Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 31-32 / 26.07.2004
Astrid Pawassar

Auf dem Weg nach Tschechien geht alles noch ein bisschen langsam

Grenzbesuch

Grenzbesuch

Auf dem Weg nach Tschechien geht alles noch ein bisschen langsam

"Schöne Serpentinen haben sie drüben - und der Blick ins Egertal ist klasse." Der Hoteldirektor aus Oberwiesenthal sieht gerade nicht aus wie ein Hoteldirektor. Im Sommer ist es ruhig in Sachsens Wintersportparadies, und deswegen kann Joachim Béus seinem Hobby frönen und mit dem Motorrad rund um den Keilberg brausen. Für Gäste organisiert er Bikertouren durch die böhmische Grenzregion. Doch das hilft über die Flaute im Wintersportparadies nicht hinweg. "Die EU-Erweiterung bringt für uns nur Nachteile", schimpft der Hotelier. Denn was hat er davon, wenn die Gäste zwar Oberwiesenthal als Standort wählen, aber den Tag dann in Karlsbad oder sonst wo in Böhmen verbringen, wo das Mittagessen nur ein paar Euro kostet ?

Auch die Zöllner an der Grenze schauen manchmal etwas mürrisch drein. Gemeinsame Zollabfertigung mit den Tschechen? In weiter Ferne. Am Grenzübergang Oberwiesenthal muss man immer noch zweimal auf die Bremse treten und seinen Ausweis zeigen. Die Zollanlagen sind veraltet. Ein Container müsste her, findet Jan Hornig. "Der kostet doch nur 600.000 Kronen." Und dann wäre flugs die Grenze auch aus den Köpfen der Zollbeamten verschwunden.

Jan Hornig ist Bürgermeister der ehemaligen Bergstadt Bozi Dar (Gottesgab). Auf 93 Einwohner war der Ort geschrumpft, als 1989 der Eiserne Vorhang aufgezogen wurde. Heute leben immerhin 183 Menschen dort und bieten Betten für mehr als 1.300 Touristen an. Für Jan Hornig ist Oberwiesenthal mit seinen 3.000 Einwohnern schon eine große Stadt. Dorthin fährt er zum Einkaufen, weil das etwa 30 Kilometer entfernte Karlsbad seine Preise längst am Geldbeutel reicher Russen orientiert. Die Oberwiesenthaler kommen zum Tanken nach Bozi Dar. Und wenn es nach dem Willen von Bürgermeister Heinz-Michael Kirsten ginge, dann müsste bis zur Verwirklichung des Schengener Abkommens der Kleine Grenzverkehr zwischen Oberwiesenthal und seinen tschechischen Nachbargemeinden eingeführt werden. Wie gerne würde er in der örtlichen Tourismusinformation eine tschechische Kraft einstellen, um Tagesgäste von hüben besser bedienen zu können. Schließlich träumen beide Bürgermeister von der großen gemeinsamen Skiregion mit grenzüberschreitenden Skiliften. Die größte in Osteuropa könnte es werden, und dann kämen die Gäste bald nicht mehr nur aus Deutschland und den Niederlanden. Aber bis es so weit kommt, müssen erst einmal die sieben Liftanlagen am Keilberg mit ihren unterschiedlichen Betreibern auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden.

Am 30. April dieses Jahres haben sie den Schlagbaum kurzerhand zur Seite geräumt und mit den Bürgermeistern von fünf weiteren Nachbargemeinden einen Platz hergerichtet mit Fahnen, Gedenkstein und sieben jungen Kiefern. "Haben die anderen eigentlich inzwischen ihren Anteil dafür gezahlt?", fragt Kirsten. Haben sie wohl nicht. Und so rechnet sein Kollege aus Bozi Dar auch realistisch: "Zehn Jahre werden wir noch brauchen, bis es selbstverständlich wird, auf Brettern nach Oberwiesenthal zum Kaffeetrinken zu fahren." Das hindert ihn aber nicht, auch für den Sommertourismus neue Pläne zu schmieden. Eine Golfregion von Karlsbad bis Böhmisch Wiesenthal (Loucna) - das würde auch die Oberwiesenthaler erfreuen, die in den umliegenden Naturschutzgebieten keine solchen Sportanlagen errichten dürfen.

Die Golfspieler könnten in beiden Ländern helfen, im Sommer die Hotelkapazitäten auszulasten. Jan Hornig ist überzeugt von den Erfolgsaussichten seiner Idee: "Der Tourist interessiert sich nicht für Grenzen; er sieht, dass der Keilberg zum Erzgebirge gehört. Aber er muss uns erst einmal finden." Und daran arbeiten die Gemeinden mit einem gemeinsamen Marketing-Konzept. Für ihre Pläne hoffen sie auf Unterstützung durch das Interreg III A-Programm der EU. Der erste Fördermittelantrag von tschechischer Seite ist zum 1. August möglich. Natürlich ist Jan Hornig dafür längst gewappnet. Schließlich will er seinen Ort noch auf 450 Einwohner anwachsen lassen. Astrid Pawassar Astrid Pawasser arbeitet als freie Journalistin in Dresden.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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