Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 32 - 33 / 08.08.2005
Aschot Manutscharjan

Ohne Ressentiments und Vorurteile

Staatsgründung Israels

Der international renommierte israelische Historiker und Journalist Tom Segev forschte drei Jahre lang in Archiven; er las zahllose unveröffentlichte Tagebücher von Juden und Arabern, um die Entstehungsgeschichte des Staates Israel und die Wurzeln des Nahost-Konfliktes nachzuzeichnen. Dabei ist ihm eine hervorragend recherchierte wissenschaftliche Monographie gelungen, die zudem so interessant geschrieben ist, dass der Leser das umfangreiche Buch fast wie einen historischen Roman "verschlingt".

Die Tatsachen sind bekannt: Segev erinnert an die Balfour-Deklaration, die Einwanderung der Juden nach Palästina, die Machtkämpfe im Nahen Osten während des Ersten und Zweiten Weltkrieges, die Auseinandersetzungen zwischen Juden und Arabern untereinander und mit Großbritannien bis zur Proklamation des Staates Israel. Er bleibt jedoch nicht an der Oberfläche, sondern geht den Ereignissen auf den Grund und versucht dabei, die einzelnen menschlichen Schicksale einzubeziehen. So vergisst er nicht, die seit langem vergessenen ersten Opfer der Terroranschläge in Palästina zu erwähnen: Unter ihnen befanden sich sowohl Araber als auch Juden.

Ausführlich berichtet Segev über die Entstehung, die Motive und die weitere Entwicklung des arabischen und jüdischen Terrorismus in Palästina. Anschaulich legt er die Haltung dar, die Araber und Juden damals zu diesen Gewaltaktionen einnahmen und die bis heute den arabisch-israelischen Konflikt entscheidend prägen. Aus Tagebüchern erfuhr der Autor von bislang unbekannten Auseinandersetzungen in der damaligen jüdischen Gemeinde. Er beschreibt, wie die unterschiedlichen Strömungen innerhalb des Zionismus auf die Gründung des Staates Israel Einfluss zu nehmen suchten. Weiter schildert er, welche mitunter obskuren Wege Juden einschlugen, um arabisches Eigentum käuflich zu erwerben, darunter der Versuch, sich die Klagemauer anzueignen.

Im Unterschied zu vielen israelischen und nichtarabischen Historikern bringt Segev dem Leser auch die arabische Haltung nahe und bagatellisiert dabei nicht die zionistische Politik des "Bevölkerungstransfers". Gerade hier ist ihm eine objektive Darstellung der Fakten gelungen. Dafür hat er mutig mit vielen Klischees und Tabus der israelischen Geschichtsschreibung gebrochen. Insgesamt hat Tom Segev nicht mehr und nicht weniger als ein neues Standardwerk über einen höchst komplizierten Zeitraum in der Geschichte Palästinas verfasst.


Tom Segev

Es war einmal ein Palästina. Juden und Araber vor der Staatsgründung Israels.

Siedler Verlag. München 2005; 671 S., 28,- Euro


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.