Pressemitteilung
Datum: 24.10.2002
Pressemeldung des Deutschen Bundestages -
24.10.2002
Bundestagspräsident Thierse würdigt die Arbeit von Clauss Dietel und Lutz Rudolph
Es gilt das gesprochene Wort
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat die Arbeit der beiden Formgestalter Clauss Dietel und Lutz Rudolph gewürdigt. Sie gehören, so der Bundestagspräsident heute bei der Eröffnung einer Ausstellung in der Sammlung Industrielle Gestaltung (Berlin, Prenzlauer Berg) zu den "vielfältigsten, kreativsten und interessantesten deutschen Formgestaltern der letzten viereinhalb Jahrzehnte". Thierse zeigte sich "froh, dass ihr umfangreiches Werk endlich einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird". Die Ausstellung verspreche einen "Zugewinn an ästhetischer Erfahrung und an kulturhistorischem Wissen und informiere zugleich über wichtige Facetten des sinnlich-fassbaren, gegenständlichen Erbes der DDR."
Bei der Ausstellungseröffnung führt der Bundestagspräsident u.a. weiter aus:
"Wer bis Ende der 80er Jahre im Osten des geteilten Deutschlands lebte, der kam an Dietel und Rudolph nicht wirklich vorbei. Es ist wohl kein Wagnis zu behaupten: einen guten Teil ihrer Schöpfungen, ihrer realisierten Entwürfe kannte jeder Ostdeutsche: den Wartburg 353, die Heli-Radios der Firma Hempel in Limbach, die als Lautsprecher dienenden Kugelboxen (zwei Jahre vor Grundig), Schreibmaschinen von Erika und Robotron, Zweiräder, wie das legendäre Mokick S 50 oder die Enduro S 51 von Simson. Alles Dinge, die begehrt waren, die man in der Regel aber nur schwer bekommen konnte. Über die DDR-üblichen Wartezeiten für PKW werden ja noch heute gern Witze erzählt.
Die Palette der von den beiden Weißenseer Absolventen mal gemeinsam, mal individuell, mal in Zusammenarbeit mit anderen Gestaltern entworfenen Produkte ist natürlich sehr viel umfangreicher als der flüchtige Blick auf die privaten Gebrauchsgüter vermuten läßt: Es gibt auch Studien, Entwürfe, Arbeitsmodelle für Strickmaschinen, Rechenanlagen, LKW-Aufbauten und Waggons bis hin zu Produktionshallen und Einfamilienhäusern. Vieles davon wurde umgesetzt, manches blieb aus vielerlei Gründen auf der Strecke. Die Bandbreite dieser Palette ist respektabel, der am Funktionalismus geschulte Ideenreichtum ihrer Gestalter bewundernswert.
Wer sich erstmals mit Dietels und Rudolphs Werk beschäftigt, wird überrascht sein über ihre zahlreichen Entwürfe und Funktions-muster für Kraftfahrzeuge, vor allem für PKW. Diese erinnern selten an das, was auf den Straßen der DDR zu sehen war. Einige der in den Autoentwürfen entwickelten Ideen wirken heute wie Vorwegnahmen späterer Entwicklungen. Tatsache ist: Der Renault Twingo entspricht in seinen Maßen und in der plastischen Formgebung einem Dietel-Rudolph-Entwurf von 1971/72. Und der VW Polo ähnelt dem Modell des Nachfolgers für den Trabant von 1972/73 wie ein Ei dem anderen. Dass ihre Ideen mit zwei Jahrzehnten Abstand von anderen Herstellern gerne aufgegriffen werden, mag die Entwickler nur bedingt trösten. Aber es ist doch wenigstens Bestätigung dafür, dass sie gedanklich und gestalterisch auf dem richtigen Weg waren.
Eine wichtige Erfahrung des letzten Jahrzehnts besagt ja, dass Geschichtsschreibung mehr sein muss als der Blick auf das Erreichte, auf das Hervorgebrachte. Auch Designgeschichte ist nicht allein von ihrem Ende, von ihren Gestaltungen her zu begreifen. Im Gegenteil: auch hier bedarf es eines kritischen Blicks hinter die Kulissen, hinter die Entwürfe, Stilistiken, Texte und Produkte - mögen diese noch so schillernd, noch so verführerisch sein. Ohne Kenntnisnahme der Reibungen, Konflikte, Abhängigkeiten und Widersprüche hinter den Kulissen bleibt vieles unbegriffen.
Offene Fragen liegen ja reichlich auf der Hand: Wie funktionierte Produktgestaltung unter den Bedingungen der DDR? Welche Spielräume hatten freiberufliche Gestalter? Wie arbeiteten sie angesichts der nachhinkenden Modernisierung, materieller Engpässe und staatlicher Einflußnahme? Auf welchen Traditionen und Ideen fußten ihre Gestaltungskonzepte? Wo standen sie im internationalen Vergleich? Wer definierte die Bewertungsmaßstäbe für industriell gestaltete Produkte? Wer kritisierte die Kritiker? Und worin bestanden, worin bestehen die Visionen der Gestalter?
Clauss Dietel und Lutz Rudolph stellten sich von Anbeginn in die Traditionslinie des Bauhauses. Sie folgten der Idee von einem industriellen Produzieren, das den praktischen und kulturellen Bedürfnissen möglichst vieler Menschen verpflichtet ist. Damit widersprachen sie der Auffassung, dass sich Produktgestaltung (allein) aus den Prämissen der Technik oder der Wirtschaft, des Profits ableiten lassen dürfe.
Andersrum wird ein Schuh daraus: Für Dietel und Rudolph war und ist Gestaltung Kultur. Gestaltung soll sich am Menschen orientieren, an seinen sozialen Beziehungen, seinen Werten und Bedürfnissen, an seiner Verantwortung für den Schutz der natürlichen Umwelt. Der Gestalter sollte modischen Eskapaden widerstehen und für die Langlebigkeit seiner Produkte Sorge tragen. Ich zitiere Clauss Dietel: "Nicht für den Tag und baldiges Wegwerfen, sondern für langes Nutzen sind die Sachen zu gestalten. Gebrauchspatina als ästhetischer Reiz des Nutzens und Brauchens muss dafür an den Produkten möglich sein. Nicht vor, sondern nach dem Nutzensende soll der moralische Verschleiß liegen."
Fünf Eigenschaften sind es, die ein gut gestaltetes, vernünftiges Produkt auszeichnen: Es soll nicht nur langlebig sein, sondern auch leicht, lütt (klein), lebensfreundlich und leise. Diese Eigenschaften zielen auf sparsamen Materialeinsatz, auf das Weglassen modischer Mätzchen, auf eine ökologisch verantwortliche Perspektive. Dietel verankerte sie in seinem "offenen Prinzip der Gestaltung", das er erstmals Ende der 60er Jahre formuliert.
Dieses Prinzip greift zunächst einmal die Baukasten-Idee auf und zielt auf größere Offenheit gegenüber technischen und technologischen Erneuerungen, auf Austauschbarkeit einzelner Baugruppen oder Bauteile, auf Mitgestaltung durch die Nutzer. Zugleich greift die Forderung nach Offenheit über das konkrete Produkt hinaus und zielt auf Erweiterung jener Spielräume, die das geschlossene System der Produktion und Reproduktion bietet. Spätestens hier zeigt sich: Das offene "Prinzip der Gestaltung" hat nicht nur eine ökonomische, sondern ganz wesentlich auch eine gesellschaftliche, eine kulturelle Dimension.
Kritik für diese Position ernteten Dietel und Rudolph nicht nur zu DDR-Zeiten frei Haus, etwa seitens des Amtes für Formgestaltung, dem sie in tiefsitzender Abneigung verbunden waren. Nach 1990 standen sie dann plötzlich unter "Nostalgie-Verdacht", weil ihre Gestaltungswerte und -prinzipien (Anti-Styling, Gebrauchspatina, offenes Prinzip, ökologisches Denken) angeblich nichts anderes als "moralisch aufgeladene Begriffe sind". Das "offene Prinzip" galt dieser Kritik nicht mehr als ein "technokratisches Modell". Und es wurde die Vermutung geäußert, dass das Loblied auf die "veredelnden Spuren des Nutzens und Brauchens" (die "Patina des Gebrauchs") nichts anderes bezwecken sollte, als "die Misere des DDR-Design, der ganzen minderen Produktion, akzeptabel zu machen". (Elke Trappschuh, Design Report 11/92.)
Ich vermute, kulturelle und soziale Prägungen sitzen mitunter tiefer, als man wahrhaben möchte. Sie erschweren das Gespräch, bewirken Verletzungen, münden irgendwann in Respektlosigkeit. Gleichwohl brauchen wir die Debatten über deutsch-deutsche Erfahrungen, über den Umgang miteinander, über verpasste Hoffnungen und ungenutzte Chancen. Es geht mir hier nicht um Harmonie, denn kultureller Streit ist etwas Produktives. Er zwingt ja dazu, die eigene Biographie zu befragen, sich selbst Rechenschaft abzulegen, sich auf Nachfragen und Argumente anderer einzulassen. Selbstgerechtigkeit ist dabei allerdings ein schlechter Ratgeber.
Kulturelle Erfahrung, kulturelles Wissen vermitteln sich nicht von selbst. Dafür benötigen wir öffentliche Räume, Institutionen, Fachleute. Dieses Museum, diese Sammlung industrielle Gestaltung ist ein solcher Ort, ist ein schützenswertes Biotop der kulturellen Verständigung zwischen Ost und West. Die Debatte um die Formgestaltung in der DDR zeigt, wie wichtig ein solches Museum ist. Es hat nicht nur eine dokumentarische, sondern eben auch eine kritisch-aufklärerische Funktion. Am Beispiel des formgestalterischen Werkes von Clauss Dietel und Lutz Rudolph lassen sich Rückschlüsse ziehen auf die Entwicklung der Produkt- und Gebrauchskultur in Ostdeutschland. Die erkennbaren Widersprüche zwischen Planwirtschaft, Technologie und Kreativität verweisen auf komplexere gesellschaftliche Zusammenhänge - auf den Alltag der Menschen, auf ihre Verhältnisse untereinander. Es lohnt sich danach zu fragen, wie sich in den Biographien der beiden Formgestalter deutsche Geschichte exemplarisch spiegelt.
Und weil das so ist, wiederhole ich meinen Wunsch, den ich vor genau einem Jahr anlässlich der Eröffnung dieses Museum geäußert habe: Ich wünsche mir, das vor allem junge Menschen in dieses Museum kommen und sich hier auf Spurensuche begeben durch den kulturellen Alltag ihrer Eltern und Großeltern. Diese können ihren Nachkommen in dieser Ausstellung zahlreiche Geschichten erzählen: Im Angesicht der Objekte von Dietel und Rudolph wird Geschichte lebendig und konkret.
Und ich bleibe bei dem Wunsch, dass es dem Museum eines Tages gelingen möge, eine gültige Dauerausstellung zu etablieren - als kulturelles Gedächtnis der DDR: immun gegen jede alte und neue Mythenbildung. Die aktuelle Ausstellung zeigt einmal mehr, wie sinnvoll das wäre."
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat die Arbeit der beiden Formgestalter Clauss Dietel und Lutz Rudolph gewürdigt. Sie gehören, so der Bundestagspräsident heute bei der Eröffnung einer Ausstellung in der Sammlung Industrielle Gestaltung (Berlin, Prenzlauer Berg) zu den "vielfältigsten, kreativsten und interessantesten deutschen Formgestaltern der letzten viereinhalb Jahrzehnte". Thierse zeigte sich "froh, dass ihr umfangreiches Werk endlich einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird". Die Ausstellung verspreche einen "Zugewinn an ästhetischer Erfahrung und an kulturhistorischem Wissen und informiere zugleich über wichtige Facetten des sinnlich-fassbaren, gegenständlichen Erbes der DDR."
Bei der Ausstellungseröffnung führt der Bundestagspräsident u.a. weiter aus:
"Wer bis Ende der 80er Jahre im Osten des geteilten Deutschlands lebte, der kam an Dietel und Rudolph nicht wirklich vorbei. Es ist wohl kein Wagnis zu behaupten: einen guten Teil ihrer Schöpfungen, ihrer realisierten Entwürfe kannte jeder Ostdeutsche: den Wartburg 353, die Heli-Radios der Firma Hempel in Limbach, die als Lautsprecher dienenden Kugelboxen (zwei Jahre vor Grundig), Schreibmaschinen von Erika und Robotron, Zweiräder, wie das legendäre Mokick S 50 oder die Enduro S 51 von Simson. Alles Dinge, die begehrt waren, die man in der Regel aber nur schwer bekommen konnte. Über die DDR-üblichen Wartezeiten für PKW werden ja noch heute gern Witze erzählt.
Die Palette der von den beiden Weißenseer Absolventen mal gemeinsam, mal individuell, mal in Zusammenarbeit mit anderen Gestaltern entworfenen Produkte ist natürlich sehr viel umfangreicher als der flüchtige Blick auf die privaten Gebrauchsgüter vermuten läßt: Es gibt auch Studien, Entwürfe, Arbeitsmodelle für Strickmaschinen, Rechenanlagen, LKW-Aufbauten und Waggons bis hin zu Produktionshallen und Einfamilienhäusern. Vieles davon wurde umgesetzt, manches blieb aus vielerlei Gründen auf der Strecke. Die Bandbreite dieser Palette ist respektabel, der am Funktionalismus geschulte Ideenreichtum ihrer Gestalter bewundernswert.
Wer sich erstmals mit Dietels und Rudolphs Werk beschäftigt, wird überrascht sein über ihre zahlreichen Entwürfe und Funktions-muster für Kraftfahrzeuge, vor allem für PKW. Diese erinnern selten an das, was auf den Straßen der DDR zu sehen war. Einige der in den Autoentwürfen entwickelten Ideen wirken heute wie Vorwegnahmen späterer Entwicklungen. Tatsache ist: Der Renault Twingo entspricht in seinen Maßen und in der plastischen Formgebung einem Dietel-Rudolph-Entwurf von 1971/72. Und der VW Polo ähnelt dem Modell des Nachfolgers für den Trabant von 1972/73 wie ein Ei dem anderen. Dass ihre Ideen mit zwei Jahrzehnten Abstand von anderen Herstellern gerne aufgegriffen werden, mag die Entwickler nur bedingt trösten. Aber es ist doch wenigstens Bestätigung dafür, dass sie gedanklich und gestalterisch auf dem richtigen Weg waren.
Eine wichtige Erfahrung des letzten Jahrzehnts besagt ja, dass Geschichtsschreibung mehr sein muss als der Blick auf das Erreichte, auf das Hervorgebrachte. Auch Designgeschichte ist nicht allein von ihrem Ende, von ihren Gestaltungen her zu begreifen. Im Gegenteil: auch hier bedarf es eines kritischen Blicks hinter die Kulissen, hinter die Entwürfe, Stilistiken, Texte und Produkte - mögen diese noch so schillernd, noch so verführerisch sein. Ohne Kenntnisnahme der Reibungen, Konflikte, Abhängigkeiten und Widersprüche hinter den Kulissen bleibt vieles unbegriffen.
Offene Fragen liegen ja reichlich auf der Hand: Wie funktionierte Produktgestaltung unter den Bedingungen der DDR? Welche Spielräume hatten freiberufliche Gestalter? Wie arbeiteten sie angesichts der nachhinkenden Modernisierung, materieller Engpässe und staatlicher Einflußnahme? Auf welchen Traditionen und Ideen fußten ihre Gestaltungskonzepte? Wo standen sie im internationalen Vergleich? Wer definierte die Bewertungsmaßstäbe für industriell gestaltete Produkte? Wer kritisierte die Kritiker? Und worin bestanden, worin bestehen die Visionen der Gestalter?
Clauss Dietel und Lutz Rudolph stellten sich von Anbeginn in die Traditionslinie des Bauhauses. Sie folgten der Idee von einem industriellen Produzieren, das den praktischen und kulturellen Bedürfnissen möglichst vieler Menschen verpflichtet ist. Damit widersprachen sie der Auffassung, dass sich Produktgestaltung (allein) aus den Prämissen der Technik oder der Wirtschaft, des Profits ableiten lassen dürfe.
Andersrum wird ein Schuh daraus: Für Dietel und Rudolph war und ist Gestaltung Kultur. Gestaltung soll sich am Menschen orientieren, an seinen sozialen Beziehungen, seinen Werten und Bedürfnissen, an seiner Verantwortung für den Schutz der natürlichen Umwelt. Der Gestalter sollte modischen Eskapaden widerstehen und für die Langlebigkeit seiner Produkte Sorge tragen. Ich zitiere Clauss Dietel: "Nicht für den Tag und baldiges Wegwerfen, sondern für langes Nutzen sind die Sachen zu gestalten. Gebrauchspatina als ästhetischer Reiz des Nutzens und Brauchens muss dafür an den Produkten möglich sein. Nicht vor, sondern nach dem Nutzensende soll der moralische Verschleiß liegen."
Fünf Eigenschaften sind es, die ein gut gestaltetes, vernünftiges Produkt auszeichnen: Es soll nicht nur langlebig sein, sondern auch leicht, lütt (klein), lebensfreundlich und leise. Diese Eigenschaften zielen auf sparsamen Materialeinsatz, auf das Weglassen modischer Mätzchen, auf eine ökologisch verantwortliche Perspektive. Dietel verankerte sie in seinem "offenen Prinzip der Gestaltung", das er erstmals Ende der 60er Jahre formuliert.
Dieses Prinzip greift zunächst einmal die Baukasten-Idee auf und zielt auf größere Offenheit gegenüber technischen und technologischen Erneuerungen, auf Austauschbarkeit einzelner Baugruppen oder Bauteile, auf Mitgestaltung durch die Nutzer. Zugleich greift die Forderung nach Offenheit über das konkrete Produkt hinaus und zielt auf Erweiterung jener Spielräume, die das geschlossene System der Produktion und Reproduktion bietet. Spätestens hier zeigt sich: Das offene "Prinzip der Gestaltung" hat nicht nur eine ökonomische, sondern ganz wesentlich auch eine gesellschaftliche, eine kulturelle Dimension.
Kritik für diese Position ernteten Dietel und Rudolph nicht nur zu DDR-Zeiten frei Haus, etwa seitens des Amtes für Formgestaltung, dem sie in tiefsitzender Abneigung verbunden waren. Nach 1990 standen sie dann plötzlich unter "Nostalgie-Verdacht", weil ihre Gestaltungswerte und -prinzipien (Anti-Styling, Gebrauchspatina, offenes Prinzip, ökologisches Denken) angeblich nichts anderes als "moralisch aufgeladene Begriffe sind". Das "offene Prinzip" galt dieser Kritik nicht mehr als ein "technokratisches Modell". Und es wurde die Vermutung geäußert, dass das Loblied auf die "veredelnden Spuren des Nutzens und Brauchens" (die "Patina des Gebrauchs") nichts anderes bezwecken sollte, als "die Misere des DDR-Design, der ganzen minderen Produktion, akzeptabel zu machen". (Elke Trappschuh, Design Report 11/92.)
Ich vermute, kulturelle und soziale Prägungen sitzen mitunter tiefer, als man wahrhaben möchte. Sie erschweren das Gespräch, bewirken Verletzungen, münden irgendwann in Respektlosigkeit. Gleichwohl brauchen wir die Debatten über deutsch-deutsche Erfahrungen, über den Umgang miteinander, über verpasste Hoffnungen und ungenutzte Chancen. Es geht mir hier nicht um Harmonie, denn kultureller Streit ist etwas Produktives. Er zwingt ja dazu, die eigene Biographie zu befragen, sich selbst Rechenschaft abzulegen, sich auf Nachfragen und Argumente anderer einzulassen. Selbstgerechtigkeit ist dabei allerdings ein schlechter Ratgeber.
Kulturelle Erfahrung, kulturelles Wissen vermitteln sich nicht von selbst. Dafür benötigen wir öffentliche Räume, Institutionen, Fachleute. Dieses Museum, diese Sammlung industrielle Gestaltung ist ein solcher Ort, ist ein schützenswertes Biotop der kulturellen Verständigung zwischen Ost und West. Die Debatte um die Formgestaltung in der DDR zeigt, wie wichtig ein solches Museum ist. Es hat nicht nur eine dokumentarische, sondern eben auch eine kritisch-aufklärerische Funktion. Am Beispiel des formgestalterischen Werkes von Clauss Dietel und Lutz Rudolph lassen sich Rückschlüsse ziehen auf die Entwicklung der Produkt- und Gebrauchskultur in Ostdeutschland. Die erkennbaren Widersprüche zwischen Planwirtschaft, Technologie und Kreativität verweisen auf komplexere gesellschaftliche Zusammenhänge - auf den Alltag der Menschen, auf ihre Verhältnisse untereinander. Es lohnt sich danach zu fragen, wie sich in den Biographien der beiden Formgestalter deutsche Geschichte exemplarisch spiegelt.
Und weil das so ist, wiederhole ich meinen Wunsch, den ich vor genau einem Jahr anlässlich der Eröffnung dieses Museum geäußert habe: Ich wünsche mir, das vor allem junge Menschen in dieses Museum kommen und sich hier auf Spurensuche begeben durch den kulturellen Alltag ihrer Eltern und Großeltern. Diese können ihren Nachkommen in dieser Ausstellung zahlreiche Geschichten erzählen: Im Angesicht der Objekte von Dietel und Rudolph wird Geschichte lebendig und konkret.
Und ich bleibe bei dem Wunsch, dass es dem Museum eines Tages gelingen möge, eine gültige Dauerausstellung zu etablieren - als kulturelles Gedächtnis der DDR: immun gegen jede alte und neue Mythenbildung. Die aktuelle Ausstellung zeigt einmal mehr, wie sinnvoll das wäre."
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Quelle:
http://www.bundestag.de/aktuell/presse/2002/pz_0210241