48. Sitzung
Berlin, Freitag, den 8. September 2006
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Schönen guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesordnungspunkt 1 - fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2007
(Haushaltsgesetz 2007)
- Drucksache 16/2300 -
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2006 bis 2010
- Drucksache 16/2301 -
Ich erinnere daran, dass wir am vergangenen Dienstag für die heutige Aussprache insgesamt vier Stunden vorgesehen und beschlossen haben.
Wir beginnen die heutigen Haushaltsberatungen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, Einzelplan 09. Ich erteile das Wort dem Bundesminister Michael Glos.
Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist unbestritten: Der wirtschaftliche Aufschwung ist da. Er ist so robust wie lange nicht mehr.
Wir haben wieder gute Wachstumsraten.
Wir sind wieder in die Mitte Europas gerückt, was das Wachstum anbelangt. Deutschland ist der Wachstumsmotor Europas. Nachdem der Motor in Deutschland, als er noch mit rot-grünem Sprit betrieben wurde, so lange gestottert hat,
ist es höchste Zeit, dass Deutschland und Europa wieder nach vorne kommen.
Der Investitionsstau löst sich auf. Die zehnjährige Krise in der Bauwirtschaft ist vorbei. Unsere Wirtschaft steht wieder auf zwei Beinen: dem außenwirtschaftlichen und dem binnenwirtschaftlichen Bein. Die Verbraucher fassen wieder Vertrauen. Auf dem Arbeitsmarkt ist die Trendwende geschafft. Es gibt hier sicherlich noch ungeheuer viel zu tun; dazu komme ich noch. Aber der Trend der zunehmenden Arbeitslosigkeit ist gebrochen. Wir haben fast eine halbe Million Arbeitslose weniger als vor Jahresfrist. Vieles spricht dafür, dass die vorsichtige Wachstumsprognose der Bundesregierung von rund anderthalb Prozent deutlich übertroffen wird. Das Prognosespektrum reicht übrigens bis zu 2,4 Prozent. Ich mache mir das als vorsichtiger Kaufmann selbstverständlich noch nicht zu Eigen.
Wir werden sehen, was hinten herauskommt. Ich bin aber überzeugt, dass es besser wird.
Die Politik der Bundesregierung - die Bundesregierung wird getragen von einer großen Koalition -
hat wesentlich zu dieser positiven Entwicklung beigetragen. Mit der guten Entwicklung in diesem Jahr schaffen wir eine feste Basis dafür, dass der Aufschwung auch im nächsten Jahr weitergeht. Alle Unkenrufe, das alles werde im nächsten Jahr wegen unserer Konsolidierungsmaßnahmen zusammenbrechen, werden sich nicht bewahrheiten. Deutschlands Unternehmungen wollen in den kommenden zwölf Monaten ihre Investitionen noch einmal deutlich erhöhen - das ist eine sehr gute Nachricht - und ihre Belegschaften ausbauen. In diesem Zusammenhang appelliere ich, dass man dabei auch an die Älteren und Erfahrenen denkt und sie wieder in die Betriebe zurückholt.
Nun stellt sich wieder die Frage, wann der richtige Zeitpunkt zum Konsolidieren ist. Ich bin der Meinung, dass Aufschwungphasen zur Konsolidierung genutzt werden müssen. Es macht keinen Sinn, jetzt darüber nachzudenken, ob die Steuereinnahmen, die höher als prognostiziert sind, in Sonderprogramme gesteckt werden sollen. Die Konsolidierung erfolgt am besten, indem man künftige Belastungen vermeidet und die Mehreinnahmen zum zusätzlichen Schuldenabbau verwendet.
- Ich freue mich, dass ich so viel Zustimmung von unseren engagierten Haushältern bekomme.
Das gibt mir Gelegenheit, Sie zu bitten, zusammen mit dem Finanzminister intensiv über die staatlichen Verschuldungsgrenzen nachzudenken.
Ich möchte nicht, dass wir mehr Schulden machen. Ich sage Ihnen gleich, was ich meine: Das Nebeneinander von Maastrichtkriterien, die für uns bindend sind - wir sollten uns sehr eng daran halten -, und den Vorgaben des Art. 115 des Grundgesetzes ist weder ökonomisch noch finanzpolitisch sinnvoll.
Sinnvoll wäre eine nationale Regelung, die zu der europäischen Vorgabe passgenau hinzugefügt wird. Sie darf nicht weicher, sondern sie muss eigentlich härter sein als die bisherige grundgesetzliche Schranke, die, wie wir ja wissen, trotz entsprechender Vorgaben über viele Jahre nicht eingehalten worden ist.
- Das, was wir wollen - ich erläutere es Ihnen gern noch einmal kurz -, muss natürlich mit dem europäischen Regime verzahnt sein. Das Ziel, die Verschuldung auf null zurückzuführen, muss darin deutlich definiert sein. Das ist ehrgeizig, aber, wie andere Länder zeigen, nicht unmöglich.
Diese neue Regelung darf auch keinen Anlass mehr zu haushalterischen Notoperationen geben - da bin ich wieder bei den Haushältern -, wie sie diese Regierung vornehmen muss. Wir haben uns vorgenommen, das, was im Gesetz steht, einzuhalten. Echte Konsolidierung braucht harte Ausgabenkürzungen, gegebenenfalls Einnahmeverbesserungen. Das ist unser Weg.
Wirtschaftlich macht es keinen Sinn, wenn Forderungsverkäufe - ?Manipulationen“ mit dem ERP-Sondervermögen - zugunsten einer staatlichen Förderbank, die damit immer mächtiger wird, allein wegen Art. 115 des Grundgesetzes vorgenommen werden.
Ich könnte Ihnen noch ein paar andere Beispiele bringen, die belegen, dass diese Forderungsverkäufe keine echten Konsolidierungsmaßnahmen sind, sondern lediglich erzwungene Umbuchungen. Ich glaube, dass eine große Koalition eine Basis bieten würde, um das besser zu regeln.
Gleichzeitig müssen wir die Föderalismusdebatte zu einer Föderalismusreform II führen, in der klargestellt wird, dass die Verantwortlichkeiten für die Ausgaben den Ländern und Kommunen klar angelastet werden, indem man die Einnahmen selbst festsetzt - was nicht immer zur Freude des Publikums ist.
Das ist etwas, was unbedingt notwendig ist.
Die Überschüsse der Bundesanstalt für Arbeit, die es Gott sei Dank wieder gibt, gehören meiner Meinung nach den Beitragszahlern.
Deswegen plädiere ich für eine Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung auf 4 Prozent.
Um die Wachstumsdynamik zu stärken, müssen wir auch die steuerlichen Rahmenbedingungen verbessern. Darüber wurde viel diskutiert und das ist natürlich auch notwendig. Aber eines muss ganz sicher sein: Die Wettbewerbsfähigkeit unseres Steuersystems für den Unternehmensstandort Deutschland - damit meine ich auch die Unternehmenszentralen - muss deutlich verbessert werden. Wir stehen hier in einem gewaltigen Wettbewerb mit europäischen und auch anderen Partnern in der Welt.
Wenn die Welt immer globaler, immer kleiner wird, dann können wir das beklagen. Aber wir müssen unsere Bedingungen so setzen, dass sie Deutschland nutzen und dass man die Sonderregelungen nicht zulasten unseres Steuersubstrates ausnutzen kann.
Deswegen ist es meiner Ansicht nach unabdingbar, dass unser Steuersatz für Körperschaften - das muss natürlich einen entsprechenden Niederschlag bei den Personengesellschaften finden - international wettbewerbsfähig ist. Da müssen wir hinkommen.
Gerade erst - ich komme zu einem weiteren Punkt - hat eine Studie der Weltbank die Wirtschaftsfreundlichkeit staatlicher Regulierungssysteme festgestellt.
In vielen Punkten sind wir gut dabei, aber bei einem entscheidenden Punkt liegen wir auf Platz 129 unter 175 Ländern. Sicherlich sind unter den 175 erfassten Staaten auch ein paar Exoten wie San Marino. Aber diesmal ging es nicht um Fußball, sondern um die Flexibilität der Arbeitsmärkte. In diesem Bereich müssen wir mehr tun. Wir brauchen einen funktionierenden so genannten Niedriglohnbereich.
Das zeigt auch die Expertise des Sachverständigenrates, die heute dem Kollegen Müntefering und mir vorliegt. Wir haben die bei den Fünf Weisen, den Sachverständigen bestellt.
- Das Gutachten hat der Wirtschaftsminister bestellt. Aber, lieber Herr Kollege Stiegler, dies geschah in Absprache - es gibt schließlich Ressortabstimmungen -
mit dem Arbeitsminister.
- Okay, aber auch das ist wieder so ein kleines Berliner Wunder: Diese Studie wird erst heute vorgelegt, aber der Bundestag debattiert darüber schon die ganze Woche. Das zeigt, dass wir unserer Zeit voraus sind. Offensichtlich ist auf wundersame Weise schon vorher herausgekommen, was in diesem Gutachten steht. Ich will nur darum bitten, dieses Gutachten möglichst vorurteilsfrei zu diskutieren und nicht von vornherein einzelne Punkte, die vielleicht der einen oder anderen Seite nicht gefallen, zum Tabu zu erklären.
Der Sachverständigenrat empfiehlt, die Leistungen der Grundsicherung enger mit der Arbeitsbereitschaft zu verknüpfen; das halte ich für richtig. Dieser Ansatz ist in vielen Ländern selbstverständlich. Natürlich muss die Zahl der angebotenen Arbeitsplätze steigen. Soweit keine Bereitschaft, zu arbeiten, besteht - das ist entscheidend -, ist die Absenkung der Hilfen bei Nichterwerbstätigkeit der richtige Weg.
- Ich vermisse etwas den Beifall unseres Koalitionspartners.
Ich bin davon überzeugt, dass ich den Beifall auch von dieser Seite des Hauses rasch bekomme, wenn ich ein paar Sätze des Parteivorsitzenden Beck aus einem Interview im ?Stern“ vorlese. Auf die Frage nach einer Leistungspflicht für Hartz-IV-Empfänger hat er geantwortet:
Ich halte das generell für zumutbar. Ich war mal Bürgermeister einer Gemeinde mit 2 000 Einwohnern. Da wusste ich, wer Stütze bekam... Aber diejenigen, von denen ich den Eindruck hatte, sie könnten, wenn sie wollten, habe ich Geländer streichen oder Treppen kehren lassen.
Ich finde, man darf einen Parteivorsitzenden nicht im Regen stehen lassen. Ich als CSU-Mann habe damit Erfahrung.
- Lieber Herr Westerwelle, auch Sie mögen das nicht.
Ich will nicht, dass der Parteivorsitzende der SPD im Regen stehen bleibt. Er hat gesagt, seine Partei wolle sich stärker um die Leistungsträger kümmern, und er hat das auch definiert: Leistungsträger gibt es auf allen Stufen. Ich denke bei ?Leistungsträger“ jedenfalls am allerwenigsten an diejenigen, die sich jedes Jahr über Stock Options die Millionen zuschieben lassen, wenn gewisse Kennzahlen des Unternehmens eine Grenze überschritten haben. Ich denke vielmehr an diejenigen, die in der Lage sind, körperliche Arbeit zu leisten und somit im klassischen Niedriglohnsektor ihr Geld verdienen können. Hier können sie arbeiten, auch wenn sie dafür weniger Geld bekommen.
Ich komme wieder auf das Thema zurück. Alle, die zwar zur Arbeit bereit sind, aber dem Arbeitsmarkt aus gesundheitlichen und persönlichen Gründen nicht zur Verfügung stehen, erhalten nach den Vorschlägen des Sachverständigenrates weiterhin den vollen Regelsatz. Das wollen auch wir. Die Fünf Weisen sagen sehr deutlich: Die verbesserte Vermittlung und Aktivierung von Arbeitslosen muss Vorrang vor Einzelmaßnahmen haben. Der Bericht enthält auch eine klare Absage an die Einführung von Mindestlöhnen. Die nähere Begründung können Sie gerne nachlesen. Ich unterstreiche all das, was in diesem Bericht darüber steht.
Ich muss noch ein bisschen Redezeit für meine Kollegen im Parlament übriglassen.
- Ich weiß, Herr Kollege Meyer.
Die Stromkonzerne müssen endlich ihren Ankündigungen Taten folgen lassen, indem sie in neue Kraftwerke investieren. Neue Anbieter auf dem Stromerzeugungsmarkt müssen einen fairen und raschen Zugang zu den Netzen erhalten. Herr Kuhn, das gilt nicht nur für die Betreiber von Windrädern, bei denen das sofort klappt. Aber wenn ein Stadtwerk für die eigene Energieerzeugung in ein neues Werk investiert, dann tun sich andere mit konventionellen Energien sehr schwer, Zugang zu den Netzen zu erhalten. Auch hier müssen wir eine entsprechende Verordnung umsetzen.
Mir ist es nicht recht, wenn wir immer mehr regulierende Maßnahmen brauchen. Aber wenn Monopole oder Oligopole ihre Marktmacht ausnutzen, dann muss der Staat entsprechend gegensteuern.
Das ist ein Teil der Marktwirtschaft. Ich habe mich vor der Verleihung des Ludwig-Erhard-Preises, die gestern Abend stattgefunden hat, intensiv mit den Theorien von Ludwig Erhard auseinander gesetzt. Ein funktionierender Wettbewerb und eine Kartellgesetzgebung sind ungeheuer wichtig für den Wettbewerb.
Es gibt viele Dinge, über die wir lange diskutieren könnten. Ich nenne als Stichwort die Bundesnetzagentur. Wir werden das an anderer Stelle tun. Die Bundesnetzagentur hat meine volle Rückendeckung, wenn sie durchgreift, um die Kosten zu senken. Alles, was den Strompreis zusätzlich belastet, gehört auf den Prüfstand. Wir werden während der Haushaltsberatungen Gelegenheit haben, die Dinge zu prüfen und zu regeln. Ich freue mich auf eine faire Beratung durch den Haushaltsausschuss und das Parlament und bedanke mich schon jetzt dafür.
Danke schön.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Für die FDP hat Rainer Brüderle das Wort.
Rainer Brüderle (FDP):
- Guten Morgen, Herr Kauder, schön, dass Sie wach sind. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das demonstrativ gute Einvernehmen der Koalition ist zu erkennen. Die Kanzlerin ist da, das Arbeitsministerium ist demonstrativ abwesend.
Herr Minister Glos, Sie haben heute hier in Ihrer Rede und auch in jüngsten Presseberichten bemerkenswerte Ausführungen gemacht. Sie werden in der Regierung sozusagen vom Gejagten zum Jäger, zurzeit zwar nur mit der Schrotflinte, aber die Richtung stimmt. Immerhin.
Ich verweise auf Ihre Ausführungen zur echten Konsolidierung des Haushalts und Ihre erfreulich deutlichen Worte zur Bahnprivatisierung. Wer mehr Wettbewerb will, muss das Schienennetz vom Fahrbetrieb trennen.
Sie haben auch deutlich gemacht, dass Steuern auf Zinskosten und staatliche Mindestlöhne ökonomischer Unsinn sind.
Auch Ihre heutigen Ausführungen zur Energiepolitik verdeutlichen: Kein Freigehege für Herrn Gabriel! Der Monopolisierung in unserer Energiewirtschaft ist energisch entgegenzutreten; denn diese ist ein ungutes Erbe von Rot-Grün, die die Fusion von Eon mit Ruhrgas - der Marktanteil beträgt fast 90 Prozent - zugelassen haben und sich anschließend über die hohen Gaspreise beschweren. In dieser Beziehung haben Sie völlig Recht. Da haben Sie die FDP an Ihrer Seite. Gehen Sie hart vor! Die Situation erfordert es.
Ihre Forderungen sind allerdings bisher nur Etappenschritte der wirtschaftlichen Vernunft. Entscheidend ist der Zieleinlauf, das Endergebnis. Daran werden wir Sie als Minister messen. Das Ökonomische hat in diesem Kabinett bisher noch keinen hohen Stellenwert. Sorgen Sie als ordnungspolitisches Gewissen der Regierung dafür, dass die Wirtschaft mehr Freiraum zum Atmen hat. Dann bekommen wir mehr Wachstum, weniger Arbeitslosigkeit, weniger Haushaltsrisiken und können uns über etwas freuen, was eigentlich selbstverständlich ist, nämlich dass die Regierung ihren Haushalt endlich so gestaltet, dass die Vorgaben der Verfassung und der europäischen Verträge eingehalten werden.
- Es ist doch selbstverständlich, dass Sie die Gesetze einhalten müssen. Sich zu loben, weil man die Gesetze einhält, Herr Kauder, ist ein bisschen schlicht. Manchmal sind Sie anspruchsvoller.
Die Wirtschaft befindet sich in der Tat in einem Aufschwung. Das ist erfreulich und das unterstreichen wir. Die Ursachen sind vielfältig: Export, moderate Lohnabschlüsse, moderate Zinsen, Weltmeisterschaftseffekt. Der Aufschwung ist am wenigsten der Erfolg dieser Bundesregierung, die gerade einmal neun Monate im Amt ist,
sondern entscheidend der Erfolg der Unternehmen und ihrer Mitarbeiter, die ihre Unternehmen gut aufgestellt und hart angepackt haben.
Ausruhen kann sich die Regierung trotz des derzeitigen Aufschwungs nicht. Dieser Aufschwung ist kein Selbstläufer. Was die heutige Wirtschaftslage angeht, erinnert vieles - Herr Hinsken, das wissen auch Sie - an den Sommer 2000. Die Konjunktur war damals endlich in Schwung gekommen. Die Erwartungen für 2001 waren sehr optimistisch. Doch im zweiten Halbjahr 2000 stagnierte das reale Bruttoinlandsprodukt. Am Ende lag das Wachstum deutlich unter den Prognosen und es folgte eine jahrelange Wachstumsschwäche. Die heutigen Konjunkturindikatoren weisen gewisse Parallelen zu dem Jahr 2000 auf. Für das kommende Jahr müssen wir mit einer Abschwächung der Weltwirtschaft rechnen. Die Notenbanken werden die Geldpolitik aller Voraussicht nach - die Signale sind relativ eindeutig - weiter straffen. Es ist also alles wie 2000.
Es gibt allerdings einen gewichtigen Unterschied. Unternehmen und Haushalte wurden 2001 durch die Steuerreform entlastet. 2007 schlägt dagegen die Mehrwertsteuerkeule voll zu. Das ist der Unterschied.
Es kann nicht Aufgabe der Bundesregierung sein, zu hoffen, dass sich die damalige Krisenentwicklung nicht wiederholt. Die aktuelle Wirtschaftsbelebung ist noch zu schwach, um die Massenarbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen. Deshalb müssen die Bedingungen weiter verbessert werden; dafür ist insbesondere der Wirtschaftsminister verantwortlich. Wer die Gewinnaussichten der Unternehmen aber beschneidet, der schmälert die Chance auf mehr Beschäftigung. Wer das Land nicht von Bürokratie befreit, lähmt die Wirtschaft. Deshalb muss das Steuersystem endlich einfacher und handhabbarer gemacht werden. Stattdessen diskutiert die Bundesregierung über neue Steuertatbestände bei der Unternehmensteuer. Substanzbesteuerung war schon bei der Gewerbesteuer falsch. Das, was Sie jetzt erwägen, nämlich Schuldzinsen und andere Kosten zu besteuern, ist eine Substanzbesteuerung, die erst recht falsch ist.
Die Mehrwertsteuererhöhung trifft den Konsum, die Unternehmen und den Mittelstand. Das Einzige, was dadurch belebt wird, ist die Schwarzarbeit.
Mit ihrer Sucht nach mehr Steuereinnahmen laufen weite Teile der Koalition Gefahr, dem eigentlichen Motor der deutschen Volkswirtschaft, dem Mittelstand, das Rückgrat zu brechen. Ein dauerhafter Aufschwung ist ohne einen starken Mittelstand nicht denkbar.
Neue Arbeitsplätze entstehen am ehesten in einem starken Mittelstand. Neue Arbeitsplätze werden nicht in den großen Konzernen entstehen. Deshalb muss die Politik dem Mittelstand eine Chance geben.
Echtes Sparen wäre, wenn Sie Subventionen abbauten, statt die Steuern zu erhöhen. Sparen Sie, wenn Sie die Steinkohlesubventionen erhöhen? Nein, Sie müssen aufhören, herumzufummeln und zu verunsichern. Die Marktwirtschaft kann ihre volle Wirkung so nicht entfalten. Zu guter Letzt diffamieren Sie die Wirkungsmechanismen der Marktwirtschaft noch als Lebenslügen.
Der Weg muss sein, dafür zu sorgen, dass sich insbesondere am Arbeitsmarkt etwas tut. Der Minister hat zu Recht auf das hingewiesen, was uns die Weltbank ins Stammbuch geschrieben hat: Deutschland belegt den 129. Platz von 175 Plätzen. Dies ist für eine der führenden Industrienationen der Welt auch dann blamabel, wenn sich unter den Ländern, die vor uns liegen, einige Exoten befinden.
Da muss sich etwas ändern. Da geschieht bisher gar nichts.
Lassen Sie endlich betriebliche Bündnisse für Arbeit zu! Gehen Sie endlich daran, die Mitbestimmung zu modernisieren: Die paritätische Mitbestimmung hat sich überlebt; sie ist etwas von vorgestern. Sie ist ein Ausdruck der Starre, in der wir uns befinden. Wir brauchen einen modernen, flexiblen Kündigungsschutz, damit man hier den kleinen Betrieben die Angst vor Neueinstellungen nimmt, damit sie nicht immer wieder Überstunden fahren, damit sie keine ?Subsubunternehmen“ beschäftigen oder andere Wege gehen. Was Sie bis jetzt getan haben, wird jedenfalls nicht dazu führen, dass wir endlich mehr Arbeitsplätze bekommen.
Aber was machen Sie? Die Erbschaftsteuerreform wird aufgeschoben. Die Einführung einer einheitlichen Besteuerung aller Kapitalerträge, also eine Abgeltungsteuer, wird aufgeschoben. Der Start der Gesundheitsreform wird ebenfalls verschoben, und zwar auf den 1. April. Wahrscheinlich ist das ein Symbol: Sie soll damit amtlicherseits zum Aprilscherz erklärt werden.
- Herr Röttgen, Sie schwanken noch zwischen BDI und Bundestag. - Das ist jedenfalls keine konsistente, logische und zielführende Politik. Sie müssen endlich den Mut haben, die grundlegenden Reformen anzupacken. Wenn Sie das nicht tun, geben Sie der Wirtschaft nicht die Luft, die sie braucht.
Sie kann mehr. Wir sind unter dem Wert, den wir erreichen können.
Aber den erreichen wir nur, wenn Sie Steuern senken, wirklich Bürokratie abbauen und nicht nur davon reden, die Reformen überzeugend und konsistent machen und nicht so wie bei der Gesundheitsreform, wo es mit mehr Bürokratie und mehr Fesseln in die falsche Richtung geht.
Der Wirtschaftsminister hat viel Mutiges und Kluges gesagt. Kompliment! Er muss es nur machen. Wir sind an seiner Seite.
Wenn Sie das machen, was Sie sagen, haben Sie die Liberalen an Ihrer Seite, Herr Glos!
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege, Sie könnten jetzt Ihre - abgelaufene - Redezeit durch die Zulassung einer Zwischenfrage des Kollegen Hinsken noch erweitern.
Rainer Brüderle (FDP):
Sehr gern.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Bitte schön.
Ernst Hinsken (CDU/CSU):
Herr Kollege Brüderle, Sie haben eine wesentliche positive Entwicklung völlig außen vor gelassen. Ich weiß nicht, ob Sie das bewusst oder unbewusst gemacht haben. Wir alle können uns doch darüber freuen, dass die Staatsquote momentan im Sinken begriffen ist und dass wir zum Ende dieser Legislaturperiode auf eine Staatsquote von 43,5 Prozent kommen werden - wie zu Zeiten von Finanzminister Gerhard Stoltenberg vor der Wiedervereinigung. Das ist doch etwas ganz Positives. Sind Sie bereit, dies zur Kenntnis zu nehmen, dies zu bejahen und sich, wie ich das tue, darüber zu freuen?
Rainer Brüderle (FDP):
Sehr geschätzter lieber Herr Kollege Hinsken, ich beginne mit einem Geständnis. Ich habe heute nicht alles gesagt, was ich weiß.
Die Zeit war zu kurz.
Ich hoffe, wir erreichen diesen Wert. Nach unserer Auffassung sollten wir eine Staatsquote von unter 40 Prozent erreichen.
Die zu hohe Staatsquote ist eine der Ursachen dafür, dass die deutsche Volkswirtschaft an Dynamik und Effizienz verloren hat und dass der Wachstumspfad sowie die Produktivitätsentwicklung bei uns - das sagen die Bundesbank und alle Sachverständigengutachten - deutlich zu niedrig sind. Der reale Wachstumspfad, den wir heute nach der Einschätzung aller Fachleute erreichen können, liegt bei 1 Prozent bis 1,2 Prozent. Das liegt eben daran, dass der Staatsanteil zu hoch ist, dass wir zu viel über den Staatssektor steuern, der bei weitem nicht die Effizienz des Marktes hat. Außer Kuba und Nordkorea kenne ich kein Land der Welt, das noch glaubt, die Steuerung über den Staat sei besser als die über den Markt.
Ich freue mich darüber, dass Sie sich mit mir darüber freuen, dass es gute Ansätze gibt. Jetzt müssen wir es nur machen. Dann läuft es auch.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Für die SPD hat das Wort der Kollege Ludwig Stiegler.
Ludwig Stiegler (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn ich mir so den Herrn Brüderle anschaue, muss ich an Max Frisch und ?Mein Name sei Gantenbein“ denken. Da sagt er: Nehmen wir mal an, die Lage wäre so und so. - Jetzt nehmen wir mal an, der Herr Westerwelle hätte mit seiner Lieblingspartnerin regieren können. Dann würde der Herr Brüderle heute hier stehen und sagen: Der Aufschwung ist unser Aufschwung. Unsere Politik hat das alles erreicht. - Er hätte alles für sich kassiert.
Herr Brüderle, gönnen Sie uns 10 Prozent dessen, was Sie sich selbst gutgeschrieben hätten!
Es ist wirklich lustig, das Ganze zu sehen. Ich lese immer wieder in einem Werk von Berger/Luckmann mit dem Titel ?Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“. Danach wird die Wirklichkeit in Wahrheit in unseren Vorstellungen gebildet. Wir waren depressiv, weil wir aufgrund falscher Daten über die ökonomische Entwicklung des Jahres meinten, wir seien schlecht.
Jetzt kommen die neuen Daten und es zeigt sich: Seit etwa dem zweiten Quartal des Jahres - in manchen Aggregaten sogar früher - ist der Aufschwung da. Das heißt, wir waren mit unseren Bewertungen im falschen Datenkranz, haben uns bittere Vorwürfe gemacht und die Menschen verunsichert. Wir müssen uns in Zukunft dessen bewusst sein, dass man sich anhand von vorläufigen Daten nicht in Depressionen reden lassen sollte.
Herr Brüderle, die Entwicklung hat schon sehr frühzeitig eingesetzt. Bei diesem Aufschwung ist ein Stück Schröder dabei, es ist aber auch ein Stück große Koalition dabei.
Denn wir haben diesen Haushalt expansiv gefahren. Durch eine hohe Nettokreditaufnahme zur Wachstumsförderung, die energetische Gebäudesanierung und die Handwerksförderung haben wir der Wirtschaft Schwung gegeben. Deshalb ist es auch der Aufschwung der großen Koalition. Sie haben diese Maßnahmen verurteilt. Sie können jetzt, wenn Sie wollen, zu uns an den Tisch kommen, wir geben Ihnen auch etwas ab; aber der Koch sind Sie nicht.
Meine Damen und Herren, wir haben an dieser Wirtschaftsentwicklung einen großen eigenen Anteil. Wir sollten darauf bauen und durchaus auch stolz darauf sein, dass die große Koalition diesen Weg gewagt hat. Einfach war es nicht. Hier sitzen einige Beteiligte, die Probleme gesehen haben. Aber nicht nur ein Wachstum ist zu verzeichnen; auch die Zahl der Insolvenzen geht zurück. Der Arbeitsmarkt beginnt sich zu erholen und die Menschen können wieder Optimismus haben. Allen, die behaupten, das seien die Folgen der Fußballweltmeisterschaft, kann ich nur sagen: Diese wirkt sich frühestens im dritten Quartal auf die Exportzahlen aus. Wir haben aber nach klassischem Verlauf eine Erhöhung der Binnennachfrage. Wir haben mit der Steuer die Ausrüstungsinvestitionen gefördert; in diesem Bereich steigt die Binnennachfrage. Auch der staatliche Teil der Binnennachfrage entwickelt sich positiv. Endlich ist der Rückgang der Arbeitnehmereinkommen im ersten Quartal beendet worden. Wir haben hier ein neutrales Ergebnis erreicht.
Im Verlauf des Herbstes wird auch der Konsum nachziehen, sodass wir einen stetigen Aufschwung haben werden. Ich denke, der Kessel der Konjunktur wird am Ende des Jahres so heiß sein, dass er die drei Eisbälle der Mehrwertsteuererhöhung vertragen wird. Herr Brüderle, ich warne Sie vor allzu viel Pessimismus; ich weiß gar nicht, wie Sie nächstes Jahr Ihren Irrtum erklären wollen.
Meine Damen und Herren, das ist der Ertrag der richtigen Politik. Wir werden sie fortsetzen.
- Das ist ein Mixtum compositum,
wenn wir schon bei der Gesundheitsreform sind. Herr Schröder hat begonnen und Frau Merkel kann vollenden. Es ist die Tragik von Gerhard Schröder, dass er das Ergebnis seiner Politik nicht selber ernten kann. Aber so ist Politik nun einmal häufig. Die Daten, Herr Kauder, reichen jedenfalls zurück bis ins letzte Jahr.
Allen, die sich über die Steuereinnahmen freuen, sage ich: Die Steuern von heute sind 2005 verdient worden und nicht jetzt. Wer hier also höhere Steuereinnahmen bejubelt, dem muss klar sein, dass sie unter Rot-Grün erwirtschaftet worden sind. Aber ich glaube, Herr Kauder, Sie können gönnen und damit klarkommen.
- Ich finde, jeder darf sich die Welt so deuten, wie sie ihn aufheitert.
Deshalb gönne ich Ihnen diese Deutung.
Meine Damen und Herren, wir werden diesen Weg weitergehen und die Chancen des Aufschwungs durch Ausrüstungsinvestitionen und Bauinvestitionen weiter nutzen. Die Konsumausgaben werden im Laufe des Jahres steigen, weil die Arbeitnehmereinkommen sich zu stabilisieren beginnen. Mit steigender Beschäftigung wird auch die Massenkaufkraft steigen, sodass wir auch wieder mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und am Ende ein höheres Wirtschaftswachstum haben werden.
Wir werden weiter damit zu kämpfen haben, die Arbeitslosigkeit abzubauen. Hier, Herr Minister, sehe ich die Expertise des Sachverständigenrates vollkommen anders als Sie. Ich habe mir die Expertise, die mir der Bischof von Hildesheim zugeschickt hat, angesehen. Auf 150 Seiten plagen sich die Herrschaften mit ökonometrischen Modellen ab, die die Frage klären sollen, wie man Arbeitslose motiviert, zu arbeiten. Ich frage mich: In welcher Welt leben die Herren? Millionen Menschen schreiben täglich Bewerbungen; manche Menschen schreiben 100 Bewerbungen.
Und da überlegen sich die Herrschaften, wie man die Menschen durch das Höherhängen des Brotkorbes zur Arbeit motivieren kann! Das ist keine Expertise, das ist eine Theorise. Auf die kann ich gut verzichten.
Auf solche Sachverständige in einem Elfenbeinturm und jenseits der Politik können wir wahrlich verzichten.
Ich sage Ihnen: Wenn Sie dieses Gutachten lesen, werden Sie staunen. Darin steht offen: Wir können nichts darüber sagen, wie Arbeitsplätze entstehen. Wir können in unseren schönen theoretischen Betrachtungen nichts darüber sagen, wie investiert wird. - Dieses Gutachten ist eine Frechheit. Michel Glos, es tut mir eigentlich Leid, dass du einen solchen Krampf lesen musst.
Ich würde gern deine Empfindungen sehen, wenn du dieses Gutachten liest. Wenn sie ein Lügendetektor aufzeichnen würde, wäre der Sachverständigenrat entlassen.
- Das ist sehr korrekt.
Lieber Kollege Kampeter, lieber neuer Verwandter, ich habe mir wirklich Mühe gegeben, dieses Gutachten von hinten und vorn zu lesen.
- Von hinten nach vorn und von vorn nach hinten. Das Hin- und Herwandern des Blicks ist ein zentraler Punkt der hermeneutischen Auslegungsmethode, wie wir als Juristen gelernt haben. Deshalb gilt: von hinten nach vorn und von vorn nach hinten. - Ich sage Ihnen: Studenten kann man zwar mit einem solchen Gutachten quälen; das ist okay.
Die können sich daran üben. Aber Politiker sollte man mit so etwas in Ruhe lassen, und dies vor allem deswegen, weil die Grundhypothese, die Arbeitslosen seien nicht bereit, zu arbeiten, und müssten durch eine Reduzierung der Leistungen in der Arbeitsbereitschaft gefördert werden, jenseits jeder Wirklichkeit und eine Frechheit gegenüber den Menschen ist.
Für uns liegen Arbeit und menschliche Würde beieinander. Da haben wir durchaus gemeinsame Wurzeln mit den Christsozialen und Christdemokraten, deren Ethik nicht nur Turbokapitalismus vorsieht, sondern Arbeit und menschliche Würde zusammenbringt. Deshalb dürfte uns dieser Punkt nicht auseinander bringen.
Ich sage Ihnen noch eines: Immer mehr bewegt mich die Frage, ob unsere relativen Preise in Deutschland noch stimmen. Als der neue Hauptbahnhof in Berlin eröffnet worden ist, haben sich manche Leute darüber aufgeregt, dass man für den Besuch der Toilette 60 Cent bezahlen muss.
- Nicht zu Recht. - Eine solche Arbeit, die durchaus mit einer Schmutzzulage zu versehen ist und einen hohen gesellschaftlichen Wert hat, hat auch ihren Preis. Man kann nicht sagen: Weil jemand die Toilette putzt, ist er unproduktiv und deshalb werfen wir ihm nur die Brocken hin. Wir sollten einmal sehen: Auch wer dort seinen gesellschaftlichen Beitrag leistet, ist jemand und steht nicht neben der Gesellschaft. Deshalb sollten wir die relativen Preise wieder ins Lot bringen.
- Vergelts Gott. Ich bin dankbar dafür, dass wir uns immer wieder partiell gegenseitig anerkennen können.
Ich muss sagen: Wenn Sie meinen, dass ich blindes Huhn ab und zu auch einmal ein richtiges Korn finde, dann ist das eine wirklich hohe Anerkennung eines Koalitionspartners. Wenn man bedenkt, wie wir beide uns noch vor einem Jahr gegenseitig die Schädel eingeschlagen haben, dann erkennt man jetzt, dass uns zurzeit fast eine tiefe Liebe verbindet.
Meine Damen und Herren, in der Arbeitsgruppe zur Einführung eines Niedriglohns werden wir uns sicher hart miteinander auseinander setzen müssen. Aber mit der Linie ?So viel Tarif wie möglich und so viel Staat wie notwendig“ könnten wir das Thema Niedriglohn meiner Ansicht nach angehen.
Ich bin anderer Meinung als Herr Brüderle, wenn es um die Mitbestimmung geht. Die Mitbestimmung ist ein Bestandteil der Verfassung des sozialen Rechtsstaates in Deutschland. Ich habe schon einigen Heuschrecken - auch den lieben und sanften - erklärt, dass derjenige, der in Deutschland Eigentum erwirbt, soziale Verpflichtungen erwirbt und dass derjenige, der unternehmerisches Eigentum erwirbt, die Beteiligung der Arbeitnehmer am Haben und Sagen erwirbt. Das gehört zu unserer politischen Kultur.
Wer daran etwas ändert, der befördert den sozialen Frieden nicht.
Wir werden gemeinsam an dem Thema Private Equity arbeiten. Wir wollen, dass Forschung und Entwicklung zu Produkten führen - die Kanzlerin hat gesagt: was in den Köpfen ist, muss in die Produkte - und dass die damit verbundenen Risiken abgedeckt werden. Angesichts der heutigen Entwicklung von Private Equity stellt sich aber die Frage, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Was zurzeit unter ?Recap“ gehandelt wird - Unternehmen haben vor dem Einstieg von Private Equity hohes Eigenkapital und danach hohes Fremdkapital -, nenne ich ausrauben von Unternehmen und nicht Rekapitalisierung. Wir müssen prüfen, welche rechtlichen Regelungen und Schutzvorkehrungen wir treffen müssen. Denn nach dem Ausrauben der Unternehmen steigt der Druck auf den Vorstand, ins Ausland zu gehen, beispielsweise nach Asien, weil dort der Zinsdienst besser bedient werden kann.
Es ist doch verrückt, wenn wir hier hohe Aufwendungen für Forschung und Entwicklungen haben, aber am Ende zum Vorteil für die amerikanischen Pensionsfonds irgendwo auf der Welt produziert wird. Wir müssen schauen, dass in unseren Regionen Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Beteiligungsgesellschaften gegründet werden, um Arbeitsplätze hier dauerhaft zu sichern und um unsere Position in der Weltwirtschaft zu behaupten.
Wir haben miteinander auch auf dem Feld der Energie einiges zu tun. Die Anreizregulierung kommt jetzt. Ich denke, dass sie durchaus erfolgreich sein wird. Ich sage aber auch, die Regulierung darf nicht so weit gehen, dass dadurch Investitionen behindert werden. Im Bereich der Telekom beispielsweise sind wir an einer Schwelle. Da stellt sich durchaus die Frage, ob wir hier nicht eine Überregulierung haben. Das werden wir uns ganz genau anschauen müssen.
Vor uns liegt auch die Kohlepolitik der Zukunft. Herr Brüderle, wer immer gegen die Steinkohle polemisiert, liegt weder energiepolitisch richtig noch kann er den Menschen, beispielsweise den Menschen im Ruhrgebiet, eine richtige Antwort geben. Ich denke, die Bundesregierung wird zusammen mit der NRW-Landesregierung sehr intensiv darum ringen, dass wir sowohl den Menschen als auch der Energiesicherheit in der Zukunft gerecht werden. Deshalb ist es billig, gegen diese Förderung, die Sie selber mit beschlossen haben, zu polemisieren.
Wir werden bei der Energiepolitik nicht nur auf Regulierung und andere Maßnahmen setzen - eine Wiederauferstehung der Atomkraft wird es nicht geben -, sondern auch auf Energieeffizienz. Die Hälfte des Energieverbrauchs kann durch einen intelligenteren Einsatz von Technik eingespart werden. Das ist auch gut für die Wirtschaft.
Die Wirtschaftspolitik der großen Koalition läuft ordentlich. Wir können Erfolge sehen. Wir sind nicht immer einverstanden mit dem, was der Minister sagt, und der Minister ist nicht immer einverstanden mit dem, was wir sagen. Aber wir raufen uns zusammen und haben immer gemeinsame Wege gefunden. Die neue Verwandtschaft bewährt sich.
Glückauf!
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Für die Linke hat der Berliner Senator für Wirtschaft, Frauen und Arbeit, Harald Wolf, das Wort.
Harald Wolf, Senator (Berlin):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Glos, Ihre Bemerkung, dass der Aufschwung da ist - Sie verleihen ihm sogar noch das Prädikat ?robust“ -, halte ich für eine glatte Übertreibung, für einen Euphemismus.
Es ist richtig: Die Prognosen für das Wachstum sind besser als noch vor einem Jahr. Es gibt Belebungstendenzen in der Wirtschaft. Eine leichte konjunkturelle Belebung ist unbestreitbar. Aber von einem robusten Aufschwung, von einem Aufschwung, der nachhaltig ist und der vor allem eine durchgreifende Wirkung auf den Arbeitsmarkt hat, kann man wirklich noch nicht sprechen.
Herr Minister, aus wirtschaftspolitischer Sicht muss man sich jetzt doch die Frage stellen, wie man aus diesen zaghaften Belebungstendenzen einen nachhaltigen Aufschwung machen kann, der auch auf dem Arbeitsmarkt eine nachhaltige Wirkung entfaltet, der eine durchgreifende Wirkung auf die Bereiche Wachstum und Beschäftigung hat. Viele Ökonomen, von denen sehr viele uns nicht gerade nahe stehen, weisen darauf hin, dass dieser Aufschwung auf schwachen Füßen steht, weil die Binnennachfrage in diesem Land noch immer unterentwickelt ist. In einer solchen Situation kommt es darauf an, Gas zu geben, die Binnennachfrage zu stabilisieren, die Massenkaufkraft zu stärken und eindeutige Wachstumsimpulse zu geben, damit aus dieser schwachen Pflanze ein wirklicher Aufschwung wird.
Stattdessen hält diese Bundesregierung an den alten Rezepten fest: Die Unternehmensteuern sollen - soweit die Planung - weiterhin sinken. Die Sozialausgaben werden im Rahmen der Gesundheitsreform und der Rentenpolitik weiter gekürzt. Gleichzeitig erhöhen Sie die Verbrauchsteuern in Form einer Mehrwertsteuererhöhung. Da die Mehrwertsteuer eine massive Steuer auf den privaten Konsum ist, wird die inländische Nachfrage dadurch weiter geschwächt. Das ist wirtschaftspolitisch unvernünftig und obendrein sozial unverträglich, weil dadurch gerade diejenigen, die ein geringes Einkommen haben, am stärksten belastet werden. Ich halte das für eine wirtschaftspolitisch gesehen verfehlte Politik. Das wird uns nicht weiterbringen.
Herr Glos, Sie zitieren immer wieder den Sachverständigenrat. Warum zitieren Sie nicht auch einmal die Warnungen des Sachverständigenrates vor dieser Mehrwertsteuererhöhung und den möglichen negativen konjunkturellen Auswirkungen dieser Erhöhung?
Sehen wir uns doch einmal die Entwicklung in der Bundesrepublik in den letzten Jahren im internationalen Vergleich an: Im letzten Jahr sind die Tariflöhne preisbereinigt um 0,8 Prozent gesunken; die Verbraucherpreise sind um 2 Prozent gestiegen; die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen sind 2004 um 12 Prozent gestiegen, 2005 um weitere 6 Prozent. Sehen wir uns die durchschnittliche Entwicklung der Reallöhne in der Europäischen Union zwischen 1995 und 2004 an, stellen wir fest, dass die Reallöhne in diesem Zeitraum EU-weit im Durchschnitt um 9,9 Prozent gestiegen sind, während sie in der Bundesrepublik Deutschland um 0,9 Prozent gesunken sind.
Angesichts dessen stellt sich doch die Frage: Hat die Politik der Reallohnsenkung in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1995 und 2004 dazu beigetragen, dass die Bundesrepublik ökonomisch besser dasteht, dass sie Spitzenreiter beim Wachstum ist? - Nein, das Gegenteil ist der Fall. Die meisten Länder der EU hatten in diesen Jahren eine deutlich höhere Wachstumsrate. Vielleicht könnten die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen einmal darüber nachdenken, ob zwischen der Senkung der Masseneinkommen, der Schwächung der Massenkaufkraft und den schlechten Wachstumsraten ein Zusammenhang bestehen könnte. Die Länder, die einen anderen Weg gegangen sind, die höhere Reallohnzuwächse hatten, konnten nämlich ein höheres Wachstum generieren.
Herr Glos, vielleicht würde es nutzen, sich an den alten Satz des großen Unternehmers Henry Ford zu erinnern, der einmal gesagt hat: Ich muss meinen Arbeitern auch Löhne zahlen, mit denen sie meine Autos kaufen können. Betriebswirtschaftlich kann man dagegen vielleicht den einen oder anderen Einwand formulieren; für eine Volkswirtschaft ist es aber allemal richtig, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage in der Lage sein muss, das, was produziert wird, nachzufragen und zu kaufen. Anders wird man einen Aufschwung nicht hinbekommen.
Wenn ich die gesamtwirtschaftliche Nachfrage reduziere, eröffne ich eine Spirale nach unten. Diese ökonomische Binsenweisheit wird in der Bundesrepublik Deutschland aber vom Mainstream und den unterschiedlichen Bundesregierungen seit Jahren ignoriert. Deshalb stehen wir im internationalen Vergleich nach wie vor schlecht dar.
Meine Damen und Herren, Herr Rüttgers hat es Ihnen ins Stammbuch geschrieben:
Er spricht von einer Lebenslüge. Ich bin froh, dass zumindest in einzelnen Teilen der Koalitionsparteien und -fraktionen langsam eine Erkenntnis dämmert. Es wäre gut, wenn sich diese Erkenntnis fortsetzt.
Stattdessen planen Sie jetzt eine weitere Unternehmensteuerreform. Schon die letzte Unternehmensteuerreform hat die öffentlichen Haushalte 65 Milliarden Euro gekostet. Auch dazu stelle ich die Frage: Was waren die Effekte? Hat diese Unternehmensteuerreform zu mehr Investitionen und Beschäftigung geführt? Wie gesagt: 65 Milliarden Euro Entlastung. Sehen wir uns einmal die Zahlen an, die die Auswirkungen deutlich machen. Die Investitionen sind von 2000 bis 2002 von 236 Milliarden Euro auf 182 Milliarden Euro gesunken. 2004 lagen sie trotz einer massiven Entlastung des Unternehmenssektors mit 209 Milliarden Euro noch unter dem Stand von 2000. Vielleicht ist auch das ein Hinweis darauf, dass Jürgen Rüttgers mit seiner Feststellung der Lebenslüge Recht hat und dass Steuersenkung und Lohndumping nicht der richtige Weg sind, um mehr Wachstum und Beschäftigung in diesem Land zu schaffen.
Wir brauchen Innovation statt Billiglohn. Wir brauchen öffentliche Investitionen statt Steuerdumping, um Nachfrageimpulse zu setzen. Wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn statt eines Niedriglohnsektors, Herr Glos, um Arbeit so zu bezahlen, dass die Menschen durch Arbeit nicht arm werden, sondern ein Leben in Würde führen können, und gleichzeitig den Konsum darüber zu stabilisieren.
Minister Glos hat ein Thema angesprochen, das in der Tat wichtig ist und in den Gesprächen, die ich mit Unternehmen in Berlin führe, immer wieder angesprochen wird, nämlich die Energiepreisentwicklung und insbesondere die Strompreisentwicklung. Dies ist gerade für kleine und mittelständische Unternehmen ein erheblicher und massiver Kostenfaktor. Herr Glos, Sie haben Handlungsbedarf angemahnt. Sie wissen, dass wir auf der letzten Wirtschaftsministerkonferenz, auf der Sie leider nicht anwesend sein konnten, intensiv darüber diskutiert haben. Es ist gut, dass die Bundesnetzagentur durchgreift und die Netzentgelte absenkt. Aber ich glaube, dass wir weitergehen müssen. Ich habe in Ihrer Rede Vorschläge vermisst, mit denen man das Problem in den Griff bekommen könnte.
Denn die Netzpreise und -entgelte sind nur eine Komponente. Aufgrund des Energiewirtschaftsgesetzes besteht zurzeit die absurde Situation, dass die Energieversorgungsunternehmen teilweise kostengünstig produzieren, ihren kostengünstig produzierten Strom an der Strombörse in Leipzig handeln und dort zu teuren Preisen verkaufen. Die Strombörse funktioniert aufgrund der oligopolistischen Struktur des Energiemarktes nicht wirklich. Gleichzeitig berechnen die Unternehmen im Sektor Vertrieb hohe Preise für die Verbraucher. Das ist absurd.
Wir haben die Situation, dass einerseits in den Konzernen ein riesiger Gewinn eingefahren wird - wir alle kennen die Zahlen, die den Gewinn der vier großen Konzerne zeigen - und andererseits Genehmigungen gefordert werden, um im Vertrieb die Preise erhöhen zu können, indem sie sagen: Wir haben hohe Kosten. Diese haben sie selbst über die Strombörse in Leipzig generiert. Das heißt, der Wettbewerb funktioniert hier nicht. Wo Wettbewerb nicht funktioniert, muss staatliche Regulierung her.
Deshalb begrüße ich es ausdrücklich, dass die Kollegin Thoben aus Nordrhein-Westfalen den Vorstoß gemacht hat und eine Bundesratsinitiative einbringen will,
durch die die Preisgenehmigung über den 1. Juli 2007 hinaus verlängert werden soll, weil wir in diesem Bereich weiterhin Regulierung brauchen.
Ich füge hinzu: Wir, also die Genehmigungsbehörden in den Ländern, müssen die Möglichkeit haben, eine wirkliche Konzernbetrachtung vorzunehmen und zu sehen, welche Gewinnsituation in den Konzernen insgesamt besteht; es reicht nicht, nur die Situation im Unternehmensteil Vertrieb betrachten zu dürfen. Denn nur dann könnte man wirklich zeigen, dass Extraprofite abgeschöpft werden, und dafür sorgen, dass die Verbraucher vernünftige und verträgliche Preise bekommen. Das wäre dringend notwendig, Herr Glos. Es würde mich freuen, wenn Sie sich einmal zu der Frage äußern würden, ob Sie bereit sind, einen solchen Schritt, wie er von Ihrer Kollegin aus Nordrhein-Westfalen vorgeschlagen wurde, mitzugehen.
Eine weitere Absurdität im Hinblick auf die Stromversorger ist die Tatsache, dass die Emissionszertifikate von Ihnen kostenlos zugeteilt worden sind, dass sie jetzt aber in die Tarife eingepreist werden. Die Unternehmen haben nichts dafür bezahlt. Sie haben die Emissionszertifikate geschenkt bekommen. Aber sie stellen sie den Verbrauchern als Kosten in Rechnung.
Das hat dazu geführt, dass die Energieversorger Extraprofite in Höhe von circa 6 Milliarden Euro gemacht haben, indem sie von den Verbrauchern Geld für etwas verlangt haben, für das sie keinen Cent bezahlt haben. Meine Damen und Herren, das ist absurd und muss geändert werden.
Es muss verhindert werden, dass diese Kosten den Verbrauchern weiterhin in Rechnung gestellt werden können; darüber wird im Rahmen der Wirtschaftsministerkonferenz schon seit langem diskutiert. Auch hier, Herr Minister Glos, warten wir auf einen Vorschlag von Ihrer Seite.
Vorschläge habe ich von Ihnen nur zum Thema Niedriglohnsektor gehört. Sie haben Ihre Sympathie für den, wie ich finde, absurden Vorschlag bekundet, den die so genannten Sachverständigen formuliert haben, die Höhe des Hartz-IV-Geldes um 30 Prozent zu senken.
Ich halte den Vorschlag, den Druck auf die Erwerbslosen so lange zu erhöhen, bis sie bereit sind, jede Arbeit anzunehmen, schlichtweg für zynisch.
Wie sieht es denn auf dem ersten Arbeitsmarkt aus? Wie ist das Verhältnis von offenen Stellen zu Erwerbslosen? Einen solchen Vorschlag zu machen, ist nichts anderes, als den Leuten zu sagen: Ich kürze euch die ohnehin knappen Mittel, die ihr bekommt, um euren Lebensunterhalt zu fristen, um weitere 30 Prozent. Das ist ein Programm zur Förderung der Schwarzarbeit. Von irgendetwas müssen die Leute schließlich leben, Herr Glos. Das ist wirtschaftspolitisch absolut unvernünftig.
Die Politik des Niedriglohnsektors, die Sie verfolgen, hatte bereits ihre Konsequenzen - Minister Müntefering hat diese Daten vor einiger Zeit veröffentlicht -: 300 000 Menschen in der Bundesrepublik haben einen Verdienst, der unterhalb der Einkommensgrenze liegt, obwohl sie einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehen. Sie beziehen ergänzende Leistungen gemäß des Arbeitslosengeldes II bzw. Hartz IV und bekommen keine existenzsichernden Löhne.
Durch die Hinzuverdienstregelungen im Rahmen von Hartz IV wird ein weiterer Anreiz geschaffen, reguläre Beschäftigungsverhältnisse durch Minijobs, also durch ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse, zu ersetzen. Die Botschaft an die Unternehmen lautet, dass sie keine hohen Löhne zahlen müssen, weil die Arbeitnehmer ihre Niedriglöhne gegebenenfalls durch Transferleistungen des Staates aufgestockt bekommen. Dazu sage ich: Das ist der völlig falsche Weg und ein Grund, weshalb wir einen gesetzlichen Mindestlohn brauchen. Dieses Dumping nach unten müssen wir beenden.
Meine Damen und Herren, wir brauchen dringend eine Wende in der Wirtschaftspolitik: hin zur Stabilisierung der Massenkaufkraft und zur Stärkung der Binnennachfrage. Wir müssen die Spirale nach unten sowohl bei den Löhnen als auch beim Lohn- und Sozialdumping beenden. Wir müssen Mindeststandards einführen, damit Arbeit existenzsichernd ist, in Würde erfüllt werden kann und jeder seinen Lebensunterhalt mit eigener Hände Arbeit verdienen kann. Das setzt eine wirtschaftspolitische Wende voraus.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Anna Lührmann hat das Wort für das Bündnis 90/Die Grünen.
Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, ich habe Ihrer Rede mit Freude und großem Interesse zugehört. Vielleicht werden Sie sich freuen bzw. wundern, dass ich Ihnen in einem Punkt sogar zustimmen kann:
Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland ist so gut wie seit langem nicht mehr. Dazu kam es aber nicht etwa wegen Ihnen bzw. wegen der großen Koalition, sondern trotz der großen Koalition. Sie haben dazu an keiner einzigen Stelle beigetragen.
Ich kann mir vorstellen, dass Sie mir das nicht unbedingt glauben. Allerdings sollten Sie zur Kenntnis nehmen, wie die deutsche Wirtschaft den Wirtschaftsminister beurteilt. In den entsprechenden Umfragen heißt es:
Nur jeder zwanzigste Manager findet in Deutschland den Wirtschaftsminister gut. Ich frage mich, wie Sie da auf die Idee kommen können, Herr Glos, dass Sie irgendetwas für die Wirtschaft in Deutschland getan hätten, dass Sie irgendeinen Anteil am Wirtschaftswachstum in Deutschland hätten.
Denn das haben Sie nicht; da leiden Sie an Selbstüberschätzung. Sie sollten lieber Ihren Job machen und einen klaren Kurs in der Wirtschaftspolitik vorschlagen.
In der heutigen Debatte ist klar geworden, dass diese Regierung keinen klaren Kurs in der Wirtschaftspolitik hat. Man muss sich nur zwei Beispiele vor Augen führen.
Erstens: Ihre Bewertung des Sachverständigenrates. Sie haben den Sachverständigenrat jetzt hoch gelobt, Herr Glos - Herr Stiegler hat seine Absetzung gefordert. Was ist denn nun der wirtschaftspolitische Kurs der Bundesregierung?
Wie wollen Sie Sicherheit, wie wollen Sie Stabilität, wie wollen Sie gute Rahmenbedingungen für die Unternehmerinnen und Unternehmer in Deutschland schaffen, wenn Sie sich noch nicht einmal einig sind, was Sie von Ihren eigenen Sachverständigen halten? Das ist kein klarer Kurs und das können wir hier nicht gebrauchen.
Das zweite Beispiel ist die Haushaltskonsolidierung, die Sie eben in Ihrer Rede für sich entdeckt haben, Herr Minister. Sie haben hier vollmundig erklärt, Sie wollten die Verschuldung auf null zurückführen. Toll! Großartig! Das ist ein wunderbares Ziel. Nur, leider hat das mit der Realität der Politik der großen Koalition nichts, aber auch gar nichts zu tun.
Wenn man Ihre Mittelfristplanung einmal hochrechnet, wenn man davon ausgeht, dass Sie mit dieser Haushaltspolitik so weitermachen, kommen Sie zu einer Nettokreditaufnahme von null - nicht etwa einer Verschuldung von null - im Jahr 2051. Von daher sollten Sie hier den Mund nicht so voll nehmen, Herr Glos, und lieber konkrete Vorschläge für einen Subventionsabbau machen, die Sie dann auch umsetzen. Das ist Ihr Job hier, nicht, sich mit Steinbrück anzulegen, der heute Morgen nicht einmal hier ist.
Herr Glos, Sie haben hier gesagt, die Steuermehreinnahmen, die durch die gute Konjunktur hereinkommen, sollten komplett zur Haushaltskonsolidierung verwendet werden. Das finde ich gut, das ist ein richtig grüner Vorschlag, das ist nachhaltig. Nur, leider ist das nicht die Politik Ihrer Regierung. Wenn Sie am Dienstag hier gewesen wären, wären Sie dabei gewesen, als Herr Steinbrück hier noch erklärt hat, dass ein Löwenanteil - wie groß auch immer er sein soll - der Steuermehreinnahmen für die Haushaltskonsolidierung genutzt werden soll. Also, was ist jetzt die Politik dieser Regierung? Sind Sie für Haushaltskonsolidierung oder nicht? Sie können den Mund noch so voll nehmen - wenn Ihr Kollege Steinbrück das nicht umsetzt, wird daraus nichts.
Herr Glos, ich schlage Ihnen vor, Sie kümmern sich um Ihren Job. Gerade zur Haushaltskonsolidierung haben Sie einen ganz schönen Beitrag zu leisten. Ein Drittel des Etats des Wirtschaftsministers machen die Steinkohlensubventionen aus, die in diesem Jahr bei knapp 2 Milliarden Euro liegen.
Dazu, zu dem Bereich, wo Sie konkret etwas machen können, haben Sie in Ihrer Rede eben überhaupt nichts gesagt; Sie haben stattdessen mehrere Anmerkungen zur Energiepolitik gemacht.
Dabei müssen Sie nur einmal schauen, was die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen macht: Sie hat erkannt, dass es richtig ist, aus dem Steinkohlenbergbau auszusteigen - sozialverträglich natürlich -, und mit den Steinkohlensubventionen Geld einzusparen, das man an anderer Stelle sinnvoller einsetzen kann. Die CDU/FDP-Landesregierung hat in den jetzigen Haushalt 50 Millionen Euro eingestellt; diese Summe von Subventionen ist zurückgezahlt worden, weil der Weltmarktpreis für Kohle stark angezogen hat. Wir Grünen haben damals durchgesetzt, dass mit dem Steigen des Weltmarktpreises die Subventionszahlungen sinken.
Das haben Sie in der großen Koalition hier noch nicht umgesetzt. Statt, wie die Kollegen in Nordrhein-Westfalen das vormachen, solche Rückzahlungen in den Haushalt einzustellen, verzichten Sie einfach auf Mehreinnahmen von mindestens 200 Millionen Euro. Herr Minister Glos, Sie machen mit dem Subventionsabbau nicht Ernst. Sie haben also auch in der Haushaltspolitik keinen klaren Kompass.
Das hat nicht nur Auswirkungen auf den jetzigen Bundeshaushalt, es geht auch um wichtige langfristige Weichenstellungen. Der Börsengang der RAG steht an, über den wir in nächster Zeit beraten müssen. Auch da haben Sie Zoff mit Nordrhein-Westfalen. Sie haben gerade einen Brief von der nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerin erhalten.
- Den habe ich leider nicht gelesen. Ich habe in der Zeitung davon gelesen.
- Wenn Sie mir diesen Brief zur Verfügung stellen, will ich ihn gerne lesen und auch daraus zitieren.
In der Zeitung steht darüber, dass die Wirtschaftsministerin der CDU, Christa Thoben, schreibt, dass wichtige Fragen in Bezug auf den Börsengang der RAG immer noch nicht hinreichend beantwortet sind. Herr Glos, Sie wirft Ihnen vor, dass Sie sich nicht richtig darum kümmern, dass die Altlasten nicht auf den Staat abgewälzt werden. Ich kann dazu nur sagen: Recht hat sie. Sie müssen sich jetzt darum kümmern und Sie müssen jetzt etwas dazu sagen.
Sie müssen jetzt damit anfangen, an einem Konzept zu arbeiten, wie wir die Altlasten dort möglichst reduzieren können.
Deshalb brauchen wir auch ein klares Ausstiegsszenario aus der Steinkohle. Dazu habe ich von Ihnen noch nichts gehört. Ich habe mir hier Herrn Stiegler angehört, der uns allen erzählt hat - er ist jetzt leider nicht mehr da -, dass wir in Deutschland mit dem Steinkohlenbergbau weitermachen müssen,
obwohl die deutsche Steinkohle auf dem Weltmarkt leider nicht konkurrenzfähig ist.
Ich finde, das ist keine zukunftsfähige Politik. Sie müssten eigentlich dafür sorgen, dass eine bessere Energiepolitik gemacht wird. Das wäre Ihr Job, aber dazu hört man von Ihnen gerade gar nichts.
Herr Glos, in der Energiepolitik haben Sie nur einen Vorschlag, auf den ich zum Abschluss eingehen möchte. Sie scheinen sich dabei in guter Gesellschaft mit Ihrem Kollegen Herrn Seehofer zu befinden. Sie haben vorgeschlagen, dass man die Laufzeiten verschiedener Atomkraftwerke verlängern könnte.
Das war Ihr neuer innovativer Vorschlag in der Energiepolitik. Analog zu dem, was Herr Seehofer gerade tut, fällt mir dazu nur ein, zu sagen: Sie schlagen vor, dass wir Gammel-Atomkraftwerke weiter laufen lassen, und Sie gefährden damit die Sicherheit der Menschen in Deutschland. Das ist keine zukunftsfähige Energiepolitik. Sie sollten stattdessen dafür sorgen, dass die Subventionen für die Kohle gekürzt werden und dass die entsprechenden Mittel in eine Strategie weg vom Öl und hin zu einer zukunftsfähigen Energiepolitik investiert werden.
Das wäre Ihr Job, anstatt die Sicherheit der Menschen in Deutschland aufs Spiel zu setzen.
Danke.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Laurenz Meyer.
In der Zeitung steht darüber, dass die Wirtschaftsministerin der CDU, Christa Thoben, schreibt, dass wichtige Fragen in Bezug auf den Börsengang der RAG immer noch nicht hinreichend beantwortet sind. Herr Glos, Sie wirft Ihnen vor, dass Sie sich nicht richtig darum kümmern, dass die Altlasten nicht auf den Staat abgewälzt werden. Ich kann dazu nur sagen: Recht hat sie. Sie müssen sich jetzt darum kümmern und Sie müssen jetzt etwas dazu sagen.
Sie müssen jetzt damit anfangen, an einem Konzept zu arbeiten, wie wir die Altlasten dort möglichst reduzieren können.
Deshalb brauchen wir auch ein klares Ausstiegsszenario aus der Steinkohle. Dazu habe ich von Ihnen noch nichts gehört. Ich habe mir hier Herrn Stiegler angehört, der uns allen erzählt hat - er ist jetzt leider nicht mehr da -, dass wir in Deutschland mit dem Steinkohlenbergbau weitermachen müssen,
obwohl die deutsche Steinkohle auf dem Weltmarkt leider nicht konkurrenzfähig ist.
Ich finde, das ist keine zukunftsfähige Politik. Sie müssten eigentlich dafür sorgen, dass eine bessere Energiepolitik gemacht wird. Das wäre Ihr Job, aber dazu hört man von Ihnen gerade gar nichts.
Herr Glos, in der Energiepolitik haben Sie nur einen Vorschlag, auf den ich zum Abschluss eingehen möchte. Sie scheinen sich dabei in guter Gesellschaft mit Ihrem Kollegen Herrn Seehofer zu befinden. Sie haben vorgeschlagen, dass man die Laufzeiten verschiedener Atomkraftwerke verlängern könnte.
Das war Ihr neuer innovativer Vorschlag in der Energiepolitik. Analog zu dem, was Herr Seehofer gerade tut, fällt mir dazu nur ein, zu sagen: Sie schlagen vor, dass wir Gammel-Atomkraftwerke weiter laufen lassen, und Sie gefährden damit die Sicherheit der Menschen in Deutschland. Das ist keine zukunftsfähige Energiepolitik. Sie sollten stattdessen dafür sorgen, dass die Subventionen für die Kohle gekürzt werden und dass die entsprechenden Mittel in eine Strategie weg vom Öl und hin zu einer zukunftsfähigen Energiepolitik investiert werden.
Das wäre Ihr Job, anstatt die Sicherheit der Menschen in Deutschland aufs Spiel zu setzen.
Danke.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Laurenz Meyer.
Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich habe die Debatten in den letzten Tagen verfolgt und sage den Oppositionsfraktionen und insbesondere der FDP: Ich kann mir gut vorstellen, wie die Reden ausgesehen hätten, wenn hier heute Morgen statt Michael Glos für uns einer von der FDP gesprochen hätte. Die Daten am Arbeitsmarkt und bezüglich der Erwerbstätigkeit sowie insbesondere der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten weichen nun wirklich ganz grundsätzlich von dem ab, was in den letzten Jahren war.
Lieber Kollege Stiegler, messen wir es einmal nur an den Zahlen. Ich will dem Herrn Schröder und eurer alten Regierung nicht zu nahe treten, aber im ersten Halbjahr des letzten Jahres war bei der Bundesagentur für Arbeit ein Defizit von 3,4 Milliarden Euro aufgelaufen, während im ersten Halbjahr dieses Jahres ein Plus von 5,5 Milliarden Euro aufgelaufen ist.
Das zeigt die positive Entwicklung am Arbeitsmarkt und den grundsätzlichen Unterschied zur Vergangenheit so deutlich wie nichts anderes.
Über diesen Unterschied zu den letzten fünf Jahren sollten wir uns nicht mehr lange streiten.
Michael Glos hat hier heute Morgen eine Rede gehalten und ein Konzept vorgelegt, das wir als Unionsfraktion nachdrücklich unterstützen und an dem wir nach Kräften mitarbeiten werden.
Ein paar Punkte will ich noch einmal zusätzlich unterstreichen.
Erstens. Der wichtigste ordnungspolitische Punkt in den kommenden Jahren ist der Wettbewerb. Dies zieht sich durch alle Gebiete und darauf haben wir jetzt bei den verschiedenen Reformprojekten zu achten. Wer vom internationalen Wettbewerb so stark wie wir betroffen ist, der tut den eigenen Unternehmen und den eigenen Arbeitskräften den besten Gefallen, wenn er den Wettbewerb im eigenen Land nach Kräften stärkt, und zwar auf allen Gebieten. Besser kann man den Unternehmen und in Bezug auf die Arbeitsplätze nicht helfen.
Das betrifft auch den Bereich, den Michael Glos beim Thema Energie angesprochen hat. Hier gibt es zurzeit eine höchst unvollkommene Wettbewerbssituation. Unmittelbar nach Freigabe der Märkte - der Wettbewerb war damals härter - war sie besser. Das müssen wir berücksichtigen. Ich sage das wirklich mit allem Ernst und voller Vorwurf: Durch die ideologisch orientierte Energiepolitik der rot-grünen Koalition ist der Wettbewerb anschließend gestoppt worden, und zwar indem vielfältige Kosten obendrauf gelagert worden sind.
Frau Lührmann, es muss einem geradezu komisch zumute sein, dass Sie sich, wenn Sie hier zur Energiepolitik vortragen, Sorgen um die Verbraucherpreise im Energiebereich in Deutschland machen. Sie sollten zunächst Ihre Ideologie durchforsten - Sie haben alle möglichen Kosten für die Leute draufgepackt -, ehe Sie sich weiter zu diesem Thema äußern.
Zu den Stichworten ?Wettbewerb“, ?Energiepreise“ und ?Verbraucherpreise“ können Sie sich hier wirklich nicht glaubwürdig äußern.
Was sind die Herausforderungen? Herr Minister Glos hat völlig Recht: Die Strombörse funktioniert zurzeit noch nicht richtig. Man kann nicht die Grenzpreise zur Grundlage für die Festlegung der gesamten Handelspreise machen. Wir müssen an dieses Problem herangehen und uns überlegen, wie wir das System vervollkommnen, insbesondere im Hinblick auf den internationalen Bereich.
Weiterer Punkt: die Bundesnetzagentur. Wir unterstützen nachdrücklich die Überlegungen der Netzagentur zu den Netzpreisen und zur Anreizregulierung in der Zukunft. Wir stehen sicherlich am Anfang eines längeren Prozesses; aber ohne ihn werden wir den Wettbewerb nicht stärken können.
Was der Wirtschaftsminister auch in den vergangenen Tagen zur Anbindung neuer Kraftwerkskapazitäten gesagt hat, findet unsere volle Unterstützung. Es darf nicht verhindert werden, dass neue Kraftwerkskapazitäten - ich denke hier insbesondere an Kohlekraftwerke; von den Gaskraftwerken der Stadtwerke halte ich, obwohl eines davon in meinem Wahlkreis steht, nicht so viel - erschlossen werden. Herr Minister Glos, wenn es Verweigerungshaltungen gibt, müssen wir sehen, wie wir damit umgehen.
Im Zusammenhang mit den Haushalts- und Gewerbepreisen müssen wir sorgfältig schauen: Kommt es bis zum nächsten Jahr zu einer vernünftigeren Wettbewerbssituation? Wenn das nicht der Fall sein sollte, müsste man sorgfältig prüfen, ob die Genehmigungsvorbehalte der Länderregierungen für eine bestimmte, nicht zu lange Zeit beibehalten werden sollten.
Ein Wort an Herrn Minister Gabriel: Wer mit seinem Haushalt 30 Prozent der Energiepreise mit zu verantworten hat, wer immer noch nicht eingesehen hat, dass es sinnvoll ist, die Kernenergie zumindest so lange zu nutzen, bis es einen für die Menschen tragbaren, genauso sicheren Ersatz gibt - international wird das inzwischen von allen eingesehen -, der sollte andere Minister nicht in der Öffentlichkeit kritisieren. Zumindest das sollte man verlangen.
Zum Schlüsselwort ?Wettbewerb“ gehört natürlich auch die Gesundheitsreform. Hier muss das Hauptziel sein, einen Wettbewerb zwischen den Versicherungen herzustellen, damit die Versicherungen den Versicherten vernünftigere und effizientere Konditionen anbieten und die Preise und Kosten nicht wie in der Vergangenheit aus dem Ruder laufen. Was ich hier in der Debatte - leider Gottes auch von dem einen oder anderen Kollegen von der SPD - dazu gehört habe, zeigt mir, dass ein falsches Verständnis von Wettbewerb vorliegt. Es wird gesagt: Wir müssen die Versicherungen verpflichten, jeden zu nehmen. - Das nennt man Kontrahierungszwang. Ich verstehe überhaupt nicht, dass dann an anderer Stelle gesagt wird, es gehe um die guten Risiken.
Egal, wie krank jemand ist: Er muss die Gelegenheit haben, zu jeder Versicherung, die günstiger als seine eigene ist, zu wechseln.
- Dann muss man sie aber nicht zusätzlich schützen. - Leider Gottes ist hier - Kollege Stiegler, prüfen Sie das einmal in den eigenen Reihen - manches vertreten worden, was Wettbewerb geradezu unterminiert und verhindert. Wir sollten das Thema noch einmal sorgfältig behandeln. Deswegen ist es sicher gut, dass wir mehr Zeit haben.
Das Stichwort ?Wettbewerb“ gilt auch für die Telekom. Wenn wir in der übernächsten Woche über Investitionsprogramme der Telekom reden, kann es nur darum gehen, zu prüfen: Wird der bisherige Wettbewerb gestoppt? Werden neue Produkte angeboten? Davon machen wir unsere Entscheidung abhängig. Anreize in Form einer Regulierungspause oder Ähnliches gibt es mit uns nicht. Was reguliert werden muss, wird reguliert. Was aber nicht reguliert werden muss, wird auch in Zukunft nicht von uns reguliert.
Dasselbe gilt für die Entscheidung, die bei der Bahn ansteht. Wir müssen gegenüber den alten Unternehmen - gegenüber der Telekom und der Bahn - glaubhaft machen, dass wir Wettbewerb wollen. Wir müssen für die gesamte Volkswirtschaft Strukturen schaffen, die Wettbewerb nicht verhindern, sondern unterstützen. Dabei dürfen wir allerdings nicht vernachlässigen, dass die Systeme weiterhin funktionieren müssen. XXXXX
Deshalb wird die Bahn den Betrieb sicherlich für eine bestimmte Zeit übernehmen müssen, weil es nicht anders geht.
So kann man das alles durchdeklinieren. Ich glaube, dass das Stichwort ?Wettbewerb“ die zentrale Botschaft für das Wirtschaftsministerium und die Wirtschaftspolitik ist. Damit komme ich zur Unternehmensteuerreform, bei der es darum geht, für die Unternehmen gleiche Voraussetzungen im Wettbewerb zu schaffen. Es geht vor allen Dingen darum, dass die Unternehmen in Deutschland Steuern zahlen statt woanders.
Insofern ist alles, was hier zu den Arbeitsplätzen gesagt worden ist, im Prinzip richtig. Bei der Unternehmensteuerreform geht es nicht in erster Linie darum, inwiefern dadurch akut neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. Vielmehr geht es um die Frage, wie man durch diese Reformmaßnahmen die Steuereinnahmen auf mittlere Sicht wieder nach Deutschland verlagert. Dass das mit Anfangsinvestitionen verbunden ist, werden wir sicherlich in Kauf nehmen müssen, wenn wir langfristig die Einnahmen steigern wollen.
Langfristig werden wir damit aber auch die Standortbedingungen im internationalen Wettbewerb verbessern. Wir müssen ferner die Weichen stellen - das ist jedenfalls meine Philosophie; darin sehe ich mich einig mit den Kollegen in unserer Fraktion, die sich darum bemühen -, um die Anreize zur Finanzierung durch Eigenkapital statt durch Fremdkapital zu verstärken und die Eigenkapitalbildung zu unterstützen. Auch das ist ein wichtiges Thema im Zusammenhang mit der Unternehmensteuerreform, die wir zurzeit diskutieren.
Lassen Sie mich noch etwas zu dem Thema Niedriglohn ausführen. Löhne, die nicht der Produktivität entsprechen, werden auf Dauer nicht gezahlt werden können. Auch das ist eine Gesetzmäßigkeit. Arbeitsplätze, bei denen die Lohnzahlung nicht der Produktivität entspricht, werden auf mittlere Sicht wegfallen. Wenn wir die Arbeitsplätze nicht kaputtmachen wollen, sollten wir deshalb in diesem Zusammenhang nicht mehr von Mindestlohn sprechen. Uns kann es doch nur darum gehen, den Menschen ein Mindesteinkommen zu garantieren. Dieses Mindesteinkommen setzt sich eben unter Umständen aus Sozialtransfers plus eigenem Einkommen zusammen, was dann der Produktivität entspricht.
Das, was der Kollege Stiegler zum Sachverständigenrat gesagt hat, war wohl ein kleiner Tribut an die eigene Fraktion.
Hinterher hast du zum Teil etwas ganz Vernünftiges gesagt, Ludwig. Zu diesem Punkt war es aber, unter uns gesagt, Quark.
Es zeigt, dass gut gemeint nicht gut ist. Wir haben im letzten Jahr eine Maßnahme eingeführt, die wir dringend korrigieren müssen. Die 400-Euro-Jobs in Verbindung mit dem ALG II waren gut gemeint. Das hatte aber zur Folge, dass Schwarzarbeit praktisch nicht mehr kontrollierbar ist. Die Bundesagentur hat in unseren Gremiensitzungen bekannt gegeben, dass der Umfang der Schwarzarbeit in Deutschland, auf Arbeitsplätze hochgerechnet, 6 Millionen Arbeitsplätzen entspricht.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU):
Deshalb müssen wir uns bei den Gesprächen zum Arbeitsmarkt im Herbst damit befassen, wie wir die Schwarzarbeit in reguläre Arbeit umwandeln können.
Wichtig ist auch die Frage, die der Sachverständigenrat angesprochen hat. Ich begrüße für unsere Fraktion, was die Bundeskanzlerin dazu festgestellt hat: Kürzungen ohne Arbeitsplatzangebot im ALG-II-Bereich soll es nicht geben. Das ist unsere Philosophie. Wer aber soziale Transferleistungen vom Staat erhält und einen Arbeitsplatz angeboten bekommt, sollte diesen auch annehmen.
Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind. Wenn wir bei der Vielzahl von Projekten, die wir zurzeit in Arbeit haben, Ruhe bewahren, es nicht an Mut und Veränderungsbereitschaft mangeln lassen und in einem überschaubaren Zeitraum bei allen Arbeitsprogrammen, die wir uns vorgenommen haben, den Bürgerinnen und Bürgern sowie der Wirtschaft wieder Planungssicherheit bieten, dann werden die derzeitigen Entwicklungen am Arbeitsmarkt auch in der Zukunft dauerhaft fortgesetzt werden können. Davon bin ich überzeugt.
Danke schön.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Für die FDP-Fraktion hat das Wort die Kollegin Ulrike Flach.
Ulrike Flach (FDP):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Meyer, Sie machen sich große Gedanken darüber, was ein liberaler Wirtschaftsminister an dieser Stelle gesagt hätte.
Er hätte Ihnen sicherlich berichtet, was schon umgesetzt worden ist: eine Steuerreform einschließlich Unternehmensteuerreform, eine Gesundheitsreform und die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes.
Sie haben ein Jahr hinter sich gebracht und heute, nach einem Jahr, erzählen Sie uns, was Sie langfristig auf diesen Gebieten tun werden. Das wäre Ihnen mit einem liberalen Wirtschaftsminister sicherlich nicht passiert. Das hat inzwischen auch so mancher Wähler in diesem Land erkannt.
Herr Wirtschaftsminister, Sie haben gerade gesagt, in Zeiten des Aufschwungs sei zu konsolidieren. Ich kann Ihnen ausdrücklich die Zustimmung der FDP zusichern. Ich erkenne Ihre Absicht allerdings nicht im Haushalt. Wenn man den Einzelplan 09 anschaut, stellt man fest, dass Sie die vielen Subventionstöpfchen, die seit vielen Jahren von den verschiedenen Regierungen gepflegt werden, wieder einmal etwas aufgefüllt haben. An den Punkten, an denen die Bevölkerung klar erkennen könnte, dass es vorangeht, passiert nichts.
Frau Kollegin Lührmann hat soeben zu Recht die Steinkohle angesprochen. Ich weiß nicht, warum wir uns an dieser Stelle von der großen Koalition sagen lassen müssen, man würde in geltende Verträge eingreifen, wenn man Kürzungen vornehmen wollte. Ich kann immer wieder betonen: Natürlich ist das nicht der Fall, es hat immer Verhandlungen gegeben. Ich bin froh, dass Paul Friedhoff hier sitzt und das bestätigen kann. Man hat immer wieder versucht, entsprechende Erleichterungen für den Haushalt herbeizuführen. Darüber hinaus gibt es eine Landesregierung, die in ihrem Etat für die mittelfristige Planung bereits minus 50 Millionen Euro eingesetzt hat. Wieso kann so etwas in NRW passieren und nicht bei Ihnen, Herr Glos?
Es ist immer leicht, zu sagen: Wir hängen in Verträgen. Dagegen ist es offensichtlich sehr schwer, gegen die alten Subventionsträger in diesem Land vorzugehen.
Das passiert in einer Zeit, Herr Glos, in der wir uns einen Finanzminister leisten, der zusammen mit Herrn Koch die berühmte Koch/Steinbrück-Liste aufgestellt hat. Hätten wir uns an diese gehalten, hätten wir schon Milliarden einsparen können. Wenn ich mir jetzt Ihren Etat, gar nicht den gesamten Bundesetat, anschaue, dann stelle ich fest, dass Sie bei den Subventionen nach der Koch/Steinbrück-Liste eine Steigerung um 8 Prozent hätten. Es fand aber kein Abbau statt, wie es der derzeitige Finanzminister jahrelang geplant und gefordert hat, sondern genau das Gegenteil: 8 Prozent mehr Subventionen in einem Etat, zu dem uns der zuständige Minister gerade erzählt hat, in guten Zeiten müsse man konsolidieren.
Ich habe in der Rede dieses Ministers, aber auch in den Reden anderer während der gesamten Haushaltswoche festgestellt: Dies war keine Haushaltswoche, sondern eine Woche, in der der Koalitionsausschuss immer wieder einmal getagt hat.
Es war für uns als Opposition zum Teil recht amüsant, zu erleben, dass der Koalitionsausschuss nicht zu einem Ergebnis kommt. Das betrifft den Abbau von Subventionen, aber auch den Energiebereich, der von diesem Minister verantwortet wird, lieber Herr Ramsauer.
Es hat gestern keinen Widerspruch des zuständigen Umweltministers Gabriel zu dem gegeben, was Herr Glos uns immer vorschlägt. Wir haben hier einen denkwürdigen Auftritt von Frau Reiche zum Thema Gorleben erlebt. Der Koalitionsausschuss
tagte insofern, als Frau Reiche uns erklärte, dass die CDU all das weiterhin vertritt, was sie schon bisher vertreten hat. Die SPD hat uns genau das Gegenteil erklärt. Der Umweltminister hat uns gesagt, er werde in Zukunft weitere Standorte für Endlager suchen. Dann kommt der entscheidende Punkt, lieber Herr Ramsauer: Im Etat des Umweltministers ist das Geld dafür nicht eingestellt.
Das heißt, Sie leben in zwei verschiedenen Welten und teilen uns über die Medien sozusagen ihre eigene Opposition mit. Eine zukunftsweisende Energiepolitik können wir an dieser Stelle jedoch weder erkennen noch erahnen.
Herr Glos reklamiert für sich ein Thema, das für mich aufgrund meiner forschungspolitischen Vergangenheit besonders interessant ist: das Thema Hightechstrategie. XXXXX
Sie haben uns eine wunderschöne, sicherlich sehr teure Broschüre vorgelegt. Diese zeichnet sich vor allen Dingen durch einen Punkt aus: Im Jahre 2007 endet die Hightechstrategie dieser Bundesregierung. Es ist nicht erkennbar, was Sie nach dem Jahre 2007 machen wollen. Das Einzige, was erkennbar ist, ist, dass Sie bei den Mitteln für die Felder, auf denen schon immer herumsubventioniert wurde, ein bisschen draufsatteln wollen. Ansonsten ergehen Sie sich in luftigen Worten und Dialogforderungen. Ich führe als Beispiel die Raumfahrt - Sie wissen, dass ich daran stark interessiert bin - an. Dazu lässt sich folgender Satz von Ihnen finden: Man beginnt einen strategischen Dialog zur deutschen Raumfahrtpolitik.
Eine äußerst interessante Formulierung! Die Bundesregierung meint offensichtlich, dass sie über Hochglanzbroschüren Politik in diesem Land betreiben kann.
Das ist keine Hightechpolitik und wird es auch nie werden, vor allem deswegen nicht, weil wir uns gleichzeitig mit Ministern wie Herrn Seehofer ?vergnügen“ müssen, die Politikfelder blockieren und offensichtlich nicht willens sind, diese zu bearbeiten, und das, obwohl ich noch vor wenigen Monaten von einigen Unionskollegen hörte, dass die betreffenden Bereiche die Hightechsymbolfelder dieser Welt seien. Denken Sie nur an die Grüne Gentechnik! Hätten wir Herrn Seehofer nicht als Minister, gäbe es wahrscheinlich bereits eine Reform, die uns weiterbringen würde. Aber so denken wir nur darüber nach, ob wir vielleicht am Ende des Jahres über das Thema Grüne Gentechnik reden sollen. Ich hoffe, dass es dann endlich weitergeht.
Herr Glos, alles, was mit Hightech zu tun hat, führen Sie zwar im Munde. Aber leider hat das bislang nichts genutzt. Sie sollten erkennen, dass es nicht reicht, lupenreine CDU/CSU-Reden zu halten - diese finden sicherlich unseren Beifall, keine Frage; wir sind an vielen Stellen einer Meinung -, wenn am nächsten Tag den Zeitungen zu entnehmen ist, dass erneut SPD-Politik betrieben wird.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Für die SPD hat Rainer Wend das Wort.
Sie haben uns eine wunderschöne, sicherlich sehr teure Broschüre vorgelegt. Diese zeichnet sich vor allen Dingen durch einen Punkt aus: Im Jahre 2007 endet die Hightechstrategie dieser Bundesregierung. Es ist nicht erkennbar, was Sie nach dem Jahre 2007 machen wollen. Das Einzige, was erkennbar ist, ist, dass Sie bei den Mitteln für die Felder, auf denen schon immer herumsubventioniert wurde, ein bisschen draufsatteln wollen. Ansonsten ergehen Sie sich in luftigen Worten und Dialogforderungen. Ich führe als Beispiel die Raumfahrt - Sie wissen, dass ich daran stark interessiert bin - an. Dazu lässt sich folgender Satz von Ihnen finden: Man beginnt einen strategischen Dialog zur deutschen Raumfahrtpolitik.
Eine äußerst interessante Formulierung! Die Bundesregierung meint offensichtlich, dass sie über Hochglanzbroschüren Politik in diesem Land betreiben kann.
Das ist keine Hightechpolitik und wird es auch nie werden, vor allem deswegen nicht, weil wir uns gleichzeitig mit Ministern wie Herrn Seehofer ?vergnügen“ müssen, die Politikfelder blockieren und offensichtlich nicht willens sind, diese zu bearbeiten, und das, obwohl ich noch vor wenigen Monaten von einigen Unionskollegen hörte, dass die betreffenden Bereiche die Hightechsymbolfelder dieser Welt seien. Denken Sie nur an die Grüne Gentechnik! Hätten wir Herrn Seehofer nicht als Minister, gäbe es wahrscheinlich bereits eine Reform, die uns weiterbringen würde. Aber so denken wir nur darüber nach, ob wir vielleicht am Ende des Jahres über das Thema Grüne Gentechnik reden sollen. Ich hoffe, dass es dann endlich weitergeht.
Herr Glos, alles, was mit Hightech zu tun hat, führen Sie zwar im Munde. Aber leider hat das bislang nichts genutzt. Sie sollten erkennen, dass es nicht reicht, lupenreine CDU/CSU-Reden zu halten - diese finden sicherlich unseren Beifall, keine Frage; wir sind an vielen Stellen einer Meinung -, wenn am nächsten Tag den Zeitungen zu entnehmen ist, dass erneut SPD-Politik betrieben wird.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Für die SPD hat Rainer Wend das Wort.
Dr. Rainer Wend (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn meiner Rede mit der mir eigenen milden Nachsicht
- richtig - und der mir eigenen Zurückhaltung sagen: Ich habe den Eindruck, dass der eine oder andere Kollege von der Union angesichts schlechter Umfragewerte in den letzten Wochen nervös geworden ist. Ich kann das deswegen mit Nachsicht sagen, weil wir von der SPD das kennen. Wir sind das schon lange gewohnt. Ich gebe Ihnen daher mit Fug und Recht folgenden freundschaftlichen Rat: Gewinnen wird in dieser Koalition niemand, wenn er sich auf Kosten des Partners profilieren will. Gewinnen werden wir nur, wenn wir gemeinsam Politik für unser Land und zur Verbesserung seiner Wettbewerbsfähigkeit machen.
Die Koalition wird auch dann nicht gewinnen, wenn ein Teil dieser Koalition an Forderungen nach Abbau des Kündigungsschutzes und dem Weiterlaufen von Atomkraftwerken festhält. Dazu kann ich nur sagen: Ein Blick in die Koalitionsvereinbarung erleichtert die Rechtsfindung. Wir bleiben bei dem, was wir dort vereinbart haben. Umweltminister Gabriel hat die Unterstützung der SPD-Fraktion für seine Politik; denn sie ist nichts anderes als eine gute Umsetzung der Koalitionsvereinbarung.
Wenn wir uns darüber streiten, wer für den Aufschwung politisch verantwortlich ist, dann ist daran zumindest gut, dass wir uns in diesem Haus mittlerweile einig sind, dass es so etwas wie einen Aufschwung gibt. Ich finde, bei ruhiger Betrachtungsweise können wir uns - vielleicht sogar fraktionsübergreifend - darauf verständigen, wo die Ursachen dafür liegen. Einige wurden bereits benannt. Eine Ursache sind neben der Politik die Unternehmer. Sie haben ihre Unternehmen wieder wettbewerbsfähig, konkurrenzfähig gemacht. Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass es mit der Wirtschaft bergauf geht. Das will ich als Sozialdemokrat ausdrücklich anerkennen.
Ich bin zudem der Auffassung, dass die große Koalition einen wichtigen Beitrag geleistet hat, und zwar nicht nur mit ihren Einzelmaßnahmen, die der Kollege Stiegler zu Recht angeführt hat. Ich glaube, dass wir, die große Koalition, zu Beginn unserer Amtszeit den Unternehmen und den Menschen ein Stück weit Vertrauen zurückgegeben haben. XXXXX
Das rechne ich uns gemeinsam an. Wir sollten dieses Vertrauen gegenüber unserer Bevölkerung auch weiterhin aufrechterhalten. Schließlich hat Rot-Grün auch seinen Anteil daran.
Wir haben mit Reformen auf dem Arbeitsmarkt und im Steuersystem begonnen. Ich sage an uns alle adressiert - ohne Vorwurf an eine Richtung - : Mit diesen Reformen wurde zehn Jahre zu spät begonnen. Rot-Grün hatte damit begonnen.
Deswegen haben wir Sozialdemokraten auch überhaupt keinen Grund, uns von dieser Regierungszeit zu distanzieren, die wir gemeinsam hatten. Schließlich sind dafür auch jene mitverantwortlich, die heute noch nicht genannt worden sind - vielleicht habe ich es auch überhört -: Das sind die Tarifpartner.
Wir haben nämlich in den letzten zehn Jahren Tarifvereinbarungen über Arbeitszeiten, über Entlohnungen geschlossen, die flexibel sind und die uns bei den Arbeitskosten im internationalen Vergleich wieder wettbewerbsfähig gemacht haben. Noch heute stand in der Zeitung, dass wir den zweitniedrigsten Anstieg bei den Arbeitskosten aller Industrieländer haben.
Das ist Ergebnis der Tarifpartner und das ist Ergebnis der Tarifautonomie, zu der wir uns bekennen. Wir haben überhaupt keinen Anlass, diese in Zweifel zu ziehen.
Ein Wort zu Ihnen noch, Herr Senator Wolf: Ich finde, Ihre Rede hat sich, weil sie sehr sachlich war, von dem positiv abgehoben, was an populistischen Sprüchen von anderen Ihrer Parteifreunde hier gebracht wurde.
Sie sagen: Wir müssen unsere Konjunktur über mehr Nachfrage beleben. Das ist sicher nicht falsch. Ich bitte, nur Folgendes zu beachten. Unsere Wirtschaft ist zu 40 Prozent vom Export abhängig, die Vereinigten Staaten zu 15 Prozent - um einmal eine andere Zahl zu nennen. Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht darauf beschränken, anzunehmen, die Konjunkturbelebung könne nur glücken, wenn wir die Binnennachfrage über höhere Löhne, womöglich auch höhere Transferleistungen unseres Staates anregen.
Die Tarifpartner können zu mehr Lohnabschlüssen kommen, die das Wachstum in den einzelnen Branchen stärker berücksichtigen. Einverstanden.
Wir müssen es aber bei den Arbeitskosten aufgrund unserer Exportsituation schaffen, die Wettbewerbsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Deswegen ist es für mich ?Vulgärkeynesianismus“, wenn Sie einfach sagen, die Nachfrage zu erhöhen, das schaffe Konsum. Wir müssen im internationalen Kampf um Investitionen und Arbeitsplätze wettbewerbsfähig sein.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu einem Thema sagen, das mir sehr am Herzen liegt, das auch mehrfach angesprochen wurde, dem Thema Regulierung und Energiekosten. Die Bürgerinnen und Bürger haben die Sorge, dass ihnen die Kosten in vielen Bereichen des Lebens davonlaufen, auch und gerade bei den Energiepreisen.
Ich finde, die Bundesnetzagentur macht an dieser Stelle eine gute Arbeit.
Sie hat die Entgelte für die Netznutzung um insgesamt etwa 20 Prozent gekürzt. Diese Entgelte machen allerdings insgesamt nur 37 Prozent des Strompreises aus. Das heißt, wir haben damit nur ein Segment erwischt, aber immerhin.
Jetzt sage ich noch etwas zum Thema Energiepreise. Am Ende werden wir nur Erfolg haben, wenn es Wettbewerb gibt. Die vier Oligopole, die jeder kennt, stehen faktisch in keinem Wettbewerb. Die einzigen, die wirklich Wettbewerb machen, sind die örtlichen Stadtwerke,
und die müssen wir stärken, auch über die Bundesnetzagentur. Es hilft uns nichts, wenn wir über eine Regulierung kurzfristig die Preise bei den Stadtwerken um wenige Cent senken, wenn dieses am Ende zur Folge hat, dass sie nicht mehr handlungsfähig sind und die Netze anschließend von den vier Oligopolen übernommen werden.
Denn das hätte nur zur Folge, dass die Preise umso rasanter ansteigen würden.
Zur Regulierung sage ich: Passt auf, dass ihr die Stadtwerke nicht schädigt, statt ihnen zu helfen, weil nur das den Wettbewerb stärkt.
Die Schlagworte zu Wirtschaft und Entwicklung sind bekannt: Steuersenkung, Entbürokratisierung, den Arbeitsmarkt lockern. Sie wissen alle: Mit mir kann man über manches reden, was diese Dinge angeht. XXXXX
Aber über einen Punkt, der für uns wichtig ist, wird zu wenig gesprochen: Wie gelingt es uns, Industrie- und Standortpolitik für Deutschland zu machen? Ich will Ihnen einige Zahlen vortragen, die für unser Land ein Problem sind, und zwar trotz des Aufschwungs, den wir gegenwärtig erleben.
Es ist nämlich so, dass die industrielle Basis in Deutschland seit Jahrzehnten an Breite verliert. Ganze Industriezweige, Unterhaltungselektronik und Textilindustrie beispielsweise, sind, verglichen mit der Zeit vor 20 oder 25 Jahren, nur noch ein Schatten ihrer selbst. Das hat erhebliche Auswirkungen: Deutschland hat in den letzten 15 Jahren etwa ein Drittel aller Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe verloren. Der Dienstleistungsbereich konnte dies nur zu einem relativ geringen Teil, nämlich zu etwa 40 Prozent, ausgleichen.
Wir müssen also Standort- und Industriepolitik machen. Dies darf aber keine nachsorgende Industriepolitik sein. Was wir einmal im Zusammenhang mit Holzmann gemacht haben, ist kein Beispiel für die Zukunft.
Wenn das Kind erst einmal in den Brunnen gefallen ist, dann hat es keine Perspektive mehr.
Was wir tun müssen, ist, zu versuchen, Leitmärkte zu identifizieren und auf diesen Leitmärkten die Rahmendaten für unser Land zu verbessern. Das Fraunhofer-Institut hat einige Zukunftsmärkte ausgemacht. Der Wichtigste davon ist der Markt der Logistik. Deutschland ist in der Logistik weltweit führend. Zwei der größten Logistikunternehmen der Welt sind bei uns angesiedelt, nämlich die Deutsche Bahn und die Post. Deswegen lassen Sie mich kurz ein paar Worte zur Deutschen Bahn AG sagen.
Wettbewerb ist wichtig. Bei der Teilprivatisierung der Bahn müssen wir den Wettbewerb im Auge haben. Wichtig ist für mich aber auch, dass wir den Konzern Bahn als Globalplayer auf dem Zukunftsmarkt Logistik erhalten und stärken.
Wir müssen deshalb einen Weg finden, einerseits die Bahn als integrierten Logistikkonzern und als Globalplayer zu erhalten, und andererseits müssen wir die Verantwortung, die wir als Staat vom Grundgesetz her für das Schienennetz der Bahn haben, so wahrnehmen, dass wir - ich formuliere es einmal untechnisch - immer auf das Eigentum der Bahn zugreifen können. Darüber, nach welchem Modell das im Einzelnen funktioniert, kann man lange streiten. Wichtig sind der Wettbewerb und der Erhalt des integrierten Konzerns als Globalplayer in dem wachsenden und bedeutsamen Logistikmarkt.
Ich habe versucht, einen Beitrag zu einer Versachlichung der Diskussion zu leisten. Ich sage noch einmal: Die große Koalition macht sich das Leben nicht einfach.
Aber sie macht es auch anderen nicht einfach.
Ich sage Ihnen: Gemeinsam werden wir Erfolg haben, wenn wir uns auf unsere Stärken besinnen und wenn es uns auch in Zukunft gelingt, bei den Strukturreformen den Weg weiterzugehen, den wir eingeschlagen haben. Lassen Sie uns das gemeinsam machen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Das Wort für Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Matthias Berninger.
Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Berliner Senator Wolf hat wahrscheinlich noch andere wichtige Termine und ist deswegen nicht mehr unter uns.
Er hat in Sachen Energiepolitik den Bundeswirtschaftsminister aufgefordert, die Politik der Bundesregierung gegenüber den vier großen Energiekonzernen zu ändern. Während der Rede des Bundeswirtschaftsministers heute Morgen
wurde klar, warum der Berliner Senator von Ihnen mehr Klarheit verlangt hat.
Herr Minister Glos, was mich wirklich wundert, ist, dass Sie es auf der einen Seite im Wirtschaftsteil der heutigen Ausgabe der ?Süddeutschen Zeitung“ geschafft haben, Ihre Position in aller Klarheit zu formulieren, aber auf der anderen Seite nicht in der Lage sind, vor dem Deutschen Bundestag Ihre Strategie so zu formulieren, dass die Zuhörerinnen und Zuhörer wissen, was Sie vorhaben. Dies sollte Ihnen meiner Meinung nach zu denken geben.
Der Ansatz, den Sie verfolgen, ist richtig und wird von uns unterstützt.
Die großen Energiekonzerne zocken über die Drehscheibe der Leipziger Strombörse die Verbraucherinnen und Verbraucher systematisch ab. Der einzige Weg, dem kurzfristig etwas entgegenzusetzen, ist die Stärkung des Bundeskartellamts. Nichts anderes will der Bundeswirtschaftsminister und er sollte angesichts der Übermacht der großen Energiekonzerne hierfür die Unterstützung des ganzen Hauses haben. Meine Fraktion jedenfalls ist gerne bereit, daran mitzuwirken, dass es auf dem Strommarkt mehr Wettbewerb gibt. Das haben wir schon beim Energiewirtschaftsgesetz unter Beweis gestellt.
Eine Binsenweisheit ist, dass Wettbewerb Wettbewerber braucht. Hier gibt es eine Brücke zwischen dem, was sich zurzeit auf dem Strommarkt abspielt, und dem, was in Bezug auf die Zukunft der Kohlesubventionierung diskutiert wird. Es war, obwohl die Kohlesubvention ein Drittel Ihres Etats ausmacht und die industriepolitische Entscheidung über die Zukunft der RAG nicht nur im Ruhrgebiet, sondern im ganzen Bundesgebiet von großer Bedeutung ist,
für mich ein Armutszeugnis, dass Sie nicht ein Wort zu diesem Thema gesagt haben.
Ich finde, dass das angesichts der Entscheidungen, vor denen wir im nächsten halben Jahr stehen, nicht geht. Die Frage ist: Unterstützen Sie den Vorschlag aus den Reihen der RAG bezüglich eines Stiftungsmodells, das heißt, den klassischen Kohlebereich vom restlichen Bereich des Industriekonglomerats RAG abzutrennen?
Unterstützt die Bundesregierung das, ja oder nein?
Ich finde, dieses ist zu unterstützen, aber es bedarf auch eines klaren Stoppsignals an Werner Müller. Werner Müller möchte uns nämlich nicht nur diesen Vorschlag machen, sondern er möchte darüber hinaus der Politik Vorschriften machen, wie am Ende in dieser neuen Industriestruktur mit den einzelnen Teilen des Unternehmens umzugehen ist. Der Link zum Strombereich ist die STEAG. Zurzeit ist die STEAG eine praktisch von den beiden Müttern RWE und Eon kontrollierte Perle, die Strom produziert, aber auf eine Art und Weise am Markt auftritt, dass sie weder der Eon noch der RWE wehtut. Das kann man auch nicht verübeln. Wir wollen, dass die STEAG künftig unabhängig von diesen beiden großen Konzernen wird und ein klarer Wettbewerber am Markt ist, der die Energie liefert, die dann wiederum gerade den Stadtwerken zugute kommt.
Das ist es, was Sie vorantreiben müssen. Jetzt kann man sagen, das kritisiere nun einmal die Opposition. Wenn aber die NRW-Wirtschaftsministerin Thoben - Herr Kollege Kampeter, Sie haben bei dem Beitrag meiner Kollegin Lührmann versucht, Nebelkerzen zu werfen -
den Bundeswirtschaftsminister wegen Untätigkeit kritisiert, dann sollte Ihnen das zu denken geben, aber nicht zu Zwischenrufen oder zu Sprüchen Anlass geben.
Es gibt das Problem, dass die Bundesregierung zu dieser Schlüsselfrage keine klaren Aussagen trifft und diese Haushaltsdebatte komplett hat verstreichen lassen, ohne ein Signal zu setzen.
Ich meine, es bedarf der Führung der Bundesregierung. Wenn der Bundeswirtschaftsminister nicht führen kann - es gibt einigen Anlass, zu glauben, dass er das nicht kann -, dann muss die Bundeskanzlerin die Führung übernehmen; denn der Umweltminister, der in anderen Bereichen diese Schwäche ausnutzt, wird in dieser Frage schon wegen der Nähe der SPD zur Kohleindustrie nicht der richtige Partner sein.
Es ist in dieser Debatte an verschiedenen Stellen über Wettbewerb geredet worden. Ich hätte mir gewünscht, dass sich der Bundeswirtschaftsminister klar zu den Apotheken äußert. Ist es eigentlich richtig, dass sich die versammelte Apothekerschaft gegen jede Form von Wettbewerb wehrt und aus der zweiten Reihe der Union, insbesondere der CSU, Einwände kommen, man solle hier auf keinen Fall Wettbewerb zulassen?
- Was ich will, Herr Kollege Kampeter, ist relativ klar.
Ich will Markt, auch im Apothekenbereich, und deswegen einen Unsinn wie das Mehrbesitzverbot oder das Fremdbesitzverbot bei Apotheken abschaffen. Das ist Unsinn, der die Preise hochtreibt, die die Patienten bezahlen müssen. Sie haben die Chance, im Rahmen der ansonsten wunderbar ausgestalteten Gesundheitsreform daran etwas zu ändern. Die FDP hätte im Übrigen auch die Chance, zu unterstreichen, wie sehr sie für Wettbewerb eintritt. Das ist ein Bereich, der Ihnen bisher eher Sorgen bereitet.
Ich glaube, dass ein Wirtschaftsminister, der anstrebt, für mehr Wettbewerb zu sorgen, für diesen Bereich eine klare Aussage treffen müsste. Das hat er bisher nicht getan.
Ich meine, dass es eine ganze Reihe von Bereichen gibt, in denen man etwas für Unternehmerinnen und Unternehmer tun kann. Der Deutsche Juristentag diskutiert die Novelle des GmbH-Rechts. Das hört sich sehr technisch an, sie ist aber zurzeit in den Händen der Juristen.
Eines muss uns doch Sorgen machen. Viele, die ein Unternehmen gründen oder umgründen, wählen keine deutsche Rechtsform, sondern melden ihre Firma in England an und gründen eine Limited, weil unser System zu schwerfällig ist und nicht die Bedürfnisse von kleinen und mittleren Unternehmen abbildet.
Bei uns findet eine Debatte auf den hinteren Rängen und ohne den Justizminister statt. Teil dieser Auseinandersetzung sind die Rechtspolitiker der Unionsfraktion. Der Bundeswirtschaftsminister, dessen Aufgabe es ist, gute Rahmenbedingungen für Selbstständigkeit zu schaffen, hat sich dazu noch nie geäußert, auch in dieser Debatte nicht. Ich kritisiere an diesem Wirtschaftsminister, dass er sich mit den Problemen der kleineren und mittleren Unternehmen nicht beschäftigt, sondern sie allenfalls einmal in Sonntagsreden erwähnt.
Herr Bundeswirtschaftsminister, ich finde, es wäre angebracht, einmal Position zu beziehen: Soll es neben der klassischen GmbH-Novelle weitere Liberalisierungen geben - das wollen die Rechtspolitiker der Unionsfraktion -, die zum Beispiel die Haftungsbeschränkung für Existenzgründer erleichtern und damit deren Risiko, ein Unternehmen zu gründen, eingrenzen, oder nicht? Wenn Sie einen Beitrag in dieser Debatte leisten würden, würden es Ihnen die Unternehmerinnen und Unternehmer danken. Bisher haben Sie keinen solchen Beitrag geleistet.
Letzte Bemerkung zur Unternehmensteuerreform. Der Kollege Ramsauer hat einiges rigoros abgelehnt, was bisher geplant ist. Ich sage Ihnen, was meine größte Sorge ist: dass wir als Ergebnis der Auseinandersetzung der großen Koalition die schlechtere beider Welten bekommen, nämlich eine Absenkung der Steuersätze für die großen, relativ gut verdienenden Konzerne auf der einen Seite und - damit das Ganze möglichst aufkommensneutral ist - eine Gegenfinanzierung zulasten der kleinen und mittleren Unternehmen auf der anderen Seite.
Es reicht aber nicht, hier pauschale Äußerungen zu machen. Ich erwarte von dem Wirtschaftsminister, dass er in den Arbeitsgruppen, in denen er sitzt, dafür Sorge trägt, dass die Unternehmensteuerreform nicht die großen Unternehmen begünstigt und von den kleinen bezahlt wird. Eine Reihe von Vorschlägen, die jetzt auf dem Tisch liegen, untermalen, dass wir besorgt sein müssen. Vor diesem Hintergrund reicht es meiner Meinung nach nicht aus, sich in Zeitungsinterviews zu äußern. Vielmehr müssen Sie sich in den Arbeitsgruppen der Koalition für eine mittelstandsfreundliche Unternehmensteuerreform einsetzen. Das haben Sie bisher nicht getan.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort Dr. Michael Fuchs.
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Senator Wolf, ich freue mich, dass Sie die Zeit gehabt haben, in den Plenarsaal zurückzukehren, nachdem Sie hier eben gewaltige Worte gesprochen hatten. Ich möchte einen Bezug zu Ihrer Politik in Berlin herstellen. Die Arbeitslosigkeit in Berlin liegt mehr als ein Drittel über dem Bundesdurchschnitt. Sie haben in jedem der letzten drei Jahre einen Rückgang der Wirtschaftstätigkeit verzeichnen müssen. Dafür nur folgende Zahlen: Das Wachstum im Saarland betrug im letzten Jahr 2,7 Prozent, in Berlin minus 0,1 Prozent.
Das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner von Berlin liegt noch nicht einmal bei der Hälfte von Hamburg, Frankfurt, Köln oder München.
Es gibt hier über 300 000 Arbeitslose. Für diese Politik zeichnen Sie als Wirtschaftssenator verantwortlich.
Ich weiß nicht, mit welchem Recht Sie sich hierhin stellen und den Bundeswirtschaftsminister kritisieren, der dafür sorgt, dass wir in diesem Jahr 2,4 Prozent Wachstum bekommen - das ist eine Tatsache -, wie das Institut für Weltwirtschaft in Kiel voraussagt. Ein Wachstum in dieser Höhe hat es in den letzten sechs, sieben Jahren nicht mehr gegeben. Das führt dazu, dass sich bei uns etliches verbessert.
Verehrte Frau Kollegin Lührmann, ich bin von Ihnen eigentlich ein bisschen enttäuscht. Sie hatten die Gelegenheit, mit dem Minister nach Malaysia und nach Indien zu reisen. Ich habe gedacht, Sie hätten ein bisschen besser aufgepasst und etwas gelernt.
Das scheint aber nicht der Fall zu sein. Der Minister sollte überlegen, ob es Sinn macht, Sie noch einmal mitzunehmen.
Lassen Sie mich zu den Fakten kommen. Ein Punkt muss immer wieder erwähnt werden: Erstmals seit fünf Jahren entstehen in Deutschland wieder Arbeitsplätze im sozialversicherungspflichtigen Bereich.
Das ist die Folge unserer Politik. Wir haben gegenüber dem letzten Jahr 129 000 Arbeitsplätze im sozialversicherungspflichtigen Bereich mehr. Wenn es uns nun nicht gelingt, die Sozialversicherungssysteme zu sanieren, dann können wir ihre Sanierung sowieso vergessen.
Auch die Steuereinnahmen sprudeln. Die kritischen Haushälter haben errechnet, dass wir circa 3,5 Milliarden Euro mehr einnehmen, als ursprünglich geplant.
Auch die Kommunen profitieren davon. Die Mainmetropole - verehrter Herr Senator, nehmen Sie sich daran ein Beispiel - hatte für dieses Jahr 900 Millionen Euro Gewerbesteuereinnahmen geplant.
Bis Ende August sind bereits 1,22 Milliarden Euro eingegangen. Man rechnet in Frankfurt jetzt mit 1,4 Milliarden Euro Einnahmen. Das ist eine positive Zahl, die einmal genannt werden muss.
Es wäre sehr erfreulich, wenn Sie das mit Ihrer Politik auch hinbekämen. Aber davon sind Sie meilenweit entfernt.
Das Wachstum hat sich belebt. Genau das brauchen wir. Auch da hat die Bundesregierung die Weichen richtig gestellt. Ich erinnere nur an die diversen neuen Programme, die wir bei der KfW aufgelegt haben. Auch dazu eine Zahl. Es sind mittlerweile Mittel in der Größenordnung von 7,5 Milliarden Euro abgerufen worden. Zum Vergleich: Im letzten Jahr waren es weniger als 2 Milliarden Euro.
Das CO2-Programm - das muss doch in Ihrem Sinne sein -
hat sich bewährt. Die Mittel werden kräftig abgerufen. Das Gebäudesanierungsprogramm hat sich bewährt. Auch diese Mittel werden kräftig abgerufen. Das alles sind Maßnahmen, die wir zur Verbesserung der Situation des Mittelstands ergriffen haben. Das war dringend notwendig.
Aber wir sind noch lange nicht am Ende damit. Es ist notwendig, dass wir weitere Maßnahmen ergreifen. Ich bin mir bewusst, dass die Belastungen für die Bürgerinnen und Bürger, die wir aufgrund der fatalen Haushaltssituation für das nächste Jahr planen mussten, weitere Maßnahmen nach sich ziehen müssen. Wir wollen, dass sich in Deutschland Leistung lohnt. Wir wollen die Leistungsträger fördern. Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen von der SPD - Sie sind ja unsere neuen Freunde, wie Herr Stiegler eben deutlich gesagt hat -,
ich habe mich so richtig gefreut, als mein Landesvater - ich bin Rheinland-Pfälzer - den alten Spruch von Helmut Kohl aus dem Wahlkampf 1982 kopiert hat.
Kopiert wird eigentlich immer nur etwas Positives, etwas Gutes. Insofern finde ich diese Kopie - ?Leistung muss sich wieder lohnen“; da hat er Recht - völlig in Ordnung.
Auf diese Art das Signal zu setzen, dass wir die Leistungsträger in der kommenden Zeit unterstützen, halte ich für notwendig und richtig.
Deswegen werden wir verstärkt Bürokratie abbauen. Das erste Mittelstandsentlastungsgesetz ist in trockenen Tüchern. Kurz vor der Sommerpause haben wir es verabschiedet. Das zweite wird noch in diesem Jahr kommen. Es wird in allen Ressorts intensiv daran gearbeitet. Wir werden beweisen, dass es möglich ist, diesen Moloch Bürokratie zu reduzieren.
Wir werden das Standardkostenmodell jetzt konsequent anwenden. Ich hoffe, dass wir die Basiszahlen bis zum Sommer nächsten Jahres haben werden. Darauf basierend werden wir mit weiteren Abbaumaßnahmen beginnen. Das alles ist in trockenen Tüchern und läuft.
Der Normenkontrollrat wird nächste Woche bekannt gegeben und noch bis zum Ende dieses Jahres seine Arbeit aufnehmen. Das ist ein weiteres Signal an die Wirtschaft und genau das richtige. Wir sollten das gemeinsam voranbringen. Ich bin mir sicher, dass wir mit der Unterstützung unseres Wirtschaftsministers da auf dem richtigen Weg sind.
Noch ein Wort zu den Steuersystemen. Deutschland befindet sich im Wettbewerb der Steuersysteme. Machen wir uns bitte nichts vor: Wenn wir kein vernünftiges Steuersystem haben, wenn es uns nicht gelingt, eine vernünftige Unternehmensteuerreform auf die Bahn zu bringen, dann werden wir noch mehr Standortprobleme haben. Wir leben nicht in einem Glashaus. Wir können nicht so tun, als sei alles, was um uns herum passiert, egal. Im Gegenteil: Wir müssen diesen Wettbewerb annehmen. Deswegen werden wir eine Steuerreform machen, die den Unternehmen hilft.
Die Steuerreform muss rechtsformneutral sein. Es kann nicht angehen, dass die Personengesellschaften und die mittelständischen Betriebe mehr belastet werden als die großen Betriebe. Da bin ich völlig der Meinung von Herrn Berninger. Wenn er mir zuhörte, würde er das auch merken. - Wir werden deswegen unbedingt darauf achten müssen, dass wir bei den Personengesellschaften Möglichkeiten schaffen, zum Beispiel durch Thesaurierung,
die eine Kompensation für den höheren Steueransatz, der dort notwendig ist, gewährleisten.
Dieses Thema müssen wir uns vornehmen. Das muss schnell gehen. Da muss Sicherheit geschaffen werden. Es darf auch nicht mehr so sein, dass jemand irgendetwas vor sich hin plappert. Gott sei Dank hat die Kanzlerin letzte Woche sehr deutlich gemacht, dass mit der Substanzbesteuerung Schluss sein muss. Zinsen dürfen nicht besteuert werden. Das sind Kosten der Unternehmen und die müssen absetzbar sein. Auch da werden wir vorankommen.
Bei einem Punkt weiß ich, dass wir noch nicht so ganz einig sind. Aber auch da, glaube ich, werden wir die richtigen Wege finden.
Wir müssen bei Hartz IV noch Veränderungen vornehmen. Dass dieser Posten das Risiko in unserem Haushalt ist, wissen wir alle; darüber brauchen wir, glaube ich, nicht zu streiten.
Folgendes ärgert mich. Ich komme aus dem schönen Rheinland, aus einer der schönsten Weingegenden, die es in Deutschland gibt, nämlich an der Mosel. - Ich weiß, dass der Wirtschaftsminister als Franke jetzt zum ersten Mal mit mir uneinig ist; aber ich werde dich irgendwann noch überzeugen. - An der Mosel gibt es Erntehelfer. Lieber Kollege Stiegler, ich lade Sie ein, mit mir gemeinsam dort hinzugehen.
Es ist trotz rund 20 Prozent Arbeitslosigkeit in der Region nicht möglich, 60 Deutsche zu finden - das sind die berühmten 10 Prozent -, die mit in den Weinberg gehen. Daran müssen wir arbeiten; dafür müssen wir Lösungen finden.
Es kann nicht sein, dass sich die Leute vor dieser Arbeit drücken. Das dürfen wir nicht zulassen. Ich bin aber sicher, dass wir gemeinsam dafür Lösungen finden werden.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, lassen Sie uns festhalten: Das Wirtschaftswachstum steigt, die Arbeitslosigkeit sinkt, wir schaffen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Wir sind auf einem guten Weg und daran hat der Bundeswirtschaftsminister einen großen Anteil.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Für die SPD-Fraktion spricht die Kollegin Ute Berg.
Ute Berg (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass gegen Ende der Wirtschaftsdebatte die erfreuliche Botschaft, dass die deutsche Wirtschaft wächst, und zwar so stark wie schon seit fünf Jahren nicht mehr, bereits häufiger verkündet wurde, ist ganz normal. Dass diese Tatsache nicht allein, wie in der Vergangenheit, der Exportwirtschaft zuzuschreiben ist, sondern wenigstens in zarten Ansätzen auch der Binnenkonjunktur, ist besonders erfreulich.
Parallel dazu geht die Zahl der Arbeitslosen um etwa eine halbe Million zurück. Das ist ebenfalls ausgesprochen erfreulich, wenn auch überhaupt kein Grund zur Euphorie, wenn man sieht, dass immer noch 4,3 Millionen Menschen ohne Arbeit sind.
Die positive Botschaft möchte ich aber jetzt noch einmal ganz klar ins Blickfeld rücken, und zwar aus folgenden Gründen: Erstens höhlt natürlich steter Tropfen den Stein. Zweitens möchte ich aber einen Gegenpart zu denen setzen, die sich immer noch - wie haben das auch heute wieder gehört - in Schwarzmalerei und düsteren Prognosen ergehen und damit der realen Lage einfach nicht gerecht werden. Wir kennen das schon aus der letzten Legislaturperiode zur Genüge, als ein noch viel größerer Chor permanent den Untergang des Abendlandes besang und damit Land und Leute verunsicherte. Noch einmal: Die Lage ist besser, als von vielen prognostiziert.
Nun ist es bekanntlich so, dass der Erfolg viele Väter oder auch Mütter hat. In diesem Fall sind es natürlich die Unternehmen - Rainer Wend hat zu Recht darauf hingewiesen - und ihre Mitarbeiter, die durch ihren Einsatz einen maßgeblichen Beitrag zur Aufwärtsentwicklung geleistet haben. Die Konsumenten haben für entsprechende Nachfrage gesorgt, auch wenn die Sparquote in Deutschland nach wie vor sehr hoch ist. Aber ebenso - das möchte ich an dieser Stelle ebenfalls betonen - der Mix von angebots- und nachfrageorientierter Wirtschaftspolitik hat dazu beigetragen, dass es in Deutschland wieder aufwärts geht.
Wenn sich Politikerinnen und Politiker bei negativen Entwicklungen schon immer verprügeln lassen müssen, können wir jetzt, finde ich, auch ruhig einmal ein paar Streicheleinheiten einfordern.
Wir haben in den letzten Jahren unter anderem durch drastische Steuersenkungen die Unternehmen, speziell die Personengesellschaften, also die Angebotsseite, gestärkt. Von der geplanten Senkung der Lohnnebenkosten werden wiederum Unternehmen, aber natürlich auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer profitieren. 2008 - darauf wurde schon mehrfach hingewiesen - wird es eine Unternehmensteuerreform geben, die weitere Vorteile bringt.
Gerade mit unseren jüngsten Maßnahmen haben wir aber auch die Nachfrageseite deutlich gestärkt. Wir haben ein Investitionsprogramm von 25 Milliarden Euro aufgelegt, trotz der erheblichen Sparzwänge, denen wir, wie jeder weiß, unterliegen. Zu diesem Programm gehören auch die 6 Milliarden Euro, die zusätzlich in Forschung und Entwicklung und damit in Zukunft investiert werden.
Um die Binnennachfrage in Deutschland weiter anzukurbeln, gibt es nun zunehmend Forderungen, die Tarifentwicklung in Deutschland wieder deutlicher am Produktivitätsfortschritt auszurichten. Angesichts der hohen preislichen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen und der überwiegend rückläufigen Arbeitskosten ist dies sicher ein Erfolg versprechender Weg zur Stärkung der Gesamtnachfrage in Deutschland. Darüber sollte man durchaus nachdenken.
Um die deutsche Volkswirtschaft aber langfristig und nachhaltig zu stärken, müssen wir natürlich vor allem in die Innovationsfähigkeit Deutschlands investieren. Wir müssen diese Innovationsfähigkeit erhalten und möglichst steigern. Wir müssen erreichen, dass Wissenschaftlerinnen und Unternehmerinnen - auch die Männer sind gemeint - das erfinden und das tun, was andere noch nicht können und noch nicht tun. Mit der Hightechstrategie siedeln wir die Themen Forschung und Innovationen ganz oben auf der Prioritätenliste an und fordern andere, nämlich die Länder und die Wirtschaft, auf, mitzuziehen.
Der Haushaltsentwurf 2007, über den wir hier diskutieren, spiegelt diese Schwerpunkte wider. Immerhin 19 Prozent mehr Mittel gibt es im nächsten Jahr im Haushalt des Wirtschaftsministeriums für Forschung und Entwicklung im Mittelstand. Dieser deutliche Aufwuchs verstärkt sich sogar bis 2009.
Zwei Aspekte sind mir dabei besonders wichtig:
Erstens. Wir setzen mit den stetigen Erhöhungen der Mittel für diese Programme ein Signal für Kontinuität und schaffen eine dauerhafte und verlässliche Planungsgrundlage, die, wie wir alle, die wir Unternehmen besuchen, wissen, von entscheidender Bedeutung für sie ist.
Zweitens. Wir zielen mit unseren Programmen für den Mittelstand darauf ab, dass die Forschungsergebnisse schneller als bisher in marktfähige Produkte münden.
?Aus Ideen werden Taten“, so formuliert die Bundesregierung im Rahmen ihrer Hightechstrategie. Man könnte auch formulieren: Aus Ideen werden schneller Taten. Wir verschaffen der Wirtschaft damit wichtige Impulse und verbessern die Wettbewerbsbedingungen. In der Praxis heißt das vor allem, Vernetzung und Kooperation zu fördern. Die bekannten und bewährten Programme des Wirtschaftsministeriums wie Pro Inno, Inno-Watt und IGF werden wir weiterführen und ausbauen.
Darüber hinaus wird es ein neues Förderangebot geben: die Forschungsprämie. Dabei ist allerdings das BMBF federführend. Es ist aber letztlich egal, wer gute Dinge tut, die der Wirtschaft und der Wissenschaft helfen.
Diese Forschungsprämie soll die Wissenschaftseinrichtungen motivieren, sich stärker auf wirtschaftsrelevante Themen einzulassen. Diese Prämie sollen Hochschulen und Forschungseinrichtungen erhalten, die Forschungsaufträge kleiner und mittelständischer Betriebe ausführen. Auch auf diese Art können Kooperationen und Vernetzungen unterstützt werden.
Existenzgründern und kleinen und mittelständischen Unternehmen den Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten zu verbessern, ist ein weiteres Ziel. Hier helfen wir zum Beispiel mit dem Hightechgründerfonds und dem ERP-Innovationsprogramm.
Die Attraktivität und Innovationsfähigkeit eines Wirtschaftsstandortes bemisst sich aber auch an der Verfügbarkeit und Qualität seiner Arbeits- und Fachkräfte. Dazu erreichen uns in diesen Tagen gegensätzliche Nachrichten. Auf dem Ausbildungsstellenmarkt bleibt die Situation weiter angespannt. Die Lage hat sich im Vergleich zum Vorjahr sogar verschlechtert. Die BA rechnet mit einem leichten Zuwachs bei den Bewerberzahlen und gleichzeitig mit einem leicht rückläufigen Angebot an Ausbildungsstellen. Optimistischen Schätzungen zufolge werden Ende des Monats 47 000 unvermittelte Jugendliche 12 000 unbesetzten Ausbildungsstellen gegenüberstehen. Das ist eine Besorgnis erregende Situation.
Die gute Nachricht kommt von den Hochschulen. 2005 haben mehr als 250 000 Studierende ihr Studium abgeschlossen. Im Vergleich zum Vorjahr gab es eine Steigerung um 9 Prozent. Besonders erfreulich ist dabei die Steigerung der Zahl der Absolventen um 26 Prozent im Fach Informatik. Das ist ein neuer Höchststand. Hohe Zuwachsraten gibt es aber auch bei der Mathematik, den Naturwissenschaften und den ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen. Für den Technologiestandort Deutschland und seinen Bedarf an hoch qualifiziertem Personal ist das natürlich ermutigend. XXXXX
Die verlässliche und investive Hochschulpolitik des Bundes der letzten Jahre - ich schaue jetzt Edelgard Bulmahn an, die dafür verantwortlich war -, unter anderem in Form von BAföG-Leistungen an Studierende, aber auch die konkrete Förderung technischer und naturwissenschaftlicher Projekte an den Hochschulen tragen ihre Früchte.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Kollegin, darf ich Sie an Ihre Redezeit erinnern?
Ute Berg (SPD):
Ich komme zum Schluss.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Bitte.
Ute Berg (SPD):
Ich bin sicher: Mit der Hightechstrategie, der Konzentration auf den innovativen Mittelstand und den Investitionen in die Begabungen und Fähigkeiten der Menschen in den Unternehmen werden wir auch in der Wirtschaftspolitik positive Erfolge erzielen.
Danke.
Die verlässliche und investive Hochschulpolitik des Bundes der letzten Jahre - ich schaue jetzt Edelgard Bulmahn an, die dafür verantwortlich war -, unter anderem in Form von BAföG-Leistungen an Studierende, aber auch die konkrete Förderung technischer und naturwissenschaftlicher Projekte an den Hochschulen tragen ihre Früchte.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Kollegin, darf ich Sie an Ihre Redezeit erinnern?
Ute Berg (SPD):
Ich komme zum Schluss.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Bitte.
Ute Berg (SPD):
Ich bin sicher: Mit der Hightechstrategie, der Konzentration auf den innovativen Mittelstand und den Investitionen in die Begabungen und Fähigkeiten der Menschen in den Unternehmen werden wir auch in der Wirtschaftspolitik positive Erfolge erzielen.
Danke.
Ich muss wissen, welche Subvention sich konsumtiv auswirkt. Die muss nämlich weg. Konjunkturfördernde Subventionen müssen wir aber ausbauen oder zumindest beibehalten.
Liebe Frau Kollegin Ulrike Flach, der Anstieg um 9 Prozent muss im Zusammenhang mit dem 25-Milliarden-Investionsprogramm gesehen werden. Darum geht es. Sie sollten sagen: Gut, dass Sie das gemacht haben. Das unterstützen wir. Damit leisten wir unseren Beitrag dazu, dass die Menschen wieder Arbeit finden.
Herr Bundesminister Glos, wir werden über viele Haushaltsposten des Einzelplans 09, Wirtschaft und Technologie, diskutieren müssen. Wir müssen über die Mittelstandspolitik, die Forschungspolitik und die Auslandswirtschaft sprechen. Wir müssen den Export stärken, aber auch dafür sorgen, dass ausländische Investoren bei uns investieren.
Frau Kollegin Flach, ich muss Sie noch einmal ansprechen. Ich stelle mich vor unsere Raumfahrtindustrie, vor die auf diesem Gebiet tätigen Unternehmen, aber auch vor das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Die Mitarbeiter lasse ich von niemandem in diesem Hause schlechtreden. Sie leisten eine hervorragende Arbeit. Sie sind bei uns für Hochtechnologie zuständig. Sie schaffen Arbeitsplätze.
Heute Nachmittag wird die amerikanische Raumfähre ?Atlantis“ wieder zur Raumstation ISS starten. Sie wird auch deutsche Technologie an Bord haben. In diesem Zusammenhang danke ich all denjenigen, die daran beteiligt sind.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Flach?
Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU):
Aber selbstverständlich.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Bitte.
Ulrike Flach (FDP):
Danke schön, Kollege Rossmanith. - Ist Ihnen nicht aufgefallen, dass ich sehr deutlich in Ihrem Sinne gesprochen habe? Deswegen frage ich Sie: Wie werden Sie eigentlich damit fertig, dass es in dieser Bundesregierung über das Thema Raumfahrt offensichtlich nur einen sehr unverbindlichen Diskurs gibt? Wenn ich die entsprechende Broschüre zur Hand nehme, muss ich diesen Eindruck gewinnen. Das habe ich bemängelt.
Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU):
Verehrte Frau Kollegin, Sie haben kritisiert, dass wir kein Konzept für die Raumfahrt hätten. Die Situation wird weder vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt noch von der Industrie noch von der begleitend tätigen Politik auch nur annähernd so beschrieben wie von Ihnen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie Ihre Aussage in Ihrer Frage korrigiert. Dafür bin ich Ihnen dankbar.
Wir werden auf diesem Weg gemeinsam voranschreiten. Wir werden auch auf dem Sektor der Luft- und Raumfahrt erfolgreich sein. Deutschland ist ein Hochtechnologieland. Neben den Werften, die ich nicht vergessen will, ist die Luft- und Raumfahrt dabei ein ganz wesentlicher Faktor.
Der Tourismus - ich sehe gerade den Koordinator - ist auch ein wichtiger Bereich.
Eine anerkennende Anmerkung zur Wismut GmbH. Ich will jetzt nicht auf die Höhe der Kosten eingehen. Wir haben noch rund 180 Millionen Euro zu leisten. Auf diesem Gebiet wird großartige Arbeit geleistet. Die Landschaft zwischen dem Süden Thüringens und Sachsen wurde kultiviert und landschaftlich so hergestellt, wie man sich die Region zwischen dem Erzgebirge und dem Elbsandsteingebirge gerne vorstellt. Dafür ist den Menschen, die daran mitgearbeitet haben, aber auch allen Bundesregierungen, die dieses Projekt seit Beginn mitgetragen haben, zu danken.
Eine Bemerkung zur Steinkohle, über die schon viel gesagt worden ist. Leider Gottes verrinnt die Zeit. Herr Bundesminister Glos, ich will das, was wir erwarten und benötigen, deshalb ganz kurz in drei Punkten zusammenfassen: XXXXX
Erstens. Es muss eine Entscheidung zwischen den Verantwortlichen gefunden werden, das heißt, zwischen der Bundesregierung, den Landesregierungen - in erster Linie der von NRW - und der RAG.
Wir brauchen zweitens eine Klärung der künftigen Struktur der RAG und drittens klare Aussagen über die energiepolitischen Ziele der Bundesregierung.
Natürlich ist hierbei auch Bundesminister Gabriel gefragt. Es kann nicht gehen, wie Frau Lührmann - -
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege Rossmanith, da die drei Sätze zu Ende sind und Sie Ihre Redezeit so deutlich überschritten haben, bitte ich Sie, zum Ende zu kommen.
Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU):
Noch ein Satz, Frau Präsidentin. Ich bedanke mich, dass Sie mir meinen Schlusssatz noch gewähren. Darüber freue ich mich.
Sie haben gesehen: Es gibt wirklich sehr viele und interessante Themen - man könnte fast eine Stunde darüber sprechen -,
die wir in den Beratungen des Haushaltes auf uns nehmen werden. Ich freue mich schon auf diese Beratungen. Langweilig wird uns im Haushaltsausschuss mit Sicherheit nicht.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Annette Faße, SPD-Fraktion.
Annette Faße (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ?Die Welt zu Gast bei Freunden“ lautete das Motto der Fußballweltmeisterschaft in diesem Jahr. ?Zu Gast bei Freunden“ sollen sich weiterhin die deutschen Gäste in Deutschland und die ausländischen Gäste bei uns fühlen.
Im WM-Sommer 2006 hat sich Deutschland als Gastland hervorragend präsentiert. Die Zahl der Übernachtungen in Beherbergungsstätten und auf Campingplätzen in Deutschland ist im Vergleich zum Juni 2005 um 8 Prozent auf 35,4 Millionen gestiegen.
Dazu hat insbesondere der kräftige Zuwachs der Anzahl der Übernachtungen von Gästen aus dem Ausland mit einem Plus von 31 Prozent beigetragen. Wir gehen davon aus, dass sich die Fußballweltmeisterschaft und auch die Fußballweltmeisterschaft der Mental Behinderten nachhaltig positiv auf den Tourismus in Deutschland auswirken werden.
Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen werden weiterhin alles tun, um diesen boomenden Wirtschaftszweig, den Tourismus, zu unterstützen.
Das bezieht sich nicht nur auf den Haushalt, über den wir im Moment diskutieren, sondern wir finden auch - denn der Tourismus ist eine Querschnittsaufgabe - in vielen anderen Haushalten entsprechende Haushaltstitel.
Lassen Sie mich noch einmal deutlich machen, wie wichtig der Tourismus für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland ist: 8 Prozent des Bruttoinlandproduktes werden in diesem Bereich erarbeitet. 2,8 Millionen Menschen sind in diesem Bereich tätig. Dort wird in zwölf Berufen ausgebildet. An dieser Stelle sei noch einmal laut gesagt: In diesem Bereich gibt es noch freie Ausbildungsplätze, und zwar auch in den neuen Bundesländern.
Ganz wichtig ist für uns natürlich die Werbung um Ausländer, die in Deutschland Urlaub machen sollen. Dafür ist die DZT ein guter, sachverständiger und kompetenter Partner. Die DZT ist in Verbindung mit den Bundesländern auch für die Inlandswerbung zuständig. Wir halten die Zusage aus dem Koalitionsvertrag ein, die DZT weiterhin auf hohem Niveau zu unterstützen. Im Haushalt haben wir 24,974 Millionen Euro angesetzt. Das ist die gleiche Summe wie im letzten Jahr. Ich bin froh, dass es keine Kürzungen gibt; das sage ich ganz deutlich. Ich würde mich natürlich über jeden Euro mehr freuen.
Mein Dank gilt an dieser Stelle den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die weltweit für den Deutschlandtourismus tätig sind, häufig in Verbindung mit Instituten oder unseren Industrievertretungen in anderen Ländern.
Der Titel ?Förderung der Leistungssteigerung im Tourismusgewerbe“ beträgt wieder 1,4 Millionen Euro. Für mich ist sehr wichtig, dass wir den größten Anteil hiervon, nämlich 750 000 Euro, in den Bereich Weiterbildung im Tourismus investieren, indem wir das Deutsche Seminar für Tourismus in Berlin massiv unterstützen. Aber wir haben auch Geld zur Verfügung, um Grundlagenuntersuchungen zu machen und um einzelne Projekte, die den Tourismus voranbringen sollen, zu unterstützen.
Damit, meine ich, können wir uns auch weiterhin aktiv für den Tourismus in Deutschland einsetzen.
Die Tourismuswirtschaft profitiert generell von der mittelstandsfreundlichen Politik der Bundesregierung. Lassen Sie mich darauf hinweisen, dass es zwei Haushaltstitel gibt, in denen die Tourismuswirtschaft massiv mit im Spiel ist: zum einen bei den GA-Mitteln und zum anderen beim ERP-Sonderprogramm. Ein großer Teil dieser Gelder ist in die touristische Infrastruktur geflossen. Wir gehen davon aus, dass auch in Zukunft alle Chancen genutzt werden, insbesondere auch die Möglichkeiten in Richtung Osten. Wir haben mit dem zuständigen Minister aus Mecklenburg-Vorpommern hart gerungen, um auch für Hotels und die Gastronomie eine Öffnung zu erreichen, damit das Geld genutzt werden kann.
Wir bekommen auch aus den Haushalten anderer Ministerien finanzielle Hilfen. Ich möchte aus jedem dieser Haushalte nur einen Punkt aufgreifen: Der gesamte Bereich Familienerholung, Jugendwerke, Jugendbildung und Jugendherbergen findet sich nicht in unserem Haushalt, sondern im Haushalt des BMFSFJ; das ist ein großer Brocken.
Lassen Sie mich eines besonders hervorheben - es wurde nämlich einmal kritisch darüber diskutiert, ob das so bleiben sollte -: Wir haben die NatKo, die Nationale Koordinationsstelle Tourismus für Alle e.V., die sich dafür einsetzt, die Reisemöglichkeiten für Behinderte zu verbessern, im Gesundheitsministerium angesiedelt. Ich freue mich sehr, dass wir diese Stelle so wie bisher erhalten konnten, und hoffe, dass sie weiterhin gut arbeitet.
Im Haushalt des Umweltministeriums sind etliche Ansätze enthalten, die sich mit ökologisch verträglichem Tourismus befassen; das begrüße ich sehr. Im Haushalt für Landwirtschaft sind der Bereich Urlaub auf dem Bauernhof und damit auch Chancen für die Entwicklung der ländlichen Räume zu finden.
Ich meine, dass wir dem Wirtschaftszweig Tourismus mit diesem Haushaltsentwurf in den verschiedenen Einzelplänen gerecht werden. Ich erwarte, dass wir weiterhin auf die Vielfalt und Qualität der Angebote in Deutschland setzen. Ich sage an dieser Stelle klar und deutlich: Wir müssen mit unserer Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik dazu beitragen, dass sich in Zukunft mehr Menschen Urlaub in Deutschland leisten können.
Danke schön.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen damit zur Schlussrunde. Als erstem Redner erteile ich das Wort dem Bundesfinanzminister Peer Steinbrück.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Bericht der 48. Sitzung - wird am Monat, den 11. September 2006 veröffentlicht.]