Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 37 / 06.09.2004
Horst Eggers

Ständige Anpassungen erforderlich

Ausbildung im Handwerk

Gerade der Vergleich mit anderen Ländern zeigt, dass Qualifikation nach wie vor einer der wichtigsten Wettbewerbsvorteile unseres Wirtschaftsstandorts Deutschland ist. Die Handwerkskammer für Oberfranken hat vor wenigen Wochen eine Marktstudie zu den Chancen des deutschen Bau- und Ausbaugewerbes im Nachbarland Tschechien vorgestellt. Ein wesentliches Ergebnis war: Obwohl der durchschnittliche Monatslohn für einen Bauarbeiter in Tschechien bei 550 Euro liegt, haben deutsche Bau- und Ausbaufirmen in Tschechien Marktchancen. Warum? Weil das Lohngefälle zwischen beiden Ländern nur einen Kostenfaktor darstellt, und deutsche Bau- und Ausbaufirmen dieses Lohngefälle durch bessere Effektivität, Qualität, bessere Projektplanung und -abwicklung nahezu ausgleichen können.

So liegt zum Beispiel der Quadratmeter-Preis einer Dreizimmerwohnung (Neubau) in Karlsbad (Tschechien) derzeit bei 1.200 Euro und damit auf einem ähnlichen Niveau wie in Oberfranken. "Für diesem Preis kann ich das auch", lautete der Kommentar eines deutschen Bauunternehmers bei der Vorstellung der Marktstudie.

Duales System

Bessere Projektplanung und -abwicklung, bessere Effektivität, bessere Qualität, bessere Arbeitsleistung: Letztendlich heißt dies nichts anderes als bessere Qualifikation. Woher die bessere Qualifikation in Deutschland kommt? Aus dem dualen Ausbildungssystem. In Deutschland findet die Ausbildung der Lehrlinge generell in den Betrieben, in den Berufsschulen und im Rahmen der überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung bei den Handwerkskammern statt. Die Lehrstelle und die Arbeit im Betrieb sind dabei der zentrale Ansatzpunkt.

In Tschechien ist ein ganz anderes System eingeführt. Die Berufsausbildung beginnt und bleibt in der Schule. Praxis ist zwar vorgesehen, Umfang und Qualität variieren allerdings stark. Verstaatlichte Schulsysteme laufen Gefahr, Jugendliche in Bereichen auszubilden, die auf dem Arbeitsmarkt nicht benötigt werden. Das duale Ausbildungssystem in Deutschland orientiert sich dagegen schon von seinem Grundansatz her direkt am Arbeitsmarkt: Zuerst kommen die Lehrstelle und der Arbeitsplatz bei einem Betrieb und danach erst die Anmeldung zur (Berufs-)Schule.

Ein Außenstehender kann den eklatanten Unterschied zwischen dem dualen Ausbildungssystem in Deutschland und dem System einer verschulten Ausbildung nur schwer einschätzen. Auf den Punkt gebracht, hat ein 18-jähriger Jugendlicher mit abgeschlossener Berufsausbildung in Deutschland bereits drei Jahre Praxiserfahrung im Betrieb gesammelt, was seinem 18-jährigen tschechischen Kollegen so gut wie komplett fehlt. Ein deutscher Bauunternehmer kann das unterschiedliche Lohnniveau durch die bessere Qualifikation seiner Mitarbeiter nahezu ausgleichen.

Noch gar nicht angesprochen bei diesem Ländervergleich ist die grundlegende Notwendigkeit der permanenten Anpassung der Ausbildungsinhalte an den technischen Fortschritt und die neuen Anforderungen des Markts. Jedem dürfte klar sein, dass ein staatliches, verschultes Ausbildungssystem dies nicht leisten kann, und gerade hier zeigen sich wieder die großen Vorzüge des dualen Ausbildungssystems in Deutschland: Die Ausbildung erfolgt ganz nahe an den Markterfordernissen. Der Staat gibt zwar einen Handlungsrahmen vor, überlässt es aber den Selbstverwaltungsgremien des Handwerks (bestehend aus Arbeitnehmern und Unternehmern, die wissen worum es geht), die Ausbildungsinhalte ständig an die Berufspraxis anzupassen. Die Folge ist ein Qualifikationsniveau im Bereich der beruflichen Bildung, um das uns die ganze Welt beneidet.

Übrigens: Auch um den Handwerksmeister beneidet uns die ganze Welt. Und natürlich spielt der Handwerksmeister die zentrale Rolle für die Qualität der Ausbildung in Deutschland. Dass der Handwerksmeister politisch geschwächt worden ist, ist für uns völlig unverständlich. Wie wir aus dem Lebensweg unserer Meisterschüler wissen, greifen selbst international tätige Unternehmen gern auf Meister als Führungskräfte zurück. Warum? Weil Meister an dem Tag, an dem sie ihr Meisterzeugnis in der Hand halten, schon fünf oder sechs Jahre Berufspraxis nachweisen können und eine hochwertige Berufsausbildung durchlaufen haben. Horst Eggers

Der Autor ist Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Oberfranken.


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