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Oktober 08/1999
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Ouvertüre im Bundeshaus

ERINNERUNG AN DIE ERSTE SITZUNG DES BUNDESTAGES

In der Nacht zuvor ist ein heftiges Gewitter über das Rheintal hinweggezogen. Am 7. September 1949, einem Mittwoch, treten die drei Wochen zuvor gewählten Abgeordneten des Bundestages und die acht Vertreter Berlins im neuen Plenarsaal in Bonn zur ersten Sitzung zusammen. In dem mit Blumen und den Wappen der elf Länder geschmückten Saal herrscht feierliche Stille, als das Kölner Gürzenich-Orchester mit Beethovens Ouvertüre "Weihe des Hauses" die parlamentarische Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland einleitet.

Erst eine Stunde vor der Eröffnung ist im vorläufigen Ältestenrat Einigkeit über die Sitzordnung erzielt worden. Die KPD am linken Rand, daneben die SPD, CDU/CSU, F.D.P., Deutsche Partei, Bayernpartei und Deutsche Rechtspartei am rechten Flügel, so lautet die Reihenfolge. Hintere Sitze erhalten Vertreter von Splitterparteien.

Um 16.15 Uhr tritt Paul Löbe ans Rednerpult. Der 74-jährige sozialdemokratische Abgeordnete aus Berlin ist der Alterspräsident. Es ist nicht nur sein Alter, das Löbe für die Aufgabe der feierlichen Eröffnung des Parlaments qualifiziert. Als letzter Reichstagspräsident vor der Machtübernahme Hitlers und als Vertreter Berlins im Bundestag verkörpert er sowohl den Anspruch auf Anknüpfung an die parlamentarische Tradition der Weimarer Republik als auch auf die Fortsetzung des einheitlichen deutschen Nationalstaats.

Die Wiedergewinnung der deutschen Einheit nennt Löbe vor den 402 anwesenden Abgeordneten deshalb auch als wichtigste Aufgabe. Gleichzeitig versichert er jedoch, "dass dieses Deutschland ein aufrichtiges, von gutem Willen erfülltes Glied eines geeinten Europas sein will". Bravorufe und lebhaften Beifall vermerkt das Protokoll an dieser Stelle. Eindringlich erinnert Löbe an die letzte Sitzung des frei gewählten Reichstages nach Hitlers Ermächtigungsgesetz im Januar 1933 in der Berliner Kroll-Oper. Er weist darauf hin, dass von den 94 SPD-Abgeordneten, die gegen das Gesetz gestimmt haben, 24 ihren Widerstand mit dem Leben bezahlen mussten. Während sich darauf Abgeordnete der demokratischen Parteien erheben, entsteht bei der extremen Rechten Unruhe. Auch andere Parteien hätten Opfer gebracht, lauten die Zurufe. Als Löbe dies einräumt und auch das Leiden der Heimatvertriebenen erwähnt, erheben sich alle Mitglieder des Hauses.

"Was erhofft sich das deutsche Volk von der Arbeit des Bundestages?", wendet sich der Alterspräsident an seine Kollegen und beantwortet dies so: "Dass wir eine stabile Regierung, eine gesunde Wirtschaft, eine neue soziale Ordnung in einem gesicherten Privatleben aufrichten, unser Vaterland einer neuen Blüte und neuem Wohlstand entgegenführen." Löbe beklagt sich, dass der zurückliegende Wahlkampf "oft das erträgliche Maß überschritten hat" und appelliert an die Parteien: "Es braucht nicht niederreißende Polemik, sondern aufbauende Tat."

Danach tritt der erste Bundestag zur Tagesordnung über. Auf Vorschlag von Konrad Adenauer wird Erich Köhler (CDU/CSU) mit 246 Stimmen zum ersten Bundestagspräsidenten gewählt. "Wir wollen dienen den Armen und Bedürftigen, wir wollen die Selbstsüchtigen in Schranken halten, und wir wollen den Schwachen vor dem Starken schützen", erklärt der Christdemokrat aus Wiesbaden in seiner Antrittsrede zur Richtschnur für die Arbeit des Parlaments. Zum ers-ten Vize-Präsidenten wird der Sozialdemokrat Carlo Schmid gewählt, zum zweiten Vize-Präsidenten Hermann Schäfer von der F.D.P..

Bevor das Parlament für diesen Tag auseinander geht, meldet sich der stellvertretende SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer zu Wort und stellt für seine Fraktion den Antrag "Der Bundestag wolle beschließen: Der vorläufige Sitz der leitenden Bundesorgane ist Frankfurt am Main. Der Bundestag versammelt sich alsbald in Frankfurt." Diese und weitere Anträge werden an den Ältestenrat überwiesen. Mit den Worten "Weitere Anregungen liegen nicht vor," schließt Köhler um 18.18 Uhr die konstituierende Sitzung.

Der letzte Satz der Fünften Sinfonie von Beethoven erklingt. Als die Abgeordneten in das Vestibül mit den einladenden Clubgarnituren eilen, bietet sich ihnen ein seltsames Bild. Etliche Arbeiter, die wegen der Vorbereitung des Festaktes 48 Stunden nicht mehr ins Bett kamen, sind dort erschöpft eingeschlafen.

Joachim Schucht

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1999/bp9908/9908065a
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