Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 42 / 17.10.2005
Peter W. Schröder

Der Kampf von Gut und Böse in Amerikas Heldenzirkus

Virtuos: Die USA inszenieren ihre Stars - nicht nur auf der Leinwand
US-Präsident George W. Bush hat es - in der für ihn so typischen Bescheidenheit - selbst gesagt: "Wir sind ein Volk der Helden." Denn wer so Schlimmes durchgemacht hat wie die Amerikaner - nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 - ist zwangsläufig ein Held. Um einer der "Heroes" zu sein, muss man in US-Amerika eben nicht unbedingt etwas Heldenhaftes vollbringen. Einfach nur da sein, reicht schon. Dieser inflationäre Heldenbegriff in den USA ist landestypisch und so wie dort wird ihm nirgendwo anders auf der Welt gefrönt. Man muss nur das amerikanische Fernsehen anschalten und man bekommt laufend neue Helden präsentiert.

Sensations-Talker Maury Povich hat der Nation in seiner gleichnamigen Nachmittags-TV-Sendung innerhalb von 30 Minuten Sendezeit - minus elf Minuten für Werbung - schon viele Helden vorgestellt, die in anderen Ländern als alles Mögliche durchgehen würden, nur nicht unbedingt als Helden: Da war einmal der 60-jährige Feuerwehrmann, der weiter löschen und partout nicht in Rente gehen will. Dann die Volksschuldirektorin, die trotz gewalttätiger Schüler nicht mit Schusswaffe zur Arbeit geht. Etwas später trat ein Fastfood-Freund auf, der eines Tages fünf Zentner Lebendgewicht auf die Waage brachte und sich innerhalb weniger Monate gewichtsmäßig halbierte. Beim Kontrollwiegen vor der Kamera tobte der Sendesaal vor Begeisterung.

Den Star-Helden einer Veranstaltung gab schließlich ein massiv vorbestrafter ehemals drogenabhängiger Schläger, Räuber und Einbrecher ab, der "seit einem ganzen Jahr clean" ist und künftig als Laienprediger vor seinesgleichen warnen will. "Ein wahrer Held", verkündete Meister Povich, woraus man schließen kann, dass eine moralisch verwerfliche Existenz die vorbedingende Garantie für die Erhebung in den Helden-Stand ist.

Weil die Sendezeit nicht mehr reichte, musste der noch eingeplante nächste Held in der Kulisse bleiben: Ein gerade vom Irak-Einsatz zurückgekommener Unteroffizier, der etwas von den Militärbemühungen beim Wiederaufbau eines zerbombten Kinderkrankenhauses in Bagdad erzählen wollte. "Diese Heldentaten werden viel zu selten gewürdigt", teilte der Heldenpräsentator verbal Fahnen-schwingend mit und widmete seine Sendung noch schnell "allen unseren Männern in Uniform, die wahre Helden sind".

Das alles eignet sich nicht unbedingt zum Naserümpfen in deutschen Landen, wo die Heldenetikettierung in etlichen Fällen reichlich spät zurückgenommen wurde und in einem anderen Fall nicht ganz der Lexikon-Interpretation entspricht. Im ersten Fall waren es die "Helden" in jener Zeit der deutschen Geschichte, die der Welt besser erspart geblieben wären. Im Zuge der deutschen Neuordnung des Helden-Begriffs wurden die entsprechenden Helden-Denkmäler geschleift und nach dem Sprachgebrauch eines deutschen Regierenden Bürgermeisters ist "das auch gut so".

Im zweiten Fall erinnern wir uns kurz an die Fußballtreter, die wir im nationalen Freudenüberschwang 1954 zu den "Helden von Bern" beförderten. Über die Kicker-Helden wurde sogar ein sehenswerter deutscher Film gedreht ("Das Wunder von Bern"), denn nichts eignet sich zur Verfestigung des Heldenbegriffs und des individuellen Heldentums besser als ein an Emotionen zerrendes Lichtspiel. Schwenk zu den Hollywood-Amerikanern, denen man eines lassen muss: So virtuos und auch nachhaltig überzeugend wie sie schafft die Heldenproduktion sonst niemand.

Das fing ja schon früh bei den fürs Kino und später auch fürs Fernsehen produzierten und in aller Welt eifrigst konsumierten Cowboy-Filmen mit der Unterabteilung Wildwest an. Beim endlos variierten Zweikampf zwischen Gut und Böse, zwischen "Hero" und "Villain", sind die Kontrahenten zur besseren Unterscheidung bekanntlich genau etikettiert: Die "Guten" laufen in hellen Hüten herum, die "Bösen" in dunklen. Die gelegentlich auftauchenden "Indianer" haben keine Hüte auf dem Kopf, sondern allenfalls Federn im dunklen Haar. Aber bei denen weiß ja jeder von Anfang an, dass sie skalpierende und auch sonst viele Grausamkeiten begehende "Böse" sind. Ja, es gibt die Regel bestätigende seltene Ausnahmen.

Jeder Cowboy-, Wildwest- und Indianer-Film-Fan weiß, dass die als bemerkenswert vorgeführten Taten von "Heroes" und "Villains" in aller Regel darin bestehen, den jeweiligen Widerpart ratzfatz vom Leben zum Tod befördern. Das ist per Definition nicht nett und erst recht nicht heldenhaft. Aber das moralische Dilemma wird mit dem Kunstgriff der Notwehr gelöst. Der "Gute" muss den "Bösen" nur dazu reizen, mit der Hand nach seiner Waffe zu zucken und ihn dann schneller erschießen, als er es kann. Peng, und schon wieder eine Heldentat. Und da behaupte noch jemand, dass "Präventivkriege" die Erfindung moderner Politiker seien.

Ein Großteil der Film-Bösen ist auch erkennbar "unamerikanisch", was vielleicht zum Umkehrschluss des prinzipiell "guten" Amerikaners führen soll. Das wäre eine längere Betrachtung darüber wert, ob vielleicht auch Amerikas Ureinwohner filmisch ausgegrenzt und ausgebürgert werden sollen. Zum Glück fehlt dazu an dieser Stelle der Platz. Denn sonst müsste auch noch eine Begründung dafür gesucht werden, warum so viele "Villains" im US-Film eine schwarze Hautfarbe haben. Aber nachdenklich macht schon, dass die vielen Film-Bösen mit dem dunklen Teint, den südamerikanischen, asiatischen und auch den arabischen Gesichtszügen nicht dem demografischen US-Durchschnitt entsprechen.

Und wenn Film-Böse schon mal so aussehen, wie "gute" Amerikaner, ist oft an ihrer Sprache zu erkennen, dass sie es nicht sind. Schnarrende Stimmen und "Sauerkraut"-Akzent signalisieren sofort, dass hier ein Schlimmes im Schilde führender oder ebensolches schon auf dem Kerbholz habender Nazi daherkommt. Akzentfrei Englisch sprechende Germanen kommen ganz, ganz selten vor. Und wenn schon, dann fällt den fließend Englisch sprechenden und beim Aushecken von Missetaten klassische Musik hörenden Deutschen reihenweise das Monokel aus dem Gesicht.

Das renommierte American Film Institute hat zu seinem 100-jährigen Bestehen vor zwei Jahren eine Liste mit den 100 "größten" Helden und Bösewichtern im US-Film zusammengestellt. Da erscheint "Terminator" Arnold Schwarzenegger, der amtierende Gouverneur Kaliforniens, prominent auf beiden Listen. Womit ausreichend klar gemacht ist, dass nicht die jeweiligen Darsteller heldenhaft oder böse sind, sondern die jeweilige Figur, die sie porträtieren.

Amerikanische Film-Helden sind im wirklichen Leben prominent - und ausweislich der von Polizeidienststellen bei Festnahmen und Verhaftungen angefertigten erkennungsdienstlichen Aufnahmen taugen sie bedauerlich jedoch oft nicht als heldenhafte Vorbilder. Reihenweise mussten sich Hollywood-Helden vor Gerichten schon für Ladendiebstähle, Einbruch, Vergewaltigungen, Drogenvergehen, sowie Mord und Totschlag verantworten. O. J. Simpson und "Baretta"-Serienstar Robert Blake gehören zu den prominenteren ("im Zweifel für den Angeklagten" freigesprochenen) Helden-Mimen.

Die Film-Instituts-Liste belegt, dass den Hollywood-Produkten zufolge so ziemlich jedes Verhalten und Vorgehen zum Helden-Prädikat führen kann. Beim gegen Rassismus kämpfenden "Atticus Finch" in "To Kill a Mockingbird" (Nummer1), bei "Oscar Schindler" in "Schindlers Liste" (Nummer 13), "Mahatma Gandhi" in "Gandhi" (Nummer 21), bei dem von Humphrey Bogart dargestellten "Rick Blane" in "Casablanca" (Nummer 4), und der Pro-Gewerkschafts-Heroine Norma Ray Webster in "Norma Ray" (Nummer 15) ist die Helden-Sache klar. Da sind Menschen über sich hinausgewachsen, wenn auch nicht alles in ihrem jeweiligen Leben ohne Fehl und Tadel war.

Aber was "James Bond" in "Dr. No" (Nummer 3), "Rocky Balboa" in "Rocky" (Nummer 7), "T.E. Lawrence" in "Laurence of Arabia" (Nummer 10), "Harry Callahan" in "Dirty Harry" (Nummer 17), und "General Maximus Decimus Neridus" in "Gladiator" (Nummer 50) nun zu Helden machte, ist angesichts der vielen Leichen auf ihrem Lebensweg, von den vielen Knochenbrüche und anderen Gesundheitsbeschädigungen ganz abgesehen, nicht so leicht zu erkennen. Es scheint, dass aktive Lebensverkürzung viel schneller zur filmisch verklärten Heldenbestimmung führt als aktives Streben zur Lebensverlängerung. Aber auch anderswo gibt es ja mehr Denkmäler für Kriegshelden als für Kriegsdienstverweigerer.

Filmischer Heldenstatus wird auch Comic-Figuren zugesprochen. Und so sind "Superman" im gleichnamigen Streifen (Nummer 26), "Zorro" in "The Mark of Zorro" (Nummer 45), und "Tarzan" in "Tarzan the Ape Man" (Nummer 34) auf die Allzeit-Heldenliste des Filminstituts gekommen. Schwanzwedeln und nichtaufrechter Gang sind ebenfalls kein Grund zum Versagen des Heldenstatus: "Lassie" in "Lassie Come Home" ist auf der Liste unter Nummer 39 registriert.

Und was sagt uns das alles? Dass Präsident George W. Bush Recht hat. Alle sind Helden im Volk der Amerikaner. Na ja, vielleicht nicht alle. Schließlich hat das Amerikanische Film Institut ja auch eine Liste mit den 50 schlimmsten Bösewichtern aufgestellt. Und ein paar, wie die straffällig gewordenen US-Militärpolizisten im irakischen Abu Ghraib-Gefängnis, sind da noch gar nicht vermerkt. Aber vielleicht kommt das ja noch. Hoffentlich auf die eine und nicht auf die andere Liste.


Peter W. Schroeder ist Korrespondent in Washington und schreibt für verschiedene deutsche Zeitungen.


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