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Abgeordnete ohne Grenzen

Aktion vor dem Reichstagsgebäude am Internationalen Tag der Menschenrechte.
Aktion vor dem Reichstagsgebäude am Internationalen Tag der Menschenrechte.
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Herta Däubler-Gmelin (SPD), Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe.
Herta Däubler-Gmelin (SPD), Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe.
© DBT/Lichtblick/Achim Melde


Die ehemalige kurdische Parlamentarierin Leyla Zana bei ihrer Freilassung aus der Haft in Ankara 2004.
Die ehemalige kurdische Parlamentarierin Leyla Zana bei ihrer Freilassung aus der Haft in Ankara 2004.
© Picture-Alliance/dpa


Die Interparlamentarische Union koordiniert Hilfe für verfolgte Parlamentarier. Delegierte bei der 102. Sitzung 1999 in Berlin.
Die Interparlamentarische Union koordiniert Hilfe für verfolgte Parlamentarier. Delegierte bei der 102. Sitzung 1999 in Berlin.
© Picture-Alliance/dpa


Sacharow-Preis für geistige Freiheit 2006 für den weißrussischen Oppositionsführer Milinkewitsch.
Sacharow-Preis für geistige Freiheit 2006 für den weißrussischen Oppositionsführer Milinkewitsch.
© Picture-Alliance/dpa


Initiative „Parlamentarier schützen Parlamentarier”

„Parlamentarier schützen Parlamentarier” heißt eine Initiative des Bundestages. Sie hilft ausländischen Politikern, die in ihren Ländern bedroht oder verfolgt werden, weil sie für Menschenrechte kämpfen. Dabei können die Abgeordneten Freiheiten nutzen, die Regierungsvertretern nicht immer möglich sind.

Hier waren sich die Abgeordneten aller Fraktionen einig: Ihrer türkischen Amtskollegin Leyla Zana, die in der Türkei wegen ihres gewaltfreien Einsatzes für das Anliegen der Kurden zu 17 Jahren Haft verurteilt wurde, musste geholfen werden. Der Europäische Gerichtshof hatte den Prozess gegen sie und drei weitere Abgeordnete bereits als unfair kritisiert. Nun forderten die Bundestagsabgeordneten in einer gemeinsamen Petition an die Türkei die Freilassung der Parlamentarier. Über die Hälfte der Abgeordneten und mehrere Bundesminister haben die Petition anlässlich des Internationalen Tages der Menschenrechte am 10. Dezember 2003 unterschrieben.

Die Petition war zugleich der Auftakt für die Initiative „Parlamentarier schützen Parlamentarier”. Sie wurde vom Bundestagsausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ins Leben gerufen, um bedrohten oder verfolgten Parlamentariern zu helfen und den Einsatz für Menschenrechtsverteidiger auszuweiten. Mit dem fraktionsübergreifenden Antrag „Schutz von bedrohten Menschenrechtsverteidigern” haben sich alle Abgeordneten des Bundestages verpflichtet, die Initiative zu unterstützen und bedrohten Kolleginnen und Kollegen beizustehen.

Leyla Zana ist eine von vielen Menschenrechtsverteidigern, die überall auf der Welt bedroht oder verfolgt werden, weil sie für Grundrechte einstehen. Meist sind die Opfer Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen, die die Täter staatlicher Willkür zur Verantwortung ziehen wollen, Juristen, die in ihren Ländern gegen die Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen kämpfen, oder Journalisten, die Verbrechen anprangern. Es sind Politiker, Gewerkschafter, Frauenrechtlerinnen, Wissenschaftler oder Kirchenvertreter, deren Vergehen häufig nur darin liegt, ihre Meinung frei zu äußern. Aber auch Ärzte, die Folteropfer betreuen, Lehrer und Beamte, die sich für bedrohte Bevölkerungsgruppen oder rechtsstaatliche Verhältnisse einsetzen, werden an ihrer Arbeit gehindert, bedroht und verhaftet, gefoltert oder umgebracht.

Dichtes Informationsnetz

Der Menschenrechtsausschuss macht mit seiner Initiative „Parlamentarier schützen Parlamentarier” deutlich, dass der Schutz von Menschenrechtsverteidigern nicht allein die Aufgabe der Ausschussmitglieder bleiben darf. Die 16 Abgeordneten haben bereits alle Hände voll zu tun, fahren in Krisengebiete und sprechen mit Menschenrechtsverteidigern, Politikern und Betroffenen. Die Initiative holt nun auch alle anderen Kollegen mit ins Boot. Die Idee ist einfach: Nicht nur die Ausschussmitglieder, jeder Abgeordnete kann helfen. Schließlich hat jeder Fachpolitiker viele internationale Kontakte, die er nutzen kann, um seine ausländischen Kollegen zu unterstützen.

Als Parlamentarier ohne Grenzen haben die Abgeordneten noch einen Vorteil. „Jeder weiß, dass Abgeordnete im informellen Rahmen oft freier sprechen können als Regierungsvertreter”, sagt Herta Däubler-Gmelin, die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses. „Das verpflichtet, diese Möglichkeiten auch zu nutzen. Abgeordnete können mit der Zivilgesellschaft und mit den Medien freier zusammenarbeiten. Darin liegt eine Chance.”

Im Zuge der Initiative informiert der Menschenrechtsausschuss dieAbgeordneten, ob in einem Land, das sie besuchen wollen, Politikerinnen oder Politiker verfolgt oder bedroht werden. So kann jeder Abgeordnete öffentlich für Kollegen eintreten, die die Menschenrechte unter großen Gefahren verteidigen. „Es wäre großartig”, sagt Däubler-Gmelin, „wenn möglichst viele immer dann, wenn ein Grund dafür gegeben ist — und dafür gibt es viele Anlässe, durch Gespräche in Deutschland oder auf Reisen, durch Briefe an Botschafter, Minister und Regierungschefs helfen könnten, gefährdete Parlamentarier und andere Menschenrechtsverteidiger zu schützen und zu unterstützen.” Auf die Erfahrungen der Abgeordneten ist der Ausschuss wiederum angewiesen, um weiterhin erfolgreich zu arbeiten. So entsteht ein dichtes Informationsnetz.

Der Bundestag ist eine treibende Kraft der Menschenrechtspolitik in Deutschland. 1991 erteilte das Parlament der Regierung den Auftrag, regelmäßig über die Menschenrechtspolitik zu berichten. Derzeit liegt der 7. Menschenrechtsbericht der Bundesregierung über die Aktivitäten von 2002 bis 2005 vor. Auch das Deutsche Institut für Menschenrechte geht unter anderem auf einen Beschluss des Bundestages im Dezember 2000 zurück. Seit 2001 trägt es durch Forschungsprojekte, öffentliche Seminare, Bildungsprogramme und Angebote der Politikberatung zur Aufklärung über Menschenrechte bei.

Die deutsche Menschenrechtspolitik fußt zusätzlich auf internationalen Übereinkommen. Sie verpflichten die Bundesregierung einerseits, die Menschenrechte in Deutschland zu wahren, legitimiert sie aber auch, in anderen Staaten die Einhaltung und den Schutz der Menschenrechte anzumahnen die Menschenrechtslage zu verbessern.

International setzen sich neben Nichtregierungsorganisationen, den Vereinten Nationen oder der Europäischen Union vor allem auch internationale parlamentarische Organisationen für den Schutz der Menschenrechte ein. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Interparlamentarische Union (IPU), ein Zusammenschluss von Parlamenten aus 147 Staaten — die älteste und einzige weltweite Vereinigung von Parlamentariern.

Stimme der Unterstützung

Die IPU hat einen Ausschuss eingerichtet, der sich mit den Menschenrechten von Parlamentariern befasst. Der Ausschuss sammelt Beschwerden über Arbeitsbehinderungen, willkürliche Verhaftungen oder unfaire Gerichtsverfahren und leitet den Parlamenten zweimal im Jahr Namenslisten mit betroffenen Parlamentariern zu. Diese verpflichten die Parlamente, die bedrohten Kollegen zu schützen oder ihren Tod aufzuklären und dafür zu sorgen, dass die Täter gefasst und bestraft werden. Die Bundestagsinitiative „Parlamentarier schützen Parlamentarier” setzt diese Verpflichtung um. Es ist jetzt beispielsweise auch möglich, Menschenrechtsverteidiger vorübergehend in Deutschland aufzunehmen — eine Hilfe für politisch Verfolgte unterhalb der Schwelle des politischen Asyls.

Auch andere Parlamente, etwa in Frankreich, Spanien oder Belgien, engagieren sich für ihre Kollegen. Ein wichtiger parlamentarischer Akteur ist außerdem die Parlamentarische Versammlung des Europarats, die ebenfalls einen Ausschuss für Rechts- und Menschenrechtsfragen eingerichtet hat. „Durch die Vernetzung von Informationen und Aktionen kann besser geholfen werden”, sagt Däubler-Gmelin. Wenn der Bundestag mit anderen Institutionen vorgeht, „dann wird der Schutz effizienter, die Stimme der Unterstützung für die Menschenrechtsverteidiger lauter”.

Kurz: Parlamentarier helfen Parlamentariern über die Grenzen hinweg — und das mit Erfolg. Dass Leyla Zana im Juni 2004 nach zehnjähriger Haft freikam, verdankt sie zwar auch dem Druck der Europäischen Union im Zuge der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Erfolgreich für sie gekämpft haben aber auch Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International und nicht zuletzt die Abgeordneten aller Fraktionen mit ihrer Aktion „Parlamentarier schützen Parlamentarier”.

Text: Georgia Rauer
Erschienen am 18. Juni 2007


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