Bildwortmarke des Deutschen Bundestages . - Schriftzug und Bundestagsadler
English    | Français   
 |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ  |  Druckversion
 
Startseite > Blickpunkt Bundestag > Blickpunkt Bundestag - Jahresübersicht 1999 > Deutscher Bundestag - Blickpunkt Bundestag 4/99 Inhaltsverzeichnis >
Mai 04/1999
[ zurück ]   [ Übersicht ]   [ weiter ]

"Wir brauchen keine zusätzliche Kultur­Enquete im Bundestag"

Dr. Elke Leonhard
Interview mit der Vorsitzenden des Ausschusses für Kultur und Medien im Deutschen Bundestag, Dr. Elke Leonhard, SPD

Blickpunkt Bundestag: Am Morgen nach dem Einzug des Deutschen Bundestages in Berlin eröffnete der Ausschuß für Kultur und Medien den parlamentarischen Alltag im rekonstruierten Reichstagsgebäude mit einer Anhörung von Gedenkstättendirektoren zum umstrittenen Holocaust­Mahnmal. Sollte es ein Zeichen sein?

Dr. Leonhard: Eine leise Geste – der Beginn unserer Ausschußarbeit in Berlin im Respekt an die Gedenkstätten, die Leidensstätten und Friedhöfe waren und zugleich wichtige Aufklärungsorte für nachfolgende Generationen sind und bleiben.

Ihnen brachte dieser Vormittag Ärger mit Michael Naumann ein, dem Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien, weil sich die Gedenkstättenleiter einhellig gegen seine Pläne für eine Kombination des Mahnmals mit einem "Haus des Erinnerns" gewandt haben. Naumann warf Ihnen einseitige Einladungspolitik vor. In welcher Rolle sieht sich denn prinzipiell der Ausschuß gegenüber dem Ministerialbereich?

Den Vorwurf einseitiger Einladungspolitik weise ich mit aller Entschiedenheit zurück. Die Vorsitzende überprüft die von den Obleuten und Sprechern der Fraktion genannten Experten nicht willkürlich subjektiv nach ihrer Einstellung zu Naumann. Was die Frage nach dem Prinzip angeht, habe ich von Anfang an gesagt, daß ich entschiedene Verfechterin eines Dialoges und eines selbstbewußten Parlamentes bin. Der Bundestag ist weder Abnicker noch Weisungsempfänger. Dennoch: Bei allen Differenzen in der Sache, die ich im übrigen für konstruktiv halte, gibt es ein hohes Maß an kulturpolitischer Übereinstimmung: Wir wollen den Dialog mit den Kulturschaffenden beleben und vertiefen, und wir wollen die Rahmenbedingungen qualitativ verbessern. Es zeichnet sich ab, daß wir die Mehrheit für diese Linie bekommen.

Wie Ignatz Bubis zweifelt jetzt manch einer daran, daß das Mahnmal überhaupt noch gebaut wird. Kommt es noch vor der heißen Phase des Berliner Wahlkampfs zu einer Entscheidung im Bundestag?

Seit der Ruf an den Deutschen Bundestag erging, haben wir als zuständiger Ausschuß das Ziel verfolgt, daß zum Zeitpunkt der Abstimmung Sach­ und Entscheidungskompetenz möglichst nahe beieinander liegen. Klar ist: wir wollen ein Denkmal. Und wir werden es bekommen. Die Entscheidung des Bundestages kann noch in diesem Jahr stattfinden. Zwei Anträge liegen bereits vor. Einer – die Kombination des Denkmals mit einem "Haus der Erinnerung" – lehnt sich an den Vorschlag von Naumann an; er wurde insbesondere von jüngeren Kollegen um den Abgeordneten Michael Roth formuliert. Dem ist der Antrag von Professor Weisskirchen, Frau Professor Süssmuth und anderen nicht unähnlich, der ein Denkmal mit einem "Raum der Stille und Information" kombiniert sehen will. Mindestens zwei weitere Anträge werden folgen: Einer wird den Vorschlag des Theologen Richard Schröder aufgreifen, das biblische Gebot "Nicht morden" in den Mittelpunkt zu stellen. Insbesondere Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion schienen dieses Konzept zu favorisieren. Ich selbst formuliere mit Persönlichkeiten auch anderer Fraktionen einen Antrag, der ein "Mahnmal pur" beinhaltet. Das heißt konkret: wir wollen die Vorgaben und Ergebnisse des zweiten Wettbewerbsverfahrens, das der Bund, das Land Berlin und der Förderkreis für die Einrichtung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas ausgelobt haben, konsequent umsetzen – ein Denkmal ohne erläuternde und vermittelnde Zusätze, das der kontemplativen Erfahrung dient. Vorteil dieses Antrags ist, daß kein neues langwieriges Wettbewerbsverfahren notwendig wird, das Denkmal also umgehend realisiert werden könnte, daß die Brücke zum Land Berlin nicht abgebrochen wird und daß nicht zuletzt auch der früher geplante Kostenrahmen nicht überschritten wird. Kurz: Der Antrag wird in unmittelbarer Nähe zur zehnjährigen Debatte über das Denkmal stehen.

Wie stehen Sie zu Überlegungen im Deutschen Kulturrat, im Bundestag eine "Kultur­Enquete" zu installieren?

Vor wenigen Wochen habe ich auf Einladung des Kulturrates einen Dialog begonnen, die einzelnen Sparten befragt und bin dabei, eine Bestandsaufnahme unter anderem auch über die haushalts­ und gesellschaftsrelevanten Aspekte zu erstellen. Ich habe den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages beauftragt, von mir gestellte kulturrelevante Fragen zu beantworten. Ich werde in naher Zukunft darüber berichten. Kurz: es mangelt nicht an kulturpolitischen Konzeptionen und Reformpaketen, sondern an Geld. Wir sind der Kulturausschuß und damit zuständig für Kultur. Eine Kultur­Enquete halte ich daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht für erforderlich.

Themenwechsel: Wieviel Einflußmöglichkeit sehen Sie denn für den Kulturausschuß, so prekäre Probleme wie die der Buchpreisbindung oder der Reform des Stiftungsrechts lösen zu helfen? Sind Sie dabei nicht auf mächtigere Arme, zum Beispiel des Haushaltsausschusses, angewiesen?

Das sind mehrere Fragen auf einmal. Zunächst zur Buchpreisbindung: Gehen Sie davon aus, daß mir als ehemaliger außenwirtschaftlicher Sprecherin meiner Fraktion die Umsetzung Brüsseler Richtlinien nicht verborgen geblieben ist. Was die Buchpreisbindung angeht, hätte man früher aufwachen müssen, was nicht bedeutet, daß nicht bis zum letzten für den Erhalt gekämpft werden muß. In Kürze werde ich in Brüssel mit Karel van Miert sprechen. In Sachen Stiftungsrecht habe ich dafür gekämpft, daß der Kulturausschuß die Federführung bei der Reform des Stiftungsrechts erhält. Das ist gelungen. Das war richtig und weitsichtig – eine strategisch kluge Politik der Fraktionsspitzen, weil die immer knapper werdenden öffentlichen Mittel nach intelligenten Strategien des Staates verlangen, und was liegt da näher als eine Wiederbelebung der Stifterkultur? Wir hatten um die Jahrhundertwende in Deutschland über 100.000 Stiftungen, außerdem sollten fünf Billionen D­Mark privates Geldvermögen klug in diesem und für dieses Land gebunden werden. Hier stehen wir am Anfang eines überfälligen gesellschaftlichen Diskurses, der klarmacht, daß die Reform des Stiftungsrechts nicht nur Forschung, Wissenschaft, Kultur und Sport, sondern allen zugute kommt. Und zum dritten Teil der Frage: Ich bin durch viele Gespräche sicher, daß unsere Haushaltspolitiker wissen, daß "Kulturnation" nicht nur ein Begriff für Sonntagsreden ist.

Könnte ein "National Trust" nach britischem Vorbild auch in Deutschland der Kulturfinanzierung und Künstlerförderung dienlich sein?

Wir denken über alle Alternativen nach, brauchen aber zunächst eine Evaluierung der bestehenden Strukturen. Noch in diesem Jahr werden wir mit den Entscheidungsträgern in Großbritannien und Frankreich in einen Dialog eintreten, so daß Reformvorhaben auf gründlichen, fundierten internationalen Vergleichen und Erfahrungen aufbauen können. Dabei sollten wir auch Formen der Kunst­ und Kulturförderung jenseits des Atlantik im Blick haben: Hier geschieht Kulturförderung – anders als in der Bundesrepublik, anders als auch in Frankreich und Großbritannien – maßgeblich von privater Seite. Ein konkreter Vergleich: Die Bayerische Staatsoper in München erwirtschaftet ein Drittel ihres Finanzbedarfs selbst, zwei Drittel stammen aus öffentlichen Zuschüssen. Die Metropolitan Opera in New York dagegen kommt auf einen eigenwirtschaftlichen Anteil von zwei Dritteln; ein Viertel der Einnahmen stammt von Mäzenen, öffentliche Zuschüsse machen nur zehn Prozent aus. Und noch einige Zahlen: Einnahmen im Bereich Kunst und Kultur setzen sich in den USA zu 49 Prozent aus Erlösen, zu 39 Prozent aus privaten Zuwendungen zusammen. Die öffentliche Hand und Stiftungen sind mit fünf bzw. vier Prozent beteiligt. In Deutschland dagegen zahlt der Staat – Bund, Länder und Gemeinden – weit über 95 Prozent. Privates Engagement ist hier (noch) keine Größe.

Dr. Elke Leonhard

Schmerzt es Sie als frühere SPD­Sprecherin für auswärtige Kulturpolitik, daß dieser Bereich der Bundespolitik nicht im SPD­geführten Arbeitsbereich des Kulturstaatsministers, sondern beim Außenminister Joschka Fischer liegt?

Nein. Ich schätze Joschka Fischer, der uns im übrigen als erster eine konstruktive Zusammenarbeit angeboten hat, dies auch einhielt und der außerordentlich gute Reformvorschläge für die Auswärtige Kulturpolitik vorgelegt hat: Die wesentlichen Bereiche Demokratie und Menschenrechte sollen einen größeren Stellenwert erhalten. Über künftige Strukturen werden wir nach gründlicher Analyse und Aufgabenpolitik zu sprechen haben. Die Pluralität unserer Mittelorganisationen – darunter das Goethe­Institut, das Auslandsschulwesen, die Humboldt­Stiftung, der Deutsche Akademische Austauschdienst oder Inter Nationes, um nur einige Beispiele zu nennen – hat sich bewährt. Das heißt aber keineswegs, daß nicht Synergieeffekte und eine weitere Verbesserung unserer Außendarstellung möglich wären.

Kürschners Volkshandbuch Deutscher Bundestag weist Sie von Haus aus als bioenergetische Analystin aus. Wieviel Bioenergie braucht man denn, um dem deutschen Parlament wieder mehr kulturpolitische Stimme und Autorität zu geben?

Damit haben Sie den Punkt getroffen. Nach meiner Einschätzung geht es heute weniger um die große Rede, die für Minuten, Stunden oder Tage bewegt – so wichtig sie als zündender Funke auch sein kann. Autorität in der modernen Gesellschaft muß neu definiert werden: Dazu gehört der Dialog, der Streit, und dazu gehört intelligentes Management mit dem Ziel größtmöglicher Effizienz.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1999/bp9904/9904015
Seitenanfang
Druckversion