Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 48 / 28.11.2005
Sten Martenson

Was ist heute typisch deutsch?

Nachdenken über das eigene Volk

Es ist doch immer wieder wunderbar, wenn Autoren ihrem geschätzten Lesepublikum - wenn auch versteckt - anvertrauen, warum sie nicht umhin konnten, dieses oder jenes Buch zu schreiben. Hans-Dieter Gelfert, gelernter Anglistik-Professor und jetzt freier Autor, macht keine Ausnahme. "Kein anderes Volk Europas scheint so unablässig nach der Bestimmung des eigenen Wesens gesucht zu haben, was für sich schon als typisch deutsch gilt". Das kann man bei ihm lesen, nachdem er zuvor schon tiefschürfend danach gesucht hat, was denn nun typisch deutsch ist und wie es dazu gekommen ist.

Zweifellos ist es nicht nur amüsant, sondern durchaus auch lehrreich, Gelfert beim Aufspüren markanter deutscher Eigentümlichkeiten zu begleiten. Man sollte es nicht allzu gläubig tun, denn auch der Autor weiß: "Jede Aussage über die Mentalität eines Volkes steht auf schwankendem Boden; denn für nahezu alles, was als nationaltypisch gilt, lassen sich Gegenbeispiele anführen."

Viele Stereotype

Aber es bleibt viel Nachdenkenswertes hängen, vorausgesetzt natürlich, man ist selbst daran interessiert, was typisch deutsch sein könnte oder in den Augen naher und ferner Nachbarn auch nur so scheint. An Stereotypen mangelt es nicht: Fleiß und Autoritätsgläubigkeit, Militarismus, Nationalismus und Humorlosigkeit wurden und werden den deutschen Stämmen nachgesagt. Im Ausland, etwa in Großbritannien, haben sich viele dieser Klischees gehalten, auch wenn jeder aufmerksame Beobachter weiß, dass die meisten dieser Vorurteile einer unvoreingenommenen Überprüfung nicht mehr standhalten.

Weiter führt den Suchenden dann schon Gelferts Liste deutscher Urworte. Begriffe also, die mit bestimmten Wertvorstellungen verbunden sind, bis hin zu Einzigartigkeiten, die dazu geführt haben, dass deutsche Worte sogar von anderen Sprachen übernommen worden sind, wie etwa die "Gemütlichkeit". Andere deutsche Urworte, deren deutschem Sinn der Autor deutsch-gründlich nachgeht, sind Heimat und Geborgenheit, Feierabend, Ordnung, Sauberkeit, aber auch Tüchtigkeit und Pflicht, Innigkeit und Weltschmerz. Dass der Wald den Deutschen mehr am Herzen liegt als anderen Völkern, weiß man seit der Aufregung über das Waldsterben. Und dass Weihnachten nahezu ausschließlich in Deutschland so weihevoll und besinnlich gefeiert wird, zählt ebenso zu den deutschen Besonderheiten.

Mythen und Helden

Da Gelfert aber auch wissen will, warum die deutschen Urworte gerade hier, zwischen Rhein und Oder, den Küsten von Nord- und Ostsee und den Alpen solch ein Gewicht bekommen haben, geht er den deutschen Mythen (Siegfried, Barbarossa, Faust), den deutschen Helden (Hermann der Cherusker, Martin Luther, Friedrich der Große, Bismarck) oder der Rolle der deutschen Frau in Geschichte und Literatur nach. Und der Autor übersieht auch nicht die geografischen Bedingungen, die lange währende Kleinstaaterei auf deutschem Boden, das religiöse Patt.

Spannend liest sich nicht nur für den unvorbereiteten Leser, was typisch ist an deutscher Kultur, an der Literatur, Architektur oder Malerei. Man muss Gelferts Befund nicht in allen Passagen teilen, aber man kommt ins Sinnieren und hat das eine oder andere Aha-Erlebnis. Das ist doch nicht das Schlechteste, was man nach der Lektüre eines Buches sagen kann.


Hans-Dieter Gelfert

Was ist deutsch ?

Wie die Deutschen wurden, was sie sind.

Verlag C.H.Beck, München 2005; 211 S., 9,90 Euro


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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