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Hintergrund

Kein Tag wie jeder andere

Angelika Krüger-Leißner

Vier Jahre im Bundestag haben Angelika Krüger-Leißner gelehrt, dass es oft anders kommt, als man denkt. So ein bisschen Chaos macht das Leben erst spannend.

So, wie sie morgens kurz vor neun ins Büro kommt, können die Dinge nicht schlecht stehen. Eleganter Nadelstreifenanzug, weiße Bluse, gebändigte schwarze Locken, etwas gewagte Schuhe. Sie lächelt, stellt mit Schwung die knallrote Handtasche auf den Stuhl, begutachtet ein wenig stolz ihre Anstrengungen vom Vorabend und begrüßt alle mit kleinen Freundlichkeiten. Am Abend zuvor hatte die SPD-Abgeordnete noch lange die Papierstapel auf ihrem Schreibtisch geordnet und sortiert, nun sieht es wirklich aus, als könnte ein neuer Tag beginnen. Ihr Büroleiter Frank Bartsch bringt Kaffee. ?Schön“, sagt die 50-jährige SPD-Abgeordnete Angelika Krüger-Leißner und schenkt ihm ein Lächeln. Noch fünf Minuten Auszeit, dann geht’s rein ins Leben, das heute turbulent zu werden verspricht.




Fraktionssitzung

9.15 Uhr:
vor Beginn der Fraktionssitzung.

Für diesen Dienstag, den Tag der Kanzlerwahl, gab es einen vorläufigen und gibt es einen bestätigten Plan. Am Ende wird das Protokoll einige Abweichungen aufweisen. Insoweit ist es also ein Tag wie jeder andere. Aber erst einmal geht es los wie abgemacht – mit der Fraktionssitzung im Reichstagsgebäude. Die Abgeordnete Krüger-Leißner legt Tempo vor und wählt für Unkundige gewagte Wege durch das Jakob-Kaiser-Haus. ?Das ist der kürzeste Weg in den Reichstag“, sagt sie und die schmalen halbhohen Absätze ihrer schwarzen Pumps – ?Ich habe einen kleinen Schuhtick“, sagt sie – tackern einen schnellen Rhythmus. Die Fraktionssitzung dauert an diesem Tag nicht lang, heute werden keine Gesetzesentwürfe beraten und keine Anträge diskutiert. Heute wird der Bundeskanzler gewählt, danach vereidigt, das Bundeskabinett vorgestellt und ebenfalls unter Eid genommen. Die Fraktionssitzung braucht nur eine Stunde, danach geht es sofort in den Plenarsaal.

Die Wahl des Bundeskanzlers dauert eine Stunde. Draußen auf den Gängen hört man kurz vor halb zwölf lauten Applaus. Der alte und neue Bundeskanzler nimmt die Wahl an.

Angelika Krüger-Leißner kommt aus dem Saal und ändert zum ersten Mal den Tagesplan. Nicht jetzt wird sie mit Manfred Stolpe sprechen, sondern nach der nächsten Plenarrunde, also ab ins Büro, wo Manuela Vollbrecht wartet.

Die 40-jährige Lehrerin aus Priort soll für die Abgeordnete im Wahlkreis Oberhavel/Havelland II arbeiten und ist gekommen, um ihren Arbeitsvertrag zu unterschreiben, das Team im Bundestagsbüro kennen zu lernen und mit der Abgeordneten über die Aufgaben der kommenden Wochen zu reden. Die Abgeordnete und die Wahlkreismitarbeiterin kennen sich schon länger aus der gemeinsamen Parteiarbeit, es geht also auch gleich zur Sache und um Sachfragen. Gemeinsam mit den anderen Mitarbeitern werden Termine besprochen, diskutiert man über möglichst effektive Arbeitsstrukturen, die Wahlkreis und Bundestagsbüro miteinander verknüpfen sollen, ohne überflüssige Bürokratie zu schaffen.

Büro

11.40 Uhr:
Gespräch mit Mitarbeitern im Büro.

Die Abgeordnete strukturiert das Gespräch und lässt zugleich jeder und jedem Raum, auch über sich zu reden, vergisst nicht, die Vereinbarkeit von beruflichen und persönlichen Interessen zur Sprache zu bringen. So ist ?die Neue“ gleich einbezogen in einer angenehmen Art und Weise, scheint sich wohl und aufgehoben zu fühlen, wird neugierig gemacht auf das, was da auf sie zukommt.

Für 13 Uhr ist in der Parlamentarischen Gesellschaft ein Treffen der ?Seeheimer“ geplant, einer Gruppe von SPD-Abgeordneten, die sich zu Helmut Schmidts Kanzlerzeiten zu dessen Unterstützung gründete und seitdem regelmäßig trifft. Die Abgeordnete Krüger-Leißner schafft es erst auf den letzten Punkt, zur Besprechung zu kommen.

Freundeskreis Ravensbrück

15.10 Uhr:
Treffen mit dem Freundeskreis Ravensbrück.

Eines allerdings entschädigt ein wenig für den Stress: Bei den Seeheimern kommt sie endlich dazu, ein paar Happen zu essen. Es ist die erste Mahlzeit an diesem Tag, denn ein ordentliches Frühstück mit Ehemann und Tochter – die Große ist bereits aus dem Haus –, das gibt die eher zur Nachtarbeit neigende Abgeordnete zu, schafft sie fast nie. Da müssen Tee und Vitamintabletten genügen.

Um halb drei geht es zurück in den Plenarsaal. Während der kurzen und feierlichen Vereidigung des Bundeskanzlers ist es im gesamten Reichstagsgebäude für einen Moment fast still.

Die Abgeordnete Krüger-Leißner verschiebt aus Zeitgründen ein zweites Mal das geplante kurze Treffen mit Manfred Stolpe und eilt ins Café Tucher am Pariser Platz. Dort warten Mitstreiter des Internationalen Freundeskreises der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück e.V. und die Leiterin der Gedenkstätte auf sie. Die Abgeordnete ist stellvertretende Vorsitzende des Freundeskreises. Diskutiert wird im Tucher, oben auf der Galerie in einer lauschigen Sofaecke, wie und wann die nächste Mitgliederversammlung stattfinden soll. Angelika Krüger-Leißner macht Vorschläge, wie in diese Versammlung ein Videoprojekt mit anschließender Podiumsdiskussion eingebunden werden kann. Man redet sich in produktive Rage, verwirft Vorschläge, um neue zu kreieren, kommt nicht ganz zu einem Ende, aber ein gutes Stück weiter.

Zurück in den Plenarsaal, wo um halb fünf das Kabinett vorgestellt und vereidigt werden soll. Wieder so ein kurzer, aber feierlicher Moment, wenn alle Abgeordneten aufstehen und der künftigen Regierung Reverenz erweisen. Danach findet das Treffen mit Manfred Stolpe statt, der kurzen Wege halber gleich im Reichstagsrestaurant. Saal ?Brandenburg“ wäre jetzt eigentlich nicht schlecht, aber bitte, man wird sich sicher noch oft und an den verschiedensten Stellen über das Bundesland unterhalten, in dem der Wahlkreis der gebürtigen Jüterbogerin liegt. Heute will sie den neugekürten Minister Stolpe bitten, bei einer Veranstaltung am 16. November in Löwenberg dabei zu sein. Wenn es geht, wird er gern kommen. Zwanzig Minuten, mehr Zeit haben die beiden nicht, dann geht’s weiter.

Bundestagsrestaurant

16.50 Uhr:
Gespräch mit Manfred Stolpe im Bundestagsrestaurant.

Neu auf dem Plan ist ein Treffen der ostdeutschen Abgeordneten der SPD-Fraktion, das jetzt gleich stattfinden soll. Für einen kurzen Moment hält die Abgeordnete inne, um zu überlegen, ob sie das jetzt noch vor dem ersten Abendtermin schafft, dann rafft sie sich auf und eilt davon.



Ausstellung in der bayerischen Landesvertretung

18.20 Uhr:
Ausstellung in der bayerischen Landesvertretung.

Kurz vor halb sieben kommt die inzwischen doch etwas echauffierte Abgeordnete in die Bayerische Landesvertretung. Sie ist zu einem Klavierabend mit Lesung geladen. Künstlerinnen und Künstler, die vom Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia in Bamberg gefördert werden, stellen sich vor. Unten im Bierkeller ist bereits alles für das Essen danach gerichtet. Aber da wird Angelika Krüger-Leißner längst fort sein und wieder in der Runde der ?Seeheimer“ sitzen. Jetzt aber, vor Beginn der Veranstaltung, bleibt zumindest noch Zeit, sich die Ausstellung in der Eingangshalle anzuschauen und festzustellen, dass man irgendwann mal mit ausreichend Zeit im Gepäck nach Bayern fahren muss. ?Hab‘ ich wieder was gelernt“, sagt die Abgeordnete nach dem kurzen Ausstellungsrundgang. Eine kleine Müdigkeit steht ihr ins Gesicht geschrieben. Irgendwann in dieser Nacht wird sie zu Hause in Schönwalde anlanden. Die Familie wird vielleicht schon schlafen. Möglich, dass Leopold sie noch begrüßt. Familienhunde haben ja ein gutes Gespür. Außerdem wollen sie reingelassen werden, wenn nachts der Wind um die Ecken pfeift.

Text: Kathrin Gerlof
Fotos: Studio Kohlmeier

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2002/bp0209/0211006a
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