Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 44 / 31.10.2005
Karl-Otto Sattler

Durchstarten im Nachwuchscamp

Betonen eigene politische Akzente: Die Jugendverbände der Parteien
Philipp Mißfelder überlegt eine Weile, bis er sagt: "Klar, Konkurrenz belebt das Geschäft", man treffe zuweilen in Talkshows aufeinander, "aber Auseinandersetzungen finden eigentlich weniger statt". Junge Politiker seien "heutzutage eher pragmatisch und nicht so sehr ideologisch ausgerichtet", meint der Vorsitzende der Jungen Union (JU). Auch Björn Böhning zögert einen Moment mit der Antwort auf die Frage, ob denn die Jungsozialisten die JU und den Nachwuchs anderer Parteien zu bekämpfen pflegen.

Natürlich habe er schon "mit Mißfelder die Klingen gekreuzt", erläutert der Juso-Vorsitzende, aber auf dieser Ebene seien die Konflikte nicht stark ausgeprägt, "wir greifen eher die CDU als die Junge Union an". Vorrangig drehe es sich darum, sagt Nike Wessel, "über die eigene Partei etwas durchzusetzen". Bei Podiumsdiskussionen, so die Sprecherin der Grünen Jugend, "grenzen wir uns von anderen Verbänden sauber ab, wir zoffen uns jedoch nicht persönlich". Johannes Vogel, Vorsitzender der Jungen Liberalen (JuLis) meint: "Einfluss nehmen kann man nur über die Mutterpartei." Und wie sieht es bei Solid aus, der Jugendorganisation der Linkspartei? "In Wahlkämpfen streiten wir uns zuweilen bei Debatten in Jugendzentren, das ist interessant", sinniert Sprecher Marco Heinig, "aber im Grunde findet dieser Kampf gegeneinander nicht statt." Und warum nicht? Heinig: "Das ist eine gute Frage."

Andere Akzente

Man könnte durchaus erwarten, dass es zwischen den fünf Verbänden kräftig zur Sache geht. Schließlich agieren die politischen Lager als Gegner, und da müss-te dies beim Nachwuchs erst recht der Fall sein. Junge Leute stehen ja von Natur aus im Ruf, es mit Sturm und Drang statt mit abgeklärtem Taktieren zu halten.

Am ehesten präsentiert sich die JU, der gemeinsamer Nachwuchsverband von CDU und CSU, als Spiegelbild der Mutterparteien. Bei ökonomischen, steuerlichen und sozialen Themen sei man "sehr wirtschaftsliberal", erklärt Mißfelder, "wir stehen dem Wirtschaftsflügel der Union nahe und haben manchmal harte Konflikte mit den Sozialausschüssen". Der 26-jährige Geschichtsstudent, der neuerdings dem Bundestag angehört, sagt: "Politisch hat Angela Merkel bei uns ein großes Standing." Im Innern verfolge die JU einen "Law-and-order-Kurs". Bei Menschenrechten trete man energischer als die Union auf, "die sich eher diplomatisch zurückhält". Als "betont marktliberal" definiert auch Johannes Vogel die JuLis, da sei man voll auf FDP-Linie, etwa bei der Staatsverschuldung oder der Finanzierung der Sozialsysteme. Aber die FDP geriere sich zu sehr als reine Wirtschaftspartei, da setzten die JuLis andere Akzente mit ihrem Engagement für Bürgerrechte, gegen den Großen Lauschangriff, für Datenschutz, gegen die Ausweitung von DNA-Proben über schwere Delikte hinaus. Der 23-jährige Politikstudent: "Wir sind ein Tick sozialliberaler als die FDP."

Klar dem linken Flügel der SPD ordnet Böhning die Jusos zu: "Wir stehen in kritischer Solidarität zur Partei." Der 27-jährigen Politologe, der zur Zeit an seiner Promotion arbeitet, spricht nicht von theoretischen Entwürfen, für welche die Jusos dereinst eine gewisse Berühmtheit erlangt hatten. Böhning hält es mit der "Philosophie der Praxis", wenn er die Politik seines Verbands skizziert: Ausbildungsplatzabgabe, Nein zum "Rasieren des Sozialstaats unter dem Deckmantel der Generationenfrage", Ausbau des Bafögs, gegen Studiengebühren, das sind markante Beispiele. Auf Distanz geht Böhning zum "Netzwerk", einem Bündnis von SPD-Abgeordneten meist mittleren Alters, die im Bundestag indes noch als jung gelten: "Die sind zu angepasst, die standen bei der Agenda 2010 Gewehr bei Fuß."

Solid, die Abkürzung von sozialistisch-linksdemokratisch, nimmt im Gründungsmanifest Bezug auf ein Zitat von Karl Marx: Es gelte, "alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist". Das lässt viel Raum, und so sagt Marco Heinig: "Wir haben viele linke Strömungen zu bieten, von linkssozialdemokratisch bis anarchistisch." Offenbar ein bunter Haufen. Der 23-jährige Student der Geschichte und Philosophie präzisiert die Linie an Beispielen: Solid lehnt Regierungsbeteiligungen der Linkspartei ab, "weil so außerparlamentarische Aktivitäten neutralisiert werden". Man sei strikt gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr. Und "von der Kita bis zur Uni muss der Zugang für junge Leute frei zugänglich sein".

Als "links von der Partei" beschreibt die 23-jährige Nike Wessel die Grüne Jugend. Vor allem beim Thema Globalisierung "sind wir ein superlinker Verband". Stärker als die Mutterpartei mache man Front gegen Kriegseinsätze der Bundeswehr, auf Koalitionen nehme man weniger Rücksicht. Nach dem 18. September fiel der Nachwuchs mit dem Appell an die Grünen auf, mit der Linkspartei zu verhandeln. Die Studentin der Literaturwissenschaft: "Die Ächtung kann ich nicht nachvollziehen."

In Gesprächen mit den fünf Politikern ist es nicht einfach, das "Jugendspezifische" herauszukristallisieren. Wessel freut sich, dass man im Wahlprogramm der Grünen die Forderung nach mehr Demokratie in der Schule durchgesetzt habe, was konkret auf Heranwachsende gemünzt ist. Die von den Jusos angestrebte Ausbildungsplatzabgabe tangiert ebenfalls speziell junge Leute. Aber bei der von den JuLis propagierten Abschaffung der Wehrpflicht sieht das schon anders aus: Dabei geht es nicht nur darum, jungen Männer Zwangsdienste an der Knarre zu ersparen, dieser Vorstoß berührt vielmehr das Konzept der Bundeswehr als solches.

Marco Heinig hegt Zweifel, "ob es so etwas wie eine eigenständige Jugendpolitik überhaupt gibt": Wenn sich Solid für den Erhalt eines Parks als Treffpunkt von Jugendlichen einsetze und gegen den Bau eines Einkaufszentrums an diesem Platz protestiere, "dann ist die Kommunalpolitik als Ganzes gefordert". JU und JuLis rücken die "Generationengerechtigkeit" in den Vordergrund. Doch das Plädoyer für Schuldenabbau und mehr private Vorsorge für Krankheit und Alter zielt auf die Substanz der Architektur von Staatsfinanzen und Sozialversicherung. Philipp Mißfelder: "Rentenerhöhungen gehen zu Lasten der jungen Generation." Nike Wessel wiederum verortet Generationengerechtigkeit in erster Linie beim an sich altersunabhängigen Prinzip der Nachhaltigkeit, "damit Heranwachsende später noch eine intakte Umwelt haben".

In der öffentlichen Wahrnehmung vermittelt sich nicht der Eindruck, dass die Jugendverbände in ihren Mutterparteien viel Einfluss haben. Gleichwohl verweisen die Vorsitzenden auf Erfolge. Mißfelder rechnet es nicht zuletzt dem Druck der JU an, dass im Unionsprogramm die Verminderung der Staatsverschuldung und die Kapitaldeckung der Pflegeversicherung stark betont werden. Dieser Tage landeten die Jung-Konservativen einen Paukenschlag, als sie ihren Bundeskongress nutzten, um gegen Angela Merkels Willen in der Partei eine Debatte über die Ursachen des schlechten Ergebnisses von CDU und CSU am 18. September durchzusetzen. Und mit dem Appell, Friedrich Merz als strikt wirtschaftsliberalen Politiker an die Spitze der Unions-Bundestagsfraktion zu berufen, forderte man Merkel erst recht heraus.

Das Nein der SPD zu Studiengebühren schreibt Björn Böhning vor allem dem Einsatz der Jusos zugute, "auch die Reichensteuer war ursprünglich unsere Idee". Nach der Bundestagswahl sorgte Böhning für Aufsehen, als er auf Gegenkurs zu Franz Müntefering ging: Nicht dessen Favorit Kajo Wasserhövel, sondern die Linke Andrea Nahles müsse das Amt des SPD-Generalsekretärs übernehmen, verlangten die Jusos mit Nachdruck.

Das FDP-Konzept des Bürgergelds sei anfangs von den JuLis entwickelt worden, hebt Johannes Vogel hervor, auch könne man sich die Renaissance des Themas Bürgerrechte in der Partei an die Fahnen heften. Marco Heinig verbucht die konsequente Absage der Linkspartei an Bundeswehreinsätze im Ausland auf dem Konto von Solid.

Indes: Die Jugendverbände - teils Parteigliederungen, teils organisatorisch eigenständig - sind nicht gerade ein starker Machtfaktor. Das hat auch mit einem simplen Umstand zu tun: Nur zum Teil gehören deren Mitglieder der jeweiligen Partei an: Man will sich auch für junge Leute öffnen, die vor einem Parteibuch zurückschrecken. Dann kann man in Parteigremien allerdings nicht mitdiskutieren und mitstimmen. Was Mißfelder formuliert, trifft auch auf die Konkurrenz zu: "Auf CDU-Parteitagen gibt es zu wenige JU-Vertreter." Zwei Drittel der 130.000 JU-Mitglieder zahlen keine Beiträge bei CDU oder CSU. 12.000 der 60.000 Jusos, ein Drittel der 10.000 Julis, knapp die Hälfte der 6.000 Jung-Grünen und gar drei Viertel der 1.500 Solid-Leute sind nicht bei den Mutterparteien eingeschrieben. Außerdem ist nur eine Minderheit unter dem Nachwuchs wirklich aktiv. Ausnahme ist Solid: "Wir schleppen keine Karteileichen mit", betont deren Sprecher Marco Heinig.

Zudem bindet der Einsatz außerhalb von Parteigremien viele Kräfte, etwa bei Jugendcamps und Seminaren. Aber nicht nur das. Mit peppigen Auftritten tun sich besonders die JuLis hervor. Vogel: "Wir machen das provokant." Vorm Kanzleramt am Bungeeseil baumeln: "Das soll zeigen, dass die Jugend am seidenen Faden hängt". Wie die JuLis schätzt auch die JU das Verteilen von Kondomen: "Das ist schwer beliebt", erzählt Mißfelder. Als Werbematerial verkauft die JU Tassen und T-Shirts mit dem Aufdruck "Black ist beautiful", auf dem Land veranstalten Ortsgruppen auch mal Fußballturniere.

Jusos, Solid und Grüne Jugend mischen in gesellschaftlichen Initiativen kräftig mit. Die Jusos arbeiten häufig mit Antifa-Gruppen und Gewerkschaften zusammen: "Letzteres müssen wir noch forcieren", so Böhning. Um rechten Tendenzen in den neuen Ländern entgegenzutreten, betreiben Jusos dort zuweilen eigene Jugendtreffs. Auch Marco Heinig findet es erschreckend, "wie stark junge Leute im Osten in ländlichen Regionen nach rechtsaußen driften". Gegen solche Entwicklungen macht Solid in Jugendclubs, mit Straßentheater und mit CD-Musik gegen Rechts mobil. Nike Wessel: "Die Grüne Jugend lebt geradezu von Aktionen." Ob gegen Castor, gegen Neonazis, gegen Bushs Kriegspolitik, "in Berlin findet keine größere Demo ohne uns statt".

Die Medien interessieren sich jedoch eher für junge Gesichter in Parteivorständen, in Parlamenten und an Kabinettstischen. So sorgte die Wahl der Fraktionsspitze der Grünen im Bundestag für Wirbel, weil die Jüngeren den Durchmarsch Älterer kritisierten. Freilich begehrten jene auf, die bereits über 30 sind - und die sind der Grünen Jugend schon entwachsen. Jusos waren auch bei der Auswahl der neuen SPD-Minister gar nicht erst im Spiel: Nun soll der 46-jährige Sigmar Gabriel den "Generationswechsel" symbolisieren.

Über ihre Präsenz in Gemeinde- und Stadträten können sich die Jugendverbände nicht beklagen. Höheren Orts sieht es jedoch anders aus. Mißfelder und Böhning rechnen in den Bundestagsfraktionen von Union und SPD lediglich knapp zehn Prozent der Abgeordneten dem JU- oder Juso-Spektrum zu, Vogel zählt unter den 61 Freidemokraten immerhin acht JuLis. Unter den Parlamentariern der Linkspartei und der Öko-Partei sitzt hingegen keiner, der bei Solid oder bei der Grünen Jugend aktiv mitmacht; Anna Lührmann, mit 22 Jahren jüngste Abgeordnete im Bundes-tag, gehörte einmal zeitweise dem Vorstand des grünen Nachwuchses an.

Mit einer Proporzregelung, die den Jungen direkt den Weg in Parlamente ebnet, mag sich niemand anfreunden. Björn Böhning: "Für junge Leute ist es nicht attraktiv, über eine Quote gewählt zu werden."


Karl-Otto Sattler arbeitet als freier Journalist in Berlin.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.