Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 42 / 17.10.2005
Klaus Stiebert

Dresden hat die Frauenkirche wieder

Georg Bähr - der Schöpfer des steinernen Kuppelwunders

Viele Text- und Bildbände sind in den letzten Jahren im Zusammenhang mit dem erstaunlichen Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche veröffentlicht worden. Die gelten vornehmlich dem Bild der unzerstörten und neu entstehenden Kuppelkirche in der sächsischen Residenz, - der wundervollen Stadt an der Elbe, die am 13. Februar 1945 für immer in Trümmern sank. Gepriesen seit ihrer Erbauung im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts, gemalt, besungen und immer erneut in Bildern reproduziert, gab die Frauenkirche der Stadtsilhouette jenen unverwechselbaren Ausdruck, der Johann Gottfried Herder bei ihrem Anblick nach seiner italienischen Reise vom "deutschen Florenz" sprechen ließ.

Bewohner und Besucher der Stadt trauerten nach Kriegsende mit dem der Elbstadt zutiefst verbundenen Kunsthistoriker Fritz Löffler (1899-1988) dem "Alten Dresden" nach. Dieser forderte dort unbeirrbar in jeder Neuauflage seines Buches seit 1955: "Es wird Aufgabe der Zukunft sein, das über der Stadt schwebende Kuppelwunder, das als Wahrzeichen der Stadt des Barock die Silhouette beherrschte, wiederherzustellen."

Nun steht die Einweihung nach reichlich zehn Jahren des Wiederaufbaus unmittelbar bevor. In dieser Situation erscheint Siegfried Gerlachs Blick auf George Bähr, den Erbauer der Frauenkirche, gerade richtig. Der aus Sachsen stammende Verfasser (geboren 1930) lehrte an den Pädagogischen Hochschulen in Reutlingen und Ludwigsburg mit den Forschungsschwerpunkten Stadt-, Wirtschafts- und Sozialgeografie. Sein Buch geht dem Leben und Werk der "unbekannten Person Bähr" (1666-1738) nach, aber auch der "Lebenswelt des augustinischen Sachsens" und verfolgt die Entstehung der Frauenkirche bis zum Tode des Ratszimmermeisters und der Vollendung des Monu-mentalbaus. Gerlach verknüpft die Geschichte des Sakralbaus von der Grundsteinlegung am 26. August 1729 bis zur Fertigstellung am 24. November 1743 mit der Lebensgeschichte Bährs und seiner Epoche.

Angesichts der spärlichen Zeugnisse über die Person des Baumeisters aus dem kleinen Ort Fürstenwalde an der sächsisch-böhmischen Grenze im Osterzgebirge ist die Darstellung eines Lebensbildes kompliziert. Wahrscheinlich wuchs der Sohn eines Zimmermeisters in der benachbarten Kleinstadt Lauenstein auf und wählte den Beruf des Vaters - aufzubauen gab es nach Krieg und Stadtbränden viel. Wann er nach Dresden kam, ist ungewiss. 1705 wurde der 39-Jährige als Ratszimmermeister vereidigt, ein "Zimmergeselle von Lauenstein". In der Stadt mit etwa 25.000 Einwohnern belebte sich nach den Kriegen des 17. Jahrhunderts das darniederliegende Bauwesen wieder. Den Arbeiten am Schloss und Taschenberg mit Opern- und Komödienhaus folgten mit dem Regierungsantritt Augusts des Starken bald weitere prachtvolle Bauwerke.

Friedrich August I., seit 1694 Kurfürst (und seit 1697 König von Polen) verwandelte Dresden in eine glanzvolle, barocke Residenz. Bähr arbeitete an vielen Bauwerken ganz oder teilweise mit: An bürgerlichen Wohnhäusern, Schlössern (Diesbar-Seußlitz, Hermsdorf), den Kirchen in Schmiedeberg und Dresden-Loschwitz, an denen er den Zentralbau erprobte; er wirkte an Um- und Neubauten mit in Forchheim (bei Marienberg), Kesselsdorf, Hohnstein und Schmannewitz (im Band sind diese Zeugnisse abgebildet).

Gerlach geht ausführlich auf den Wandel des Lebensgefühls und der Kunstauffassung ein und zeigt, wie die höfische Festkultur die Architektur der Residenzlandschaft prägt. Die Veränderungen durch das Repräsentationsverlangen des Fürstenhauses, die Kunstsammelleidenschaft, das Musik- und Theaterleben finden ebenso Berücksichtigung wie die Alltagskultur. Erst nach 1734 unter Augusts Sohn und seines Günstlings, des Grafen Heinrich Brühl, seit 1746 Premierminister, begann der politische und wirtschaftliche Niedergang, der im Siebenjährigen Krieg zu Sachsens Bedeutungslosigkeit führte.

Doch da war die barocke Residenz im Wesentlichen fertig: Taschenbergpalais, Zwinger mit Redoutensaal und neuem Opernhaus, Holländisches Palais, Jagdschloss Moritzburg, Schlossanlage Pillnitz, Übigau, Großsedlitz, Chiaveris katholische Hofkirche (erforderlich durch den Religionswechsel des Fürstenhauses). Offenbar erwarb sich Bähr seit seiner Bestellung zum Ratszimmermeister einen guten Ruf und viele Auträge. So baute er sich das 1711 erworbene Haus "An der Mauer 2"/Ecke Seestraße um und versah die schmucklose Fassade mit Rokoko-Ornamenten.

Ein Gegenentwurf

Der Stadtrat beauftragte ihn 1722, Pläne für einen Neubau der unzureichenden, baufällig gewordenen alten Frauenkirche zu entwerfen. Es bleibt ein Rätsel, wie es ihm gelang, Fähigkeiten für den Entwurf eines so imposanten Baus zu erwerben, zumal er wahrscheinlich nie Kuppelanlagen Italiens oder anderer europäischer Länder gesehen hat. Zwar beauftragte der Generalintendant Graf von Wackerbarth 1725 den Oberlandbaumeister Johann Christian Knöffler mit einem Gegenentwurf, doch der Rat der Stadt setzte sich für Bährs kühnen Entwurf ein.

Gerlach beschreibt genau Bauvorbereitungen und Baumaterialien, Probleme und Arbeitsmittel, die Finanzierung sowie Baugeschehen und Arbeitskräfte. Besonders geht es seit 1730 um die Frage, ob die "Verfertigung der Kuppel von Stein anzurathen sey". Auch hier setzte sich Bähr trotz großer Widerstände und persönlicher Bedrängnisse durch. Zu seinem 70. Geburtstag 1736 war der Bau im Äußeren bis auf die krönende Laterne vollendet. Kontroversen um Ausmalung, Altarbau, Orgel- und Kanzeleinbau, Gestühl und anderes erschöpften seine Kräfte. Am 28. Februar 1734 hatte der Superintendent der Kreuzkirche, Valentin Ernst Löscher, erstmals in der Kirche gepredigt. Bähr mag geahnt haben, die Vollendung nicht zu erleben - am 16. März 1738 starb der Meister an "Stickfluss und Verzehrung". Beigesetzt wurde er auf dem Johannisfriedhof vor dem Pirnaischen Tore, 1854 umgebettet in die Katakomben seiner Frauenkirche.

Noch fünf Jahre wurde weitergebaut, dann war der mächtige, protestantische Kuppelbau vollendet. "Als Zeugnis handwerklich-bürgerlicher Baukunst", wie Gerlach am Ende seiner trefflichen Studie schreibt, "die der Stadt wie der Flusslandschaft einen einzigartigen Akzent verleiht", verbunden mit dem Namen Georg Bährs.


Siegfried Gerlach

George Bähr. Der Erbauer der Dresdner Frauenkirche. Ein Zeitbild.

Böhlau Verlag, Köln/Weimar 2005; 236 S., 19,90 Euro


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