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Oktober 08/1999
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BERLINER ABGEORDNETE

In der Hauptstadt zu Hause

Der CDU-Abgeordnete Günter Nooke hat im neuen Verwaltungsgebäude des Bundestages Unter den Linden nur ein kleines Büro. Und doch ist er wohl einer der zufriedensten Parlamentarier in Berlin. "Ich bin schon ein bisschen privilegiert", meint er lachend. "Ich kann zu Fuß von meiner Wohnung in mein Büro gehen." Keiner seiner 669 Kollegen hat einen so kurzen Weg zu seinem Arbeitsplatz. Der Wahlkreis, in dem Nooke kandidiert hat, umfasst die Berliner Bezirke Mitte und Prenzlauer Berg. Der 40-jährige Politiker, der aus der Bürgerrechtsbewegung der DDR kommt, wohnt in der Friedrichstraße – nur wenige hundert Meter von seinem Büro entfernt. Kein Wunder, dass Nooke zu denen gehört, die sich über den Umzug des Parlaments von Bonn nach Berlin am meisten freuen.

Berliner Szene: Die Oranienburger Straße im Bezirk Mitte
Berliner Szene: Die Oranienburger Straße im Bezirk Mitte

Insgesamt 25 Abgeordnete des Bundestages sind im Herbst 1998 in Berlin gewählt worden. Haben sie jetzt mehr Einfluss als früher in Bonn? Nein, meint der frühere Wirtschaftsminister Günter Rexrodt. "Mein Landesverband ist in Berlin genauso groß wie in Bonn", sagt der Freidemokrat und lächelt. "Mein Stellenwert ist nicht gesunken oder gestiegen, nur weil das Parlament jetzt in Berlin tagt", sagt er. Der Einfluss eines Abgeordneten hänge nicht unbedingt davon ab, wo er seinen Hauptwohnsitz hat. Wichtiger sei immer noch, ob ein Parlamentarier eine Führungsaufgabe in seiner Fraktion hat oder ob er in einem wichtigen Parlamentsausschuss mitarbeitet.

Das sieht auch Jörg-Otto Spiller so. Wichtiger, nur weil er seinen Wahlkreis in Berlin hat? Nein, Spillers Einfluss ist gestiegen, weil er seit Mai finanzpolitischer Sprecher seiner Fraktion ist. "Dadurch hat sich mein Alltag mehr verändert als durch den Umzug nach Berlin", berichtet Spiller. Aber der Wechsel an die Spree macht dem Sozialdemokraten seine Arbeit auch leichter. Als finanzpolitischer Sprecher muss Spiller öfter auch in der sitzungsfreien Zeit präsent sein. "Da ist es schon schön, dass man nicht extra nach Bonn fliegen muss", sagt er. "Ich habe einfach mehr Zeit gewonnen." Es ist eben schön, wenn man in den eigenen vier Wänden morgens noch mit der Familie frühstücken und sich dann mit der S-Bahn auf den Weg zum Bundestag machen kann.

Günter Nooke
Günter Nooke
Jörg-Otto Spiller
Jörg-Otto Spiller
F. Eichstädt-Bohlig
F. Eichstädt-Bohlig
Günter Rexrodt
Günter Rexrodt
Petra Pau
Petra Pau

Spiller hat bei der Bundestagswahl den Berliner Wahlkreis Tiergarten gewonnen. In ihm liegt auch das Reichstagsgebäude. Der Zufall wollte es, dass er nach dem Umzug die erste "Arbeitsrede" im Plenum hielt. "Kein Wunder, der hat ja hier Hausrecht", spöttelte ein Kollege. "Reiner Zufall", sagt Spiller, aber er freut sich doch, erster Redner gewesen zu sein.

Eine Berliner Abgeordnete, die sich in den vergangenen Jahren besonders engagiert für den Umzug des Parlaments eingesetzt hat, ist Franziska Eichstädt-Bohlig von der Fraktion Bündnis90/Die Grünen. In ihrem geräumigen Altbaubüro im Gebäude der ehemaligen DDR-Generalstaatsanwaltschaft in der Louisenstraße erinnern die Ordner in den Regalen noch an diese Zeit. "Umzug Berlin", "Berlin allgemein", "Berlin Wohnungspolitik" steht auf den Ordnern der Bauexpertin ihrer Fraktion.

Natürlich genießt auch sie in erster Linie, dass sie mehr Zeit für ihr Privatleben gewonnen hat. "Ich versuche, morgens mit meinem Mann zu frühstücken, bevor ich in den Bundestag fahre", erzählt sie. "Es ist einfach familiärer als das Apartmentleben in Bonn." Trotzdem ist auch für die Berliner Abgeordneten der Terminplan während der Sitzungswochen so gefüllt, dass kurze Zwischenbesuche in der heimatlichen Wohnung kaum möglich sind. "Mein Terminkalender ist genauso voll wie früher, als ich noch Wirtschaftsminister war", berichtet Günter Rexrodt. Für Petra Pau, die im Wahlkreis Berlin-Mitte direkt gewählte PDS-Politikerin, hat der Umzug sogar mehr Arbeit gebracht. "Ich habe ja gedacht, ich hätte vielleicht ein bisschen mehr Zeit", sagt sei. Doch die ständige Verfügbarkeit der Berliner Abgeordneten führt eher dazu, dass die Anfragen wachsen, die eine oder andere Aufgabe zusätzlich zu übernehmen.

Berliner Szene: Wochenmarkt auf dem Winterfeldtplatz im Bezirk Schöneberg
Berliner Szene: Wochenmarkt auf dem Winterfeldtplatz im Bezirk Schöneberg

CDU-Mann Nooke berichtet Ähnliches. "Wenn keiner Zeit hat für die letzte Besuchergruppe an einem Tag, dann heißt es: Mach du doch das, du wohnst doch gleich um die Ecke." Der verheiratete Vater von drei Töchtern berichtet, viele Abgeordnete hätten sich in Berlin auch größere Wohnungen genommen, statt wie in Bonn in kleinen Ein-Raum-Appartements zu logieren. "Es passiert hier viel häufiger, dass man Kollegen trifft, die einem ihre Kinder oder Ehepartner vorstellen. Nach Bonn sind die nicht gekommen, nach Berlin schon", bestätigt auch Jörg-Otto Spiller diese Beobachtung Nookes.

Berliner Szene: Café am Gendarmenmarkt
Berliner Szene: Café am Gendarmenmarkt

Als Fremdenführer werden die Berliner Abgeordneten mittlerweile aber kaum noch von ihren Kollegen in Anspruch genommen. "Die meisten wissen schon, wo gute Restaurants sind oder wo man abends mal schön ausgehen kann", berichtet Franziska Eichstädt-Bohlig. Anfangs sah das anders aus. Da wurden die Berliner immer wieder gefragt, wo die schönsten Wohngegenden der Hauptstadt seien oder mit welchen Verkehrsmitteln man sich am besten fortbewegt.

Berliner Szene: Die Hackeschen Höfe im Bezirk Mitte
Berliner Szene: Die Hackeschen Höfe im Bezirk Mitte

Die meisten fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln – auch weil es schneller geht. Eichstädt-Bohlig zum Beispiel bestellte sich kürzlich einmal einen Wagen der Fahrbereitschaft des Bundestages, um von einer Sitzung schnell zum Reichstagsgebäude zu kommen. Stau am Brandenburger Tor. "Da bin ich schnell rausgesprungen und zu Fuß weiter", sagt sie. Von ihrer Charlottenburger Wohnung fährt sie mit dem Fahrrad ins Büro. Rexrodt, der in der Nähe des Ludwigskirchplatzes, der tiefsten "West-Berliner Szene", in einem Penthaus wohnt, nimmt die S- oder die U-Bahn. "Die Menschen sprechen einen da schon an", berichtet er – und sagt, dass er sich über diesen Kontakt auch freut.

Petra Pau, die Berliner PDS-Landesvorsitzende, war als "Umzugsbeauftragte" ihrer Fraktion lange mit allen Fragen befasst, die mit dem Wechsel vom Rhein an die Spree zusammenhingen. "Da war unser Sachverstand natürlich gefragt." Dass deswegen der politische Einfluss der Berliner gestiegen sei, sieht sie aber wie ihre Kollegen aus den anderen Fraktionen nicht.

Die Berliner waren in der Vergangenheit auch nie besonders einflussreich. Das lag vielleicht auch daran, dass sie erst seit 1990 volles Stimmrecht im Parlament haben. Vorher wurden die West-Berliner Abgeordneten durch das Berliner Abgeordnetenhaus benannt, und zwar nach der Stärke der dort vertretenen Fraktionen. Wegen des Vier-Mächte-Status für Berlin durften sie nicht direkt gewählt werden. "Es war schon eine merkwürdige Situation, dass ein Politiker wie der frühere SPD-Fraktionsvorsitzende Hans-Jochen Vogel kein volles Stimmrecht hatte, wenn es bei Abstimmungen drauf ankam", erinnert sich Spiller.

Carsten Germis

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1999/bp9908/9908078a
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