Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 46 / 14.11.2005
Johanna Metz

Aufgekehrt ...

Über den Dreck in Deutschlands Flüssen hat man ja schon einiges gehört: Von Düngemittelrückständen über Nitrate und Fäulniserreger bis hin zu giftigen Schwermetallen wie Blei und Quecksilber wälzt sich mancherorts ein ganzes Periodensystem der Elemente die Ströme hinunter. Selbst Barsche könnten in deutschen Flussbetten gut und gern auf Lebenszeit verhüten angesichts der Konzentration von Anti-Baby-Pillen-Hormonen im algigen Nass.

So weit, so beunruhigend. Doch jetzt haben Nürnberger Forscher eine weitere, bislang wenig beachtete Substanz in den Gewässern des Landes entdeckt, einen ganz besonderen Stoff, der so manchem Naseweiß unter Ihnen reichlich bekannt vorkommen dürfte: Kokain, beziehungsweise dessen Abbauprodukt Benzoylecgonin (BE). Offenbar, so das Nasen-einwandfreie Ergebnis der Flusswasseranlayse, steht bei vielen Bundesbürgern nicht nur schnödes Backpulver im Küchenschränkchen, sondern auch eine gehörige Portion des feinen Edel-Schnees - weit mehr zumindest als Suchtmediziner je ahnten. Allein bei Düsseldorf sollen pro Tag die Abbauprodukte von rund 30 Kilogramm Kokain aus den Klärwerken in den Rhein fließen - was nicht weniger bedeutet, als dass allein an dieser Stelle jährlich eine Summe von 1,64 Milliarden Euro den Bach runtergeht.

Die Suchtmediziner können nun ihre bisherigen Daten über den Kokain-Konsum der Deutschen glattweg ins Klo werfen: Wären die nämlich richtig, müssten sich angesichts der BE-Mengen in deutschen Flüssen die 400.000 bekennenden Kokser des Landes täglich 16 Lines durch den Riecher ziehen - eine eher unwahrscheinliche Annahme. Viel wahrscheinlicher dagegen ist, dass mehr Deutsche das weiße Gold bunkern, als sie in Umfragen zugeben wollen - genauso wie Briten und Italiener übrigens, denen findige Forscher ebenfalls tief ins Flusswasser geschaut haben.

Praktisch heißt das: Man sollte in Zukunft aufpassen und sich nicht allzu oft in aller Öffentlichkeit das Näs- chen reiben - man könnte in Verdacht geraten, einer von "denen" zu sein und sich unnötigerweise den Neid der Mitbürger aufbürden: Den feinen Stoff muss man sich nämlich erst mal leisten können, schließlich kostet ein Gramm der Luxus-Droge mehr als ein ganzes Löffelchen Beluga-Kaviar! Wer so viel Schotter hat, sollte das in diesen gehartzten Zeiten lieber für sich behalten.

Dennoch: Allzu verschnupft sollte man nicht reagieren, wenn man den Kollegen plötzlich schnüffelnd auf der Diensttoilette erwischt - es könnte sein, dass er zumindest dem deutschen Ökosystem nur Gutes tut: Denn war der Rhein noch vor 30 Jahren eine stinkende Kloake, in der nur die härtesten Fische überlebten, finden sich nun, neben bemerkenswert hohen Kokain-Spuren, inzwischen wieder massenhaft Aale, Brassen und Forellen in seinen Läufen. Selbst Lachse springen neuerlich am Fuße der Loreley über die Wogen.

Ein Schelm, wer das für Zufall hält.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.