Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 38 / 13.09.2004
O. Ulrich Weidner

... aufgekehrt

Eine nicht unerwartete Nachricht kommt aus Berlin: Der Palast der Republik, dieser skelettierte einstige Prachtbau der DDR, wird nun doch nicht, wie vom Bundestag bereits beschlossen, Anfang 2005 abgerissen, die Demontage wird weiter ins Jahr verschoben. Die Vergabe des Demontageauftrages muss neu ausgeschrieben werden. Aber die Berliner sind bekanntlich im Umgang mit "Erichs Lampenladen" sehr erfahren. Ältere Ostbürger erinnern sich gern an die Abende mit Speis und Trank, Kegelpartie und Tanzvergnügen, Westdeutsche dagegen finden den Protzpalast architektonisch geschmacklos. Jedenfalls wurde der Bau dieses Jahr neu entdeckt - kulturelle Zwischennutzung heißt das Motto. Die jüngste Zwischennutzung ist jedoch ebenso so geschmacklos wie das goldverspiegelte Äußere. Es gibt eine künstlerische Installation: Der Boden des Foyers ist mit grüner Teichfolie ausgelegt und mit 300 Kubikmetern Wasser rund 30 Zentimeter hoch geflutet. Auf Inseln ist eine so genannte "Fassadenrepublik" errichtet; die Inseln heißen "Parlament", "Rotlichtbezirk", "Viertel der Bourgeoisie" oder "Ahnenamt" und können per Schlauchboot besucht werden. Ein besonders künstlerisch und kulturell wertvoller Einfall: Vor einer schwarzen Wand hängen Pappfiguren von Politikern wie Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und der kürzlich verstorbene FDP-Politiker Günter Rexrodt. Das Publikum kann die Pappfiguren mit Bällen bewerfen und so gegen den Abriss des Palastes protestieren. Aggressionsabbau nach Kirmes-Schießbudenmanier - aber kulturelle Zwischennutzung? Eher niveaulos und genau so unverständlich wie seinerzeit die stundenlangen Reden der obersten Genossen, die immerhin minutenlang rhythmisch beklatscht wurden. Damals waren die Vorstellungen wenigstens noch kostenlos, heute kostet eine dreiviertelstündige Floßfahrt durch die Fassadenrepublik immerhin acht Euro. Das Irrsinn-Kunstereignis geht nur bis zum 11. September, weswegen sich an der Kasse bereits lange Schlangen bilden wie beim MoMA-Besuch an der Nationalgalerie im Westen der Stadt.

Für das finanzschwache Land Berlin rechnet sich eine derartige kulturelle Zwischennutzung. Der Bund als Eigentümer der Ruine muss für das "Bespielen" eine höhere Grundsteuer zahlen. Waren das 80.000 Euro im Jahr für die Ruine, so will das Land jetzt über eine Million Euro haben, wobei als Miete für eine kulturell wertvolle Nutzung monatlich allenfalls 5.000 Euro zu erzielen sind, wie ein Sprecher der Oberfinanzdirektion jetzt mitteilte. Das Skelett könnte also demnächst aus Kostengründen leer stehen.

Ein vernünftiger Vorschlag kommt von Kulturstaatsministerin Christina Weiss - sie schlägt vor, eine Ausstellung über die Geschichte des Gebäudes zu zeigen. Da können Berliner mit Ostbiographie noch einmal den Palast klammheimlich bewundern und Westler mit Honi-Abneigung ihre Aggressionen verbal ausleben - aber bitte ohne Papp-Erich. O. Ulrich Weidner


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.