Bildwortmarke des Deutschen Bundestages . - Schriftzug und Bundestagsadler
English    | Français   
 |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ  |  Druckversion
 
Startseite > Blickpunkt Bundestag > Blickpunkt Bundestag - Jahresübersicht 2001 > Deutscher Bundestag - Blickpunkt 09/2001 >
09/2001
[ zurück ]   [ Übersicht ]   [ weiter ]

Schreibtisch

Kreativ, aber mit System

Der Schreibtisch ist immer ein Original. Kaum ein Möbelstück erzählt so viel über einen Menschen wie dieses. Das trifft natürlich auch auf den Schreibtisch der CDU/CSU-Abgeordneten Ursula Heinen zu.

Der Schreibtisch der CDU/CSU-Abgeordneten Ursula Heinen.
Der Schreibtisch der CDU/CSU-Abgeordneten Ursula Heinen.

Mit sechs bekam sie ihren ersten Schreibtisch. Schließlich ist man mit sechs ein Schulkind. Eigentlich war der Schreibtisch mehr eine Schreibplatte, die von einer Wand ihres Zimmers zur anderen reichte und auf der ganz viele wichtige Dinge abgelegt werden konnten: Malutensilien, Bücher, Papier, Spielzeug, Schulsachen, Schachteln voller Schätze und Geheimnisse. Ursula Heinen gefiel diese einfache Spanplatte. Sie war ihr erster richtiger Arbeitsplatz. Der zweite wurde dann einige Jahre später bei Ikea ausgesucht. Sie durfte selbst entscheiden und entschied sich für weiß, schlicht, funktional. Weiß steht heute bei Ursula Heinen nicht mehr so hoch im Kurs, wenn es um Möbel geht. Die CDU-Abgeordnete liebt Schwarz und schätzt weiterhin Funktionalität.

Die CDU/CSU-Abgeordnete Ursula Heinen.
Die CDU/CSU-Abgeordnete Ursula Heinen.

Die 36-jährige Parlamentarierin findet, dass man Schreibtische in Besitz nehmen muss. Dafür braucht es Ausblick zum Denken, Platz zum Arbeiten, Raum für die Ablage und Fächer zum Verstecken all der Dinge, die sich in keine Ordnung fügen: Stifte, Büroklammern, Zettel, Scheren, Lineale, Minen, Patronen, Magnete, Klarsichthüllen, Briefumschläge, Brieföffner.

Detailansichten des Schreibtischs der CDU/CSU-Abgeordneten Ursula Heinen.
Detailansichten des Schreibtischs der CDU/CSU-Abgeordneten Ursula Heinen.

Der Ausblick ist gegenwärtig ein Problem, und mit dem Platz ist es nicht weit her. Ursula Heinens Büro befindet sich im Haus Mauerstraße 29 – ein kleiner Raum, dessen Vertikale mehr misst als Länge und Breite. Das Fenster ist groß und gibt den Blick auf eine unschöne Hauswand frei, die mehr einen Lichtschacht als einen Innenhof begrenzt. Der Platz zwischen Schreibtisch und Wand reicht nicht aus, um mit dem Drehstuhl die kleinste Reise zu unternehmen – ein bisschen Schwung und man steht an der Wand. Der Schreibtisch selbst ist ausreichend groß, hellgrau und ein wenig plump. Er gewänne unter den "Organisationsmöbeln" keinen Schönheitswettbewerb.

Detailansichten des Schreibtischs der CDU/CSU-Abgeordneten Ursula Heinen.
Detailansichten des Schreibtischs der CDU/CSU-Abgeordneten Ursula Heinen.

Ursula Heinen hat also aus diesem Schreibtisch ihren Schreibtisch gemacht. Von oben betrachtet, ist er eine kleine Landkarte, aus der sich manches über Arbeitsstil und Arbeitslust, Vorlieben und Abneigungen, Privates und Öffentliches ablesen lässt. Was die Augen sehen, sind Gegenstände. Vorerst ohne Geschichte und Geschichten. Man kann eine schnelle Fahrt mit dem Finger über die Landkarte machen und ab und zu einen kleinen Zwischenstopp einlegen. So erfährt man einiges, bei dieser Inventur der Gegenstände von links nach rechts: eine schwarze Lampe, ein großes weißes Telefon mit schmalem Display und 53 Tasten, ein silberner Laptop, auf dem ein roter Ordner liegt:

Detailansichten des Schreibtischs der CDU/CSU-Abgeordneten Ursula Heinen.
Detailansichten des Schreibtischs der CDU/CSU-Abgeordneten Ursula Heinen.

Ich finde Laptops angenehm. Sie sind eine wunderbare Erfindung. Große Computer auf dem Schreibtisch stören mich, der Bildschirm versperrt meist die Sicht. Vor allem aber kann man einen Computer nicht mitnehmen. Ich bin fast immer mit meinem Laptop unterwegs. Das ist ein Segen, so arbeiten zu können. Außerdem – ich empfange und schreibe sehr viele E-Mails. Das ist ja inzwischen die zweite Post. Und ich schaue mir die E-Mails auch immer zuerst an.

Mit einer großen Tasse mit der Aufschrift "Boston" und den Stars and Stripes und einem Lebkuchenbären mit halben Mandeln dekoriert in knisternder Folie verpackt, die durch rotes und gelbes Schleifenband gehalten wird, geht die Bestandsaufnahme weiter. Ein Bär zum Essen?

Detailansichten des Schreibtischs der CDU/CSU-Abgeordneten Ursula Heinen.
Detailansichten des Schreibtischs der CDU/CSU-Abgeordneten Ursula Heinen.

Der war gestern noch nicht da. Wer mag mir so etwas geschenkt haben? Moment, ich frage meine Mitarbeiter. Ach, es ist wirklich ein Geschenk zu meinem Geburtstag vor ein paar Tagen. Lieb, nicht? Weil ich Geburtstag hatte, stehen hier auch so viel Blumen im Zimmer. Aber auf dem Schreibtisch mag ich Blumen nicht so gern. Sie stören einfach bei der Arbeit.

Eine schwarze Unterschriftenmappe, die man erwartet, liegt auf dem Tisch, ein silberner Postkartenhalter von Alessi, in dem ein Kalender steckt, steht am hinteren Rand. Den hat mir meine Mutter geschenkt. Man bekommt ja im Laufe der Jahre viel für den Schreibtisch geschenkt und kann nicht alles hinstellen. Aber dieses kleine Stück von meiner Mutter, das will ich auf jeden Fall hier stehen haben.

Detailansichten des Schreibtischs der CDU/CSU-Abgeordneten Ursula Heinen.
Detailansichten des Schreibtischs der CDU/CSU-Abgeordneten Ursula Heinen.

Und wenn man bei Geschenken ist, gleich daneben steht ein silberner Kugelschreiberhalter mit blauem Kugelschreiber.

Den habe ich von meinem Mann bekommen. Sieht schön aus, nicht wahr? Zu Hause in Köln teile ich mir einen Schreibtisch mit meinem Mann. Einfach ist das nicht, wir haben ganz unterschiedliche Arbeits- und Ordnungsprinzipien. Aber ich liebe diesen Schreibtisch zu Hause. Er steht am Fenster, und ich kann auf den Rhein schauen. Das ist doch traumhaft. Die unterschiedlichen Ordnungsprinzipien? Ich bin chaotischer, auf jeden Fall. Ich zwinge mich zur Ordnung, weil es angenehmer ist und die Arbeit erleichtert. Aber wenn ich mal eine Auszeit habe und nicht so auf Ordnung achten muss... Früher bin ich oft mit meiner Lieblingstante in den Urlaub gefahren. Sie musste als Kind immer ganz ordentlich sein. Aber wenn wir dann zwei Wochen für uns waren, im Urlaub, also die Zimmer, das war manchmal wirklich unordentlich. Absolut entspannend so etwas. Mit meinem Mann und dem gemeinsamen Schreibtisch läuft das heute so: Wenn ich am Wochenende oder in der sitzungsfreien Zeit die mitgebrachte Arbeit auf dem Schreibtisch verteile, baue ich Stapel. Die wachsen nicht in den Himmel, aber – na ja – es sind eben Stapel. Irgendwann nimmt mein Mann alles weg und baut aus den vielen Stapeln einen Stapel. Er legt alles übereinander. Er kann so nicht arbeiten. Aber wissen Sie, es funktioniert. Am Ende können wir uns immer einigen.

Detailansichten des Schreibtischs der CDU/CSU-Abgeordneten Ursula Heinen.
Detailansichten des Schreibtischs der CDU/CSU-Abgeordneten Ursula Heinen.

Und der orangefarbene Miniaturstuhl mit silbernen Beinen? Das ist auch ein Geschenk, da kann ich mein Handy reinstellen. Irgendwie witzig das Stück.

Ein kleiner gelber Notizblock – Ursula Heinen verbraucht eine Unmenge Notizblöcke und -zettel – eine Büroklammer, eine Kassette für das Aufnahmegerät, das Aufnahmegerät selbst, ein kleiner loser Stapel Papiere und Mappen lassen sich nur schwer in Ordnungssysteme fügen. Hauptsache man weiß, wo diese Dinge liegen und sie stören nicht bei der Arbeit.

Büroklammern hat man immer zu wenig. Oder besser: Wenn man sie braucht, sucht man sie jedes Mal. Mit Klarsichtfolien ist es genauso. Das scheint mir eine Gesetzmäßigkeit zu sein. Rechts neben der freien Arbeitsfläche liegt ein kleines blaues Buch mit dem Titel "Als Christ in der Politik" von Horst Waffenschmidt – doch noch ein Geschenk, mit persönlicher Widmung des Autoren versehen -, vier Acrylbehälter zu je zweien übereinander gestapelt und mit Papieren und Mappen gefüllt, stehen in der rechten oberen Ecke.

Detailansichten des Schreibtischs der CDU/CSU-Abgeordneten Ursula Heinen.
Detailansichten des Schreibtischs der CDU/CSU-Abgeordneten Ursula Heinen.

In jeder Sitzungswoche unternimmt man erneut den Versuch, alle Stapel abzuarbeiten. Es ist illusorisch. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben mir hier eine ganz einfache und wunderbar funktionierende Ablage eingerichtet. Ein Fach ist mit "Büro Ausgang" beschriftet. Ist klar nicht? Büro z.d.A. heißt: zu den Akten. Hier habe ich also meine Arbeit geleistet, und es kann abgeheftet werden. "UH to do?" UH steht für Ursula Heinen. Und dann gibt es noch "UH to Read". Wie Sie sehen, ist der Stapel "to do" am größten. Das ist immer so, egal, wie man sich anstrengt. Hier vorn rechts habe ich mir noch einen Stapel hingelegt. Mein Lieblingsstapel. Wenn die Sachen in einem Fach lägen, müsste "Super dringend" draufstehen. Dann liegen hier noch meine Terminmappe und die Unterschriftenmappe. Vom Gefühl her, wenn ich das jetzt hier so sehe, ist dieser Schreibtisch zu voll. Mich stören ja Stapel eigentlich, obwohl ich eine Stapelbauerin bin. Irgendwann habe ich Sorge, etwas durcheinander zu bringen. Auf jeden Fall aber muss in der Mitte noch eine Arbeitsfläche frei sein. Sonst wird's ganz verrückt. Wenn ich einen Schreibtisch mit Glasplatte hätte, könnte ich meine Füße sehen, wenn die Arbeitsfläche frei ist. Wäre doch ein gutes Kriterium.

Detailansichten des Schreibtischs der CDU/CSU-Abgeordneten Ursula Heinen.
Detailansichten des Schreibtischs der CDU/CSU-Abgeordneten Ursula Heinen.

Wenn Ursula Heinen nach einer langen und anstrengenden Sitzungswoche nach Hause fährt, räumt sie jedes Mal vorher ihren Schreibtisch auf. Erst dann ist die Arbeitswoche richtig beendet, und die nächste Arbeitswoche kann auch wieder gut beginnen. Ein Schreibtisch, sagt sie, sei etwas sehr Intimes.

Egal, wo ich arbeite, es ist dann irgendwann mein Schreibtisch. Er gibt etwas über mich preis. Jeder Ort, an dem man arbeitet, verrät etwas über die Person. Und man nimmt natürlich Einfluss darauf, was da verraten wird. Bevor ich fahre, muss ich klar Schiff machen, sonst fühle ich mich nicht wohl. Ich finde, ein Schreibtisch verrät viel über den Charakter des Menschen, der an ihm arbeitet. Wie ich dann meinen Charakter beschreiben würde? Kreativ. Aber mit System.
Kathrin Gerlof

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2001/bp0109/0109085a
Seitenanfang
Druckversion