Übergangsfristen bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit weiter in der Diskussion
Berlin: (hib/BOB) Die Gewinne der Arbeitnehmerfreizügigkeit im Zuge der anstehenden Erweiterung der Europäischen Union werden nach Ansicht eines Vertreters der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) höher eingeschätzt als daraus resultierende Verluste. Christoph Kannengießer vom BDA führt dazu in seiner schriftlichen Stellungnahme zu einer öffentlichen Anhörung des Europaausschusses am Mittwochnachmittag weiter aus, "verteilungspolitische Effekte" mit negativen Folgen besonders für die Gastgewerbe- und die Baubranche würden nach Schätzungen als weniger stark angenommen als der Wohlfahrtsgewinn, der durch eine möglichst schnelle Einführung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern erzielt werden könne. Demgegenüber unterstreicht der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie in seiner Erklärung zu dem Hearing die Forderung, die Arbeitnehmerfreizügigkeit müsse nach dem Beitritt eines Bewerberstaats für zehn Jahre ausgesetzt werden. In diesem Zeitraum müsse es eine zeitlich gestaffelte Kontingentierung bezüglich der Zahl der Arbeitnehmer geben, die in einem westeuropäischen Land arbeiten dürfen. Die regionale Arbeitsmarktsituation der jeweiligen Branche sei dabei zu berücksichtigen.
Für "qualifizierte Übergangsregelungen" mit Blick auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Dienstleistungsfreiheit spricht sich auch der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz, Toni Hinterdobler, aus. Der Sachverständige erläutert, gerade kleine und mittlere Unternehmen in den Grenzregionen wären andernfalls starken Wettbewerbsverzerrungen ausgesetzt, wenn mit dem Beitritt sofort völlige Freizügigkeit auf den Märkten gewährt würde. Damit verbundene Verdrängungseffekte würden vor allem die arbeitsintensiven Branchen und damit auch die Arbeitskräfte in den unmittelbar an die Beitrittsländer angrenzenden Regionen treffen. Petra Hintze von der Industrie- und Handelskammer zu Neubrandenburg plädiert in ihrer Erklärung ebenfalls dafür, die schrittweise Integration von Staaten Mittel- und Osteuropas in die EU müsse - insbesondere mit Blick auf die Freizügigkeits- und Dienstleistungsfreiheit - mit "ökonomisch vertretbaren Übergangsfristen" erfolgen. Ohne solche Fristen in verschiedenen Teilbereichen der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik sei eine Erweiterung für beide Seiten mit zu großen Risiken verbunden, so Hintze.
Nach Überzeugung von Herbert Brücker vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung ist bei der EU-Erweiterung aus ökonomischer Perspektive zu erwarten, dass die Einwanderungsregionen durch die Migration von Arbeitskräften per saldo gewinnen, die Auswanderungsregionen hingegen verlieren werden. Norbert Cyrus von der Universität Oldenburg macht in seiner Stellungnahme deutlich, durch eine schnelle Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit werde es nicht zu einer Massenzuwanderung von Arbeitnehmern und einer Verdrängung inländischer Arbeitnehmer kommen. Die Risiken der schnellen Einführung seien daher als "gering" einzuschätzen. Hingegen werde dadurch die Chance eröffnet, dass zur Zeit schattenwirtschaftlich ausgeübte Tätigkeiten in die formelle Wirtschaft zurückkehren könnten.