Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 34 - 35 / 22.08.2005
Barbara Haack

Schiefe Töne im Quoten-Streit

Diskussion über deutsche Musik im Rundfunk

Jahrelang war sie allenfalls ein Thema für den Katzentisch. Wer sich für sie einsetzte, wurde gerne mit dem Vorwurf der "Deutschtümelei" bedacht. Im vergangenen Jahr plötzlich gewann die Idee der Rundfunkquote in Deutschland erstaunlich an Popularität. Zahlreiche Musikerinnen und Musiker sprachen sich mit einem Mal dafür aus, Rundfunkanstalten gesetzlich dazu zu zwingen, regelmäßig einen bestimmten Anteil an deutscher Musik zu senden. Deutsche Musiker, so hieß es, seien in den Medien erheblich unterrepräsentiert und müssten sich zukünftig verstärkt dort wieder finden. Höhepunkt dieser Initiative war die Popkomm, größte Pop-Messe Europas, die 2004 erstmals in Berlin stattfand. Hier bündelten sich die Aktivitäten für die Quote, und nicht zufällig fand zeitgleich zu dem Messe-Event im Deutschen Bundestag eine öffentliche Anhörung eben zum Thema Rundfunkquote statt. Gemeinsam eingeladen hatten der Bundestagsausschuss für Kultur und Medien und die Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland". Das Interesse der Öffentlichkeit war - im Vergleich zu anderen Anhörungen mit kulturellen Themen - sensationell. Die Besucher-Tribüne platzte aus allen Nähten, und man fand auch bekannte Größen der Entertainment-Branche wie Udo Lindenberg, Ina Deter oder Reinhard Mey auf den Zuhörerrängen.

Die Vorstellungen über die Realisierung einer solchen Quote gehen allerdings weit auseinander. Uneinigkeit herrscht zum Beispiel über die Frage, ob es deutschsprachige Musik ist, die hier unterstützt werden soll oder in Deutschland produzierte Musik, die dann auch in Englisch oder jeder anderen Sprache gesungen werden kann. Unklar ist auch, ob eine Quote im dualen Rundfunksystem Deutschlands nur die öffentlich-rechtlichen Anstalten betreffen soll oder ob auch private Sender dem Gesetz Folge leisten müssten. Weiterhin gibt es divergierende Meinungen über die Höhe der Quote; zwischen 40 und 50 Prozent werden in der Regel gehandelt. Einige Quoten-Verfechter verlangen, musikalische Newcomer einzubeziehen, um zu vermeiden, dass zukünftig zwar möglicherweise mehr deutsche Musik zu Gehör gebracht wird, die Anzahl der gesendeten Musiker aber auf dem heutigen Level bleibt. Neben Herbert Grönemeyer, Nena und Marius Müller Westernhagen würde dann kaum noch eine deutsche Stimme über den Äther dringen. Zu klären ist auch die Genre-Frage: Was, wenn zum Beispiel öffentlich-rechtlichen Anstalten von ARD und ZDF die Quote lediglich mit dem "Grand Prix der Volksmusik" und "Musikantenstadl" bedienten? Deutsche Pop-Musiker, gar unbekannte, kämen hier weiter nicht zum Zuge.

Als leuchtendes Beispiel für alle Freunde der Quote gilt Frankreich. Dort gibt es seit 1994 eine Quote. 40 Prozent aller im öffentlichen und privaten Rundfunk gesendeten Musik müssen seither französischsprachig sein, die Hälfte darüber hinaus Neuerscheinungen. Seit dem Jahr 2000 wurde die Regelung flexibler gestaltet. Abhängig von der Ausrichtung der Sender auf Jugendliche oder Erwachsene gelten unterschiedliche Quotierungen. Der Erfolg des französischen Modells, so heißt es, sei enorm. Die Verkaufszahlen seien extrem angestiegen, und dies sogar im Ausland. Ob das Beispiel Frankreich tatsächlich Vorbild für Deutschland sein kann, ist allerdings zweifelhaft. Zu groß sind die strukturellen und stilistischen Unterschiede. So ist das Land und damit auch sein Rundfunksystem im Gegensatz zur Bundesrepublik zentralistisch organisiert. In Deutschland haben die Länder ihre eigenen Rundfunkanstalten und auch die Rundfunkhoheit liegt bei den Bundesländern. Dazu kommt, dass die Franzosen mit dem Genre des Chansons über eine französischsprachige Musiktradition verfügen, die es in Deutschland so nicht gibt. Vor allem aber hat Frankreich im Zusammenhang mit der Einführung der Quote ein ganzes Paket zur Förderung der französischen Sprache und der Erhaltung der kulturellen Vielfalt in diversen Kunstsparten entwickelt. Die Quote war nur Teil eines Bündels von Maßnahmen, die unter anderem auch Film und Fernsehen betrafen.

Zurück nach Deutschland: Die Fronten sind klar, die Vorwürfe harsch. Auf der einen Seite sammelt sich eine Vielzahl von Musikern. Ihnen zur Seite steht die IFPI, der Verband der deutschen Phono-Industrie. Er vertritt rund 1.000 Musiklabels, darunter die großen Major-Firmen, die das Geschäft beherrschen. Zu wenig deutsche Musik werde im Radio gespielt, lautet die einfache These, daher werden in dieser Sparte auch wenig CDs verkauft. Mit anderen Worten: Die Radiosender sind zumindest mit Schuld an der Misere der Tonträgerindustrie. Dass gerade die Majors fast zeitgleich mit ihrem lauten Ruf nach der Quote zahlreiche bei ihnen unter Vertrag stehende deutsche Musiker mit einer Kündigung nach Hause geschickt haben, bezeichnet IFPI-Chef Gerd Gebhardt als "Mär". Lediglich Umstrukturierungen habe es gegeben. Dem aufmerksamen Marktbeobachter mögen Zweifel an dieser Behauptung erlaubt sein.

Eingriffe ins Programm unerwünscht

Auf der anderen Seite stehen die Radiosender. Öffentlich-rechtliche und Private wollen von einer Quoten-Reglementierung nichts wissen. Beide sprechen sich strikt gegen einen derart einschneidenden Eingriff in ihre Programmfreiheit aus. Private Rundfunksender sind kommerziell agierende Unternehmen, die auf ihre Werbeeinnahmen angewiesen sind, um überleben zu können. Um ihre Einschaltquoten zu halten oder zu steigern, müssen sie zwangsläufig den Mainstream bedienen und das senden, wonach ein Großteil der Hörer verlangt.

Anders steht es um die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten. Ihr Programmauftrag lautet, die Hörer ausreichend zu informieren, zu bilden und über Kunst und Kultur, auch über weniger bekannte, in den jeweiligen Sendegebieten zu berichten. Von Einschaltquoten sollten diese durch Rundfunkgebühren finanzierten Institutionen ihre Programmgestaltung gerade nicht abhängig machen. Dass sie dies immer mehr tun, zeigen zahlreiche Äußerungen von Rundfunk-Intendanten, die ihre Einschaltquoten inzwischen als entscheidendes Kriterium einer erfolgreichen Rundfunkarbeit ausweisen.

Folge der September-Anhörung war eine Plenardis-kussion im Bundestag am 17. Dezember 2004. Die Forderung nach einer Quotenregelung hatte sich bis dorthin allerdings schon nicht mehr halten können. Vielmehr brachten die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ebenso wie die CDU/CSU-Fraktion Anträge ein, in denen es um eine freiwillige Selbstverpflichtung der Rundfunkanstalten ging. Der Antrag der Fraktionen der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen wurde schließlich angenommen. Darin wird von den Sendern unter anderem verlangt, in den Musikprogrammen einen Anteil von annähernd 35 Prozent deutschsprachiger beziehungsweise in Deutschland produzierter Pop- und Rockmusik zu senden und dabei Neuerscheinungen ausreichend zu berücksichtigen. Weiter sollen sie eine breiter gefächerte Auswahl an Titeln spielen sowie Pop- und Rockmusik aus Deutschland und Nachwuchsmusiker aus Deutschland mit unterschiedlichen Maßnahmen fördern. Ob diese Regelung geeignet ist, das Rundfunksystem in Deutschland zu verändern, ist mehr als fraglich. Ohne Sanktionen, so scheint es, werden die Rundfunksender unverbindlichen Auflagen keine Beachtung schenken.

Bleibt die Frage, ob eine erzwungene quantitative Steigerung deutschsprachiger Titel wirklich den von Künstlern und Tonträgerindustrie erhofften Erfolg hätte. Jahrelang durften durchaus Zweifel erlaubt sein, ob es überhaupt genug deutsches Musikrepertoire gibt, um 40 Prozent der Sendeplätze zu füllen.

Gerade in der letzten Zeit aber hat sich eine Reihe von neuen deutschsprachigen Bands überaus erfolgreich auf dem Markt etabliert. "Wir sind Helden", "Silbermond" und die "Söhne Mannheims" sind nur einige unter vielen. Eine neue "Neue Deutsche Welle" macht deutsche Popmusik zurzeit wieder populär - auch ohne Quote.


Die Autorin ist Redakteurin bei der "neue musikzeitung" (nmz).


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