverschämtheit.

(Beifall bei der FDP)

   Es ist ja beeindruckend, dass - gestern von Herrn Kampeter, heute von der Bundeskanzlerin und eben übrigens auch von Herrn Kollegen Kauder - in Richtung meiner Fraktion gesagt worden ist: Die Regierungsparteien haben das große Ganze im Blick und die Oppositionsparteien haben ja nur ihr kleines Partikularinteresse im Kopf.

(Dr. Peter Struck (SPD): Ja, genau!)

   Dazu fällt mir ein: Arroganz der Macht ist das eine, große Koalition heißt große Arroganz der Macht das andere. Denn jeder Abgeordnete ist dem ganzen deutschen Volk verpflichtet. Wenn Sie nun behaupten, dass wir nur einige wenige im Kopfe hätten und Sie für Deutschland zuständig seien, so verwechseln Sie das mit der Geisteshaltung eines absolutistischen Staates.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der Staat sind nicht Sie; Sie sind die Regierung. Die werden wir auch weiterhin kritisieren.

   Um das auf den Punkt zu bringen: Der FDP die Regierungsfähigkeit abzusprechen, hat etwas Drolliges, wenn es aus den Reihen der Union kommt. Wir regieren ja in den drei großen Bundesländern zusammen fast die Hälfte der gesamten bundesrepublikanischen Bevölkerung; 36 Millionen Menschen werden von uns gemeinsam in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Niedersachsen regiert. Herr Kollege Kauder, da in Ihrem Heimatland Schwarz-Gelb an der Regierung ist und in meinem Heimatland Schwarz-Gelb an der Regierung ist, wissen wir beide: Man kann Deutschland auch anders regieren als mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner der großen Koalition.

(Beifall bei der FDP - Volker Kauder (CDU/CSU): Aber bei starker Führung der CDU!)

   Schließlich möchte ich auch noch an das anknüpfen, was von Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, zu Beginn der Debatte eingeführt worden ist. Ich will Sie in diesem Zusammenhang einfach daran erinnern, was Sie am 30. November des letzten Jahres in Ihrer Regierungserklärung ausgerufen haben. Da waren Sie noch mutig; da haben Sie gesagt: „Lassen Sie uns mehr Freiheit wagen!“ Ich erinnere mich noch daran, dass meine Fraktion Ihnen an dieser Stelle, obwohl wir ja Opposition sind, Beifall gespendet hat, weil dieser Satz auch unserer Haltung entspricht. Jetzt sind Sie etwas mehr als ein halbes Jahr im Amt, je nachdem, wie man rechnet. Eines stellen wir jetzt fest: Seitdem Sie regieren, Frau Bundeskanzlerin, hat Ihre Regierung nicht mehr Freiheit gewagt.

Sie haben den Bürgern mehr Unfreiheit gebracht.

(Beifall bei der FDP - Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!)

   Sie haben in den wenigen Monaten Ihrer Regierungszeit die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Republik beschlossen. Sie haben die größten Schulden - darüber reden wir in dieser Woche - in Höhe von fast 40 Milliarden Euro aufgenommen. Sie haben - entgegen allen Bekundungen gegen das Antidiskriminierungsgesetz, die es vor der Wahl gab - beschlossen, die Bürokratie auszuweiten.

(Jörg Tauss (SPD): Oh!)

Jetzt haben Sie sich auf den Weg gemacht, einen Kassensozialismus in der Gesundheitspolitik durchzusetzen

(Beifall bei der FDP - Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

mithilfe von Fonds, mit enteignungsgleichen Eingriffen bei den privat Versicherten, mit Steuererhöhungen, mit mehr Bürokratie, mehr Schulden und Abkassieren. Das ist mehr Unfreiheit und nicht „mehr Freiheit wagen“, was Sie uns in diesem Hohen Hause versprochen haben.

(Beifall bei der FDP - Petra Merkel (Berlin) (SPD): Wir sind hier doch nicht im Bierzelt!)

   Ich finde es sehr interessant, wie sehr Ihre jetzige Politik mit dem kontrastiert, was noch bis zur Bundestagswahl von uns gemeinsam vertreten worden ist. Lieber Herr Kollege Scholz, einige Ihrer Ausführungen fand ich zwar bemerkenswert; darauf kann ich gleich noch eingehen. Dass aber ein Sozialdemokrat in dieser Debatte die FDP kritisiert, weil wir das sagen, was Sie selber bis zum Wahltag immer gesagt haben, nämlich dass eine Mehrwertsteuererhöhung Arbeitsplätze kostet, ist wirklich eine Form von Schizophrenie, die Ihnen keiner durchgehen lässt, Herr Kollege Scholz.

(Beifall bei der FDP und der LINKEN)

   Jetzt wollen wir einmal Folgendes festhalten. Sie gehen mit dem größten Wahlbetrug der letzten Jahre an die Öffentlichkeit. Sie sagen, das sei gar nicht anders möglich. Von der Frau Bundeskanzlerin konnten wir gestern hören - wir beide hatten die Ehre, auf der Veranstaltung des BDI zu sprechen -, Deutschland sei ein Sanierungsfall. Dabei haben Sie überrascht getan. Entschuldigen Sie, Frau Bundeskanzlerin, aber das war doch die Ausgangslage, warum die CDU-Vorsitzende Angela Merkel, der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber und meine Wenigkeit seinerzeit auf einem Wechselgipfel ein Programm mit niedrigeren, einfacheren und gerechteren Steuern, Abbau von Bürokratie, Liberalisierung des Arbeitsrechts sowie Schwerpunktsetzung auf neue Technologien und Forschung verabredet haben. Nichts von dem, was Angela Merkel in der Opposition an hehren Zielen gehabt hat, ist auf der Regierungsbank gelandet. Das empfinde ich als Enttäuschung.

(Beifall bei der FDP - Zurufe von der SPD: Er macht immer noch „Wunden lecken“! - Immer nur rückwärts gewandt!)

   Wir haben gestern gehört, dass der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Herr Kollege Poß, eine, wie ich finde, geradezu unverschämte Beschimpfung des Herrn Bundespräsidenten vorgenommen hat.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Jörg Tauss (SPD): „Schizophrenie“ war gerade höflich, oder?)

Das Allermindeste, das man in dieser Debatte erwarten darf, ist, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie den Herrn Bundespräsidenten, den wir übrigens einmal gemeinsam gewählt haben, vor diesen Beschimpfungen aus den Reihen der Koalition hier öffentlich in Schutz nehmen.

(Beifall bei der FDP - Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)

Koalitionsfrieden ist das eine. Unser Staatsoberhaupt ist aber ein Verfassungsorgan. Daher gehören sich solche Entgleisungen nicht. Wenn es sich um eine andere Person handeln würde, dann würden Sie es genauso sehen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

   Deutschland ist ein Sanierungsfall. Das ist der Ausgangspunkt Ihrer Analyse. Ich glaube, da wird Ihnen mittlerweile jeder in diesem Hause zustimmen. Die Entzückung der Sozialdemokraten bei Ihren Ausführungen, wessen Schuld dies ist, war mit den Händen greifbar.

(Vorsitz: Präsident Dr. Norbert Lammert)

Aber schauen wir nach vorne und denken über die Frage nach, wie man dieses Problem Sanierungsfall Deutschland angehen soll. Das kann auf zwei Wegen geschehen. Der eine Weg ist der, den Sie mittlerweile gewählt haben. Sie setzen in Wahrheit auf mehr Staat und mehr Staatswirtschaft. Dabei kommt folgender Konstruktionsfehler einer großen Koalition zum Tragen: In einer großen Koalition haben nämlich die „Sozialdemokraten“ beider großen Parteien die strukturelle Mehrheit. Daraus ergibt sich der eigentliche Fehler, dass niemand mehr darauf achtet, dass Kompromisse in Richtung mehr Freiheit, mehr Eigenverantwortung und in Richtung „Privat kommt vor dem Staat“ gezogen werden. Das ist es, was in Wahrheit fehlt.

   Vor diesem Hintergrund können Sie, Frau Bundeskanzlerin, nicht sagen, die Opposition habe keine Alternativvorschläge. Jedes Mal fragen Sie hier rhetorisch für die Bürger, die uns zuschauen: Wo sind denn eure Alternativen? Wir würden sie prüfen. - Was Sie dabei verschweigen, ist, dass wir in all den unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagenden Ausschüssen, bei denen keine Fernsehkameras zugegen sind und somit auch niemand zuschauen kann, die Umsetzung unserer Alternativvorschläge beantragt haben und diese dort auch ausführlicher dargestellt haben, als wir es hier aufgrund der geringen Redezeit als Oppositionspartei machen können. Wir haben 500 Anträge im Haushaltsausschuss gestellt. Sie sagen, das seien alles Kürzungsanträge, die aus Ihrer Sicht nicht seriös seien. Das müsste ich im Rahmen des politischen Meinungsstreites so stehen lassen. Aber dass Sie auch die über 70 Anträge zum Haushalt mit einem Einsparvolumen von mehreren Milliarden, die wir in den Ausschüssen gestellt haben und die bis hin zu den Formulierungen dem entsprechen, was die Union in den letzten Jahren als Opposition im Haushaltsausschuss beantragt hat, abgelehnt haben, zeigt, dass bei Ihnen der Verstand in Wahrheit durch die Koalitionsräson dominiert wird. Das ist schlecht für Deutschland, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Sie wissen das und deswegen genieren Sie sich dafür ja auch.

   Wo ist die CSU geblieben? Sie hatte einmal im Zusammenhang mit der Kandidatur von Strauß plakatiert - als junger Student bin ich, wie es sich gehört, heftig dagegen angegangen -: Freiheit statt Sozialismus! Dieses Plakat wird eines Tages einmal gegen Sie herausgeholt.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP - Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Sie haben schon vieles herausgeholt!)

Das wird passieren.

   Nein, wir haben etwas anderes gewollt. Lassen wir einmal das Geplänkel weg und konzentrieren uns auf die Sache. Ich will Ihnen einmal ein paar Beispiele nennen:

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Ein bisschen mehr hätten Sie schon zur CSU sagen können!)

   Sie, Herr Kollege Steinbrück, haben gestern in der Einbringungsrede zum Haushalt einen meiner Meinung nach ganz wichtigen Punkt angesprochen, der es auch wert wäre, hier im Bundestag besprochen zu werden. Sie forderten, den Staat nicht schlecht zu machen, und kritisierten, eine Allianz aus Opposition und Boulevardpresse - so haben Sie es sinngemäß formuliert - vergreife sich an dem Ansehen des Staates, weil sie von dem gefräßigen Steuerstaat spreche.

(Jörg Tauss (SPD): Das tut die FDP!)

Ich sage Ihnen, lieber Herr Finanzminister, das ist aus meiner Sicht zu kurz gegriffen. Wir werden als Opposition auch in Zukunft - das stellt die kontinuierliche Linie unserer Politik dar - jede Steuererhöhungspolitik kritisieren. In den letzten Jahren haben wir nämlich die Erfahrung gemacht, dass Steuererhöhungen nie dazu geführt haben, dass die Staatsfinanzen in Ordnung kamen. Die Staatsfinanzen kommen nur in Ordnung, wenn Arbeitsplätze entstehen. Also muss alles unterlassen werden, was Arbeitsplätze kostet. Weil Steuererhöhungen dramatisch viele Arbeitsplätze kosten, muss man sie lassen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP - Zuruf der Abg. Petra Merkel (Berlin) (SPD))

   Ich nenne Ihnen nun ein paar Unsinnigkeiten in Ihrem Haushalt, für die Sie die Verantwortung tragen. Wenn ich das tue, ist das keine Kritik am Staat, die man verurteilen müsste. Nein, wir wollen einfach diese Ausgaben nicht. Sie wollen diese Ausgaben aus politischen Gründen; das ist Ihr gutes Recht. Sie haben eine große Mehrheit in diesem Hause und können es auch beschließen. Aber es muss erlaubt sein, dass wir als Opposition bestimmte Einzelpunkte aufgreifen und angreifen.

(Zuruf von der SPD: Das ist doch keine Frage!)

   Als Beispiel nenne ich die Tatsache, dass wir immer noch Entwicklungshilfe an China zahlen. Wir haben im Haushaltsausschuss die Streichung dieser Hilfen beantragt und hätten uns mit Ihnen auch über Übergangsfristen und darüber, wie man dabei vorgehen kann, verständigen können. Tatsache ist, China ist mittlerweile unser wichtigster Handelspartner in Asien. Es ist die drittgrößte Handelsnation der Welt. Wir aber geben hunderte Millionen Entwicklungshilfe an China.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): 70 Millionen! - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Die Zahlen müssen stimmen!)

Die bauen den Transrapid und steigen in die Weltraumindustrie ein. Wir aber geben einem unserer stärksten Konkurrenten Entwicklungshilfe. Das ist Denken von gestern. Hier handelt es sich um einen Wettbewerber, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

   Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass sich die Entwicklungshilfe für China in den letzten drei Jahren auf etwa 200 Millionen Euro belaufen hat. Sie haben dazwischengerufen, es seien nur 70 Millionen. Das gilt nur für einen Ansatz. Insgesamt haben wir in den letzten Jahren etwa 2,8 Milliarden Euro Entwicklungshilfe an China gezahlt. Man kann natürlich so weitermachen. Man kann es auch ändern. Wir sind der Meinung, man sollte es ändern.

(Beifall bei der FDP)

Sie sind der Meinung, man solle es so lassen. Verantworten Sie das gegenüber der Bevölkerung. Wir vertreten eine andere Meinung. Deswegen sind wir nicht schlechtere Deutsche, Herr Finanzminister. Das möchte ich an dieser Stelle klar sagen.

(Beifall bei der FDP)

   Ich will auf einen weiteren Punkt eingehen. Sie sagen ja, Sie würden jetzt die Staatsfinanzen konsolidieren. Tatsache ist, Sie erhöhen die Steuern wie keine Regierung zuvor, und Tatsache ist, dass Sie das nicht zugunsten der jungen Generation tun nach dem Motto: Dann machen wir weniger Schulden. Sie machen beides. Auch die Nettokreditaufnahme ist so hoch wie nie zuvor: fast 40 Milliarden Euro. Das hat es noch nicht gegeben. Große Koalition, große Schuldenmacherei - das ist es, worüber wir hier reden müssten.

(Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Nein,1996 waren Sie dabei, Herr Westerwelle! 41 Milliarden!)

   Was bedeutet Ihre Politik für die Familien? Sie rühmen sich ja so wegen des Elterngelds. Niemand ist dagegen, dass Familienpolitik gemacht wird. Die Frage ist nur, wie sie gemacht wird. Als staatliche Bevormundung? Eigentlich müsste dem Staat jedes Kind gleich viel wert sein. Das ist immer die klassische Haltung dieses Hohen Hauses gewesen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Und das von der FDP!)

Sie machen jetzt etwas ganz anderes. Sie sagen: Es bekommt Geld, wer das Familienmodell der Regierung in der Erziehung verfolgt. Wir sagen: weniger Bevormundung wäre besser. Das ist auch eine intelligente Familienpolitik.

(Beifall bei der FDP)

   Was tun Sie stattdessen im Familienbereich? Ich möchte in der Öffentlichkeit noch einmal Zahlen nennen: Eine Familie mit einem Durchschnittseinkommen von 40 000 Euro wird nur durch die Beschlüsse der letzten Wochen eine Mehrbelastung in Höhe von 1 600 Euro im Jahr haben.

(Jürgen Koppelin (FDP): Leider wahr!)

Ich möchte auch einmal erwähnen, was das für das Handwerk und den Handel bedeutet, weil Sie sich darüber wundern, dass im Augenblick so viel gekauft wird. Das ist doch kein Wunder. Viele Leute wollen der Mehrwertsteuererhöhung entgehen, von der sie wissen, dass sie im nächsten Jahr kommt. Die Käufe werden vorgezogen. Umso leerer werden die Auftragsbücher in den ersten beiden Quartalen des Jahres 2007 sein. Das sagen Ihnen der Bundesbankpräsident, die FDP und die Wirtschaftsinstitute. Sie wollen es aber nicht hören und beschimpfen stattdessen die Opposition.

   Ich möchte ein Beispiel anführen: Eine Familie will einen Golf zu einem Preis von - das ist geschätzt - 20 000 Euro kaufen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das ist eine schmale Ausgabe!)

- Ja, Herr Kampeter, das ist die schmale Ausgabe; ich bin sicher, dass Sie die nicht fahren.

(Heiterkeit bei der FDP)

Es gibt aber Familien, die weniger verdienen als ein Abgeordneter. - Diese Familie wird nur durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer 600 Euro mehr zahlen. Dieses Geld nehmen Sie den Bürgern. 600 Euro, sechs Hundert-Euro-Scheine, mehr, wenn man sich ein Auto kauft, nur weil Sie nicht in der Lage sind, strukturelle Reformen des Haushaltes zu bewirken. Ich finde, das ist ein unanständiges Abkassieren der Bürgerinnen und Bürger. Das hat mit wirtschaftlicher Vernunft und sozialer Gerechtigkeit nichts zu tun.

(Beifall bei der FDP)

   Herr Kollege Scholz, ich muss auch auf dieses Thema eingehen, weil Sie es angesprochen haben: Thema Steuern. Wir haben ein Konzept dazu vorgelegt. Es fehlt mir die Zeit, es als Oppositionsabgeordneter vortragen zu können. Ich kann nicht wie Regierungsmitglieder beliebig lange reden. Wir haben entsprechende Konzepte im Haushaltsausschuss eingebracht.

   Nun aber zum Thema Bürokratie. Dass die Union gegen das Antidiskriminierungsgesetz gewesen ist, wissen alle. Aber bei allem Respekt, Herr Kollege Scholz, wie kann man den Satz formulieren: Habt ihr etwas für die Diskriminierung übrig? - Wenn es jemanden - auch im Rahmen der heutigen Debatte - gibt, der sich ganz persönlich mit Sicherheit immer gegen die Diskriminierung von Minderheiten aussprechen wird, dann bin ich es. Ich glaube, dass Sie mit diesem Antidiskriminierungsgesetz Minderheiten in Wahrheit nicht schützen, sondern ihnen schaden.

(Beifall bei der FDP)

Mit dieser Bürokratie und der Klagewelle von Opferverbänden gegen den Willen des angeblich Diskriminierten werden Sie denen, die Sie schützen wollen, nur schaden. Es ist in Wahrheit ein minderheitenschädliches Gesetz, das Sie hier beschließen.

   Lassen Sie uns darüber sprechen, wie bisher darüber gedacht worden ist. Die Bemerkungen von Frau Merkel im Bundestagswahlkampf waren hinreichend bekannt. Wir haben doch einmal gemeinsam das Antidiskriminierungsgesetz verhindert, weil wir es für zu bürokratisch hielten. Da Sie der FDP Vorwürfe gemacht haben, zitiere ich einige Aussagen. Schily: Die Rücknahme des Antidiskriminierungsgesetzes wäre ein echter Beitrag zum Bürokratieabbau. - Das sagte er im März letzten Jahres.

(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin (FDP))

Clement: Ich sehe das genauso wie der Kollege Schily. - Steinbrück: Das Antidiskriminierungsgesetz in seiner jetzigen Konzeption ist eine zusätzliche Belastung für die Wirtschaft. Deshalb würde ich im Bundesrat diesem Gesetz nicht zustimmen. -

(Beifall bei der FDP)

Platzeck: Wir sind ein völlig verriegeltes Völkchen geworden. Was Deutschland wirklich nicht mehr gebrauchen kann, ist, auf Brüssel noch irgendwo einen Punkt draufzulegen. - Herr Ude, SPD-Oberbürgermeister in München: Da haben sich Gutmenschen ausgetobt. - Schöner hätte ich das gar nicht formulieren können.

(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin (FDP))

Herr Beck, ich meine den großen Beck, den SPD-Vorsitzenden Beck,

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie groß ist er denn?)

den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck, der damals zugleich stellvertretender SPD-Chef war, sprach sich dafür aus, gesetzlich nur das zu regeln, was die EU-Richtlinien zwingend vorgeben. Eigentlich waren wir uns doch einig! Entsprechend sah auch Ihre Regierungserklärung aus. Die EU-Richtlinie sollte eins zu eins umgesetzt werden. Wenn Sie jetzt Bürokratie draufsatteln, dann kritisieren Sie die FDP nicht dafür, dass sie das anprangert!

(Beifall bei der FDP)

   Weil Sie, Frau Bundeskanzlerin, gerade ganz Wichtiges mit dem Bundesumweltminister zu besprechen hatten, komme ich auf eine Sache ganz kurz zu sprechen. Es ist erstaunlich, wofür die Regierung Geld hat, zum Beispiel für eine Broschüre gegen die Kernkraft. Die hat jeder Zeitung beigelegen. Die kostete Geld, Tausende, vielleicht sogar Hunderttausende.

(Zurufe von der SPD: Millionen! - Dr. Peter Struck (SPD): Milliarden!)

- Nach sozialdemokratischer Rechnung wären das Milliarden. Das ist wahr. - Da stehen Sie, meine Damen und Herren, fröhlich beieinander. Herr Gabriel, der Umweltminister, schreibt, wie klasse es sei, dass man aus der Kernkraft aussteige,

(Jörg Tauss (SPD): Da hat er Recht!)

wie notwendig das sei und dass die SPD schon seit Jahren dafür sei.

(Beifall bei der SPD)

- Und die SPD klatscht. - Drei Tage später spricht unsere Bundeskanzlerin auf der Hannover-Messe und sagt: Wissen Sie, ich glaube, wenn man den Klimaschutz wirklich ernst nimmt, dann kann man auf die Kernkraft nicht verzichten. -

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Was gilt denn jetzt in dieser Regierung?

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Das, was die Kanzlerin sagt!)

Gabriel grinst sich einen, was ich aus seiner Sicht verstehen kann. Das Mindeste, was man erwarten kann, ist, dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, dafür sorgen, dass Sie wenigstens in Ihrer Öffentlichkeitsarbeit mit Rücksicht auf das Portemonnaie der Steuerzahler eine einheitliche Haltung vertreten. Das ist das Mindeste, was man von Ihnen erwarten kann.

(Beifall bei der FDP)

   Ich will mit einer Bemerkung zur Gesundheitspolitik schließen. Es war eine brillante Verkleisterung, Herr Kollege Kauder, die Sie uns geboten haben. Das zeigt, dass Sie ein sehr guter Redner sind. Es war toll, wie Sie das hier gemacht haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Fraktionsvorsitzender, das war toll und beeindruckend. Respekt gegenüber Ihrer Professionalität zolle ich Ihnen immer, auch wenn Sie Unfug machen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Habe ich was falsch gemacht?)

Aber Sie, Herr Kauder, stellen sich hier hin und sagen, die Bundeskanzlerin habe zum Thema Gesundheit alles gesagt. Nichts hat sie gesagt.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Wo waren Sie denn?)

Sie hat gar nichts gesagt, was irgendwie Substanz gehabt hätte.

(Beifall bei der FDP - Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Das haben Sie nicht verstanden!)

Sie sagte: Vor dem Sommer werden wir das alles noch lösen. Da gehen wir heran. - In Wahrheit haben die Zeitungen längst die Papiere. Oder wollen Sie sagen, dass die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrer heutigen Ausgabe lügt? Gibt es dieses Papier oder gibt es das nicht? Ist das eine Regierungsausarbeitung oder lügt etwa die „Süddeutsche Zeitung“? Sie hätten die Gelegenheit wahrnehmen können, etwas dazu zu sagen.

(Beifall bei der FDP)

Nach den Plänen, die wir bisher kennen, wissen wir nur eines: Nach der größten Steuererhöhung, dem Ausbau von Bürokratie und der größten Verschuldung kommt jetzt in der Gesundheitspolitik noch einmal ein tiefer Griff in die Tasche der Bürger auf uns zu. Warum? Weil Sie nicht in der Lage sind, sich auf einen gemeinsamen Reformnenner zu verständigen. Jetzt wird eine Chimäre geboren. Ein bisschen so und ein bisschen so, wie in der Steuerpolitik: Gibst du mir deine Mehrwertsteuererhöhung, gebe ich dir die Reichensteuer. Das machen Sie jetzt wieder in der Gesundheitspolitik. Sie fangen schon wieder mit dem Abkassieren an. Es werden Fonds gebildet, und an die PKVs wird herangegangen, als ob es um die Kassen ginge, dabei geht es doch um die Versicherten; denen wird das Geld weggenommen.

(Beifall bei der FDP)

   Eines sage ich Ihnen: Sie hätten Mut zur Reform der sozialen Sicherungssysteme zeigen müssen. Sie hätten sagen müssen: Das ist mein Weg in der Gesundheitspolitik. Stattdessen ringen Sie um einen faulen Kompromiss hinter verschlossenen Türen. Die Zeitungen bekommen Papiere zugesteckt, damit sich die Öffentlichkeit nachher nicht so aufregt, weil nicht ganz so dramatisch abkassiert wird, wie die Horrorzahlen, die heute veröffentlicht wurden, vermuten ließen. Diese Regierung wagt nicht mehr Freiheit, es ist eine Regierung, die den Staat wichtiger nimmt als die Gesellschaft und die Bürger. Deswegen, wegen dieser grundsätzlichen Haltung, lehnen wir den Haushalt Ihrer Regierung ab, Frau Merkel.

(Anhaltender Beifall bei der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächster Redner ist der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Dr. Peter Struck.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dr. Peter Struck (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Westerwelle, ich fand es mutig, dass Sie hier zugegeben haben, dass Sie nichts von Fußball verstehen - im Gegensatz zu mir:

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Ich war einer der tragenden Spieler in der Bundestagsmannschaft. Peter Rauen wird das bestätigen.

(Jörg Tauss (SPD): Wovon versteht Herr Westerwelle etwas?)

   Ich stimme Ihnen in einem Punkt, den Sie angesprochen haben, dennoch zu: Die Weltmeisterschaft ist für uns ein Glückfall.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das ist wahr!)

Sie hat vor allem dem Land den Schleier der Miesmacherei weggerissen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Sie haben heute versucht, damit weiterzumachen. Deutschland ist ein freundlicher Gastgeber. Die Fanmeile in unmittelbarer Nähe zum Reichstag ist Tag für Tag und Abend für Abend ein Beweis für ein fröhliches Miteinander von Gästen und Gastgebern. Wir können stolz auf unsere Deutschen sein, die unsere ausländischen Kameraden und Freunde betreuen und sich mit ihnen zusammen über Siege freuen und über Niederlagen trauern. Wir freuen uns, auch bei den nächsten Spielen, mehr über Siege.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Herr Kollege Westerwelle, Sie haben von der Enttäuschung auf der Regierungsbank gesprochen. Ich interpretiere das so, dass Sie enttäuscht sind, dass Sie nicht auf der Regierungsbank sitzen. Da wollten Sie ja gerne hin.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Was hätten Sie eigentlich gemacht, wenn Sie regiert hätten? - Ich will übrigens klar sagen: Die Aussage, Deutschland ist ein Sanierungsfall, ist nicht die meine. Das möchte ich unterstreichen.

(Beifall bei der SPD)

Deutschland war ein Sanierungsfall 1998.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Da haben wir zusammen mit den Grünen die Regierung übernommen. Wir haben ordentlich regiert. Trotzdem sage ich: Es gibt in diesem Land viel zu tun.

   Was hätten Sie eigentlich gemacht, wenn Sie neben Frau Merkel auf der Regierungsbank gesessen hätten? Ich weiß ja nicht, ob Sie in das Kabinett hineingehen wollten. Es hieß ja, Sie hätten die Liste, wer was werden sollte, schon fertig. Stellen Sie sich vor, Sie hätten über die Finanzen reden müssen. Wir haben eine Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte durchgesetzt. Ein Prozentpunkt bringt dem Bund 4,7 Milliarden Euro. Das heißt, eine Erhöhung um 2 Prozentpunkte bringt 9,4 Milliarden Euro. Wenn Sie keine Steuererhöhung gemacht hätten, hätten im Bereich der geplanten Investitionen 9,4 Milliarden Euro gefehlt.

   Wir haben ein Investitionsprogramm mit einem Volumen von 25,4 Milliarden Euro in den nächsten Jahren aufgelegt, das weitere Investitionen in einer Größenordnung von 60 Milliarden Euro nach sich zieht. Hätten diese Investitionen nicht stattfinden sollen? Das ist meine Frage. Hätten Sie nicht Ihre Hand dafür gehoben, dass wir Maßnahmen zur Sanierung von Gebäuden subventionieren oder das Elterngeld einführen? All das wird doch davon finanziert.

   Außerdem senken wir den Arbeitslosenversicherungsbeitrag um einen Punkt. Sind Sie dagegen, dass das geschieht? Ich frage angesichts des Gedröhnes, das Sie mit Ihrem komischen Märchenbuch, mit Ihren Anträgen, die Sie in den Haushaltsausschuss eingebracht haben, verursachen: Was würden Sie eigentlich tatsächlich anders machen?

(Beifall bei der SPD - Petra Merkel (Berlin) (SPD): Sehr gut!)

   Ich greife einen Punkt heraus, der mich aufgrund meiner früheren Tätigkeit besonders beschäftigt. Die FDP-Fraktion sagt: Wir kürzen bei der Bundeswehr um 1 Milliarde Euro. Die PDS-Fraktion fordert noch mehr:

(Zurufe von der LINKEN: Die Linke! - Das sollten Sie wissen! - Gegenruf des Abg. Jörg Tauss (SPD): Wir sind die Linken!)

2 Milliarden. Dazu will ich Ihnen deutlich sagen: Was glauben Sie, was die Soldaten in Afghanistan oder im Kongo von einer solchen Maßnahme halten? Es ist eine unzumutbare Vorstellung, den Haushalt der Bundeswehr um 1 Milliarde Euro zu kürzen. Das kann man niemals akzeptieren. Das geht überhaupt nicht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Otto Fricke (FDP): Wir müssen gar nicht in den Kongo!)

- Wir haben eine internationale Verantwortung. Das weiß doch jeder und auch Sie. Sie sind doch diejenigen gewesen, die, als wir regiert haben, immer gesagt haben: Ihr müsst mit dem Rumsfeld und dem Bush klarkommen; gebt mehr Geld für Verteidigung aus. Jetzt wollen Sie kürzen.

   Weitere Kürzungsmaßnahmen aus Ihrem Märchenbuch: 3 Milliarden Euro wollen Sie bei den Eingliederungshilfen kürzen. Carsten Schneider hat schon gestern in der Debatte darauf hingewiesen, dass 50 Prozent dieser Eingliederungshilfen in Ostdeutschland ausgeteilt werden. Sind Sie dafür, dass in dem Bereich noch härtere Kürzungsmaßnahmen durchgeführt werden? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Abg. Otto Fricke (FDP) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

- Wollen Sie eine Zwischenfrage stellen? Einen Augenblick noch. Setzen Sie sich noch einen Moment, Herr Fricke, es dauert noch ein bisschen.

(Otto Fricke (FDP): Ich kann auch im Stehen warten!)

- Ja, Sie können auch gern im Stehen warten.

   Ich will Folgendes sagen: Wir, CDU, SPD und CSU, haben 70 Prozent Mehrheit im Parlament. Das bedeutet, wir können zum Beispiel Verfassungsänderungen allein durchsetzen. Im Bundesrat ist die Situation so, dass die Länderregierungen diese Koalition tragen. Es wird immer Situationen geben, in denen ein Land, aus welchen Gründen auch immer, beabsichtigt, den Vermittlungsausschuss anzurufen, oder uns sagt, dass wir noch über etwas reden müssen, bevor wir es im Bundestag beschließen.

   Die jetzige Situation hatten wir seit der ersten großen Koalition von 1966 bis 1969 nicht mehr. Das heißt für mich, dass es eine große Verantwortung ist. Wenn nicht diese große Koalition die Zukunftsfragen der Nation löst, wer löst sie dann? Das heißt, wir sind wirklich zum Erfolg verdammt. Das gilt für jeden Punkt, über den wir zu diskutieren haben. Ich will die Opposition nicht kleinreden. Ganz im Gegenteil: Ich respektiere Ihre Arbeit. Das wissen Sie ganz genau. Aber auf uns kommt es jetzt an.

   Was sind die Zukunftsfragen der Nation? Versetzen wir uns einmal in die Lage eines normalen Menschen, der seinem Beruf nachgeht oder einen Arbeitsplatz sucht. Was erwartet er von uns? Er erwartet von uns, dass wir folgende Probleme lösen:

   Erstens erwartet er, wenn er arbeitslos wird oder bereits arbeitslos ist, dass wir ihm helfen, einen Arbeitsplatz zu finden. Die Maßnahmen, die wir jetzt mit Hartz IV bei der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe begonnen haben, sind absolut richtig. Die Debatte, die vor einiger Zeit über Hartz IV geführt worden ist, war falsch. Es war eine richtige Maßnahme, zu der wir stehen. Es war keine falsche Maßnahme.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Übrigens war es im Vermittlungsausschuss so - das wissen auch Sie -, dass die damalige Opposition, die CDU/CSU, zugestimmt hat.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Struck, besteht denn die Aussicht, dass Kollege Fricke seine Frage noch vor dem Ende Ihrer Rede stellen kann?

Dr. Peter Struck (SPD):

Ich verfolge gerade meinen Gedankengang. Herr Fricke, Sie können es vielleicht nachher noch einmal versuchen. Ich bin jetzt gerade bei einem anderen Thema. Sie kommen aber wirklich noch dran. Ich habe es ja zugesagt.

(Otto Fricke (FDP): Danke!)

   Wir sprechen in diesem Zusammenhang auch über Optimierungsgesetze. Wir haben über das Hartz-IV-Optimierungsgesetz entschieden. Ich will gar nicht verschweigen, dass in meiner Fraktion natürlich heftige Debatten darüber geführt wurden. Auch bei den Kolleginnen und Kollegen von den Gewerkschaften gab es Debatten. Aber ich muss sagen: Ich kann überhaupt nicht verstehen, dass das Optimierungsgesetz, das Franz Müntefering vorgelegt hat, so umstritten gewesen ist, und zwar auch bei den Gewerkschaften, weil es dabei doch darum geht, einen besseren Verwaltungsablauf zu erreichen. Es geht auch darum, dass man jemanden - obwohl Renate Künast Recht hat, wenn sie die Größenordnung des Missbrauchs anspricht -, der eine zumutbare Arbeit zwei oder drei Mal ablehnt, auch mit entsprechenden Sanktionen belegt. Das Geld, das die Arbeitsagentur oder die Argen vergeben, ist doch Steuerzahlergeld. Es geht darum, dass wir eine gerechte Lösung finden. Dieses Optimierungsgesetz war also richtig und wir werden, wenn es nötig ist, noch weitere Schritte gehen. Es gibt einen laufenden Überprüfungsprozess, den der Arbeitsminister durchführt.

(Beifall des Abg. Olaf Scholz (SPD))

   Das zweite Hauptthema, das die Menschen beschäftigt, ist: Was passiert mit mir, wenn ich krank werde? Jeder von uns kann in diese Situation geraten. Das wissen Sie. Wir müssen darauf achten, welche Sorgen die Menschen haben. Was ist die Sorge der Menschen? Die Sorge ist: Bin ich so krankenversichert, dass wirklich jede Krankheit, die mich befallen kann, entsprechend den ärztlichen Regeln behandelt wird?

Mit anderen Worten: Erhalte ich das, was medizinisch notwendig ist, unabhängig davon, wie alt ich bin und ob ich arm oder reich bin?

(Beifall bei der SPD)

   Die Ziele der Gesundheitsreform müssen sein - hier sind wir uns einig -: Erstens. Jeder muss krankenversichert sein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Gegenwärtig sind ungefähr 400 000 Menschen nicht krankenversichert. Das muss in Form eines Kontrahierungszwangs für die Krankenversicherungen organisiert werden.

   Zweitens. Jeder muss die medizinisch notwendigen Leistungen erhalten. Wir wollen keine Zustände wie zum Beispiel in Großbritannien. Dort kommt es vor, dass man drei oder vier Monate auf einen Operationstermin warten muss oder dass sich ein 70-Jähriger die künstliche Hüfte, die er braucht, selbst kaufen muss. Solche Zustände wollen und werden wir in Deutschland nicht bekommen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Die dritte Frage, die die Menschen neben den Themen Arbeitslosigkeit und Krankheit bewegt, bezieht sich auf die Rente: Was geschieht, wenn ich alt bin? Sowohl durch die Debatten der letzten Zeit als auch durch die Diskussionen, die wir in den letzten zehn Jahren, also schon zu Helmut Kohls Regierungszeit, geführt haben, weiß jeder, dass die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung nicht ausreichen werden, um den Lebensstandard, den man während des aktiven Arbeitslebens hatte, im Alter zu halten. Warum das so ist, brauche ich nicht zu erläutern. Das hat unter anderem mit der demografischen Entwicklung und mit der Arbeitsmarktentwicklung zu tun. Das ist bekannt.

   Deshalb hat die vorherige Koalition aus SPD und Grünen die Riesterrente eingeführt. Sie wird gut angenommen und ist auch in der Unionsfraktion akzeptiert. Hier müssen wir noch mehr tun. Klar ist - darüber wurde in den Koalitionsverhandlungen diskutiert und das ist umfangreich kommentiert worden -, dass wir länger arbeiten müssen. Franz Müntefering hat die mutige Entscheidung getroffen, öffentlich darüber zu sprechen, dass bis zum Alter von 67 Jahren gearbeitet werden muss und ab wann diese Regelung gilt. Das hat natürlich keinen Jubel hervorgerufen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Bei den Sozis schon!)

Das ist logisch. Dass darauf vonseiten der PDS-Fraktion mit gnadenlosem Populismus reagiert wurde, war nachvollziehbar. Aber das ist keine Lösung. Wir müssen also länger arbeiten.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Welche Funktion hat eine Haushaltsdebatte? Da ich im Deutschen Bundestag schon an 25 Haushaltsdebatten teilgenommen habe - ich meine die zweiten und dritten Lesungen -, kann ich Ihnen mitteilen: Die normale Funktion dieser Debatte besteht darin, dass die Regierung sagt, dass sie alles eigentlich ganz gut macht - Frau Merkel, Ihr Amtsvorgänger hat immer gesagt, dass seine Regierung eigentlich sehr gut ist; Sie sind im Augenblick noch ein bisschen bescheidener -,

(Vereinzelt Heiterkeit)

und dass die Opposition sagt, dass alles, was die Regierung macht, falsch ist.

   Im Hinblick auf die Opposition muss ich feststellen: Sie sprechen immer nur von der Mehrwertsteuererhöhung. Aber irgendwann müssen Sie dieses Thema vergessen, Herr Westerwelle. Dann muss Ihnen etwas anderes einfallen. Im nächsten Jahr können Sie nicht mehr auf die Mehrwertsteuererhöhung verweisen. Dass Sie das im Moment machen, kann ich aber verstehen.

   Die Mehrwertsteuererhöhung ist niemandem leicht gefallen. Da wir jedoch gleichzeitig die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung senken und das Investitionsprogramm finanzieren, legen wir das Geld der Bürger, das wir durch die Mehrwertsteuererhöhung einnehmen, vernünftig an.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Kauder (CDU/CSU))

   Nun zu den Kleinigkeiten, über die sich die Opposition aufregt. Weil es in den Zeitungen steht und viel darüber geredet wird, zum Beispiel in Hintergrundgesprächen, ist bekannt, dass über ein Allgemeines Gleichstellungsgesetz diskutiert wird. Ich weiß, dass die Unionsfraktion damit Probleme hat.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Richtig!)

Aber wir haben Vereinbarungen getroffen. Die Koalition kann nur dann durchhalten, wenn diese Vereinbarungen eingehalten werden. Ich bin fest davon überzeugt, dass dies geschieht und dass Volker Kauder sein Wort, das er mir gegeben hat, hält;

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

denn andernfalls könnten wir nicht mehr zusammenarbeiten. So ist das. An dieser Stelle möchte ich den Kollegen der CDU/CSU-Fraktion dafür danken, dass sie ihr Wort halten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Das gilt aber auch für den Föderalismus! - Volker Kauder (CDU/CSU): Das ist doch selbstverständlich!)

- Ja, darauf komme ich gleich noch zu sprechen.

(Zuruf des Abg. Dr. Guido Westerwelle (FDP))

   Kollege Westerwelle weist zwar darauf hin, dass ihr, bevor wir unsere Vereinbarungen getroffen haben, etwas anderes gesagt habt. Aber das ist in der Politik nun einmal so. Natürlich habt ihr in der Vergangenheit etwas anderes gesagt. Aber dann haben wir uns auf eine bestimmte politische Lösung geeinigt.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Ja! Aber wenn wir das hier ausbreiten, dann müssen wir es richtig ausbreiten!)

Das hat auch etwas mit der Föderalismusreform zu tun. Auch darüber wird innerhalb der Koalition diskutiert; das gebe ich gerne zu.

   Frau Merkel, Sie haben es angesprochen und es ist völlig richtig: Man darf das große Ziel nicht aus den Augen verlieren; ich schaue jetzt die Kritikerinnen und Kritiker in meinen Reihen an.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Herrn Tauss!)

- Nicht nur Herrn Tauss; wir werden in der nächsten Woche darüber entscheiden. - Die Zielrichtung - weniger zustimmungspflichtige Gesetze und eine klare Verteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern - ist absolut richtig und dabei bleibt es auch.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Aber man muss schon darüber diskutieren, ob es richtig ist, manche Kompetenzen vom Bund auf die Länder zu verlagern. Wir haben - das wissen Sie genau - ein sehr umfangreiches Anhörungsverfahren durchgeführt, wie es das in der Geschichte des Bundestages noch nicht gegeben hat: 100 Sachverständige, nicht nur von den Fraktionen, sondern auch vom Bundesrat benannt, haben in diesem Raum manchen Punkt sehr kritisch bewertet.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): So ist es! Wir haben es alle gehört!)

Wir haben alle, soweit wir es konnten, zugehört, und unsere Expertinnen und Experten haben uns darüber berichtet. Es kann aber nicht sein - das will ich deutlich sagen -, dass wir diese Anhörung just for show gemacht haben, vielmehr nehmen wir das, was hier vorgetragen wurde, ernst.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Aber wir alle in diesem Raum wissen doch auch: Von dem, was im Hinblick auf die Föderalismusreform diskutiert wird, wird einiges vom Bundesrat akzeptiert werden können und einiges nicht; das ist so. Hier verlaufen die Grenzen doch nicht zwischen SPD und CDU/CSU einerseits und der Opposition andererseits, sondern die Grenzen verlaufen zwischen Bundestag und Bundesrat.

(Bodo Ramelow (DIE LINKE): Auch, ja!)

- Auch. Aber im Wesentlichen scheiden sich die Meinungen doch gerade an dem Punkt, über den wir hier kritisch diskutieren.

   Also: Ich weiß genau, wir bekommen nicht alle unsere Änderungswünsche durch. Übrigens ist es nicht so, dass nur meine Fraktion gerne etwas geändert hätte - es gibt auch Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, die gern etwas geändert hätten.

(Jörg Tauss (SPD): Viele Vernünftige!)

Sie verstecken sich im Moment nur hinter uns, weil sie sich sagen: Lass mal die Sozis vorangehen!

(Volker Kauder (CDU/CSU): So mutlos sind wir nicht!)

Und auch in der FDP wird vieles kritisch diskutiert; das weiß ich.

   Trotzdem bin ich der festen Überzeugung, dass wir eine Föderalismusreform - über die wir ja in der nächsten Woche zu entscheiden haben - brauchen. Wir brauchen sie, um die Regierung unseres Landes schneller handlungsfähig zu machen. Die Einzelheiten müssen wir noch bereden.

(Beifall des Abg. Olaf Scholz (SPD))

- Etwas spröde, kann man sagen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Besonders bemerkenswert ist, dass der Beifall auf diesen Satz kommt!)

- Ich kriege das schon hin in meiner Fraktion.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Wir verlassen uns da auf Sie!)

- Das denke ich schon. Ich nehme meine Verantwortung als Fraktionsvorsitzender wahr und will dazu gleich einmal etwas sagen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Wir nehmen Sie beim Wort!)

- Ich mache das schon.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Die Koalitionsverhandlungen werden hier allmählich öffentlich! - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was ist das für ein Plauderton?!)

Man muss natürlich auch sagen, dass wir, was die Föderalismusreform angeht, am Freitag in einer Woche eine ausführliche Debatte brauchen. Denjenigen Kolleginnen und Kollegen, die Bedenken haben, muss wirklich die Chance gegeben werden, ihre Änderungswünsche im Plenum darzustellen.

   Trotzdem muss sich am Ende jeder - ich schaue jetzt in Richtung der FDP, weil ich weiß, dass es auch dort Rechtsexperten gibt, die viele Fragen haben - die Frage stellen: Sollen wir trotz Bedenken an einzelnen Stellen - die jeder haben kann - das Gesamtpaket scheitern lassen?

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Nein!)

- Meine Position ist auch: Nein. Aber ich setze voraus, dass wir noch Gespräche zu führen haben, auch mit dem Bundesrat, um auszuloten, was machbar ist und was nicht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Zu Beginn der Debatte, als der Entwurf der Föderalismusreform eingebracht worden ist, da hieß es: Nichts wird geändert, das steht im Koalitionsvertrag, der Bundesrat hat so beschlossen. - Deshalb bedanke ich mich bei denjenigen, die dazu beigetragen haben, dass es eine offenere Debatte gibt und dass die harte Ablehnung inzwischen aus der Welt ist. Dafür herzlichen Dank!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ich will noch auf den Kollegen Kauder eingehen, weil er im Zusammenhang mit der Unternehmensteuerreform etwas zu aktuellen Fragen wie der Zukunft der Gewerbesteuer gesagt hat. Ich habe jahrelang Kommunalpolitik betrieben - ich war 20 Jahre im Kreistag - und will für meine Fraktion und sicher auch für den Finanzminister deutlich machen:

Ich bin nicht bereit, die Gewerbesteuer in irgendeiner Weise aufzugeben, solange es nicht eine bessere Alternative dazu gibt. Ich sehe keine bessere Alternative.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Man kann über vieles sprechen. Das werden wir auch tun.

   Ich möchte eines gleich klarstellen. Herr Finanzminister Steinbrück, der Herr Kollege Kauder hat Ihnen seine uneingeschränkte Solidarität zum Haushaltsentwurf 2006 bekundet. Damit überhaupt kein Zweifel daran besteht: Ich möchte mich dieser uneingeschränkten Solidarität für die SPD-Bundestagsfraktion anschließen.

(Beifall bei der SPD - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das überlebt er nicht! Jetzt ist er fertig!)

- Nein, das glaube ich nicht.

   Abschließend möchte ich sagen: Es ist der erste Haushalt dieser großen Koalition. Der zweite Haushalt, der 2007er-Haushalt, wird schwieriger. Darüber sind wir uns - das gilt für alle, die auf der Regierungsbank sitzen, und auch für uns - völlig im Klaren. Wir werden das schaffen, weil wir wissen, dass wir unseren Auftrag erfüllen müssen. Wir müssen das tun, was die Menschen in unserem Land brauchen. Die SPD-Fraktion steht dazu bereit.

(Anhaltender Beifall bei der SPD - Beifall bei der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Otto Fricke das Wort.

Otto Fricke (FDP):

Herr Kollege, Herr Fraktionsvorsitzender Struck, Sie hatten mir leider nicht die Möglichkeit gegeben, eine Frage zu stellen. Deswegen muss ich jetzt diesen Weg gehen.

   Ich darf Sie als Erstes darauf aufmerksam machen, dass die Änderungsanträge der FDP-Fraktion bezüglich der Bundeswehr nicht die Ausstattung der Soldaten, sondern zum Beispiel Waffensysteme für Hubschrauber, Waffensysteme für den Eurofighter und Ähnliches mehr betreffen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Und die soziale Absicherung!)

Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir diese Dinge im Kongo brauchen. Es wäre unverantwortlich, wenn wir so etwas tun würden. Das nur zur Klarstellung.

   Zweitens. Bekomme ich von Ihnen als Fraktionsvorsitzenden der SPD zum Thema Eingliederungshilfe, bei dem Sie uns den Vorwurf machen, wir würden den Leuten etwas wegnehmen, hier im Parlament die klare und deutliche Aussage, dass die 6,5 Milliarden Euro, die für die Eingliederungshilfe etatisiert worden sind und von denen bisher übrigens nur ein Viertel verbraucht worden ist, obwohl bereits die Hälfte des Jahres herum ist, nur dafür und nicht für irgendetwas anderes ausgegeben werden? Würde das Geld für etwas anderes ausgegeben, dann wären unsere Anträge ja durchaus berechtigt.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Zur Erwiderung, Herr Kollege Struck.

Dr. Peter Struck (SPD):

Herr Kollege Fricke, entschuldigen Sie, aber ich habe wirklich vergessen, später noch eine Frage zuzulassen. Das war ernst gemeint.

(Otto Fricke (FDP): D’accord!)

- Das ist jetzt also geklärt.

   Zur Bundeswehr. Ich meine, Sie können nicht sagen, Herr Kollege Jung kenne sich nicht aus. Sie sagen, die Bundeswehr brauche nicht so viele Waffen, weswegen um 1 Milliarde Euro gekürzt werden könne. Ich frage Sie einmal: Wie wollen Sie das verantworten? Ich meine: Ein Soldat ohne Waffensystem ist eigentlich auch nicht viel wert. Das muss man wohl festhalten.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Aber keine U-Boote im Kongo!)

- Nein, U-Boote im Kongo nicht. Wie gesagt: Ich kenne mich aus und wäre bei den Kürzungen ganz vorsichtig.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Ist okay!)

Dass Sie hier Ihre Vorschläge machen müssen, ist ja nachvollziehbar.

   Zur Eingliederungshilfe. Ich bin dafür nicht politisch verantwortlich. Ich bin auch nicht in der Regierung dafür verantwortlich, dass das, was Sie eben angesprochen haben, eintritt. Ich bin aber optimistisch, dass das Problem gelöst wird. Gerade unsere Haushälter und der Herr Arbeitsminister werden genau darauf achten, dass wir das Thema Eingliederungshilfe so behandeln - haushaltsmäßig, über die Agenturen und über wen auch immer -, dass das seine Richtigkeit hat. Ich weiß, was Sie ansprechen, und kenne den Hintergrund Ihrer Frage. Ich verlasse mich auf die Leute, die wir haben, und der Minister ist sowieso ein guter Minister.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Lothar Bisky, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Regelfall lobt die Regierung ihren eigenen Haushalt und wir als linke Opposition kritisieren ihn. Das ist auch bei diesem Haushalt richtig und wichtig; denn wieder einmal sollen die sozial Benachteiligten die Zeche zahlen. Aber keine Regel ohne Ausnahme.

   Dem Kulturstaatsminister ist es gelungen, Kürzungen im Kulturhaushalt abzuwenden, ja, sogar kleine Zuwächse zu erreichen. Bundeskulturstiftung, Filmförderung und die Deutsche Welle profitieren mit jeweils 2 Millionen Euro. Der Hauptstadtkulturfonds bleibt unbeschadet. Die Unterstützung zur Sanierung des Pergamonmuseums ist in Aussicht gestellt. Auch bei der Staatsoper gehen wir davon aus, dass sich der Bund an der Sanierung angemessen beteiligen wird.

(Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Das tut er auch!)

   Das bestehende Niveau wurde also insgesamt gehalten. Das ist angesichts der überall grassierenden Kürzungen auch von uns als linker Opposition ausdrücklich zu würdigen. Nun gilt es, dieses Votum für die Kultur politisch zu verteidigen. Ich bin mir sicher, das wird nicht einfach werden. Aber - ich bin nun dabei, etwas Wasser in den Wein zu gießen - viele Kultureinrichtungen sind aufgrund steigender Kosten und der Kürzungen vergangener Jahre in einer äußerst schwierigen Lage. Das ist nicht zu übersehen. Wir beantragen deshalb zum Beispiel mehr Mittel als von Ihnen vorgesehen für die Stiftung für das sorbische Volk.

(Beifall bei der LINKEN - Petra Merkel (Berlin) (SPD): Da hat es keine Kürzungen gegeben!)

- Ich weiß. Sie haben den Mittelansatz sogar leicht erhöht. Aber wir wollen etwas mehr. Das dürfen wir doch noch.

(Petra Merkel (Berlin) (SPD): Das dürfen Sie!)

- Danke. Das ist okay. Vor allem aber fragen wir: Wo ist die Investition in die Kultur, von der die Kanzlerin in ihrer Regierungserklärung gesprochen hat? Wo ist die richtige, wichtige und zukunftsträchtige Investition in den deutschen Film? Die dafür vorgesehenen Investitionen sind um 2 Millionen Euro erhöht worden; das wissen wir.

   Endlich gibt es sie wieder: erfolgreiche deutsche Filme von Qualität. Deren Regisseure und Produzenten haben es verdient, dass nun auf sie gesetzt wird. Das Stichwort heißt: Investitionen in die Kulturwirtschaft als Wachstumsbranche für moderne Arbeitsplätze. Da sind die 2 Millionen Euro mehr für den deutschen Film in diesem Haushalt ein Anfang. Aber im Großen und Ganzen sind dies wie so vieles Großkoalitionäre zögerliche Trippelschritte; denn sie reichen keinesfalls aus. Es mag ja sein, dass sie eine Art Bonsai-Hollywood als Leitbild vor Augen haben. Das wird nicht reichen, um dem deutschen Film wirkliche Wachstumsimpulse zu verleihen.

(Beifall bei der LINKEN)

   Wo bleiben zukunftsträchtige Investitionen in Städte und Regionen, die ihr industrielles Fundament verloren haben, aber über große Kulturschätze und damit über Anziehungskraft verfügen? Würden diese Städte besser gefördert und ihr kulturelles Potenzial innovativ genutzt, könnten sie durch Kultur zu neuer Blüte und modernem Reichtum kommen, wie dies vielen ehemaligen armen Städten und Regionen in Europa gelungen ist und woran zum Beispiel auch Essen erinnert. Ist denn das für uns alle keine Herausforderung?

   Wie wäre es mit einem Sonderinvestitionsprogramm des Bundes für die Kultur? 25 Milliarden Euro sind ausgelobt worden. Warum wird die Kultur daran nicht beteiligt? Der Kulturausschuss hat sich dafür ausgesprochen, das Ressort von Herrn Neumann an diesem Programm zu beteiligen und zum Beispiel in den Denkmalschutz und den Erhalt von Baudenkmälern zu investieren, vor allem übrigens in den neuen Ländern. Wir halten das für sehr sinnvoll.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.

Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE):

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Die Fraktion Die Linke fordert ein Zukunftsinvestitionsprogramm „Jugend und Innovation“ und darin 1,5 Millionen Euro mehr für die Filmförderung. Der Film und andere kulturwirtschaftliche Faktoren müssen energischer gefördert werden. Haben Sie mehr Courage dazu! Haben Sie mehr Mut zu Neuinvestitionen in der Kultur! Mehr Kultur ist der Zweck von Politik.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun die Kollegin Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen.

Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben auch heute wieder auf sehr eindrucksvolle Weise erkennen können, dass die Union und die SPD mit ihren gemeinsamen Projekten, die für die Zukunft dieses Landes wichtig sind, nicht wirklich weitergekommen sind; vielmehr werden die einzelnen Projekte anscheinend noch stärker zerfleddert, bevor Eckpunkte vorgelegt werden können. Für das Land ist das fatal, weil weder in der Wirtschaft noch für die Bürger und für die Berufe, von denen wir wissen, dass sie für notwendige Innovationen von Bedeutung sind und in denen neue Arbeitsplätze entstehen können, eine Perspektive erkennbar ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Das ist das Problem. Wenn man sich die einzelnen Bereiche anschaut, dann wird deutlich, dass es nicht nur in der Frage, wie ein bestimmtes Gesetz im Detail gestaltet wird, Unterschiede gibt; vielmehr gibt es auch hinsichtlich der Geisteshaltung und der Vorstellung, wie die Gesellschaft in Zukunft auszusehen hat, eklatante Unterschiede innerhalb dieser Koalition, und zwar nicht nur zwischen der CDU/CSU und der SPD, sondern auch innerhalb der Union und der SPD.

   Ich mache das an verschiedenen Beispielen deutlich. Wir haben eine Debatte über die Frage begonnen, wie wir in Zukunft die finanzielle Situation von Kindern und Familien verbessern können. Man muss es anerkennen, dass Herr Pofalla diese Debatte angestoßen hat. Wir diskutieren zurzeit darüber, ob das Ehegattensplitting zukunftsorientiert und richtig ist oder ob dieses Modell, das in den 50er-, 60er- und 70er-Jahren geeignet war, in der modernen Gesellschaft von heute keinen Bestand mehr hat.

   Er kommt aber zu der falschen Schlussfolgerung. Er geht nicht davon aus, dass dem Staat jedes Kind gleich viel wert sein muss. Seine Schlussfolgerung ist vielmehr, dass Bezieher von sehr hohen Einkommen neben dem Ehegattensplitting in Zukunft auch noch das Familiensplitting in Anspruch nehmen können und damit eine massive Entlastung erfahren. Die Bezieher von kleinen Einkommen hätten aber nichts davon, zumal dann die Kinderfreibeträge wegfallen würden. Das heißt: Oben entlasten Sie und unten belasten Sie; die Differenz zwischen Kindern aus Familien mit niedrigem Einkommen und hohem Einkommen wird erhöht. Das ist ungerecht und es ist auch für die Zukunft aus unserer Sicht nicht akzeptabel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Dass die CSU das Thema nicht angehen will, verstehe ich. Denn die Riege der CSU-Vorderen hinkte schon immer der gesellschaftspolitischen Entwicklung hinterher.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Ich finde, sie sollten sich ein bisschen mehr um den Bären kümmern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber vielleicht bekommt ihr ein bisschen mehr Drive und werdet etwas fortschrittlicher in eurer Denkweise.

(Eduard Oswald (CDU/CSU): Wider besseres Wissen! Das kann man so nicht stehen lassen! Das werden wir mal im Einzelgespräch erörtern!)

   Was die Unternehmensbesteuerung anbelangt, gibt es anscheinend einen breiten Konsens darüber, die Gewerbesteuer beizubehalten. Die CDU/CSU war immer für die Abschaffung; die anderen haben gefordert, sie beizubehalten. Das Fatale an der gegenwärtigen Situation ist aber, dass man ein Reformkonzept für alle unsere Unternehmen - auch für die kleinen und mittelständischen - auf den Weg bringen will, das man auch vernünftig finanzieren möchte, weil man sich keine riesigen Steuerausfälle leisten kann, dass aber - wie alle Ankündigungen aus den verschiedensten Reihen, gerade auch die Presseberichte des heutigen Tages, sehr deutlich gemacht haben - die Finanzierung der Reformen keinen Bestand mehr hat. In diesem Zusammenhang muss man schon berücksichtigen, was dabei herauskommt, wenn man sich auf die Senkung der Körperschaftsteuersätze beschränkt. Das ist keine Reform für die Zukunft; es ist vielmehr der kleinste gemeinsame Nenner, auf den man sich letztlich einigt. Der BDI-Präsident Thumann hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der kleinste gemeinsame Nenner auch null sein kann. Bei den Reformen ist zu befürchten, dass für die Gesellschaft und vor allen Dingen hinsichtlich der Arbeitsplätze null herauskommt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   In diesem Kontext sind auch die Überlegungen betreffend die Erbschaftsteuer zu sehen. Das ist kein kleines Thema. Wir, die Gesellschaft, müssen die in unserer Verfassung verankerte Sozialbindung des Eigentums sehr ernst nehmen. Man geht aber den falschen Weg, wenn man sowohl kleine und mittelständische Unternehmen als auch Konzerne unabhängig davon, ob sie Arbeitsplätze erhalten, über einen Zeitraum von zehn Jahren von der Erbschaftsteuer vollständig befreit. Dann müssen die Bürger letztendlich die Steuerausfälle bezahlen. Wahrscheinlich ist eine solches Gesetz sogar verfassungswidrig. Das geht nicht.

   Die Sozialbindung des Eigentums ist ein ganz zentrales Element. Wenn Sie dieses Element im Gesetzgebungsverfahren nicht berücksichtigen, dann laufen Sie Gefahr, dass das Gesetz verfassungswidrig ist, dass diejenigen, die große Erbschaften gemacht haben, vor Gericht klagen werden und ihre Steuerbescheide unter Vorbehalt stellen und dass diesen Erben später eine Steuerrückerstattung gewährt werden muss. Das akzeptieren wir nicht. Wir wollen eine faire und gerechte Lösung. Auch wir wollen eine vernünftige Nachfolgeregelung für kleine und mittelständische Unternehmen. Aber bei einer solchen Regelung muss der Erhalt von Arbeitsplätzen berücksichtigt werden. Das gilt nicht nur im Hinblick auf die Unternehmensbesteuerung und die Erbschaftsteuer, sondern auch im Hinblick auf die Entwicklung in der Sozialversicherung und für alle anderen Ebenen, über die wir heute nur ansatzweise diskutieren können, weil wir nicht wissen, was Sie konkret vorhaben. Da Sie nicht in der Lage sind, dazu detaillierte Auskünfte zu geben, können wir keine abschließende Bewertung vornehmen.

   Fest steht jedenfalls: Wir haben eigene Vorschläge und Modelle und werden in der Sommerpause noch eine spannende Auseinandersetzung haben.

   Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Christian Ruck, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Christian Ruck (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt 2006 ist der erste Haushalt einer neuen Regierung. Er beginnt mit einem neuen Kurs. Die alte Politik war gescheitert. Deutschland ist nun auf einem guten Weg. Der Regierungswechsel hat zu einer positiven Stimmung geführt. Das drückt sich nicht nur im Meer der bunten Fahnen der Fußballfans aus, sondern auch in harten ökonomischen Fakten. Der Stellenabbau ist zum Stillstand gekommen. Die Arbeitslosenzahlen sind erstmals wieder signifikant gesunken. Bei uns in Bayern steigen die Beschäftigungszahlen bereits seit Monaten wieder.

(Eduard Oswald (CDU/CSU): Jawohl! So ist es!)

Der deutsche Export boomt. Die Investitionen nehmen wieder zu und die Binnenkonjunktur festigt sich.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Diese Trendwende ist natürlich auch der neuen Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel zu verdanken.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben die Kraft zu einer stetigen Politik. Mit dem Dreiklang „Sanieren, Reformieren, Investieren“ haben wir den richtigen Ansatz gefunden, Deutschland wieder nach vorne zu bringen. Vorredner haben schon darauf hingewiesen, dass die große Koalition bereits konkret angepackt hat. Bezüglich der Ausgabenseite haben wir den Entwurf eines Hartz-IV-Fortentwicklungsgesetzes verabschiedet. Das Gesetz ist nicht eine gesetzliche Regelung für Sozialabbau, sondern stellt eine Initiative zur Korrektur von Fehlentwicklungen im Ausgabenbereich dar. Es verhindert Leistungsmissbrauch und löst lähmende Verwaltungsverstrickungen. Ich erinnere nur an den explosionsartigen Anstieg der Zahl von Bedarfsgemeinschaften, gegründet von jungen Leuten. Genau das wollten wir alle doch nicht haben. Wir haben des Weiteren Steuerschlupflöcher geschlossen, fragwürdige Gestaltungsmöglichkeiten eingeschränkt und die Ausnutzung von Gesetzeslücken eingedämmt.

   Bezüglich der Einnahmeseite haben wir das Steueränderungsgesetz unter Dach und Fach gebracht, und zwar im Rahmen eines vernünftigen finanz- und steuerpolitischen Gesamtkonzepts. Wir tun das nicht aus Jux und Tollerei. Vielmehr gibt es keine Alternativen zu diesen Maßnahmen. Dieses Gesamtkonzept zielt darauf ab, den europäischen Stabilitätspakt und die Verschuldungsgrenze des Art. 115 des Grundgesetzes im nächsten Jahr einzuhalten. Dagegen kann niemand sein. Das Steueränderungsgesetz ist ein wichtiger Schritt hin zur Haushaltskonsolidierung. Mit ihm wird genau das umgesetzt, was CDU/CSU und SPD gemeinsam im Koalitionsvertrag vereinbart haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ich wehre mich energisch gegen das Stichwort „Arroganz“, das vonseiten der FDP gefallen ist. Wir haben den Mut gehabt, auch im Wahlkampf die Notwendigkeit von Steuererhöhungen deutlich zu machen. Wir von der CSU gewinnen im Gegensatz zu den Mitgliedern der FDP unsere Wahlkreise in der Regel direkt. Das geht nicht, indem wir gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, die uns wählen, die Arroganz an den Tag legen, die Sie uns unterstellen.

   Unsere Familienpolitik zeigt, dass die große Koalition auch hier innovative Wege geht. Mit dem Elterngeld erhalten die Familien eine neue finanzielle Unterstützung. Mit der Ausweitung der Kinderbetreuung, der steuerlichen Absetzbarkeit der Betreuungskosten und der Schaffung von mehr Familienfreundlichkeit am Arbeitsplatz fördert die große Koalition die Familien. Uns ging es auch darum, dass die Elternteile oder die Frauen, die die Aufgabe der Kindererziehung wahrnehmen, indem sie zu Hause bleiben, nicht benachteiligt werden, sondern ebenfalls gefördert werden. Das war ein fester und wichtiger Bestandteil der CSU-Politik.

(Otto Fricke (FDP): Wie erklärt man das denn bei Hartz-IV-Empfängern?)

   Für die CSU geht Qualität vor Eile. Das gilt vor allem für die Gesundheitsreform. Hier ist der öffentliche Druck besonders groß, doch darf er uns nicht zu unüberlegten Entscheidungen zwingen, die wir alle dann als Patienten und Beitragszahler bereuen würden.

   Der Finanzierungsfonds ist nicht ein Zweck an sich und gewiss auch nicht ein Grundstein für Kassensozialismus, wie das heute behauptet wurde; im Gegenteil, er ist Mittel zum Zweck, nämlich für mehr Transparenz, mehr Wettbewerb und mehr Rationalisierung. Wichtig sind für uns auch der Erhalt der privaten Krankenversicherung und die Abkopplung der Gesundheitskosten von den Arbeitskosten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ziel bleibt: Es muss gewährleistet werden, dass der technische Fortschritt im Gesundheitsbereich auch in Zukunft jedermann zugute kommt.

   Zweck all unserer Reformen und Haushaltsentwürfe muss letztlich die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen sein. Dazu müssen wir die Wirtschaft und vor allem den Mittelstand ankurbeln. Dazu ist bereits viel in Gang gesetzt, zum Beispiel das Gesetz zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung, zum Beispiel das Mittelstandsentlastungsgesetz, das in Arbeit ist, und das 6-Milliarden-Euro-Programm „Neue Impulse für Innovation und Wachstum“.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch das Handwerk wurde von uns durch die Einführung der steuerlichen Absetzbarkeit von Handwerksleistungen wieder einigermaßen aufs Gleis gesetzt.

   Deswegen finde ich es unfair und nicht korrekt, dass Frau Künast - jetzt ist sie nicht mehr da - behauptet, der Bundeswirtschaftsminister würde hier zu wenig tun.

(Eduard Oswald (CDU/CSU): Ein unglaublicher Vorwurf!)

Das alles sind ganz entscheidende Schritte, die in den ersten sieben Monaten aus diesem Haus gekommen sind.

   Der größte Treppenwitz ist, dass dem Bundeswirtschaftsminister die hohen Strompreise angekreidet werden. Wenn von der grünen Politik in den sieben Jahren Rot-Grün irgendetwas bleibt, dann ist es nicht die Diskussion um die Legehennenbatterien, sondern dann sind es die exorbitant gestiegenen Energiepreise; die haben nämlich vor allem die Grünen zu vertreten.

(Beifall bei der CDU/CSU - Jörg Tauss (SPD): Na, na! Die Welt ist wesentlich komplizierter! - Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In den letzten sieben Monaten sind die Energiepreise enorm gestiegen, also zu Zeiten der großen Koalition!)

   Richtig ist, dass die große Koalition die Besteuerung der Unternehmen neu ordnet, damit Arbeitsplätze gesichert und geschaffen werden. Da möchte ich etwas ansprechen, was mir in der Debatte als etwas schräg aufgefallen ist. Es wird immer hin und her gerechnet, auf welchem Platz in Europa die Steuerbelastung der deutschen Unternehmen steht. Der Kern des Problems ist doch, dass wir mit einer massiven Abwanderung von Arbeitsplätzen und Unternehmen ins Ausland zu kämpfen haben. Das hat eine ganze Reihe von Ursachen. Die Form der Besteuerung ist eine Ursache. Es gibt einige Stellschrauben, an denen wir nicht drehen wollen. Zum Beispiel kommen für uns Dumpinglöhne nicht in Frage. Das ist für uns kein Weg.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Deswegen müssen wir einen anderen Weg finden. Der hat dann etwas mit steuerlicher Entlastung zu tun.

   Die CSU-Landesgruppe will Waffengleichheit für Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen.

(Eduard Oswald (CDU/CSU): So ist es!)

Wir wollen die Investitionskraft und die Standortbindung gerade der kleinen und mittleren Unternehmen stärken. Deswegen ist es für uns ganz wichtig, dass es zu einer vernünftigen Regelung bei der Erbschaftsteuer kommt, Frau Scheel. Da können wir über alles Vernünftige reden. Aber eine Regelung, die gerade provoziert, dass ausgelagert wird, bevor diese Regelung in Kraft tritt, ist genau das falsche Rezept, um Arbeitplätze zu sichern.

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Nationalmannschaft - das haben wir heute schon gehört - arbeitet hart daran, die Weltmeisterschaft zu gewinnen.

(Eduard Oswald (CDU/CSU): Jawohl!)

Auch der Weltmeistertitel Deutschlands im Export ist das Ergebnis harter Arbeit. Wir müssen die Voraussetzungen dafür erarbeiten, dass wir Spitze bleiben. Der Export ist der Motor unserer Wirtschaft; auch unsere soziale Balance im Innern hängt davon ab.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir leben vom Verkauf unseres international anerkannten Know-hows. Deswegen setzt auch die CSU auf eine starke, verbesserte Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Bildungs- und Ausbildungssystems.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Um unsere Position in der Weltwirtschaft abzusichern, müssen wir auch unsere Außenbeziehungen optimieren, verzahnen und nachhaltig gestalten. Dazu ist die Verbesserung der transatlantischen Beziehungen ebenso wichtig wie ein neuer Anlauf zur Schaffung eines politisch handlungsfähigen Europas. Denn es wird immer deutlicher, dass wir als Nationalstaat zwischen den großen ökonomischen und politischen Blöcken ohne ein funktionierendes Europa zerrieben würden.

   Wir benötigen als Deutschland eine gesicherte Energie- und Rohstoffversorgung, ein faires Handelsregime und breit angelegte strategische Partnerschaften mit einer Vielzahl von Staaten, auch mit den neuen politischen und ökonomischen Kräften wie China, Indien, Mexiko und Brasilien. Überall hier haben die Bundeskanzlerin und ihr Kabinett bereits entscheidende Akzente gesetzt.

   Allerdings verschärfen sich vielerorts in den Schwellen- und Entwicklungsländern die Entwicklungsprobleme. Sie gefährden langfristig auch Frieden und Wohlstand in Deutschland und Europa. Deswegen ist die Ratio der Entwicklungspolitik als Teil unserer Außenbeziehungen nicht nur ein Element christlicher Solidarität und Verantwortung, sondern liegt auch im Interesse unserer eigenen Sicherheit und der Position Deutschlands in der Welt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Deshalb treten wir für die Umsetzung des EU-Stufenplans für die Entwicklungsfinanzierung ebenso wie für gemeinsames Handeln in Krisengebieten und schnelle Hilfeleistung nach Katastrophen ein.

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen vor wichtigen Entscheidungen. Bundestag und Bundesrat müssen beweisen, dass wir in der Lage sind, das Vertrauen, das die Bürger uns bei der Wahl geschenkt haben, zu mutigen und nachhaltigen Reformen zu nutzen. Das nächste Entscheidende, was wir angehen müssen, ist die Föderalismusreform. Sie macht unsere Entscheidungsprozesse transparenter, sorgt für schnellere politische Entscheidungen und trägt dazu bei, dass unsere Demokratie wieder erfolgreicher wird und auf größere Akzeptanz stößt.

   Ich möchte auch darauf hinweisen, dass es Ministerpräsident Stoiber und Herr Müntefering waren, die schon in der letzten Legislaturperiode die entscheidenden Weichenstellungen für dieses Reformwerk vorgenommen haben.

(Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Sehr richtig!)

   Wir brauchen bei den Reformprozessen nicht nur Mut, sondern auch Kompromissfähigkeit. Die Koalition und die Koalitionäre haben sich aus verschiedenen politischen Richtungen aufeinander zubewegt und zusammengefunden. Das ist oft ein schwieriger Prozess und geht, wie Sie sehen, nicht immer ohne Blessuren ab.

(Heiterkeit bei der SPD - Petra Merkel (Berlin) (SPD): So schlimm?)

Aber wir sind zum Erfolg entschlossen, zum Wohle unseres Landes. Auch wir von der CSU, Herr Struck, werden uns da einbringen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Merkel für die SPD-Fraktion.

Petra Merkel (Berlin) (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt 2006, den wir in dieser Woche abschließend beraten, ordnet sich ein - das kennen Sie jetzt schon - in den Dreiklang aus Sanieren, Reformieren und Investieren.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sehr gut!)

Unter dieser Zielsetzung hat die Koalition aus SPD, CDU und CSU ihre Arbeit angetreten. Der Haushalt ist durch eine strikte Ausgabendisziplin geprägt. Er hat aber vor allem ein Ziel: die Wachstumskräfte zu stärken und damit Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen.

   Die Beratungen des Haushalts 2006 wurden am 1. Juni im Haushaltsausschuss abgeschlossen. Dort findet übrigens die Kärrnerarbeit statt.

Da werden ständig folgende Fragen gestellt: Sind die Ausgaben realistisch? Sind die Einnahmen richtig veranschlagt? Wo kann gespart werden? Welche Strukturen müssen verändert werden, damit weniger ausgegeben wird?

   Die globalen Minderausgaben in den Fachetats - das sind die pauschalen Einsparsummen, die jedes Ressorts zu erbringen hat - konnten weitestgehend auf die Einzelposten verteilt werden. Das war für viele Kolleginnen und Kollegen eine unglaubliche Arbeit. Das war anstrengend. Diese Arbeit ist - das können Sie sich vorstellen - nicht einfach.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Wir scheuen uns nicht vor internen Auseinandersetzungen. Denn anders wäre es nicht dazu gekommen, dass wir die Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit in allen Ressorts um insgesamt 10,2 Millionen Euro senken werden. Das entspricht ungefähr 10 Prozent der Gesamtausgaben für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit.

   Wir halten auch an der pauschalen Stellenkürzung der letzten Jahre in den Bundesverwaltungen in Höhe von 1,5 Prozent fest. Das ist eine ziemlich große Summe. Im Gegenteil: In diesem Jahr mussten wir diese auf 1,6 Prozent erhöhen, weil wir die beschlossene Arbeitszeitverlängerung umsetzen mussten.

   Allerdings stützt dieser Haushalt die politischen Schwerpunkte, mit denen Arbeitsplätze gesichert werden und neue entstehen. So sind während der Haushaltsberatungen trotz der nötigen Einsparungen die Investitionsausgaben mit 23,2 Milliarden Euro konstant geblieben. Wir starten mit dem Haushalt 2006 unser 25-Milliarden-Investitionsprogramm, das durch circa 12 Milliarden Euro aus den Ländern und Kommunen ergänzt wird, also circa 37 Milliarden Euro umfassen wird. Wir versprechen uns von diesem Investitionsprogramm mehr Arbeitsplätze und damit ein höheres Wirtschaftswachstum. Wir erwarten dadurch mehr Ausbildungsplätze. Wir wollen die Grundlage einer Existenz für die Jugendlichen schaffen und das Handwerk stärken.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Zum Beispiel werden, beginnend im Jahre 2006, 6 Milliarden Euro für die Förderung der Forschung bereitgestellt. Insgesamt 9,4 Milliarden Euro werden zur Förderung des Mittelstands durch Impulsprogramme, wie zum Beispiel das CO2-Gebäudesanierungsprogramm, eingestellt und hoffentlich die Baukonjunktur stärker bewegen. Das Solar- und das Wärmedämmprogramm für Hausfassaden wirken doppelt: Auf der eine Seite wirken sie energiesparend; auf der anderen Seite setzen sie auf neue Techniken. 4,3 Milliarden Euro werden zusätzlich für Verkehrsinvestitionen ausgegeben und 3 Milliarden Euro für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf - das ist ein wichtiges Feld, wie Sie wissen - bereitgestellt.

   Über den Haushalt versuchen wir bereits mit kurzfristigen Maßnahmen, das Wachstum zu stabilisieren. Wir verzichten im Haushalt 2006 bewusst auf weitergehende Einschnitte in Sozialleistungen und Bundesinvestitionen und akzeptieren eine eigentlich immer noch zu hohe Neuverschuldung im Jahr 2006. Wir sind der Überzeugung, dass unsere Staatsfinanzen nicht allein mit einer rigorosen Sparpolitik in Ordnung gebracht werden können.

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen einen Mix aus wachstums- und beschäftigungsfördernden Maßnahmen, einer Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedingungen, einer entschlossenen Haushaltskonsolidierung und

(Otto Fricke (FDP): Steuererhöhungen!)

strukturellen Reformen. Strukturveränderungen, die darüber hinaus für ein dauerhaftes Wachstum nötig sind, werden vorbereitet, zum Beispiel die Gesundheitsreform, die Unternehmensteuerreform, die „Reichensteuer“ und die Föderalismusstrukturreform. Diese werden die Beratungen für den Haushalt 2007 und den Finanzplan bis 2010 bestimmen.

   Als Mitglied des Haushaltsausschusses, das für den Etat der Bundeskanzlerin zuständig ist, möchte ich ein aktuelles Thema aufgreifen, das Sie und mich bewegt und von dem wir alle gepackt sind, obwohl wir gar nicht so recht gewusst haben, wie sehr es uns packen könnte. Dahinter verbirgt sich aber ein sehr grundsätzliches gesellschaftliches Thema; Herr Kauder, Sie haben es schon angesprochen. Die Zeitungen überschlagen sich und fragen: Was ist los in Deutschland? „Hoppla - sind wir das?“ titelte Gerd Appenzeller vom „Tagesspiegel“ in der vergangenen Woche seinen Kommentar und beschrieb sehr treffend, was viele von uns bewegt. Ich möchte daraus zitieren:

Wir mögen uns Deutschland ohne Weltmeisterschaft gar nicht vorstellen im Moment,
(Heiterkeit des Abg. Jörg Tauss (SPD))
ohne das Turnier, wohlgemerkt, nicht ohne den Titel,

- Das finde ich gut. -

das ist etwas ganz anderes. … Entweder verändert uns diese Weltmeisterschaft, oder sie hat uns die Augen dafür geöffnet, dass wir längst anders sind, als wir dachten. Wir alle, die wir in diesem Land leben, ob wir nun hier geboren oder zugewandert sind, ob schon unsere Eltern einen deutschen Pass hatten oder den eines anderen Landes. … Wenn in Neukölln und auf dem Kurfürstendamm junge Türken und Araber, in Deutschlandfahnen gehüllt, nach dem Sieg gegen Polen frenetisch hupend Autokorsos veranstalten, kann uns das die Augen dafür öffnen, dass dieses Land vielleicht viel weiter ist, als wir dachten.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Richtig: Deutschland ist bunt, nicht nur zur WM; Menschen aus unterschiedlichen Ländern, bunte Trikots, gemeinsames Feiern, gemeinsames Bangen um den richtigen Schuss ins Tor und - natürlich - das gemeinsame Jubeln, wenn der Treffer gelungen ist. Durch dieses gemeinsame Erleben des friedlichen großen WM-Festes entsteht mehr; es entsteht ein neues Gefühl der Nähe und Verständigung. Auch diejenigen sind gepackt, die sich nicht unbedingt für Fußball interessieren; auch ich habe das gemerkt.

(Jörg Tauss (SPD): Aha!)

Das gemeinsame bunte Leben in Deutschland scheint mit dieser Fußballweltmeisterschaft neu wahrgenommen zu werden und zusätzliche Impulse zu bekommen. Nicht nur die Defizite des Zusammenlebens, die in den letzten Monaten leider immer wieder Schlagzeilen machten, stehen im Mittelpunkt, sondern auf einmal eine zwar längst vorhandene, aber vielleicht nicht erkannte gemeinsame Lebenswirklichkeit. Genau diese positive Lebenswirklichkeit ist in der letzten Zeit in der Wahrnehmung zu kurz gekommen, vom Karneval der Kulturen in Berlin über die Integrationsarbeit in vielen Sportvereinen in der Bundesrepublik und in den vielen Jugendgruppen bis hin eben zu unserer Fußballnationalmannschaft; auch da hat sich ja etwas verändert. Jetzt berichtet die Presse darüber, wie weltoffen die Atmosphäre ist und was in Deutschland auch wirklich Grundlage ist.

   Dazu, beide Aspekte, sowohl die Defizite als auch die gelungene Integration, das gelungene Zusammenleben in Deutschland, zusammenzuführen, könnte als ein erster Schritt der Integrationsgipfel mit Vertreterinnen und Vertretern von Ländern, Städten und Gemeinden, Ausländerverbänden und Religionsgemeinschaften dienen. Damit soll ein Prozess zur Erarbeitung eines nationalen Aktionsplans eingeleitet werden. Ziel muss es sein, das Notwendige für Integration zu tun, aber auch die positiven Erfahrungen der unterschiedlichen Akteure zu nutzen und auszutauschen. Gute Beispiele müssen genutzt werden.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Ich habe festgestellt, dass in dem Einzelplan zum Amt der Bundeskanzlerin eine Menge enthalten ist, was mit den Fragen der Integration und damit zu tun hat, wie man Brücken zwischen den Völkern schlägt, und was der Verständigung dient. Dort ist ebenfalls das Amt der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Frau Professor Dr. Böhmer, angesiedelt; es ist ja jetzt erstmals im Haushalt des Bundeskanzleramts verankert. Mit diesem Haushalt haben wir die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass dieser Integrationsgipfel noch in diesem Sommer möglich wird.

   Wie wichtig dieser Austausch von Erfahrungen ist, habe ich gerade wieder in der Pfingstakademie des Berliner Wannsee-Forums erlebt. Da treffen sich zu Pfingsten jeweils an die hundert Jugendliche aus allen Teilen der Bundesrepublik, um ihre Erfahrungen im Bereich Jugendbeteiligung und in Bezug auf Jugendprojekte auszutauschen. Das ist eine bunte Gruppe von jungen Menschen. Das Thema, das ich mit ihnen diskutiert habe, war: Migration in Deutschland. Wir haben hart diskutiert. Eine junge Frau aus Köln, in der Ukraine geboren, formulierte das so:

Ich brauche die Verlässlichkeit, hier in Deutschland leben zu können. Ich lebe gerne hier, aber ich will auch, dass ihr mich wollt. Ich brauche echte Chancen in der Bildung und ich brauche eine Perspektive, zu arbeiten. Und: Ich brauche die Achtung und Anerkennung, die ich auch den Deutschen entgegenbringe.

Ich glaube, treffender kann man das nicht ausdrücken.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Zum Austausch gehört die Sprache. Sprache, Sprache, Sprache, immer wieder - zur Integration gehört das ganz notwendig dazu. Das müssen wir unterstützen, wie wir alle wissen. Ich glaube aber, auch da muss man das Rad nicht immer neu erfinden. Vor einigen Jahren haben die Firma McKinsey, das Bundesministerium für Bildung und Forschung und der Senat von Berlin einen „Spracherwerbskoffer“ für Kindergärten entwickelt. Mit ihm kann man nicht erst mit Kindern im Kindergartenalter, also in einem Alter ab drei Jahren, arbeiten, sondern schon viel früher, nämlich dann, wenn die Kinder anfangen zu sprechen. Zielgruppe wären auch nicht nur die Kinder mit einer anderen Sprache als Deutsch, sondern auch die deutschen. Wir stellen ja auch bei den deutschen Kindern immer wieder fest, dass ihre Sprache immer reduzierter wird und immer weniger in ihrer Vielfalt angewandt wird. Der Grundstein dazu wird in der Krippe und in der Kita gelegt. Dieser Spracherwerbskoffer ist eine der Möglichkeiten, die wir nutzen können und die wir in den Gedankenaustausch mit einbringen können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Die Bedingungen und Angebote für Integration müssen definiert werden; das ist ganz klar. Es muss aber auch der Diskriminierung entgegengewirkt werden. Zur Wahrnehmung neuer Aufgaben im Zusammenhang mit dem Antidiskriminierungsgesetz sind die Personalmittel im Bereich der Migrationsbeauftragten gegenüber dem Vorjahr um 324 000 Euro erhöht worden.

   Wir erleben im Moment, wie sehr der Sport Menschen verbindet. Das gilt aber auch für die Kultur. Der Sport wie die Kultur leisten tagtäglich Beiträge dazu, Menschen in unserem Land zusammenzubringen. Häufig geschieht das unter Mitwirkung von sehr vielen Ehrenamtlichen. Sport und Kultur schaffen so Verständnis, Achtung und ein gemeinsames Gefühl von Heimat und Identifikation. Damit schaffen sie die Grundlagen für Integration und zugleich auch für Eigenständigkeit. Sport und Kultur bauen Brücken untereinander und zu anderen Ländern.

   Sie haben sicherlich gemerkt, dass das meine Überleitung zu dem Haushalt des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Herrn Bernd Neumann, war.

   2006 beträgt der Haushalt für Kultur 914 Millionen Euro. Daran hat die Kulturstiftung des Bundes mit Hortensia Völckers an der Spitze, die gerade wiedergewählt worden ist, einen großen Anteil. Auch dort finden wir viele Projekte zur Integration als Brücke in andere europäische Länder. Ich nenne zum Beispiel das Büro Kopernikus, das deutsch-polnische Kulturprojekte initiiert. Übrigens wird Nikolaus Kopernikus sowohl von den Polen als auch von den Deutschen gleichermaßen für sich beansprucht. Ich nenne weiter das Projekt „Migration“, das etablierte Sichtweisen auf Migration überwinden will.

   Nach dem Koalitionsvertrag sind im Haushalt 2006 zusätzliche Mittel für die Kulturförderung auf der Grundlage des Bundesvertriebenengesetzes in Höhe von 1 Million Euro eingestellt worden.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das ist sehr gut!)

Die finanzielle Unterstützung dient zur Wahrung der eigenen kulturellen Wurzeln.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

   Sie können gleich weiterklatschen. Denn: Mit 2 Millionen Euro wird die Ausstellung „Flucht, Vertreibung, Integration“ im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gefördert,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

die neben Bonn und Leipzig auch in Berlin gezeigt wird. Diese Ausstellung zeigt übrigens ganz deutlich, wie groß die Integrationsleistung in Deutschland nach dem Krieg, also in einer weitaus schwierigeren Zeit, gewesen ist.

   Auch der Bundesanteil zur Unterstützung der Wahrung der Eigenständigkeit der Volksgruppe der Sorben als nationale Minderheit wird in Höhe von 7,6 Millionen Euro bewilligt. Ein neues Finanzierungsabkommen zwischen den Ländern Brandenburg, Sachsen und dem Bund ist allerdings dringend notwendig.

   Ich weise gern auf Genshagen hin. Das Berlin-Brandenburgische Institut für deutsch-französische Zusammenarbeit in Europa ist zunehmend auch im Dialog mit Polen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Gute Einrichtung!)

Auch das ist wichtig für den Brückenbau zwischen Nachbarn.

   Nicht zuletzt die Medien bringen Menschen unterschiedlicher Kulturen zueinander. Der neue Titel „Deutscher Filmförderfonds“ mit 14,3 Millionen Euro setzt einen kulturellen wie wirtschaftlichen Schwerpunkt. Die Deutsche Welle erhält circa 273 Millionen Euro. Sie trägt Informationen über Deutschland in viele Teile der Welt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Jörg Tauss (SPD): Gute Arbeit!)

- Das stimmt.

   Ich komme noch einmal zurück auf den Kommentar von Gerd Appenzeller:

Nicht nur unsere Gäste, auch wir selbst erleben uns völlig anders, als wir sonst sind - oder vielleicht zu sein glaubten? Ein Deutschland, das sich weder Bedenken tragend noch mürrisch präsentiert, ein Land, das fröhlich, begeistert und begeisternd ist, in dem schwarz-rot-goldene Fahnen geschwenkt werden und in dem die Bürger ganz selbstverständlich die Nationalhymne mitsingen, ohne dass ein Hauch von Überheblichkeit oder Chauvinismus mitschwingt.

   Ich füge als jemand, der sich für Fußball begeistert, hinzu: Vielleicht liegt das auch daran, dass sich die Ausstrahlung der deutschen Fußballnationalmannschaft erheblich verändert hat. Sie ist eine Mannschaft, die nicht zaudert, zögert oder defensiv spielt, sondern ein Team, das nach vorne geht, manchmal etwas riskiert, sich etwas zutraut und seine Chancen sucht; eine Mannschaft, auf die wir richtig stolz sind. Glückwunsch, Herr Klinsmann!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ich hoffe, dass die positive Stimmung, die hier im Regierungsviertel unweit vom Parlament, aber auch an vielen anderen Orten der Republik zu spüren ist, und das Selbstwertgefühl auch in den Monaten nach der Fußball-WM weiterwirken. Klinsmann hat gezeigt, dass ein Mentalitätswechsel möglich ist.

   Ich will mich an dieser Stelle bei den Kolleginnen und Kollegen für die Beratung im Haushaltsausschuss bedanken. Ich spüre immer wieder, dass die Zusammenarbeit gut funktioniert, auch wenn wir unterschiedlicher Meinung sind. Wenn das bei diesen Debatten herüberkommt, dann kann es nicht schaden.

   Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich darauf hinweisen, dass die namentliche Abstimmung zum Einzelplan des Kanzleramtes in etwa 16 Minuten, also in einer guten Viertelstunde, stattfinden wird. Das ist etwas früher, als wir zwischenzeitlich unter anderem auch im Videotext angekündigt hatten. So möchte ich auf diesem Wege die Kolleginnen und Kollegen, die nicht ohnehin schon hier sind, darauf aufmerksam machen, dass die namentliche Abstimmung in absehbarer Zeit aufgerufen wird.

   Nun erteile ich dem Kollegen Wolfgang Börnsen für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Petra Merkel, Sie haben mit Art und Ausrichtung Ihrer Rede genau das praktiziert, was Sie von anderen gewünscht haben, nämlich eine positive Einstellung zu vermitteln, ohne dabei die notwendige Differenzierung aus den Augen zu verlieren. Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Mit dem Etat der Bundeskanzlerin entscheiden wir auch heute gewissermaßen über den hochkarätigen Edelstein dieses Etats, nämlich die Kulturförderung. Deutschland hat eine der vitalsten Kulturszenen in der Welt.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Sehr richtig!)

Ob im Musiktheater, in der modernen Kunst, ob in der Literatur bis hin zu Fernseh- und Filmproduktionen: Kreativ, kritisch, herausfordernd bis anmaßend präsentiert sich die Spitzenkultur in unserem Land. Kultur ist gut für uns und Kultur tut gut.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sie kostet zwar viel, aber Unkultur kostet noch viel mehr.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Es ist bemerkenswert um die Kulturnation Deutschland bestellt. Das gilt für die Qualität, das gilt auch für die Quantität: mehr als 110 000 Theater-, Opern- und Musicalaufführungen jährlich, mehr als 7 000 Konzerte, die von über 35 Millionen Menschen besucht werden, mehr als 6 500 Museen und Ausstellungshäuser mit über 100 Millionen Besuchern. Die Bundesliga dagegen kommt gerade einmal auf 10 Millionen Zuschauer. Da können Sie einmal sehen, welchen Stellenwert bei uns die Kultur einnimmt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Um im Bild dieser Tage zu bleiben: In einigen Kulturbereichen sind wir sogar dabei, weltmeisterlich zu werden. Auf dem Weltkunstmarkt setzen wir erstklassige Akzente. Deutsche Orchester bestimmen europaweit die Maßstäbe in der Musik. Literatur aus unserem Land hat eine internationale Reputation. Das Kulturland Deutschland zeigt Kraft und Kreativität.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Die Kultur ist dabei nicht nur ein Kostgänger des Staates. Sie ist zu einer beispielhaften Wachstumsbranche geworden. Fast 800 000 Menschen arbeiten in Kreativberufen. Im Vergleich dazu: Die Automobilindustrie beschäftigt 620 000 Mitarbeiter. Innerhalb der letzten zehn Jahre ist die Anzahl der Kulturschaffenden bei uns um 31 Prozent gestiegen - ein jährliches Wachstum von 3,4 Prozent! Jeder Zweite davon ist selbstständig. Kultur und Kunst haben sich zu einem Jobmotor gemausert. Die Wertschöpfung im Kreativsektor betrug 2003 beachtliche 35 Milliarden Euro - 5 Milliarden mehr, als die Energiebranche auf die Beine brachte. Kultur schafft Beschäftigung!

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Das von manchen Kulturkritikern verbreitete Bild eines nur muffigen, kleinkarierten Landes stimmt objektiv nicht. Deutschland ist wieder, besonders im Kulturbereich, zu einem Land der Ideen geworden. Die meisten Anmeldungen beim Europäischen Patentamt kommen aus der Bundesrepublik. Solche Erfolge kommen nicht von ungefähr. Sie sind das Resultat einer an Freiheit orientierten Kulturpolitik des Bundes, der Länder und der Kommunen. Hier ist ein kreativer Bodensatz entstanden, der schöpferische Kräfte freisetzt und zu einem Aufbruch in der Gesellschaft führt. Glücklicherweise diktiert nicht die Nützlichkeit maßgeblich die Kulturförderung, sondern das Wissen um ihre identitätsstiftende Wirkung. Kulturelle Bildung schafft Toleranzkompetenz. Sie ist das Salz im Flechtwerk der Demokratie.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir verstehen Kunst und Kultur nicht als Dekoration. Sie sind existenzieller Teil unseres Staatsverständnisses.

   Im Einigungsvertrag nimmt dieser Gedanke eine Schlüsselfunktion ein. Heute, 15 Jahre später, lässt sich feststellen: Kunst und Kultur haben durch die Wirkungskräfte der Wiedervereinigung einen dynamischen Schub und neue schöpferische Kraft bekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Mit ihren Finanzbeiträgen für die Kultur haben alle Bundesregierungen diesen Prozess von Anfang an konstruktiv und verlässlich begleitet. Fast 1 Milliarde Euro für die Bundeskultur sind zu einer festen Größe geworden.

   Fast auf den Tag genau 15 Jahre nach dem hauchdünnen Hauptstadtbeschluss zugunsten Berlins lässt sich belegen: Unser Kulturstaat ist in seiner Hauptstadt erkennbar und erlebbar. Berlin ist zu einem erstklassigen Kulturschaufenster geworden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Jeder zweite Euro für die Bundeskultur wird hier investiert. Ob allerdings alle Investitionen der Erfüllung gesamtstaatlicher Aufgaben entsprechen, ist von den Mitgliedern des Haushaltsausschusses kritisch zu prüfen, Steffen Kampeter.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sehr richtig!)

   Auf jeden Fall praktiziert Staatsminister Bernd Neumann mit Professionalität und Pragmatismus Kulturförderung in der Kontinuität seiner Vorgänger. Für jemanden, der bedingt durch die vorgezogene Bundestagswahl fast ein Dutzend kultur- und geschichtspolitische Baustellen aus dem Stand hat übernehmen müssen, sind seine bisherigen Erfolge anerkennenswert. Das gilt auch für die Erhöhung der Mittel des Kulturhaushalts.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Die Bundeskanzlerin hat zutreffend von einer zweiten Gründerzeit in der Kultur gesprochen und damit nicht nur die neuen Medien gemeint. Die eindrucksvolle, würdige Eröffnung des Deutschen Historischen Museums ist ein Beispiel dafür. Geschichte als Mahnung, als Sinnstiftung, aber auch als Aufforderung zur Mitgestaltung an einer weltoffenen Demokratie der Partizipation!

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

   Für eine solch sachgerechte Ausrichtung wäre zu fordern, dass im Rahmen der Föderalismusreform für Art. 23 eine Formulierung gefunden wird, die unserem föderalen Staat in Brüssel eine einheitliche gesamtstaatliche Interessenwahrnehmung garantiert. Außerdem - das gilt auch für die EU - müssen wir uns einer Initiative anschließen, die unser Parlamentspräsident angestoßen hat, nämlich Deutsch als dritte Amtssprache aus den Brüsseler Verhandlungen nicht auszuklammern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer diesem Anspruch gerecht werden will, der muss auch dafür sorgen, dass die Förderung der Sprachkompetenz eine der Kernaufgaben der Kulturpolitik bleibt und im Land praktiziert wird - das ist auch wichtig für unsere Außendarstellung -; denn Sprache schafft Identität und öffnet erst die Tür zur Integration.

   Ich komme zum Ende.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ja, bitte.

Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU):

Das Bildungswesen in Deutschland, das auf dem Weg zur flächendeckenden Ganztagsschule ist, braucht ein Bündnis mit der Breitenkultur. Die Breitenkultur ist neben der Spitzenkultur einer der kreativsten und beachtlichsten Bereiche in unserer Demokratie. 7 Millionen Menschen sind in diesem Bereich ehrenamtlich tätig. Sie sollten in einer Kulturdebatte ebenso Anerkennung und Unterstützung finden wie die Spitzenkultur.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat nun die Kollegin Monika Griefahn von der SPD-Fraktion.

Monika Griefahn (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich war in der letzten Woche bei einer bemerkenswerten Veranstaltung. Es wurden drei Jubiläen gleichzeitig gefeiert: erstens das 30-jährige Jubiläum der Kulturpolitischen Gesellschaft, zweitens das 35-jährige Jubiläum der Fabrik, einem Kulturzentrum in Hamburg, und drittens das 30-jährige Jubiläum von MOTTE, einem Kulturzentrum, das stadtteilbezogene Kultur- und Sozialarbeit macht.

   Alle drei verkörpern das, was uns wichtig ist, nämlich Kultur für alle und Kultur so zu gestalten, dass alle teilnehmen können, wobei sie dort abgeholt werden, wo sie sind. Wir hatten in unserem Wahlprogramm die Losung: Kultur ist Lebensmittel. Sie ist kein Luxus, sondern sie ist eine Grundlage unseres Lebens.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU))

Ich glaube, wenn wir das mit unserer Politik deutlich machen können, dann haben wir viel erreicht.

   Wir haben dafür verschiedene Einrichtungen. Die Kulturstiftung des Bundes erreicht 2006 erstmals die Zielförderhöhe von 38 Millionen Euro. Das ist eine Menge Geld. Das Wichtige daran ist, dass wir gemeinsame Projekte mit anderen Ländern, aber auch gemeinsame Projekte in den Kommunen und in den Bundesländern machen können. Das ist die größte Stiftung ihrer Art in Europa, mit der sehr innovative Programme gestaltet und Projekte unterstützt werden können. So wird beispielsweise mit der Kulturstiftung der Länder die Restaurierung mobiler Objekte finanziert, wodurch sehr seltene Handwerksberufe wieder belebt werden können, die sonst aussterben würden. Das ist ganz wichtig; denn damit unterstützen wir den Erhalt von Arbeitsplätzen und sorgen dafür, dass Know-how erhalten bleibt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Wir haben bei der schrittweisen Sanierung eines bedeutenden Weltkulturerbes, der Museumsinsel in Berlin, dieses Know-how benötigt. Man sieht, dass die Menschen die Museumsinsel annehmen und diese ein Publikumsmagnet ist. Allein an dem einen Wochenende im letzten Jahr, an dem das Bode-Museum probeweise geöffnet war, kamen 25 000 Besucher. Daran sieht man, dass sich die Leute informieren wollen und dass sie Kultur wollen. Kultur gehört zur Grundausstattung und sie ist ein Lebensmittel. Deswegen ist Geld, das für Kultur ausgegeben wird, kein verschenktes Geld, sondern eine notwendige Investition, die gleichzeitig Arbeitsplätze schafft. Wir freuen uns, dass 2009 das Neue Museum eröffnet werden kann. Das Geld dafür ist wirklich gut eingesetzt.

   Nicht nur Berlin kommt die Tätigkeit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zugute. Im Rahmen des föderalen Programms arbeitet die Stiftung auch mit Institutionen der Länder zusammen, um hochwertige Ausstellungen zu realisieren. Deswegen glauben wir, dass es wichtig ist, dass es dem Bund auch nach der Föderalismusreform weiterhin möglich ist, Kultur zu fördern und mit den Ländern und den Kommunen zusammenzuarbeiten, genauso wie es mit anderen Ländern in der internationalen Politik möglich ist.

   Die internationale Politik macht sich vor Ort bemerkbar. Ich verweise auf das Haus der Kulturen der Welt, das nur 500 Meter von hier entfernt ist und ein Treffpunkt für viele Nationen ist. Zurzeit gibt es eine tolle Ausstellung über die brasilianische Kulturrevolution. Auch dieses Haus wird jetzt mit Mitteln bedacht, damit es renoviert werden und weiterhin ein Treffpunkt sein kann. Damit kann das, was Frau Merkel im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft dargestellt hat, weitergehen, nämlich der Spirit des Gemeinsamen, des Internationalen, des Offenen. Deswegen ist es gut, dass wir das fördern können.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin Griefahn, darf ich Sie einen Moment unterbrechen? - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, der Rednerin Gehör zu schenken und insbesondere in der Mitte des Saales die Privatgespräche einzustellen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)

Monika Griefahn (SPD):

Damit schlage ich eine Brücke vom Haushalt der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes zu dem Haushalt, den wir als nächsten diskutieren werden, dem des Auswärtigen Amts; denn die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik wird aus beiden Haushalten finanziert.

   Ein wichtiger Bereich, der im Ressort von Herrn Neumann angesiedelt ist, ist die Deutsche Welle. Ich bin sehr froh, dass wir die Deutsche Welle stabilisieren konnten und Herr Neumann angekündigt hat, sich in den kommenden Haushaltsverhandlungen weiter für angemessene Mittel einzusetzen. Ich glaube, wir können im Lande nicht einschätzen, welche Bedeutung die Deutsche Welle hat. Sie erreicht 90 Millionen Bürger weltweit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

In vielen Ländern der Welt, in denen es sonst keine Informationen gibt, hat sie die Funktion, Informationen zu verbreiten. Sie hat einen Etat, der kleiner als der des WDR ist. Wir sollten also nicht darüber diskutieren, ob das zu viel Geld ist. Die Finanzierung muss weitergehen; denn wir brauchen den Kontakt zu den Bürgern. Ich freue mich, dass wir jetzt zum Beispiel das arabische Programm haben, das noch ausgeweitet wird, dass wir den Afghanen geholfen haben und dass das spanische Programm weitergeht, was ebenfalls sehr kontrovers diskutiert worden ist.

   Zu weiteren Punkten der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik werden meine Kollegen Lothar Mark und Gert Weisskirchen etwas sagen.

   Ein zentraler Punkt betrifft die Kulturpolitik insgesamt: Wir müssen die Budgetierung vorantreiben. Das gilt besonders für die Goethe-Institute, aber auch für andere Einrichtungen, zum Beispiel den DAAD. Die Mittel müssen flexibler einsetzbar sein, damit wir in diesen Bereichen weiterkommen.

   Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Hans-Joachim Otto von der FDP-Fraktion.

Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP):

Liebe Frau Kollegin Griefahn, lieber Herr Kollege Börnsen, Sie haben in gewohnter Weise sehr schöne Worte für die Kultur und den Kulturhaushalt gefunden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Sie waren so schön, dass ich fast geneigt gewesen wäre, Ihnen zuzustimmen.

   Ein Thema haben Sie aber sehr konsequent ausgespart - ich stelle fest, dass während der gesamten Haushaltsdebatte kein einziges Wort darauf verwendet wurde -: Die Bundeskanzlerin hat vorhin angekündigt, dass die Föderalismusreform bis zur Sommerpause durchgepeitscht und vom Bundestag endgültig beschlossen werden soll. Die Konsequenzen aber, die dieses Reformwerk für die zukünftige Kulturfinanzierung hat, sind bisher von keinem Redner angesprochen worden.

   Sie haben mehrfach über die Kulturstiftung des Bundes gesprochen. Wir müssen ernsthafte Zweifel haben, ob die Kulturstiftung des Bundes angesichts des vorgesehenen Art. 104 b des Grundgesetzes überhaupt noch zulässig ist, ob sie überhaupt noch weiterhin fördern kann.

   Bei den Rednerinnen und Rednern der Koalition vermisse ich Folgendes: Alle Kulturpolitiker haben es in den vergangenen Wochen und Monaten versäumt, auf die Gefahren, Risiken und Fragen hinzuweisen, die der Kulturfinanzierung durch dieses Reformwerk in Zukunft drohen. Die vorgesehene Änderung des Grundgesetzes bedeutet, dass es dort, wo die Länder die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit haben, zum Beispiel im Bereich der Kultur, keine Kooperation von Bund und Ländern mehr geben darf.

   Ich halte es, gelinde gesagt, für unklug, dass die Kolleginnen und Kollegen von der großen Koalition hier hehre Worte finden, obwohl in der nächsten Woche dieser große Einschnitt in die Kulturpolitik droht. Das muss angesichts der Haushaltsberatungen heute mit einem Wort erwähnt werden. Hier droht Schaden für die deutsche Kultur.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Griefahn zur Erwiderung, bitte.

Monika Griefahn (SPD):

Erstens bin ich auf die Föderalismusreform eingegangen. Ich habe gesagt, dass der Bund weiterhin die Möglichkeit haben muss, mit den Ländern und Kommunen - genauso wie auf internationaler Ebene - Kulturpolitik zu machen. Dafür setzen wir uns ein.

(Beifall bei der SPD)

   Zweitens. Der Kollege Börnsen ist darauf eingegangen, dass wir auch auf europäischer Ebene die Vertretungsregelung diskutieren und schauen, wie wir das besser regeln können. Diese Sache müssen wir natürlich mit den Ländern abstimmen. Dazu können Sie in den Ländern, in denen Sie mitregieren, beitragen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

   Für uns ist das ein sehr wichtiges Ziel. Daran arbeiten wir - das haben wir auch immer deutlich gemacht -, auch als Kulturpolitiker.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort dem Kollegen Jörg Tauss von der SPD-Fraktion.

   In Verbindung mit den anderen Punkten mit Blick auf Stellenkürzungen, die meine Kollegin Griefahn angesprochen hat, werden wir sicherlich noch viel zu tun haben. 1,6 Prozent Stellenkürzungen in einem 10 000-Personen-Ministerium sind natürlich etwas anderes als 1,6 Prozent Stellenkürzungen in einem kleinen Goethe-Institut irgendwo vor Ort. Deswegen müssen wir uns um diese Fragen kümmern.

   Über die auswärtige Kulturpolitik wird nachher noch gesprochen. Ich glaube, ihre Bedeutung muss noch einmal deutlich zum Ausdruck gebracht werden. Gerade die heute so viel bemühte Fußballweltmeisterschaft ist eine Chance, über das, was wir jetzt im sportlichen Bereich erleben, hinaus, nämlich im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik, auch weiterhin für unser Land Akzente zu setzen und für unser Land zu werben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich gehe in Fußballstadien. Ich bin selbstverständlich Mitglied beim KSC. Aber es gehen immer noch mehr Menschen in Museen und Theater als in Fußballstadien. Deswegen müssen wir den Sport und die Kultur in den Mittelpunkt unserer Betrachtungen stellen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Ein wichtiger Bereich der Kulturförderung ist die Filmförderung. Es gibt gerade einen sehr schönen Film in Deutschland: „Das Leben der anderen“. Der Film ist wirtschaftlich erfolgreich, aber darüber hinaus ein hervorragender kultureller Beitrag zu einem Thema, das uns nach der deutschen Einheit bewegt, nämlich die Bewältigung dessen, was der Stasiapparat und andere auch im kulturellen Bereich in diesem Lande angerichtet haben. Es wäre ganz gut, wenn die Freunde von der PDS gelegentlich auch zu diesem Thema etwas sagen könnten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Die Filmförderung ist ökonomisch wichtig. In den Vereinigten Staaten von Amerika hat die Filmindustrie heute bereits eine höhere Bedeutung als die Automobilindustrie. Deswegen ist es für uns wichtig, uns um diesen Bereich zu kümmern und in diesem Bereich Förderung anzusetzen, so wie es der Beauftragte tut.

   Das gilt übrigens auch für einen zweiten Bereich, der häufig belacht und vernachlässigt wird und von dem man sagt, er habe nur mit Gewalt und Ballerei zu tun. Doch das stimmt nicht. Es geht um den Bereich der Computerspiele.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das ist ein Bereich, den wir in Deutschland völlig vernachlässigen, der aber zwischenzeitlich eine noch größere wirtschaftliche Komponente - er hat auch eine kulturelle Komponente - im Bereich der Jugendkultur hat als der Bereich des Films. Deswegen würde ich es mir sehr wünschen - leider ist vom Bundesrat gerade niemand anwesend -, dass wir über dieses Thema nicht nur unter dem Gesichtspunkt Ballerei und Gewalt diskutieren - was ein kleiner Randaspekt ist -, sondern unter dem Gesichtspunkt dessen, was kulturell und ökonomisch bis in den Bereich der Informatik für Deutschland möglich wäre.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Die Föderalismusreform ist einige Male angesprochen worden. Liebe Frau Bundeskanzlerin, Sie haben mich heute wieder so nett angesehen. Ich weiß gar nicht, warum Sie immer mich ansehen, wenn es um den Föderalismus geht.

(Heiterkeit bei der SPD)

Es scheint bei Ihnen angekommen zu sein, dass ich dazu noch ein paar Fragen habe. Im Kulturbereich können wir natürlich noch über das eine oder andere diskutieren, Kollege Börnsen.

   Frau Bundeskanzlerin, aus der Union kam der interessante Vorschlag, im Zusammenhang mit Art. 23 des Grundgesetzes - es war Rupert Scholz, der das vorgetragen hat - darüber zu diskutieren, ob es nicht sinnvoll wäre, dass der Bund die Interessen des Bundes und der Länder in Europa vertritt, und die österreichische Lösung zu übernehmen. Ich würde vorschlagen, über diesen Punkt am Sonntagabend zu diskutieren. Das wäre vernünftig.

   Hinsichtlich der Schulen, Frau Bundeskanzlerin - wir werden die Bildungsdebatte ja noch führen -, stimme ich Ihnen völlig zu. Mich interessiert nicht die Frage, wie Bayern die Schulzeit behandelt. Dazu habe ich eine Meinung; aber es interessiert mich nicht als Bundespolitiker. Mich interessiert nicht einmal die Frage, warum es nicht möglich ist, dass Bayern und Baden-Württemberg ein gemeinsames Lateinbuch herausgeben. Es gibt kein einziges Land, das mit einem anderen Land ein gemeinsames Schulbuch hat.

Darüber könnten wir einmal im Zusammenhang mit der Föderalismusreform diskutieren. Das ist jetzt aber nicht unser Thema.

(Beifall bei der SPD)

   Eines würde ich allerdings gerne thematisieren: Da die Länder für die Schulen zuständig sind - sie sollen es auch sein -, müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass jedes Jahr Zehntausende von Jugendlichen - auch aus Baden-Württemberg, Bayern, Berlin und Nordrhein-Westfalen - die Schule ohne Abschluss verlassen und keine Chance auf eine Lehrstelle haben. Dieses Problem wird dem Bund von den Ländern sozusagen vor die Haustür gekippt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Ich akzeptiere es, wenn die Länder nicht wollen, dass der Bund für die Schulpolitik zuständig ist. Aber ich will gemeinsam mit den Ländern darüber diskutieren können, welche Folgen sich aus ihrer misslingenden Schulpolitik für den Bund ergeben. Er muss nämlich Milliardenbeträge aufwenden, um die Folgen dieses Systems bis in die Schulstrukturen hinein zu reparieren.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ulrike Flach (FDP) und des Abg. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Da meine Redezeit gleich abgelaufen ist, möchte ich folgende Schlussbemerkung machen: Unsere Fraktion ist sich mit Peter Struck völlig einig: Über ein Kooperationsverbot muss diskutiert werden dürfen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das gibt es doch gar nicht!)

Liebe Frau Bundeskanzlerin, es macht keinen Sinn, im Grundgesetz vorzuschreiben, dass im Hinblick auf die Zukunftsthemen Bildung, Wissenschaft und Forschung keine Kooperation staatlicher Ebenen möglich sein darf. Das wäre Unfug. Meine Bitte an Sie ist, den Fraktionsvorsitzenden der SPD, die SPD-Fraktion, die vielen Vernünftigen in den Reihen der Union, der FDP, der Grünen und teilweise sogar der Linken hier zu unterstützen.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ich schließe die Aussprache.

   Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 04 in der Ausschussfassung. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/1862? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Zustimmung der Fraktion Die Linke abgelehnt.

   Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache 16/1892. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt.

   Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 04 in der Ausschussfassung ab. Es ist namentliche Abstimmung beantragt worden.

   Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann bitte ich, mit der Abstimmung zu beginnen.

   Haben jetzt alle Mitglieder ihre Stimmkarte abgegeben? - Das scheint der Fall zu sein.

   Ich schließe die Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen.

   Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.

(Unterbrechung von 13.26 bis 13.35 Uhr)
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 39. Sitzung - wird morgen,
Donnerstag, den 22. Juni 2006,
an dieser Stelle veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/16039
Seitenanfang
Druckversion