Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 46 / 08.11.2004
Max Peschek

Männertypen im Wandel der Zeiten

Veränderung ist der Motor des Fortschritts

Männer sind nicht gleich Männer - aber wie sind sie wirklich? Eine Studie aus dem deutschsprachigen Raum (Volz/Zulehner) entdeckte vier Männertypen: traditionelle, pragmatische, neue und verunsicherte. Der "traditionelle" Mann (19 Prozent, Tendenz abnehmend) befürwortet konservative Rollenmodelle - er verdient das Geld, sie sorgt für Kinder und Haushalt. Der "pragmatische" Mann (25 Prozent) ist tolerant: Frauen können auch erwerbstätig sein, wenn sie das wollen; wenn sie sich lieber um Kinder und Haushalt kümmern, ist das auch in Ordnung. Für den "neuen" Mann (20 Prozent, Tendenz zunehmend) ist das Ziel eine Beziehung, in der die Verantwortung für Erwerbs-, Familien- und Hausarbeit gerecht geteilt wird. Für ihn ist die Elternzeit eine Bereicherung; Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist wichtig. Die größte Gruppe ist allerdings die der "verunsicherten" Männer mit 37 Prozent.

Sind die hier beschriebenen Typen nun spezifisch männlich? Eine Antwort finden wir bei Paul Ray, einem amerikanischen Soziologen, der eine neue soziale Gruppe entdeckt hat: die "kulturell Kreativen". Ray unterscheidet drei Gruppen in der westlichen Kultur, jede mit einer eigenen Perspektive: Moderne, Traditionalisten und kulturell Kreative. Die Modernen, mit etwa 48 Prozent die dominante - "normale" - Subkultur, sind eher materialistisch orientiert, leben gerne in einer wettbewerbsorientierten, kommerzialisierten, industriellen und individualisierten Welt. Traditionalisten dagegen (rund 24 Prozent) haben strikte Moralvorstellungen, würden gerne die patriarchale Familie aufrechterhalten und lehnen den Feminismus ab. Männer und Frauen sollten ihre traditionellen Rollen beibehalten, Sexualität muss streng reguliert werden.

Kulturell Kreative wollen das leben, wovon sie überzeugt sind, bringen das eigene Handeln mit ihren Überzeugungen und Werten überein. Authentizität ist ein Schlüssel zum Verständnis für diese Gruppe, deren erstaunlichstes Merkmal darin besteht, dass sie sich nicht als solche empfindet, obwohl sie (in den USA) inzwischen fast 24 Prozent der Bevölkerung stellt - Tendenz steigend - mit einem Frauenanteil von 60 Prozent. Intuition zählt genauso viel wie Rationalität, Nachhaltigkeit und Ökonomie gehören zusammen, die Spiritualität gewinnt zunehmend an Bedeutung.

Wenn wir diese Ergebnisse zu denen der Männerstudie von Volz und Zulehner in Beziehung setzen, sehen wir, dass diese drei Werteperspektiven sowohl dem Verhalten von Männern wie auch dem von Frauen zugrunde liegen; Geschlecht ist nur ein Faktor unter vielen anderen, an denen die unterschiedlichen Werte sichtbar werden. Jedoch bleibt auch bei Ray die Frage offen, woher diese Typen stammen - wird man so geboren? Gibt es etwas, das wir tun können, um mehr "neue" Männer zu bekommen? Diese Fragen kann die Entwicklungspsychologie beantworten; insbesondere das System der Spiraldynamics von Clare Graves, weiterentwickelt durch Don Beck, der dieses Modell mit Erfolg als Berater von Nelson Mandela in Südafrika einsetzte und so zum Ende der Apartheid beigetragen hat.

Spiraldynamics beschreibt die menschliche Entwick-lung durch sieben Werte-Ebenen, die Grundlage für Handeln und Wahrnehmung sind und in jeder beliebigen Aktivität zum Ausdruck kommen können: jede Ebene ein Kern-Werte-System, eine Weltsicht, ein organisierendes Prinzip, welches Denken, Handeln, Entscheidungen und kulturellen Ausdruck prägt. Die Ebenen sind mit Farben benannt, um Bezüge zu politischen Richtungen und vor allem zu Hautfarben zu vermeiden.

Die verschiedenen Stufen der Spiraldynamics-Ebenen bauen aufeinander auf und entwickeln sich dann, wenn die dafür geeigneten Lebensbedingungen gegeben sind. Sowohl Menschen wie Kulturen haben ihren Schwerpunkt in einer Ebene. Die erste Ebene - "Beige" - beschreibt die archaisch-instinktive Ebene des Überlebens: Nahrung, Wasser, Wärme, Sex. "Purpur" legt Wert auf Sicherheit durch Mitgliedschaft in einer Familie oder Gruppe und bevorzugt animistisches Denken und magische Geister. Im nächsten Schritt - "Rot" - entwickelt sich zum ersten Mal ein individuelles Ich: impulsiv, egozentrisch und heroisch. Diese Ebene liebt feudale Imperien, Macht und Ruhm. Gezähmt werden die Impulse durch die Ebene "Blau": Das Leben hat Sinn und Richtung, wird bestimmt durch einen allmächtigen Anderen, eine Ordnung und einen höheren Sinn. Mit der Betonung von Familie und Religion, einem Misstrauen gegenüber Veränderungen, von Problemen mit der Komplexität der Welt, die durch klare moralische Regeln gelöst werden sollen, finden wir hier die Traditionalisten mit etwa 40 Prozent der Menschheit.

Die Modernen - mit der Farbe "Orange" machen sie rund 30 Prozent der Menschheit - suchen Wahrheit und Sinn auf individualistischem und wissenschaftlichem Weg. Die Welt wird als eine rationale Maschine mit natürlichen Gesetzen gesehen, die erlernbar und benutzbar sind. Der moderne Staat entsteht, leistungsorientiert und materialistisch. Als Reaktion auf die Pathologien von "Blau" und "Orange" entsteht anschließend "Grün" (zehn Prozent) mit einer Wertschätzung von Beziehungen, ökologischer Le-bensweise und engagierter Teilnahme an der Welt, das Zuhause für Pluralismus, Postmoderne, humanistische Psychologie, Feminismus und ökologischen Aktivismus, mit allen Kennzeichen der kulturell Kreativen: Selbstverwirklichung, Offenheit für fremde Kulturen und Spiritualität, antihierarchisch, egalitär, empfindsam. Die siebente Ebene, "Gelb", seit etwa 30 Jahren im Entstehen, ermöglicht schließlich die Anerkennung aller Vorgänger und ihre flexible, an konkreten Gegebenheiten orientierte Handhabung. Eine integrale, multi-perspektivische Weltsicht, die einen weiten Horizont bei der Lösung anstehender Herausforderungen ermöglicht.

Wenn wir nun die Typen der Männerstudie den einzelnen Werte-Ebenen zuordnen (traditionell - blau; pragmatisch / modern - orange; neu / kulturell kreativ - grün), dann entwickeln Männer und Frauen sich in genau dieser Reihenfolge, wie aus Langzeitstudien ersichtlich wird.

Die Schlussfolgerung: Dem Faktor "Bewusstsein", der Persönlichkeitsentwicklung, kommt in Bezug auf Chancengleichheit und Geschlechterdemokratie eine höhere Bedeutung zu als der Geschlechtszugehörigkeit. Männer und Frauen mit einem Schwerpunkt in der gleichen Werte-Ebene haben mehr miteinander gemeinsam als mit Angehörigen des gleichen Geschlechts, die ihren Schwerpunkt in einer entfernten Werte-Ebene haben.

Der Geschlechterkampf - ursprünglich als Auseinandersetzung zwischen Männern und Frauen gedacht - wird damit als historischer Irrtum erkennbar: Der Hauptwiderspruch liegt im Kampf zwischen Werte-Ebenen (hier: kulturell kreativ gegen traditionell und modern, beziehungsweise "Grün" gegen "Blau" und "Orange"), und wird in der Integration der positiven Aspekte aller Ebenen (integral beziehungsweise "Gelb") gelöst. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass Geschlecht als Thema ausgedient hat: Mit einem integralen Ansatz wird deutlich, dass die biologischen und kulturellen Prägungen durchaus zu männlichen und weiblichen Verhaltensweisen und Eigenheiten bei Männern und Frauen führen. Diese Unterschiede wahrzunehmen und kritisch zu reflektieren, bleibt deshalb weiterhin ein wichtiges Thema im kulturellen Gender-Diskurs.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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