Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 13 / 29.03.2005
Christian Schönfelder

"Das Theater glich einem Irrenhause, rollende Augen, heisere Aufschreie im Zuschauerraum"

Die Uraufführung der "Räuber" am Mannheimer Nationaltheater

Der 13. Januar 1782 ist ein Meilenstein in der deutschen Theatergeschichte. Kaum je hat eine einzige Aufführung die Theaterwelt derart bewegt, geschweige denn ein Publikum zu solch unglaublichen Reaktionen getrieben wie die Uraufführung der "Räuber" von Friedrich Schiller damals am Mannheimer Nationaltheater. "Ich glaube", schrieb Schiller wenige Tage später durchaus hellsichtig an den Mannheimer Intendanten Heribert von Dalberg, "wenn Deutschland einst einen dramatischen Dichter in mir findet, so muss ich die Epoche von der vorigen Woche an zählen".

Im kulturellen Leben der Stadt zwischen Rhein und Neckar wirken die Ereignisse jenes Tages bis heute nach. Nicht von ungefähr feiert das Nationaltheater seit 1978 die Internationalen Schillertage, die sich in den vergangenen Jahren zu einem in dieser Form beispiellosen Klassiker-Festival entwickelt haben und mit ihrer 13. Auflage vom 4. bis 12. Juni zu den Höhepunkten im Schillerjahr 2005 gehören.

"Das Theater glich einem Irrenhause, rollende Augen, geballte Fäuste, stampfende Füße, heisere Aufschreie im Zuschauerraum! Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen wankten, einer Ohnmacht nahe, zur Türe. Es war eine allgemeine Auflösung wie im Chaos, aus dessen Nebeln eine neue Schöpfung bricht." Auch wenn dieser unendlich oft zitierte Augenzeugen-Bericht vermutlich nicht authentisch ist, so vermittelt er doch einen Eindruck dessen, was sich an jenem Wintertag im überfüllten Mannheimer Theatersaal zugetragen haben muss.

Auch August Wilhelm Iffland, 22jähriger Darsteller des Franz Moor, schrieb später in seinen Memoiren von einem "allgewaltigen Feuersturm", der Akteure und Statisten fortgerissen habe. Obwohl Intendant Dalberg aus Sorge, bei Obrigkeit und Kirche Missfallen zu erregen, das Stück erheblich entschärft und ihm die Züge eines Ritterspektakels gegeben hatte, erkannten die Besucher sofort dessen Sprengkraft, spürten die leidenschaftliche Rebellion gegen überlebte Konventionen. Und vielleicht spürten sie auch die epochale Bedeutung des Augenblicks: Aus dem Nichts war da ein junger Mann aufgetaucht, mit ungeheurem dramatischen Talent gesegnet, der sich anschickte, die Theaterwelt im Sturme zu erobern.

Zum Zeitpunkt der Uraufführung war Friedrich Schiller noch Regimentsarzt beim württembergischen Herzog Carl Eugen. Seine Jugendjahre hatte er unter strengem militärischen Drill in der Karlsschule des Herzogs verbracht. Dort schrieb er sein dramatisches Erstlingswerk, im gemeinschaftlichen Schlafraum und bisweilen auf der Krankenstation der Akademie, auf die er sich hatte einweisen lassen, um bei Tageslicht und ungestört arbeiten zu können. So entstand, wie er wenige Jahre später selbstkritisch einräumte ein "Ungeheuer, das zum Glück in der Welt nicht vorhanden war", eine Geburt, "die der naturwidrige Beischlaf der Subordination und des Genius in die Welt setzte".

Für sein Werk, das er selbst als Lesedrama betrachtete und für unspielbar hielt, fand Schiller zunächst keinen Verleger. Er veröffentlichte es anonym und stürzte sich so in Schulden, dass er bis in die späten 80er-Jahre daran schwer zu tragen hatte. Eine Wende deutete sich erst an, als er dem Mannheimer Verleger Christian Friedrich Schwan die ersten beiden Akte zur Beurteilung zusandte.

Schwan lehnte zwar eine Veröffentlichung ab, weil das Schauspiel "mitunter auch Scenen enthielt, die ich als Buchhändler dem ehrsamen und gesitteten Publikum anzubieten für unschicklich hielt". Aber er empfahl es seinem Freund Heribert von Dalberg. Der war seit zwei Jahren Intendant des Nationaltheaters, das Kurfürst Carl Theodor nach dem erzwungenem Umzug der Residenz nach München gestiftet hatte. Das damals neu gegründete Ensemble um Iffland hatte sich binnen weniger Jahre zu einer der angesehensten Bühnen Deutschlands entwickelt. Jetzt bewies Dalberg abermals Mut, setzte das ungestüme Werk eines gänzlich unbekannten Dichters auf seinen Spielplan - und sorgte damit landesweit für Aufsehen.

Es war zugleich der Beginn einer intensiven Zusammenarbeit zwischen Schiller und dem Theater, letztlich allerdings keine glückliche für den jungen Dramatiker: 1783/84 wurde er zwar Theaterdichter, erkrankte aber schon in den ersten Tagen an der damals weit verbreiteten Malaria und konnte so die ohnehin wahnwitzigen Vorgaben Dalbergs nach drei neuen Stücken binnen eines Jahres nicht erfüllen.

Der Vertrag lief aus. Schiller blieb, hart am Existenzminimum lebend, noch bis März 1785 in Mannheim.

Trotz der unglücklichen Wendung blieb die Biographie Schillers untrennbar mit dem Mannheimer Nationaltheater verbunden. Und die Geschichte des Hauses mit ihm: Die Feierlichkeiten zu den Schiller-Jubiläen nahmen ab 1859 immer größere Ausmaße an. Auf einem Plakat, mit dem nach dem Zweiten Weltkrieg zu Spenden für den Wiederaufbau des zerstörten Nationaltheaters aufgerufen wurde, ersteigt Schiller groß und pathetisch aus den Trümmern der Stadt.

Legendäre "Räuber"-Aufführungen wie die Raumbühnen-Inszenierung von Erwin Piscator zur Eröffnung des neuen Hauses 1957 wurden zu Meilensteinen der Mannheimer Theatergeschichte. Ganz im Sinne von Dalberg und Schiller fühlt sich das Mannheimer Schauspiel bis heute ebenso der Pflege klassischer Dichter und ihrer Werke verpflichtet wie der zeitgenössischen Literatur. Seit 1996 wird jährlich ein Autor mit Hilfe der Freunde und Förderer des Nationaltheaters als Hausautor besonders unterstützt.

Schillernder Höhepunkt sind alle zwei Jahre die "Internationalen Schillertage": Unter dem Motto "Vorsicht Freiheit!" werden 2005 zehn bis zwölf internationale Gastspiele, sechs Eigenproduktionen des Nationaltheaters, Uraufführungen, Kooperationen, Projekte, Performances und Foren einen umfassenden Überblick über die aktuelle Rezeption von Schillers dramatischem Werk ermöglichen. Den besonderen Reiz des Festivals macht auch die Atmosphäre aus: Die Gastgruppen zeigen nicht nur ihre Inszenierungen, sondern treffen andere Theatermacher, Besucher, Journalisten, Wissenschaftler und Studenten. Die Internationalen Schillertage, unterstützt vom Bund, vom Land Baden-Württemberg, der Stadt Mannheim sowie privaten Geldgebern sind ein Fest der Begegnung und des Austausches.

Das hätte Friedrich Schiller sicher nie für möglich gehalten, als er 1785, verschuldet, gesundheitlich angegriffen und tief enttäuscht, die Stätte der legendären Uraufführung verließ, um zu unbekannten Gönnern nach Thüringen zu fliehen.


Der Autor ist Dramaturg am Mannheimer Nationaltheater.


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