Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 15-16 / 05.04.2004
Florian Kain

Um ein Haar hätte es "Superstar" Ole von Beust gar nicht geschafft

Hamburg: Vier Parteilose in der Senatsbarkasse sorgen für erheblichen Frust in der CDU-Fraktion

Noch in der Wahlnacht vom 29. Februar war in der Hamburger CDU das große Rätselraten, Hoffen und Bangen ausgebrochen: Wen würde Wahlsieger Ole von Beust in sein Team holen? Viele machten sich Hoffnungen, als automatisch "gesetzt" galt indes kaum jemand. Geduld war gefragt, denn der Bürgermeister plante die Zusammenstellung seines Teams mit einem bewusst klein gehaltenen Beraterkreis, der absolutes Stillschweigen bewahrte.

Rund zweieinhalb Wochen später war das Personaltableau dann festgezurrt. Für Freude in der Unionsmannschaft allerdings bestand kaum ein Grund. Denn der Regierungschef setzt konsequent auf unabhängige Köpfe: Er holte mit Alexandra Dinges-Dierig als Schulsenatorin, dem bisherigen Hamburger Polizeipräsidenten Udo Nagel als Chef der Innenbehörde und Karin von Welck für das Kulturressort gleich drei Parteilose in den Senat. Selbst der vor zwei Jahren noch über FDP-Ticket ins Amt gekommene - jedoch ebenfalls nicht mit einem Parteibuch ausgestattete - Wissenschaftssenator Jörg Dräger darf seinen Job behalten.

Der einzige wirkliche Aufsteiger aus der CDU-Fraktion ist ihr früherer Vorsitzender und enge Beust-Vertraute Michael Freytag. Er leitet jetzt das Mammutressort "Bau, Verkehr, Stadtentwicklung und Umwelt". Die CDU-Senatoren für Soziales (Birgit Schnieber-Jastram), Justiz (Roger Kusch), Finanzen (Wolfgang Peiner) und Wirtschaft (Gunnar Uldall) bleiben im Amt.

"Ich will keine Jasager und Abnicker" erklärte von Beust sein selbstbewusstes Vorgehen, mit dem er Hoffnungen, Erwartungen und Ansprüche der Mitstreiter vom Tisch gewischt und die 63 Köpfe zählende Fraktion nahezu komplett ignoriert hatte. Zwei Mitglieder nahmen diese Aussage daraufhin wörtlich und versagten Ole von Beust bei der Wahl zum Bürgermeister am 17. März prompt ihre Stimme - ein peinlicher Fehlstart für den Senatspräsidenten, der nach seinem grandiosen Triumph auf der Zielgeraden fast noch an den eigenen Leuten gescheitert wäre: Nur eine Stimme weniger, und es hätten abermals Neuwahlen gedroht! Auch künftig kann sich Beust nicht darauf verlassen, dass seine absolute Mehrheit wirklich steht - eine schwere Hypothek für die Regierungsarbeit in den kommenden Jahren.

Von einem Klima der Missgunst und des Neides unter den CDU-Abgeordneten ist nun die Rede, von offenen Rechnungen, "fehlender geistiger Größe" und einer insgesamt "miserablen Stimmung". Für die oppositionelle SPD ist diese explosive emotionale Situation natürlich eine Steilvorlage: "Der Bürgermeister traut seiner Fraktion offensichtlich nicht viel zu", goss Noch-Landeschef Olaf Scholz weiteres Öl ins Feuer. Die SPD habe solche Import-Lösungen zu ihrer Regierungszeit nicht nötig gehabt.

Tatsächlich wäre es bei den jahrzehntelang mit absoluter Mehrheit in Hamburg herrschenden Sozialdemokraten geradezu unvorstellbar gewesen, dass die Hälfte des Kabinetts mit parteifremden Experten bestückt wird. Ole von Beust wählt nun bewusst einen anderen, weitaus steinigeren Weg. In seiner Umgebung erklärt man das mit den fehlenden Verwaltungskenntnissen der meisten Fraktionsmitglieder, die sich zwangsläufig aus der langen Oppositionszeit der CDU ergeben. Doch das dürfte nur die halbe Wahrheit sein. Erfahrungen im Umgang mit großen Beamtenapparaten gelten traditionell eher als Einstellungskriterium für Staatsräte, denn für Senatoren mit originärem politischen Gestaltungsauftrag.

Tatsächlich gab es in der Hamburger Union keine Namen, die sich unmittelbar für einen frei gewordenen Regierungsposten aufgedrängt hätten. Bestes Beispiel ist der wichtige Bereich "Bildung und Wissenschaft": Seit dem Rückzug von Ingeborg Knipper, einer bundesweit anerkannten, inzwischen aber verdientermaßen im Ruhstand weilenden Expertin der CDU, konnte niemand die hier entstandene Lücke schließen. Ähnlich die Situation in der Innenpolitik: Keinem Christdemokraten ist es in den vergangenen Jahren gelungen, sich als seriöse Alternative zu Ronald Schill zu empfehlen. Und das Kulturressort war bereits vor zwei Jahren mangels Alternativen an eine parteilose, in Verwaltungsdingen übrigens ebenfalls vollkommen unerfahrene Frau gefallen - die umstrittene Journalistin Dana Horáková, die nun ihren Platz für die als qualifizierter geltende Karin von Welck räumen muss. Diese hatte die Position damals unter Hinweis auf die Regierungsbeteiligung von "Richter Gnadenlos" abgelehnt.

So viel Unmut die Personalentscheidungen in der Union auch ausgelöst haben, in der Stadt wurden sie mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen. Udo Nagel, vor zwei Jahren aus München abgeworben und zunächst als Polizeipräsident an der Elbe installiert, kann auf jahrzehntelange Praxis verweisen und freut sich nach eigenem Bekunden "sehr auf die neue Aufgabe". Alexandra Dinges-Dierig hat eine bildungspolitische tour d`horizont durch die halbe Bundesrepublik hinter sich und auf beruflichen Stationen in Baden-Württemberg (Regierungsschuldirektorin), Hessen (Ministerialrätin) und Berlin (Leitende Oberschulrätin) genug Qualifikationen erworben, um in dem als schwierig geltenden Amt bestehen zu können. Karin von Welck schließlich ist in der hanseatischen Kulturszene keine Unbekannte: Als Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder pflegt sie schon länger Kontakt zu maßgeblichen Hamburger Häusern und Initiativen.

Als Bumerang könnte sich aber Ole von Beusts Entscheidung erweisen, Wissenschaftssenator Jörg Dräger weiter im Amt zu halten und dem Physiker und früheren Geschäftsführer des Nothern Instititute of Technology auch noch die Verantwortlichkeit für den Gesundheitsbereich zu übertragen. Denn unklar ist, welche Kenntnisse er für dieses zusätzliche Aufgabengebiet eigentlich mitbringt. Und an den Hochschulen stößt sein umstrittenes Reformprogramm, das im Kern darauf hinausläuft, die ausdifferenzierte Wissenschaftslandschaft der Stadt in einer Art "Gesamthochschule" mit exorbitant großen Fachbereichen zu konzentrieren, weiterhin auf erbitterten Protest von Studenten und Professoren unterschiedlichster politischer Couleur. Florian Kain


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