Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 27 / 04.07.2005
Susanne Kailitz

Hilfe für Bosnien - aber wie?

Damals ... vor zehn Jahren am 30. Juni: Der Bundestag beschließt die Entsendung deutscher Soldaten nach Bosnien

Wer die Fotos der Parlamentsdebatte vom 30. Juni 1995 betrachtet, der sieht bedrückte und angespannte Gesichter. Niemand wirkt auf diesen Fotos fröhlich - denn die Entscheidung, die die Abgeordneten an diesem Sommertag fällen mussten, war schwer. Mit 368 zu 258 Stimmen votierten sie schließlich für den Antrag der Bundesregierung. Damit machten sie den Weg frei für die Entsendung von Streitkräften der Bundeswehr nach Bosnien-Her-zegowina, wo sie sich an der Friedenstruppe der Vereinten Nationen in einem "Schnellen Einsatzverband" beteiligen sollten. Der Antrag der Regierung sah vor, 1.700 bis 2.000 Soldaten zu entsenden und auch "Tornado"-Kampfflugzeuge einzusetzen, die Entsendung von Bodentruppen kam nicht in Frage.

Für die Abgeordneten war es wie für Außenminister Klaus Kinkel (FDP) eine Enscheidung "von besonderer Tragweite", deutsche Soldaten in eine Region zu schicken, in der seit Anfang der 90er-Jahre Kriege tobten, von denen alle sechs ehemaligen Teilrepubliken Jugoslawiens betroffen waren. Der Einsatz "United Nations Protection Force (UNPF) war nötig geworden, weil die Blauhelmsoldaten, seit 1992 in Jugoslawien stationiert, durch stärker werdende Kämpfe massiv gefährdet waren.

Für keine der Bundestagsfraktionen stand in Frage, dass die Friedenstruppen unterstützt werden mussten - nur über das Wie war man sich uneins. Die Oppositionsfraktionen waren gegen die Regierungspläne. Rudolf Scharping, der Vorsitzende der SPD-Fraktion, sah Deutschland zwar in der Pflicht, "die Vereinten Nationen bei ihrem humanitären Auftrag in Bosnien-Herzegowina" zu unterstützen, lehnte eine Beteiligung am Mandat der Vereinten Nationen aber ab, weil sie ihm nicht als geeignetes Mittel zur Unterstützung galt, "ohne das Risiko einer Eskalation einzugehen". Auch Grünen-Fraktionssprecher Joschka Fischer sah in den Plänen der Bundesregierung eine "grundsätzliche Revision der Außenpolitik", die er damals noch ablehnte. Seine Kritik an einer deutschen Beteiligung am Militäreinsatz speiste sich aus der Geschichte: "Sie tun ja gerade so, als wäre die Bundesrepublik Deutschland seit 1949 nicht bündnisfähig gewesen, nur weil wir nicht Soldaten in aller Welt einsetzen konnten. Wir werden doch nach wie vor Verständnis dafür finden, dass unsere Hauptaufgabe als Bundesrepublik Deutschland - dafür bekommen Sie eine sehr, sehr große Mehrheit in diesem Hause - gerade jetzt, 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, die ist, zu begreifen, dass gebranntes Kind Feuer zu scheuen hat." Schärfer formulierte es Gregor Gysi für die PDS. In der Debatte gehe es nicht um Jugoslawien, sondern um Deutschland. "Nach einer über 40-jährigen, eher wohltuenden internationalen Zurückhaltung der Bundeswehr wird nach dem Vollzug der deutschen Einheit nunmehr angestrebt, Deutschland als international beachtete militärische Großmacht zu installieren und die eigene Bevölkerung sowie andere Völker an den Einsatz deutscher Soldaten zu gewöhnen."

Einwände, die der Fraktionsvorsitzende von CDU/CSU, Wolfgang Schäuble, nicht zu teilen vermochte. Er warf der Opposition vor, den Aufbau einer schnellen Eingreiftruppe zwar theoretisch zu begrüßen, praktisch aber nicht zu unterstützen. "Ist ein Begrüßen dieser schnellen Eingreiftruppe damit vereinbar, dass wir den von uns erbetenen Schutz verweigern?" Er fragte weiter: "Wie anders soll den Menschen in Bosnien denn geholfen werden? Wie soll dieses Elend bei all den Scheußlichkeiten - wie Sie gesagt haben - wenigstens gelindert werden?" Auch für Außenminister Kinkel war die Beteiligung am Einsatzverband eine Frage der Solidarität: "Wer für sich beansprucht, verantwortliche Außenpolitik zu betreiben, der darf europäisch nicht nur reden, der muss europäisch auch handeln." Sein Parteivorsitzender Wolfgang Gerhardt räumte ein, man mache sich die Entscheidung nicht leicht - aber man dürfe sich den "Vorgängen nicht länger durch Wegschauen entziehen". Sein Vorwurf: "Herr Kollege Fischer, Sie können mit Pazifismus auf sehr hohem Niveau zwar eine Weile arbeiten, am Ende müssen Sie sich aber eingestehen, dass sie das Kind in Sarajevo alleinlassen, dort, wo die Granaten einschlagen. Das will dann auch moralisch gesehen werden."

Knapp eine Woche nach der emotionsgeladenen Debatte trafen deutsche Soldaten in Bosnien ein. Der UNPF-Einsatz endete am 20. Dezember 1995 mit der Übernahme der Verantwortung durch die NATO im Rahmen der multinationalen "Implementation Force" (IFOR) und späteren "Stabilization Force" (SFOR). Deren Aufgaben wiederum hat im Dezember 2004 die European Union Force" (EUFOR) übernommen.


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