Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 46 / 08.11.2004
Oliver Geden

Rechtsextreme Männlichkeit

Aus Unbehagen an der Moderne

Bei fast allen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus liegt der Anteil von Männern deutlich höher als der von Frauen. So beträgt etwa der Männeranteil bei der Beteiligung an rechtsextremen Straftaten 90 Prozent, bei Gewaltdelikten liegt er nahe an 100 Prozent. Männer stellen 70 bis 85 Prozent der Mitgliederbasis von Parteien wie der NPD, der DVU oder den Republikanern, bei Wahlen erhalten diese 60 bis 75 Prozent ihrer Stimmen von Männern.

Trotzdem wäre es zu kurz gegriffen, den Rechtsextremismus schlicht als "Männerproblem" zu begreifen, zumal Männer und Frauen bei Untersuchungen zu rechtsextremen Einstellungen fast gleichauf liegen. Dennoch weisen die extremen quantitativen Verteilungen zwischen den Geschlechtern darauf hin, dass der Rechtsextremismus einer kulturellen Kodierung unterliegt, die auf Männer eine weitaus größere Anziehungskraft auszuüben vermag als auf Frauen. Wie also wird im Rechtsextremismus Männlichkeit konstruiert, welche Idealbilder werden dort entworfen?

In hochgradig differenzierten Gesellschaften exis-tieren immer mehrere Männlichkeitsmodelle, die häufig auch in einem konkurrierenden Verhältnis zueinander stehen. Ihre jeweilige Ausprägung kann von politisch-weltanschaulichen Differenzen zwischen einzelnen Gruppen von Männern mitgeprägt sein, weitaus wichtiger sind in der Regel aber Zugehörigkeiten zu verschiedenen Milieus, Generationen und alltäglichen Lebenswelten. Das bedeutet für das breite Feld des Rechtsextremismus etwa, dass militante Neonazis und Redakteure rechtsintellektueller Zeitschriften zwar in ideologischen Einschätzungen zu Volk, Nation und auch Geschlechterverhältnissen grundlegende Übereinstimmungen aufweisen. Jedoch unterscheidet sich das jeweilige Verständnis von Männlichkeit im Detail deutlich voneinander, da es sich in den sehr verschiedenen gesellschaftlichen Sphären und Lebenswelten jeweils auch als "alltagstauglich" erweisen muss. Während gewaltbereite Neonazis die physische Komponente ihrer Männlichkeit stark hervorheben, dürfte dies bei Zeitschriftenredakteuren oder Buchautoren kaum im Mittelpunkt stehen. Sowenig wie es den Rechtsextremismus gibt, erweist sich demnach auch die Vorstellung einer einheitlichen, genuin rechtsextremen Konstruktion von Männlichkeit als irreführend.

Während über Männlichkeitskonstruktionen im All-tag rechtsextremer Aktivisten mangels entsprechender Forschungen im Detail wenig bekannt ist, lassen sich doch auf der Ebene rechtsextremer Ideologieproduktion immer wiederkehrende Bausteine identifizieren, die die Folie liefern, auf der die Aktivisten ihre gruppenspezifischen Männlichkeitsmuster ausbilden und deuten können.

Ein, wenn nicht gar der zentrale Bestandteil rechtsextremer Ideologie, ist die Ablehnung der Idee der Gleichheit. Wo die Gleichheit von Kulturen, Nationen und "Rassen" zurückgewiesen wird, da erscheint auch die Forderung nach der Gleichstellung der Geschlechter suspekt. Sie wird im Rechtsextremismus durchgängig zurückgewiesen. Es wird nicht explizit eine Höherwertigkeit des Mannes ins Feld geführt, vielmehr eine wesensmäßige Differenz von Mann und Frau behauptet, die biologisch begründet - und damit gesellschaftlich nicht hintergehbar - sei. Rechtsextremisten leiten daraus die Forderung nach einer "artgerechten Rollenaufteilung" ab, die darauf hinausläuft, die Einfluss-sphäre von Frauen wieder auf die klassische Trinität von "Kinder, Küche und Kirche" zu beschränken, die öffentliche Sphäre - also Wirtschaft, Politik und Justiz - ausschließlich Männern vorzubehalten.

Da der Geschlechterdiskurs des Rechtsextremismus in seinem Kern die Rückkehr zu traditionellen Rollen-verteilungen vertritt, werden in erster Linie die faktischen Veränderungen im Leben und Selbstverständnis von Frauen thematisiert und anhand gesellschaftlicher Fehlentwicklungen problematisiert, die damit in Verbindung gebracht werden, sei es eine wachsende Jugendkriminalität oder das "volkszerstörende" Fallen der Geburtenrate. Das spezifische Interesse von Männern an der Wiederherstellung traditioneller Geschlechterverhältnisse wird nie thematisiert. Zwar werden Männer bisweilen als Opfer der Frauenemanzipation dargestellt (etwa als Scheidungsväter oder infolge von Positivdiskriminierungen im Berufsleben), in der Regel aber wird das Zurückdrängen der Frauen aus dem öffentlichen Leben mit seiner gesellschaftlichen Funktionalität begründet: Wenn Frauen wieder zu Hause blieben und mehr Kinder bekämen, gäbe es keine Probleme mit der Rente, und Deutschland bräuchte keine Zuwanderer mehr. Diese Argumentationsfigur lässt keinen Platz für "Emanzen" und "Karrierefrauen", aber auch nicht für Homosexuelle, einem klassischen Feindbild des rechtsextremen Geschlechterdiskurses.

Im Subtext dieses Gesellschaftsbildes wird der weiße, heterosexuelle Mann immer als vollerwerbstätiger Familienernährer gedacht, der als solcher scheinbar vollkommen uneigennützig agiert, weil im Einklang mit dem nationalen Interesse. Auf diese Weise bleibt das Männliche im Allgemeinen verborgen und muss die mit ihm verbundenen Dominanzansprüche nicht als gruppenspezifische Privilegien hinterfragen lassen.

Das Versprechen, Männern wieder den "ihnen zustehenden" Platz in der Gesellschaft zu verschaffen, die sich seit Jahrzehnten vollziehenden Transformationen im Geschlechterverhältnis weitgehend wieder rückgängig machen zu wollen, dürfte nicht nur Männer ansprechen, die über ein geschlossen rechtsextremes Weltbild verfügen. Dieses Weltbild besitzt ein hohes Maß an Anschlussfähigkeit auch für all diejenigen Männer, die sich von der Gesellschaft um ihre scheinbar "natürlichen" Vorrechte betrogen fühlen oder diese für die Zukunft als bedroht ansehen. Solche Männer finden sich, wenn auch in unterschiedlicher Zahl, in allen politischen Lagern. Aber allein im Rechtsextremismus wird ihr Unbehagen offensiv artikuliert.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.