Vor "übereilter" Umsetzung der EU-Biopatentrichtlinie gewarnt
Berlin: (hib/BOB) Vor einer "übereilten" Umsetzung der sogenannten EU-Biopatentrichtlinie, mit der ein rechtlicher Schutz biotechnologischer Erfindungen gewährleistet werden soll, hat die Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" des Bundestages gewarnt. Nach Worten der Kommissionsvorsitzenden, der SPD-Abgeordneten Margot von Renesse, sah sich die Parlamentskommission wegen der gegenwärtigen Vorarbeiten, diese Richtlinie in deutsches Recht umzusetzen, veranlasst, einen Zwischenbericht ( 14/5157) abzugeben. Das Votum erfolgte von Renesse zufolge mehrheitlich, jedoch nicht einstimmig. Wegen "erheblichen Meinungsunterschieden" über Fraktionsgrenzen hinweg formulierten mehrere Abgeordnete und wissenschaftliche Sachverständige ein Minderheitenvotum.
Die Mehrheit der Enquetekommission vertritt die Ansicht, die EU-Biopatentrichtlinie sollte nur dann in nationales Recht umgesetzt werden, wenn einige so genannte Eckpunkte Berücksichtigung finden. Dazu gehöre, dass Patente auf biotechnologische Erfindungen sich nur auf die erfinderische Leistung erstrecken könnten. Sie dürften weder DNA-Sequenzen noch Lebewesen oder deren Teile noch andere in der Natur bereits vorhandene Phänomene umfassen. Das Stoffpatent, so die Mehrheit der Kommission, sei kein adäquates Instrument zum Schutz geistigen Eigentums bei lebenden Systemen. Zudem, so das Mehrheitsvotum weiter, müsse die Belohnung der erfinderischen Tätigkeit angemessen sein. Sie sollte daher auf belegbare Anwendungen begrenzt sein.
In diesem Kontext übt die Mehrheit der Kommission Kritik an großen Biotechnologie-Unternehmen, welche das Patentrecht nutzten, um über eine möglichst weitreichende Absteckung ihrer "Claims" Märkte zu erschließen und zu sichern. Es würden Patente erteilt, deren Reichweite unangemessen groß sei, so die Abgeordneten und Sachverständigen. Diese Patentierungen, vor allem von Gen-Sequenzen, ermöglichten es den Patenthaltern, mit so genannten Global- und Netzpatenten zukünftige Entwicklungsfelder der Biotechnologie zu besetzen und damit für andere zu blockieren. Dies könne zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen führen. Verlangt wird zudem,
dass bei Umsetzung der EU-Biopatentrichtlinie Schutzbestimmungen des deutschen Embryonenschutzgesetzes und des Transplantationsgesetzes als Patentierungsschranke verankert werden. Die Mehrheit der Abgeordneten und Sachverständigen verweist zudem auf Kritik auch in anderen EU-Mitgliedstaaten an der Richtlinie und spricht sich deshalb für eine "notwendige breite öffentliche Debatte" aus.
Acht Mitglieder der Kommission, darunter vier Abgeordnete aus den Reihen von SPD, CDU/CSU und F.D.P. ,sowie vier Wissenschaftler, kritisieren in ihrem Minderheitsvotum, die Auffassung der Mehrheit vermittle nicht die Grundlagen für ein ausgewogenes Urteil über die Biopatentrichtlinie. Das Mehrheitsvotum lasse die rechtsethisch zu begrüßenden Verbesserungen gegenüber dem früheren Rechtszustand völlig außer Betracht. Es stelle "in einseitig negativer Weise" und darum "verzerrt" die Auswirkungen dieser Richtlinie dar. Zudem würde der unzutreffende Eindruck erweckt, die Patentierung biotechnologischer Erfindungen liege vorwiegend im Interesse weltweit operierender Pharma-Konzerne. Dabei werde übersehen, dass junge innovative Startup-Unternehmen ohne Patente nicht die geringsten Entwicklungschancen hätten. Vor allem, so die Minderheit, verkenne das Votum der Mehrheit das vitale gesellschaftliche Interesse an der durch das Patentrecht erzwungenen Veröffentlichung biotechnologischer Erfindungen. Diese könnten auf diese Weise rasch zum "Stand der Technik" werden und weitere Forschung anregen, aber auch gesellschaftlich kontrolliert und kritisiert werden. Dies hätten einige ethisch fragwürdige Patenterteilungen, welche in letzter Zeit bekannt geworden seien, sehr deutlich gemacht.