Handwerk erwartet Rückgang der Ausbildungsbereitschaft
Berlin: (hib/VOM) Die Ausbildungsbereitschaft im deutschen Handwerk wird erheblich zurückgehen, wenn die von SPD und Bündnis 90/Die Grünen initiierte "große Novelle" der Handwerksordnung ( 15/1206) in Kraft tritt. Darauf hat der Zentralverband des deutschen Handwerks (ZdH) am Dienstagvormittag in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit hingewiesen. Neben dem Dritten Gesetz zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften standen auch ein Antrag der CDU/CSU ( 15/1107) und der FDP ( 15/1108) zur Änderung der Handwerksordnung zur Debatte. Das Vorhaben der Koalition sieht vor, 65 von 94 Berufen, für die bisher der Große Befähigungsnachweis (Meisterbrief) erforderlich war, von der Anlage A der Handwerksordnung (Vollhandwerk) in die Anlage B (handwerksähnliche Gewerke) zu verschieben. In der Anlage A, für die es beim Meisterzwang bleibt, sollen lediglich 29 Gewerke verbleiben, deren Ausübung "gefahrengeneigt" ist.
Wenn die Betriebe künftig nur noch für den eigenen Bedarf ausbildeten, wäre dies eine Katastrophe, urteilte der ZdH. Insgesamt erwartet er durch die Novelle dramatisch weniger Ausbildungsplätze und weniger "stabile" Betriebe. Letztlich käme es zu einem "Paradigmenwechsel", weg von der geprüften Qualifikation hin zu einem freien Spiel der Kräfte nach angelsächsischem Vorbild. Möglicherweise werde es mehr Selbständige geben, so die Interessenvertretung des Handwerks, doch sage die Selbstständigenquote nichts über die Leistungsfähigkeit und Stabilität dieser Betriebe aus. Der Vertreter des Friseurhandwerks prognostizierte für seinen Berufszweig, der künftig der Anlage B angehören soll, dass sich die Ausbildungszahl in Nordrhein-Westfalen von 9000 auf 1000 reduzieren werde. Die Qualität der Friseurausbildung sei gefährdet. Eine kurzfristige Zunahme der Selbstständigenquote erwartet auch Professor Gustav Kucera vom Institut für Handwerksrecht der Universität Göttingen. Es komme jedoch darauf an, dass die neuen Betriebe auch überleben könnten.
Der Vertreter des Deutschen Einzelhandels berichtete, viele Kunden wünschten heute Service-Pakete aus einer Hand. Beispielsweise werde erwartet, dass der Einzelhandel nicht nur Gardinen oder Badezimmerarmaturen liefere, sondern diese auch anbringe und installiere. Die Kunden hätten damit nur einen Vertragspartner. Hier kollidiere man jedoch mit der Handwerksordnung, die in Deutschland solche Serviceleistungen des Einzelhandels nicht ermögliche. Die Verbraucherzentrale gab zu erkennen, dass man die Abschaffung des Meisterzwangs zwar nachvollziehen könne, gleichzeitig aber eine Gesellenprüfung als Voraussetzung für eine Betriebsführung für jene Gewerke verlange, die künftig nicht mehr der Anlage A angehören sollen. Bernhard Lagemann vom Rheinisch-Westfälischen Institut in Essen sagte zur Lage des Handwerks, die Umsatz- und Beschäftigungsrückgänge seien hier stärker gewesen als im Nichthandwerk. Die Novelle könne dazu beitragen, verfestigte Strukturen zu reformieren. Dramatische Beschäftigungsgewinne sagte er zwar nicht voraus, dafür aber mehr Wettbewerb und eine größere Kundendifferenzierung. Eine Gründungswelle erwartet dagegen Professor Martin Hellwig von der Universität Mannheim. Ihr werde allerdings eine Konsolidierungsphase folgen. Die Novelle werde zu anderen Betriebsstrukturen und anderen Angeboten führen.
Kritik übten die meisten Sachverständigen an dem Kriterium der "Gefahrengeneigtheit". Professor Rolf Stober von der Universität Hamburg sagte, es gehe heute nicht mehr um die Gefahrenabwehr, sondern darum, Gefahren gar nicht erst entstehen zu lassen. Als Beispiel nannte er den Schornsteinfeger, der früher Brandschutz betrieben habe und heute den Immissionsschutz überwache. Der Deutsche Gewerkschaftsbund meinte, dass man ohne die Kriterien des Verbraucher- und Umweltschutzes nicht auskommen werde.