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Großer Wurf oder neue Kleinstaaterei?

Bild: Volker Kröning (SPD-Bundestagsabgeordneter) und Ernst Burgbacher (Geschäftsführer der FDP-Fraktion)
Volker Kröning (SPD-Bundestagsabgeordneter) und Ernst Burgbacher (Geschäftsführer der FDP-Fraktion)

Bild: Volker Kröning, SPD
Volker Kröning, SPD

Bild: Ernst Burgbacher, FDP.
Ernst Burgbacher, FDP.

Streitgespräch: Föderalismusreform

Ist die Föderalismusreform, die die große Koalition bis zum Herbst verabschieden will, ein Meilenstein für ein modernes Regieren oder ein Rückfall in die Kleinstaaterei? Was bringt sie dem Staat, was dem Bürger? Darüber diskutieren im Streitgespräch von BLICKPUNKT BUNDESTAG der SPD-Bundestagsabgeordnete Volker Kröning und der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Ernst Burgbacher. Sie saßen als Obleute ihrer Fraktionen in der Föderalismuskommission des Bundestages.

Blickpunkt Bundestag: Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber hat die Föderalismusreform zur „Mutter aller Reformen“ hochstilisiert. Teilen Sie, Herr Kröning, diese Sicht? Ist das der große Wurf?

Volker Kröning: Das Wort ist sicher etwas vollmundig. Aber die Verhandlungsführer Franz Müntefering und Edmund Stoiber haben ohne Zweifel eine gute Vereinbarung erzielt. Sprachlich halte ich es mehr mit unserem früheren Bundespräsidenten Roman Herzog, der sehr nüchtern gesagt hat: Das ist besser als nichts.

Blickpunkt: Das klingt relativ bescheiden. Herr Burgbacher, wo liegen aus FDP-Sicht die Stärken der Reform – oder überwiegen die Schwächen?

Ernst Burgbacher: Ich sehe es als positiv an, dass überhaupt etwas in Bewegung kommt in unserem Land. Wir brauchen diese Reform. Ich habe aber immer kritisiert, dass dies zu mutlos angegangen wurde und nun nur ein relativ kleiner Schritt herausgekommen ist, der aber in die richtige Richtung geht. Die großen Themen sind leider ausgenommen worden, zum Beispiel Länderneugliederung und die Reform der Finanzverfassung. Das war und ist ein Geburtsfehler dieser Reform. Dennoch wird die FDP den Reformprozess konstruktiv begleiten.

Blickpunkt: Stimmt denn überhaupt die Annahme, dass das Regieren künftig einfacher werden wird, weil die Zahl der Zustimmungsgesetze kräftig sinken und so der Einfluss des Bundesrates geringer wird?

Kröning: Ja, wir wollten keine umfassende Reform der Verfassung vornehmen; das Ziel waren eine Deblockade des Entscheidungsverfahrens bei der Gesetzgebung und eine Umkehrung der Neigung, politische Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern an das Bundesverfassungsgericht zu verlagern. Das war der Auftrag und ich finde, den haben wir ganz gut ausgeführt. Denn mit der besseren Systematik der Zuständigkeiten und der Beendigung von Kompetenzauseinandersetzungen kommen wir zu einer größeren Effizienz der Gesetzgebung. Davon profitieren beide großen politischen Ebenen: der Bund und die Länder.

Burgbacher: Ein bisschen Wasser muss ich schon in den Wein gießen. Denn ob wir bei den Zustimmungsgesetzen wirklich von heute rund 55 Prozent auf die angestrebten unter 40 Prozent kommen, ist zurzeit eine offene Frage. Deshalb sehe ich schon von daher den Gewinn nicht so groß. Und, Herr Kröning, es bleibt das Einfallstor über die Artikel 104a und 109 des Grundgesetzes (Haushaltswirtschaft in Bund und Ländern), durch die die Zustimmungspflicht der Länder doch immer dann wieder eingeführt wird, wenn sie finanziell betroffen sind. Deshalb: Es ist zwar nicht die Riesenreform – immerhin aber ein Fortschritt.

Blickpunkt: Die Entflechtung bei der Gesetzgebung wird ja tatsächlich von allen Seiten begrüßt. Aber die Frage bleibt: Ist der Preis, den der Bund dafür zahlt, angemessen? Werden etwa nicht ungleiche Bildungschancen endgültig zementiert, wenn sich der Bund aus der Bildungspolitik völlig zurückzieht, noch nicht einmal Finanzhilfen für Schulen und Hochschulen geben darf?

Kröning: Ich halte den Vorwurf der Kleinstaaterei, der in diesem Zusammenhang gerne erhoben wird, für falsch. Ich komme aus dem Stadtstaat Bremen. Und hier haben die guten oder schlechten Ergebnisse in der Bildungspolitik nichts mit der Kompetenzordnung zu tun, sondern mit guter oder schlechter Politik. Schauen Sie ins Ausland: Wir haben in der Bildungspolitik einen sehr guten Zentralstaat – Finnland – und einen sehr guten Föderalstaat – Kanada. Also muss die Kompetenzordnung für diese Frage indifferent sein. Außerdem: Der Bund gibt in der Bildungspolitik keine Kompetenzen ab. Die Länder haben sie schon. Was wir vielmehr machen: Wir setzen neue Spielregeln fest. Zum Beispiel bundeseinheitliche Standards für Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse, von denen die Länder erst abweichen können, wenn ein entsprechendes Bundesgesetz ergangen ist. Damit ordnen wir uns in den Lissabon-Prozess ein. Ähnlich ist es bei der Forschungsförderung. Es gibt hier viele Vorurteile, deshalb müssen wir in der Bevölkerung, die mehrheitlich zentralstaatlich denkt, durch Ergebnisse überzeugen.

Burgbacher: Auch ich halte viele Bedenken für falsch. Ich bin dezidierter Befürworter von Wettbewerb im Bildungssystem. Das bedeutet, dass wir neue Möglichkeiten von den Ländern her andenken sollten. Ich will das an zwei Beispielen verdeutlichen: Ich bin Gegner der Gesamtschule. Die aber wäre heute Regelschule in Deutschland, wenn es in den 70er Jahren eine bundeszentrale Kompetenz gegeben hätte. Oder: Wir haben vor 30 Jahren in Baden- Württemberg die Berufsakademien eingeführt – das Erfolgsmodell schlechthin. Das wäre nie möglich gewesen, wenn sich der Bund hätte einmischen können. Wettbewerb kann also gut sein. Deshalb meine ich, die Länder sollten hier ihre Zuständigkeiten nicht nur behalten, sondern ausbauen. In dieser Frage gibt es aber in allen Fraktionen unterschiedliche Meinungen.

Blickpunkt: Warum wollen eigentlich Länder freiwillig darauf verzichten, dass ihnen der Bund mit Milliardensummen unter die Arme greift, zum Beispiel zum Ausbau von Ganztagsschulen und Kindergärten?

Burgbacher: Das verwundert gar nicht. Denn das Problem ist doch: Zwar kriegen die Länder jetzt Geld vom Bund, aber nur zum Ausbau. Nachher können sie sehen, wie sie dauerhaft die Kosten schultern. Nein, Länder sollen die Entscheidungen selbst treffen, denn sie müssen sie auf Dauer ja auch selbst finanzieren. Was ich allerdings von den Ländern erwarte, ist, dass sie neue Verfahren finden, um schneller zu vergleichbaren Standards und gegenseitiger Anerkennung von Abschlüssen zu kommen.

Kröning: Der Ausschluss von Finanzhilfen des Bundes an die Länder ist ja von den Ländern selbst gefordert worden. Warum sollen wir da als Bundespolitiker gegenhalten?

Blickpunkt: Auch bei der Umweltpolitik, bei Beamtenrecht und Strafvollzug soll der Bund künftig kaum noch etwas zu sagen haben. Führt das nicht zu einer Zersplitterung unseres Landes?

Kröning: Auch hier rate ich zu größerer Differenzierung. Kein Land wird gezwungen, von dem weiter bestehenden Bundesrecht abzuweichen oder es durch Landesrecht zu ersetzen. Aber richtig ist natürlich: Wenn wir die zweite Ebene in unserem Bundesstaat stärken wollen, dann müssen dazu klassische Verantwortlichkeiten gehören. Wieso soll ein Dienstherr in einem Bundesland Menschen einstellen, aber die Einstellungsbedingungen nicht regeln können?

Blickpunkt: Und wie ist es beim Strafvollzug? Muss ein Straftäter künftig in einem armen Bundesland bei Wasser und Brot darben?

Burgbacher: Nein, so weit kommt es sicher nicht. Aber hier bin ich in der Tat der Auffassung, dass die Kompetenz beim Bund bleiben sollte. Wir von der FDP werden einen entsprechenden Antrag stellen.

Blickpunkt: Eine andere wichtige Reform, die der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern, steht noch auf der Warteliste. Wird die angesichts der gegenwärtigen Schwierigkeiten überhaupt noch angegangen? Und mit welchen Erfolgsaussichten? Beim Geld hört bekanntlich die Freundschaft auf ...

Burgbacher: Wir wissen, dass das sehr schwierig ist. Ich hoffe aber, dass dies im Herbst geschieht. Denn wir müssen dies tun, weil sonst auch die Föderalismusreform wenig Sinn macht. Denn wenn ich der einen Ebene Kompetenzen gebe, muss ich ihr natürlich auch eine Finanzhoheit über die Einnahmen geben.

Kröning: Klar muss sein, dass der Föderalismus so lange hinkt, als ein „Mehr“ der Ausgabenautonomie der Länder ein „Zuwenig“ an Einnahmenautonomie gegenübersteht. Natürlich weiß ich, dass auch der Bund in Haushaltsnotlage ist, aber er hat bessere Refinanzierungsmöglichkeiten als die nachgeordneten Gebietskörperschaften. Weil wir den Gesamtstaat nicht verarmen lassen dürfen, müssen wir den Kuchen, der zu verteilen ist, vergrößern.

Blickpunkt: Meine Herren, die Föderalismusreform braucht eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Wie ist Ihre Prognose: Wird die zu schaffen sein? Immerhin braucht die Koalition 410 ihrer 448 Stimmen, das sind nur 38 „über den Durst“ ...

Kröning: Ja. Ich bin zuversichtlich. Aber es wird noch ein erhebliches Stück Informations- und Überzeugungsarbeit zu leisten sein.

Burgbacher: Ich bin gespannt. Das wird stark von der SPD abhängen, in der es ja viel Kritik gibt. Wenn die Große Koalition diese Reform nicht schafft, hätte sie ein wirklich großes Problem. Deshalb wird der Druck groß sein.

Das Gespräch führte Sönke Petersen.
Fotos: Photothek
Erschienen am 8. Mai 2006

Reden Sie mit beim Thema „Föderalismusreform“:

Redaktion: blickpunkt@media-consulta.com

Die TV-Aufzeichnung dieses Streitgesprächs kann im Web-TV des Bundestages angesehen werden: www.bundestag.de/bic/webTVLink.html

Weitere Informationen:

Volker Kröning (SPD), Jahrgang 1945, ist seit 1994 Mitglied des Bundestages. Der Rechtsanwalt aus Bremen ist ordentliches Mitglied im Haushaltsausschuss und im Rechtsausschuss und war Obmann der SPD-Fraktion in der Föderalismuskommission des Bundestages.
E-Mail: volker.kroening@bundestag.de
Webseite: www.volker-kroening.de

Ernst Burgbacher (FDP), Jahrgang 1949, ist Bundestagsmitglied seit 1998. Der ehemalige Lehrer ist Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion und Mitglied im Ältestenrat, im Innenausschuss sowie im Tourismusausschuss. Er war Obmann seiner Fraktion in der Föderalismuskommission.
E-Mail: ernst.burgbacher@bundestag.de
Webseite: www.ernst-burgbacher.de


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