Lobbyisten und der Bundestag
Beratung oder Beeinflussung?
Lobbyisten genießen nicht den besten Ruf. Sie versuchen mit unlauteren Mitteln und im Verborgenen Politiker und Beamte zu beeinflussen, heißt es. Doch Interessenvertretung gehört zur Demokratie. Ohne die Informationen aus Verbänden und Unternehmen könnten Abgeordnete ihre Arbeit als Gesetzgeber nicht leisten. Die Zusammenarbeit zwischen Lobbyisten und Abgeordneten erfordert allerdings viel Fingerspitzengefühl – auf beiden Seiten.
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Klaus Kirschner hatte kurz vor der parlamentarischen Sommerpause ein besonderes Erlebnis. Der Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung fand in einer E-Mail Bilder von angefaulten und teils abgestorbenen menschlichen Gliedmaßen. Im Begleittext hieß es: „Wollen Sie, dass unser durchblutungsförderndes Mittel künftig den Versicherten nicht mehr zur Verfügung steht?“ Absender war ein Pharmaunternehmen.
Die Botschaft war klar: Der SPD-Abgeordnete müsse mehr Amputationen verantworten, falls der Bundestag die damals noch diskutierte Positivliste für Arzneimittel beschließe. Der Wirkstoff des Pharmaunternehmens war nicht auf dem Entwurf der Positivliste aufgeführt. Die Krankenkassen hätten folglich das Medikament nicht mehr bezahlt, wäre es zur Einführung der Liste gekommen.
Auch dem lang gedienten Gesundheitspolitiker Kirschner drehte sich beim Anblick der Bilder der Magen um. „Wäre ich frisch im Bundestag gewesen, hätte ich mich sofort um die Sache gekümmert.“ Nach 27 Jahren als Abgeordneter wählte er einen anderen Weg. Kirschner ließ seinen Mitarbeiter bei dem Unternehmen klinische Studien anfordern, die die Wirksamkeit des Medikaments belegen. Nur auf dieser Grundlage wollte er tätig werden.
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Atomprotest vor dem Reichstagsgebäude. | ||||||||||
Geradezu überschwemmt wird Kirschner täglich mit Informationsmaterial von Pharmaunternehmen, Ärzte- oder Apothekerverbänden und Patientenorganisationen. Im Gesundheitsbereich hängt der wirtschaftliche Erfolg von Unternehmen wie Ärzten besonders von den Entscheidungen in der Politik ab. Umso intensiver versuchen die Interessengruppen, ihren Vorteil durchzusetzen oder Einbußen zu verhindern. Meist sind die Methoden nicht so drastisch wie die des Pharmaunternehmens, das den Absatz seines Durchblutungsförderers sichern wollte. „Wenn Unternehmen Einschnitte befürchten, wird häufig der Wahlkreisabgeordnete mobilisiert“, sagte Kirschner. Dieses oder jenes Gesetz werde Arbeitsplätze kosten, heißt es dann. Doch trotz manch schlechter Erfahrung hält Kirschner es für legitim, dass Unternehmen oder andere Gruppen versuchen, ihre Interessen durchzusetzen. Die Abgeordneten dürfen die Informationen der Lobbyisten nur nicht ungeprüft übernehmen.
Stichwort „Lobbyliste“
Von A wie Arbeitsgemeinschaft Amateurfunkfernsehen bis Z wie
Zentralverband der deutschen Schweineproduktion reicht die so
genannte Lobbyliste des Bundestages. Seit 1972 führt die
Bundestagsverwaltung dieses Verbandsregister. Die Zahl der
Mitgliedsverbände wächst stetig. Waren auf der ersten
Liste 635 Verbände verzeichnet, sind es mittlerweile knapp
1.800. Aufgenommen werden Verbände, die ein allgemeines
Vertretungsinteresse glaubhaft machen können. Die Liste wird
im Bundesanzeiger veröffentlicht und dient den Abgeordneten
und anderen Interessierten als Informationsquelle. Unternehmen und
Vereine werden nicht aufgenommen. Rechtsgrundlage für die
Liste ist die Anlage 2 zur Geschäftsordnung des Bundestages.
Ein Recht auf Anhörung erwächst aus der Registrierung
allerdings nicht. Bei Ausschussanhörungen etwa entscheidet
allein der Ausschuss, welche Verbände angehört werden
sollen.
www.bundestag.de (Verwaltung/Archiv)
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Die
Gesundheitsministerin mit dem Präsi- denten der Apothekerverbände. |
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Konkurrenz der Lobbyisten
Auch für Eduard Oswald ist die Arbeit mit Interessenvertretern wichtig. „Dies hilft mir einen Überblick darüber zu verschaffen, welche Auswirkungen ein Gesetz haben kann“, sagt der Vorsitzende des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Der CSU-Politiker setzt darauf, dass die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Interessengruppen eine einseitige Beeinflussung der Abgeordneten verhindert. Im Übrigen sorgen gerade im Verkehrsbereich die gut organisierten Vertretungen von Straße, Schiene und Binnenschifffahrt für diesen Ausgleich. „Verbandsvertreter stellen ihre Sichtweise im politischen Entscheidungsprozess dar und das hilft bei der Entscheidungsfindung“, sagt Oswald.
Entscheidungen brauchen im Parlament viel länger als in der Wirtschaft.
Anhörung zu Gesetzesvorhaben
Eine solche Darstellung wird von Oswald auch geradezu gefördert: Wie in den anderen Bundestagsausschüssen haben auch die Abgeordneten im Bau- und Verkehrsausschuss die Möglichkeit, sich über parlamentarische Anhörungen einen Überblick über die verschiedenen Positionen in einem Themenbereich zu verschaffen. Und davon wird rege Gebrauch gemacht. Zu fast allen größeren Gesetzesvorhaben wird eine solche Anhörung angesetzt. Wer dort Gehör findet, entscheidet der Vorsitzende auf Grundlage von Vorschlägen aus allen Fraktionen. Neben den Vertretern von Interessenverbänden kommen auf diesen Anhörungen auch unabhängige Sachverständige zu Wort.
Sachliche Informationen will auch Karlheinz Maldaner den Abgeordneten liefern. Maldaner war langjähriger Beauftragter für Politik der Deutschen Telekom in Berlin – also ein Lobbyist, auch wenn er den Begriff nicht mag. „Das klingt so, als würde ich vor dem Plenarsaal hinter einer Säule stehen und Abgeordneten auflauern.“ Sein Selbstverständnis im Umgang mit den Parlamentariern ist ein anderes: Er sieht sich eher als Mittler zwischen zwei Welten. „Einem Unternehmer sind die Abläufe in der Politik doch fremd. Im Parlament müssen mühsam Mehrheiten organisiert werden. Entscheidungen brauchen deshalb viel länger als in der Wirtschaft.“ Maldaner sieht seine Aufgabe darin, Informationen zwischen Politikern und seinem Unternehmen auszutauschen. Dafür muss er vor allem Vertrauen aufbauen. „Jede Regierung, jeder Abgeordnete erwartet von mir, dass ich mich melde, wenn die Telekom negative Auswirkungen eines Gesetzes fürchtet.“
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Wie viele Lobbyisten kennt Maldaner beide Seiten. Vor seiner Tätigkeit für die Telekom hat er das Büro des damaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Hans-Ulrich Klose geleitet. Die Kontakte aus dieser Zeit, in alle Fraktionen hinein, nutzt er heute. Das öffnet manche Türen, ist aber keine Erfolgsgarantie. Ob er tatsächlich von den Abgeordneten ernst genommen wird, hängt allein von den Informationen ab, die er liefert und ob diese brauchbar und verlässlich sind. Häufig beschränkt sich die Arbeit von Maldaner darauf, den Abgeordneten Fachleute aus dem Unternehmen zu vermitteln, die einen Sachverhalt aus Sicht der Telekom kompetent schildern können. Wenn ein Thema für die Telekom wichtig genug ist, organisiert Maldaner für diesen Zweck einen Parlamen- tarischen Abend, eine der wichtigsten Einrichtungen für den Kontakt zwischen Abgeordneten und Interessenvertretern.
Parlamentarische Abende
Zu den unterschiedlichsten Themen finden diese Parlamentarischen Abende vor allem in den Sitzungswochen statt. Hier bieten die Verbände und Unternehmen ihren Sachverstand auf, um ihre Einschätzung von Gesetzesvorhaben zu geben. Neben den formalen Anhörungen in Ausschüssen sind diese Parlamentarischen Abende eine Gelegenheit, Informationen auszutauschen. Auch Eduard Oswald und Klaus Kirschner schätzen diese Abende als Informationsquelle. Denn hier sind Gespräche zwischen Fachleuten und Fachpolitikern möglich.
Es kommt vor, dass Abgeordnete auf diesen Abenden Kollegen treffen, bei denen nicht ganz klar ist, auf welche Seite sie gehören. Ob Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände oder andere Interessengruppen, die Funktionsträger der Verbände sitzen auch im Parlament und kämpfen dort als Abgeordneter für die Sache ihrer Organisation. Diese Doppelfunktion ist erlaubt, aber durchaus delikat. Abgeordnete müssen solche Tätigkeiten deshalb veröffentlichen. Für Oswald ist diese Form der Transparenz wichtig. Die Kollegen müssten wissen, mit wem sie es zu tun haben.
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Einweihung
des Verbandshauses der Gesamtmetall-Arbeitgeber. |
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Kirschner geht noch einen Schritt weiter. Nach seiner Ansicht lassen sich bestimmte Tätigkeiten mit der Arbeit als Abgeordneter nicht vereinbaren. „Ich würde einem Betriebsratsvorsitzenden eines Rüstungsunternehmens dringend davon abraten, in den Verteidigungsausschuss zu gehen“, so Kirschner. Auch wenn man sich persönlich in der Lage sieht, die beiden Aufgaben zu trennen, „man macht sich ungeheuer angreifbar“, sagt Kirschner. Ulrike Flach von der FDP-Fraktion wundert sich, dass ein solches Engagement im Bundestag überhaupt möglich ist. „In Kommunalparlamenten sind die Auflagen weit strenger als auf Bundesebene.“
Gespräch mit Betroffenen
Ob Kollegen oder normale Verbandsvertreter, Abgeordnete können sich nicht darauf verlassen, dass alle Betroffenen ihnen ihre Probleme schon vortragen werden. Sich allein auf die Initiative der Verbände zu verlassen, reicht für ein ausgewogenes Urteil nicht aus. Häufig suchen die Abgeordneten selbst den Kontakt zu Interessenvertretern. So etwa Christa Nickels (Bündnis 90/Die Grünen), die Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte. Zu Beginn der Wahlperiode hat sie die Hilfsorganisationen und Menschenrechtsgruppen in den Ausschuss eingeladen, um eine engere Zusammenarbeit zu erreichen. „Wir sind bei unserer Arbeit auf die NGOs (Nichtregierungsorganisationen) angewiesen“, sagt sie. Das gilt für den Informationsfluss über die Menschenrechtssituation in einem Land, aber auch für die konkrete Hilfe vor Ort. Die Lobby für die Menschenrechte, das sind auch die Organisationen, die den Menschen direkt helfen können, was Abgeordneten oder dem Auswärtigen Amt nur sehr begrenzt möglich ist.
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Arbeitslosengruppen geben Sparpaket zurück. |
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Auch Eduard Oswald kann sich nicht darauf verlassen, dass sich alle melden, die von Gesetzen im Bau- oder Verkehrsbereich betroffen sind. Gerade mittelständische Unternehmen haben es oft schwer, über die Verbände zu Politikern durchzudringen. Der Abgeordnete sucht deshalb das Gespräch mit den Betroffenen vor Ort. Für ihn sind Betriebsbesuche oder Gesprächsrunden im Wahlkreis oder anderswo deshalb genauso wichtig wie das Gespräch mit Verbandsvertretern.
Die Lobbyarbeit erfordert viel Fingerspitzengefühl.
Viele Unternehmen merken, dass sie sich nicht allein auf die Vertretung durch die Verbände verlassen können, wenn es um den Kontakt zu Abgeordneten geht. Die großen Konzerne wie die Telekom sind ohnehin mit eigenen Repräsentanzen in Berlin vertreten. Kleinere Unternehmen, die sich das nicht leisten können, beauftragen Agenturen, um ihre Anliegen gegenüber Abgeordneten und Beamten zu vertreten. Doch für viele Gruppen, wie etwa Umweltaktivisten oder Patienten- und Behindertenverbände, ist auch das keine Alternative. Entsprechend kommen ihre Anliegen häufig zu kurz. Im weiteren Sinne betreiben aber auch diese Gruppen Lobbyarbeit, wenn sie mit ihren Interessen den Weg in die Öffentlichkeit suchen.
Im Gesundheitsbereich versuchen die Abgeordneten auch denen eine Stimme zu geben, die nur selten gehört werden. „Wir haben festgelegt, dass ein Prozent der Kasseneinnahmen an Selbsthilfegruppen gehen, einmal um den Betroffenen eine Anlaufstelle zu schaffen, zum anderen, um Ansprechpartner für die Anliegen von Patienten zu schaffen“, betont Kirschner. Ein Schritt in die richtige Richtung, findet er, auch wenn er nicht ganz zufrieden ist mit dieser Lösung: „Es kommt vor, dass Pharmaunternehmen über solche Patientengruppen versuchen, ihre Interessen zu vertreten.“ Der Hersteller des durchblutungsfördernden Mittels übrigens, der mit den drastischen Bildern Klaus Kirschner für sich einnehmen wollte, ist dem Abgeordneten die Studie über die Wirksamkeit seines Präparats bis heute schuldig geblieben.
Matthias Rumpf
Stichwort „Verhaltensregeln für Abgeordnete“
Das Abgeordnetengesetz und die Geschäftsordnung des Bundestages legen Verhaltensregeln für Abgeordnete fest. Um mögliche Interessenverknüpfungen zwischen Mandatsausübung und sonstigen Tätigkeiten offen zu legen, müssen Abgeordnete seit 1972 unter anderem Tätigkeiten in Lenkungs- und Kontrollgremien von Unternehmen, Anstalten öffentlichen Rechts und Verbänden angeben. Diese werden im Handbuch des Bundestages und im Internet veröffentlicht.
Darüber hinaus müssen die Abgeordneten gegenüber dem Bundestagspräsidenten Nebeneinkünfte deklarieren. Seit Beginn dieser Legislaturperiode müssen in diesem Rahmen Beratertätigkeiten und publizistische Tätigkeiten, soweit sie 3.000 Euro im Monat oder 18.000 Euro im Jahr überschreiten, veröffentlicht werden. Wenn Abgeordnete gegen die Veröffentlichungspflichten verstoßen, kann der Bundestagspräsident eine Rüge erteilen.
Darüber hinaus macht sich ein Abgeordneter strafbar, wenn er gegen Geld ein bestimmtes Stimmverhalten an den Tag legt. Spenden an Abgeordnete sind jedoch zulässig. Sie müssen ab 5.000 Euro je Kalenderjahr und Spender und ab 10.000 Euro Gesamtsumme pro Jahr dem Bundestagspräsidenten angezeigt werden.