Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 37 / 06.09.2004
Christof Markus

Das Handwerk macht für die Ausbildung mobil

Last-Minute-Lehrverträge auch 2004 - einjähriger Praxistest

Unter dem Motto "Handwerk pa@kt an" hat der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) zusammen mit den 54 Handwerkskammern eine Aktion gestartet, um in den kommenden Wochen und Monaten den jungen Menschen möglichst viele zusätzliche Ausbildungsplätze anzubieten. Das ist eine Folge des Ausbildungspaktes von Bundesregierung und Wirtschaft, um die ansonsten drohende Ausbildungsplatzabgabe zu verhindern.

ZDH-Präsident Dieter Philipp: "Staat und Politik stecken in einer tiefen Vertrauenskrise. Menschen, die ihren Job verloren haben, die um ihren Arbeitsplatz und ihre soziale Sicherheit fürchten, sie tragen ihre Ängste und Sorgen auf die Straße. Das gilt auch für Jugendliche, die um einen Ausbildungsplatz zittern und nicht an den Erfolg des Ausbildungsplatzpaktes glauben. Gerade Jugendliche setzen auch gerne die Wirtschaft auf die Anklagebank, wenn es um fehlende Lehrstellen geht."

Traumberuf - aber nicht für alle

Doch der ZDH macht folgende Rechnung auf: Fünf Jahre Rezession des Binnenmarktes haben für den heimischen Mittelstand verheerende Folgen und sind der größte Ausbildungsplatzvernichter. Wenn 2004 im Handwerk mit seiner hohen Ausbildungsquote von rund zehn Prozent bis zu 150.000 Stellen wegbrechen sollten, dann brechen rein statistisch auch bis zu 15.000 Ausbildungsplätze weg. Philipp hat sich das Ziel gesetzt, mehr Lehrstellen einzuwerben, als durch die Konjunktur wegbrechen: "Wir zählen darauf, dass genügend Betriebe in die Bresche springen und erstmals ausbilden oder weitere Lehrlinge einstellen."

Auch das Handwerk kann nicht allen Schulabgängern eine Lehrstelle im jeweiligen Traumberuf garantieren. Allerdings will der ZDH trotz fortdauernder Rezession am Binnenmarkt und aufgrund der demografischen Entwicklung einer steigenden Zahl von Lehrstellenbewerbern jedem Jugendlichen eine berufliche Perspektive geben. Deswegen wird für alle diejenigen, die zum Stichtag 30. September noch keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, eine Nachvermittlung stattfinden.

Das bedeutet für die noch nicht mit einer Lehrstelle versorgten Schulabgänger: Jeder wird angeschrieben. Allerdings war man im vergangenen Jahr bei der Nachvermittlung ziemlich enttäuscht. In einigen Kammerbezirken kam nicht einmal die Hälfte der angeschriebenen Bewerber zu einem Gespräch. Viele Ausbildungsplätze konnten deshalb nicht besetzt werden. Eine Tatsache, die im politischen Streit um das Lehrstellenangebot der Wirtschaft oft übersehen wird.

Bei der Nachvermittlungsaktion nach dem 30. September erhält jeder Bewerber ein Angebot, so der ZDH-Präsident. Dafür wird es erstmals verpflichtend einen so genannten Kompetenz-Check gaben. Dieser soll dabei helfen, die Jugendlichen nach ihrer Vorbildung und ihren Neigungen auf die "Last-Minute-Lehrstellen" zu vermitteln. Die Chancen auf einen Vertrag sind gut. Allein im Handwerk wurden im vergangenen Jahr rund 6.000 Lehrverträge erst zwischen Oktober und Dezember abgeschlossen.

Für Jugendliche, die nicht ausreichend qualifiziert sind oder keine Lehrstelle gefunden haben, werden in diesem Jahr erstmals so genannte Einstiegsqualifikationen angeboten. Die Schulabgänger haben hier die Chance, einen Beruf ihrer Wahl dem Praxistest zu unterziehen. Die Betriebe haben im Gegenzug die Chance, Interessenten über eine Zeit von bis zu einem Jahr zu testen. Den Jugendlichen werden während ihrer Zeit im Betrieb Grundfertigkeiten im Beruf vermittelt, wie sie auch in der Ausbildungsverordnung vorgesehen sind.

Bausteine zur Einstiegsqualifizierung wurden bereits für neun beliebte Berufe geschaffen - vom Friseur über den Tischler bis zum Anlagenmechaniker. Weitere sind in Vorbereitung. Der späte Abschluss des Ausbildungspaktes hat dazu geführt, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen erst spät geregelt werden konnten. Die finanzielle Förderung der Einstiegsqualifizierung durch den Bund sollte für die Handwerksbetriebe ein zusätzlicher Anreiz sein, dieses neue, im Ausbildungspakt vereinbarte Instrument anzunehmen. ZDH-Präsident Philipp: "Selbst für Bewerber, die letztlich keine Lehrstelle antreten, hat sich die Zeit gelohnt: Sie haben Qualifikationen erworben, die ihnen auf dem Arbeitsmarkt eine bessere Vermittlungschance geben."

Um dem mit der Bundesregierung geschlossenen Ausbildungspakt zum Erfolg zu verhelfen, wurden in den vergangenen Wochen in den 54 Handwerkskammern 466 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusätzlich mit der Werbung und Vermittlung von Lehrstellen betraut, dazu noch 20 Mitarbeiter eigens eingestellt. Darüber hinaus engagieren sich 3.500 Ehrenamtliche und zahllose Meister für die jungen Menschen. Allein in den ersten sieben Monaten des Jahres 2004 ergaben sich für die Werbung von Lehrstellen 262.000 Betriebskontakte, 32.570 persönliche Ansprachen und 45.000 Telefonkontakte.

Ein beneidetes System

Zugleich beharrt der ZDH in der gegenwärtigen Föderalismusdebatte auf einer bundeseinheitlichen Regelung der außerschulischen beruflichen Bildung. Der ZDH-Präsident: "Deutschland wird von der Welt für sein erfolgreiches duales System beneidet, das die berufliche Bildung weitgehend in die Verantwortung der Wirtschaft selbst legt. Eine Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz auf die Bundesländer würde das Berufsbildungssystem zersplittern, unterschiedliche Ausbildungsniveaus hervorbringen und so schlimmstenfalls auf eine Einschränkung der beruflichen Mobilität hinauslaufen. Wir können es uns nicht leisten, dass sich eine Zersplitterung des Systems der beruflichen Bildung zu einem Nachteil für den Standort Deutschland entwickelt - durch sinkende Leistungsfähigkeit und möglicherweise gar fehlende Europatauglichkeit."

Ein Wegfall der Kompetenz der Wirtschaft würde aus der Sicht des ZDH zudem fatale Folgen für den Praxisbezug der Ausbildung, für die Mitwirkung der Unternehmen und das Engagement des Ehrenamtes in den Kammerorganisationen haben. Im Blick auf ausländische Jugendliche stellt der ZDH fest: Das Handwerk macht keine Unterschiede. Ausländische Jugendliche sind ganz normale Jugendliche wie deutsche auch. Deshalb gibt es für sie keine Sonderregelungen. Das sei der beste Beitrag zur Integration, den man leisten könne. Christof Markus

Der Autor ist freier Journalist in Berlin.


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