Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 31-32 / 26.07.2004
Norbert Mappes-Niediek

Auf dem Weg nach Österreich trennt der Inn und das Å

Grenzbesuch

Grenzbesuch

Auf dem Weg nach Österreich trennt der Inn und das Å

Ihr håbts går kan Å auf dem Auto", pflegten früher die bayerischen Grenzbeamten den gern etwas schlampigen Österreichern zu sagen, wenn sie mal wieder das Nationalitätenkennzeichen vergessen hatten. Das gab regelmäßig Anlass zu lustigen Dialogen. "Kein Å? Was meinen 'S damit?", fragten übermütige Österreicher gern zurück. "Na, ein Å halt!", wusste der zunehmend verzweifelte Bayer da nur zu erwidern. Bis er irgendwann erlöst wurde: "Ach so, ein A!"

Von Braunau nach Simbach sind es nur ein paar Schritte. Keinen Grenzbalken gibt es hier mehr, nur noch Euro, und niemand muss mehr die ovale Plakette mit dem D oder dem A aufs Auto kleben, seit auch das EU-Mitglied Österreich, nach auffällig langem Zögern, die blaue Europa-Fahne mit dem Buchstaben drunter in die Nummernschilder integriert hat. Aber noch immer weiß hier jeder ganz genau, wer und was ein Deutscher ist und wer und was ein Österreicher - und noch immer können die Bayern in Simbach, die jetzt jedoch nicht mehr in der Uniform an der Grenze stehen, kein klares A sprechen. Der Inn, der Deutschland und Österreich teilt, macht zwar vielleicht keinen großen Unterschied. Aber einen klaren.

Trennscharfe Identität

Historiker, die ihre Theorien über das Modethema Grenze entwickeln, bedienen sich gern bei den Erfahrungen und Ressentiments im Osten und vor allem im Südosten des Kontinents. Geschult an solchen Vorbildern haben zum Beispiel die Briten Thomas M. Wilson und Hastings Donnan eine Typologie von "Populationen in Grenzräumen" entwickelt. Zur ersten Gruppe gehören danach solche, die "ethnische Gemeinsamkeiten sowohl über die Grenze hinweg als mit der Bevölkerung im geografischen Kern ihres eigenen Staates" teilen - zum Beispiel die Menschen zu beiden Seiten der bulgarisch-mazedonischen Grenze. Eine zweite Gruppe ist durch grenzüberschreitende Bande von anderen Bewohnern ihres eigenen Staates geschieden - etwa die Russen in Lettland. Die Leute in Simbach oder Braunau gehören zur Gruppe drei: Sie leben an einer "sauberen" Grenze: hier lauter Deutsche, dort lauter Österreicher. Aber eigentlich müssten beide sich auch in der Gruppe eins pudelwohl fühlen, denn "ethnische Gemeinsamkeiten" gibt es zwischen Simbach und Braunau in Hülle und Fülle. Nur der Inn und das Å trennt sie.

Wer meint, "ethnische" Marker wie Sprache, Kultur oder gar Abstammung hätten etwas mit Nationalität zu tun, wird an der deutsch-österreichischen Grenze Tag für Tag eines Besseren belehrt. Noch 1995, als Österreich in die EU kam, wollten viele, besonders in Wien, dem Braten nicht so recht trauen. War das jetzt der zweite Anschluss? Würde Österreich sich einfach auflösen? Gerade mal ein halbes Jahrhundert war es erst her, dass die "Alpen- und Donaugaue" so fest zum tausendjährigen Deutschland gehört hatten, dass das Wort "Österreich" nicht einmal ausgesprochen werden durfte.

Seit jeher wurde hier über die Grenze geheiratet. Noch 1956 war eine - wenn auch nur noch knappe - Mehrheit der Österreicher der Meinung, sie seien "ein Teil des deutschen Volkes". Salzburg bildet heute mit Freilassing auf der deutschen Seite eine "Euro-Region" und die ganze Region gehört ökonomisch ebenso wie Innsbruck zu einem Großraum mit dem Zentrum in München. Noch heute hält eine beachtliche Minderheit von Österreichern sich für Deutsche. Mit der Grenze oder gar dem Grenzregiment hat das aber nichts zu tun. Die "Deutschnationalen" leben meistens in Kärnten, weit weg von der Grenze. In Oberösterreich, zu dem Braunau gehört, ist die Identifikation mit dem eigenen Staat relativ am stärksten. Die Identität von Österreichern und Deutschen ist trennscharf wie eh und je.

So sehen Nationen der Zukunft aus

Wer heute über die Autobahn bei Passau, bei Salzburg oder bei Kufstein die Grenze passiert, braucht schon einen archäologischen Blick, um zu erkennen, was hier einmal war. Schilder mit der Aufschrift "Letzte Tankstelle vor der Grenze" sind Zeugen aus einer fernen Zeit, als man mit dem Verlassen des eigenen Landes ein unsicheres und tendenziell gefährliches Gebiet betrat. Heute sind die Schilder eher als Warnung vor dem eigenen Fiskus sinnvoll, denn in Österreich ist das Tanken viel billiger.

Nicht die Grenze konstituiert die Identität, wie die Kritiker des Nationalstaats gerne glauben. An der Grenze zwischen Deutschland und Polen - oder zwischen Österreich und Slowenien - sind die Unsicherheiten über die nationale Zugehörigkeit stets viel größer gewesen, obwohl doch die sprachlichen und kulturellen Unterschiede zwischen den Deutschen und Österreicher, viel geringer sind. Auch der "Abstammungsnationalismus" der Deutschen, der heute noch jeden aus der Türkei stammenden Mitbürger bestenfalls zum "Türken mit deutschem Pass" werden lässt, ist gegen Österreich kein Problem: Auch die Österreicher, die reden und denken wie wir und meistens eine deutsche Oma haben, sind zweifelsfrei keine Deutschen. Ein irritierendes, aber ein gesundes Verhältnis. Wer sich von den Nationen im künftigen Europa eine Vorstellung machen will, soll nach Simbach fahren. Norbert Mappes-Niediek

Der Autor ist Österreich-Korrespondent für zahlreiche deutsche Zeitungen und Autor des Buches "Österreich für Deutsche - Einblicke in ein fremdes Land", Chr. Links Verlag, 2001.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.