172. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
Beginn: 9.01 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich.
Vor Eintritt in unsere Tagesordnung möchte ich - sicherlich im Namen des ganzen Hauses - der deutschen Fußballnationalmannschaft herzlich zum Einzug ins Finale der Europameisterschaft gratulieren.
- Ich sehe stehende Ovationen bei einzelnen Mitgliedern des Hauses.
Ich beziehe in diese Gratulation ausdrücklich die türkische Mannschaft ein, die mit bewundernswertem Einsatz, großem Kampfgeist und stetiger Fairness dieses Spiel ganz wesentlich mitbestimmt hat.
Sowohl Kampfgeist als auch Fairness hat auch die überwiegende Mehrheit der deutschen wie der türkischen Fans gezeigt, die sich im Stadion sowie auf den Straßen und Plätzen dementsprechend bewegt und dargestellt haben. Ich glaube, der gestrige Abend hat zur Gemeinschaft der Türken und Deutschen in Deutschland erheblich beigetragen.
Nun müssen wir nach den außerordentlichen Ereignissen zu den normalen Geschäften zurückkehren, was nicht ganz leicht fällt. Wir beginnen mit der Wahl eines Mitglieds des Beirats bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt erneut Professor Manfred Wilke vor. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Damit ist Professor Wilke für eine weitere Amtszeit gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP:
Haltung der Bundesregierung zu dem Bericht der US-Luftwaffe über Sicherheitslücken bei den US-Atomwaffenlagern in Deutschland und Europa
(siehe 171. Sitzung)
ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ute Koczy, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Entwicklung in Afghanistan - Strategien für eine wirkungsvolle Aufbauarbeit kohärent umsetzen
- Drucksachen 16/8887, 16/9685 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Christian Ruck
Christel Riemann-Hanewinckel
Hellmut Königshaus
Hüseyin-Kenan Aydin
Ute Koczy
(siehe 171. Sitzung)
ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Jürgen Trittin, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Staatsaufbau in Afghanistan - Pariser Konferenz zur kritischen Überprüfung und Kurskorrektur des Afghanistan Compacts nutzen
- Drucksachen 16/9428, 16/9711 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Detlef Dzembritzki
Dr. Werner Hoyer
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller (Köln)
(siehe 171. Sitzung)
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hellmut Königshaus, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Die Regierungsverhandlungen mit China zur Neuorientierung der Entwicklungszusammenarbeit und zur Förderung der chinesischen Zivilgesellschaft nutzen
- Drucksache 16/9745 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(f)
Finanzausschuss
ZP 5 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
(Ergänzung zu TOP 47)
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung
Einhundertsiebte Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste
- Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung -
- Drucksachen 16/9211, 16/9391 Nr. 2.1, 16/9698 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ulla Lötzer
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)
Übersicht 11
über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 16/9782 -
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)
zu den Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
2 BvE 2/08 und 2 BvR 10 10/08
- Drucksache 16/9783 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Andreas Schmidt (Mülheim)
d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 442 zu Petitionen
- Drucksache 16/9767 -
e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 443 zu Petitionen
- Drucksache 16/9768 -
f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 444 zu Petitionen
- Drucksache 16/9769 -
g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 445 zu Petitionen
- Drucksache 16/9770 -
h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 446 zu Petitionen
- Drucksache 16/9771 -
i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 447 zu Petitionen
- Drucksache 16/9772 -
j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 448 zu Petitionen
- Drucksache 16/9773 -
k) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 449 zu Petitionen
- Drucksache 16/9774 -
l) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 450 zu Petitionen
- Drucksache 16/9775 -
m) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 451 zu Petitionen
- Drucksache 16/9776 -
ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Haltung der Bundesregierung zur unrechtmäßigen Einleitung radioaktiver Lauge in das ehemalige Salzbergwerk Asse II
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Dr. Uschi Eid, Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Angebot an die namibische Nationalversammlung für einen Parlamentarierdialog zur Versöhnungsfrage
- Drucksache 16/9708 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Florian Toncar, Dr. Karl Addicks, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Menschenrechtslage in Tibet verbessern
- Drucksache 16/9747 -
ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Festnahme des chinesischen Dissidenten Hu Jia
Entschließung des Europäischen Parlaments vom 17. Januar 2008 zur Inhaftierung des chinesischen Bürgerrechtlers Hu Jia
EuB-EP 1652; P6_TA-PROV (2008) 0021
- Drucksachen 16/8609 A.9, 16/? -
Berichterstattung:
Abgeordnete/r ?
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl Addicks, Hellmut Königshaus, Dr. Christel Happach-Kasan, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Glaubwürdigkeit von G8 nicht verspielen - Maßnahmen zur Bekämpfung der Nahrungsmittelkrise auf dem Gipfeltreffen in Hokkaido beschließen
- Drucksache 16/9750 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(f)
Finanzausschuss
ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Uschi Eid, Kerstin Müller (Köln), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ursachen der Piraterie vor der somalischen Küste bearbeiten - Politische Konfliktlösungsschritte für Somalia vorantreiben
- Drucksache 16/9761 -
ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniel Bahr (Münster), Martin Zeil, Heinz Lanfermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Auswüchse des Versandhandels mit Arzneimitteln unterbinden
- Drucksache 16/9752 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Die Tagesordnungspunkte 21 und 46 e werden abgesetzt.
Sind Sie auch mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe unsere Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG)
- Drucksache 16/6140 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)
- Drucksache 16/9737 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Gehb
Klaus Uwe Benneter
Mechthild Dyckmans
Ulrich Maurer
Jerzy Montag
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Mechthild Dyckmans, Birgit Homburger, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
GmbH-Gründungen beschleunigen und entbürokratisieren
- Drucksachen 16/671, 16/9737 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Gehb
Klaus Uwe Benneter
Mechthild Dyckmans
Ulrich Maurer
Jerzy Montag
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt je ein Entschließungsantrag der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries.
Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz:
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Die Reform des GmbH-Rechts, die wir heute verabschieden, ist, wie Herr Gehb - ich glaube, gegenüber der FAZ - schon gesagt hat, eine historische Reform.
Es ist in der Tat eine Überarbeitung des GmbH-Rechts, wie wir sie seit 1892 noch nicht gehabt haben. Es ist eine ganz massive Entrümpelung und eine Anpassung dieses Rechts an die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse. Insofern bedanke ich mich dafür, dass wir so weit gekommen sind. Ich glaube, mit mir danken ganz viele Bürgerinnen und Bürger, auch junge Menschen, die Unternehmen gründen wollen. Unser Haus verzeichnet zwar zu vielen Themen Eingänge, aber es war auffällig, dass gerade zur Reform des GmbH-Rechts viele Briefe und E-Mails kamen. Die Menschen haben uns gefragt: Wann seid ihr denn endlich so weit? - Die Reform ist schließlich sehr umfangreich beraten worden. Die meisten wollen keine Limited, sondern eine vereinfachte GmbH, und dass sie keine Limited wollen, ist eine richtige und gute Entscheidung.
Dankenswerterweise ist im Zusammenhang mit der Reform unseres GmbH-Rechts in den Zeitungen häufig verbreitet worden, welche Nachteile es bringt, wenn man zwar zunächst die Limited wählt, dann aber nach einem Jahr feststellt, dass man seine Geschäftsabschlüsse leider in Englisch und in London vorlegen muss. Das ist dann für viele Menschen eine Überraschung. Insofern ist es richtig und gut, dass wir mit diesem Gesetzentwurf eine konkurrenzfähige Gesellschaftsform zur Verfügung stellen.
Meine Damen und Herren, wir haben hinsichtlich der Gründung einer GmbH einen Aspekt sehr lange und sehr sorgfältig diskutiert, und dieser betrifft die Änderungen beim Mindeststammkapital. Wie Sie wissen, hat es eine vollständige Änderung gegenüber dem Regierungsentwurf gegeben. Wir haben seinerzeit eine Absenkung des Mindeststammkapitals auf 10 000 Euro vorgeschlagen, weil man ein gewisses Kapital braucht, um eine Gesellschaft zu gründen. Denn ohne Kapital kann man nicht einmal ein Telefon anmelden oder einen Schreibtisch kaufen.
Hierzu gab es andere Auffassungen, und wir haben gute Diskussionen geführt. Darüber hinaus fand eine sehr gute Sachverständigenanhörung statt, die uns geholfen hat, den richtigen Weg zu finden. Deswegen gibt es jetzt neben der Form der alten GmbH - so will ich es einmal sagen - mit 25 000 Euro Mindeststammkapital die neue Variante der GmbH, die sogenannte Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt), die insbesondere durch den Einsatz eines einzelnen Abgeordneten dieses Hauses in das Gesetz aufgenommen wurde. Vielen Dank, Herr Dr. Gehb, für diese weitreichenden Vorschläge, die wir aufgegriffen haben!
- Na gut, so nickelich sind wir nicht.
Wir schaffen damit für die Existenzgründer in diesem Lande genau das, was sie erwarten, nämlich eine Kapitalgesellschaft ohne festes Mindeststammkapital. Das wird Unternehmungsgründungen erheblich erleichtern und damit auch die Innovationskraft in Deutschland stärken. Wichtig ist doch, dass neue Ideen auch schnell in die Tat umgesetzt werden können. Das ist es, was wir wollen, um den Wissensstandort Deutschland voranzubringen.
Es ist nicht so, als ob wir nur die Unternehmensgründung erleichtern würden, indem wir das Kapital absenken und kleinere Änderungen vornehmen. Vielmehr - ich habe es schon am Anfang gesagt - reformieren wir das GmbH-Recht umfassend, und zwar zum ersten Mal. Eine Vielzahl von Reformen kennen wir aus dem Aktienrecht. Man spricht beim Aktienrecht bereits von der ?Aktienrechtsreform in Permanenz?.
Beim GmbH-Recht ist genau das Gegenteil der Fall: Es ist eher eine Geschichte gescheiterter Reformvorhaben. Der erste Anlauf erfolgte bereits 1937, im Anschluss an die Aktienrechtsreform, und blieb im Zweiten Weltkrieg stecken. Der zweite Reformanlauf Anfang der 70er-Jahre schaffte es nicht bis in den Rechtsausschuss. Rückblickend muss man wohl sagen: Das war eine ganz gute Entscheidung. Denn man wollte damals das GmbH-Recht mit rund 300 Paragrafen im Grunde dem Aktienrecht anpassen und der Aktiengesellschaft, die damals erste Siegeszüge antrat, eine vergleichbare Rechtsform an die Seite stellen.
Ich meine, es war gut, dass man es so nicht gemacht hat. Denn wir brauchen keine zweite Aktiengesellschaft. Vielmehr brauchen wir die GmbH als eine Rechtsform für den Mittelstand, also für die vielen Hunderttausenden von kleinen Unternehmungen, die das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bilden sollen. Diese Gesellschaftsform muss flexibel sein. Sie muss anpassungsfähig sein, und sie muss vor allen Dingen einfach zu verstehen und zu handhaben sein.
Genau dieses stellen wir jetzt mit dem überarbeiteten GmbH-Recht sicher. Wir verfolgen ein Konzept der starken Deregulierung. Das heißt, wir wollen die Gründung der GmbH sehr viel einfacher und vor allen Dingen sehr viel schneller machen. Das ist unser Ziel. Vieles, was vor 100 Jahren im Verwaltungsablauf noch selbstverständlich war, ist heute nicht mehr notwendig. Ich nenne als Beispiel die nachgeschalteten Verwaltungsgenehmigungen. Es ist heute beispielsweise noch üblich, dass man, wenn man eine Gaststätte aufmachen will, zunächst ein Gesundheitszeugnis braucht und sich erst danach die GmbH eintragen lassen kann. Künftig kann dies parallel laufen, was zu einer Beschleunigung führt. Das mag zwar nur ein kleines Beispiel sein, aber es ist eines von vielen Beispielen, die zeigen, dass wir die Geschwindigkeit bei der GmbH-Eintragung deutlich erhöhen.
Gleichzeitig bekämpfen wir quasi als Gegengewicht die Missbräuche am ?Lebensende? einer GmbH sehr nachdrücklich. Insbesondere die sogenannten Bestattungsfälle von GmbHs, denen sich schon ein eigener Gewerbezweig widmet, sollen härter verfolgt werden. Gescheiterte Unternehmer werden sich in Zukunft also nicht mehr ihrer Verantwortung entziehen können. Das MoMiG verlagert die Gewichte weg von einer vorbeugenden Formstrenge hin zu einer nachsorgenden Kontrolle, die erst im Krisenfall eingreift, dann aber mit größerer Schärfe als in der Vergangenheit. Die Reform knüpft also an das an, was wir gemeinhin mit dem mündigen Verbraucher oder mit dem aufgeklärten Bürger und der aufgeklärten Bürgerin meinen. Die Idee ist, dass sie sich informieren und möglichst vernünftige Entscheidungen treffen sollen. Nur im Versagensfall soll eingegriffen werden.
Ein weiteres grundlegendes Ziel des Entwurfs ist die Rückkehr zum bilanziellen Denken im Haftungskapitalsystem der GmbH. Das betrifft sowohl die Kapitalaufbringung als auch die Kapitalerhaltung. Das Stichwort ist hier Cash-Pooling, ein Begriff, den insbesondere die Töchter von größeren Unternehmen kennen und der deshalb für die Großkonzerne unserer Wirtschaft von Bedeutung ist.
Auch wenn viele Bürgerinnen und Bürger gewollt hätten, dass die Reform etwas eher in Kraft tritt, meine ich: Es war gut, dass wir diese große Reform nicht übers Knie gebrochen haben. Dass sie jetzt ein Jahr später als ursprünglich geplant vollendet wird, ist meines Erachtens kein Schaden. Denn wir können heute sagen: Wir werden ein Gesetz verabschieden, das im Hause intensiv unter Zuhilfenahme des Sachverstandes der Abgeordneten beraten worden ist und in das die Meinung vieler Sachverständiger eingeflossen ist.
Ich möchte mich bei Ihnen allen recht herzlich dafür bedanken, dass am Ende eine Reform dabei herausgekommen ist, von der wir sagen können: Sie wird uns helfen, die Rechtsform für den Mittelstand zukunftsfest für die nächsten Jahre zu gestalten. Das ist ein wichtiges Signal für den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Mechthild Dyckmans, FDP-Fraktion.
Mechthild Dyckmans (FDP):
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Um es gleich vorweg zu sagen, lieber Kollege Gehb: Der ganz große Wurf ist diese Reform nach Meinung der FDP nicht.
Frau Ministerin, die Ziele, die Sie sich mit dieser Reform gesetzt haben, begrüßen wir. Die Umsetzung ist allerdings gerade in dem von dem Kollegen Gehb so besonders herausgestellten Teil nicht gelungen.
Wirtschafts- und Mittelstandspolitik heißt für die FDP zum einen, strukturelle Probleme abzubauen. Unsere Unternehmen müssen von überflüssiger Bürokratie befreit werden. Deshalb unterstützen wir auch die mit der Reform angestrebte Deregulierung. Dass Sie den FDP-Vorschlag aufgenommen haben, die Eintragung ins Handelsregister von der Vorlage behördlicher Genehmigungen zu lösen, begrüßen wir ausdrücklich. Beschleunigung bei der Handelsregistereintragung haben wir aber auch schon durch das gemeinsam in dieser Legislaturperiode verabschiedete EHUG erreicht. So ist die Gründung einer GmbH nach neuesten Zahlen bei uns in Deutschland heute schon in durchschnittlich sechs Werktagen möglich. Der EU-weite Durchschnitt liegt bei dem Doppelten. Wir sind also bisher gar nicht so schlecht.
Wichtig ist für uns Liberale auch eine Vereinfachung des GmbH-Rechts. Gesetze müssen verständlich und in der Praxis handhabbar sein. Gerade das GmbH-Gesetz war jedoch sehr kompliziert, und die dazu entwickelte Rechtsprechung des BGH war kaum noch nachvollziehbar. Eigenkapitalersetzende Darlehen, Cash-Pooling, verdeckte Sacheinlage - dies alles sind Begriffe, bei denen sich Unternehmer und Rechtsanwälte die Haare rauften. Es wurde Zeit für eine Vereinfachung und für die Schaffung von Rechtssicherheit. Es wird sich aber erst in Zukunft herausstellen, ob die gefundenen Regeln tatsächlich die richtigen Lösungen sind; die Sachverständigen hatten hier doch noch einige Bedenken.
Das dritte Ziel des Gesetzentwurfes, das Sie angesprochen haben, die Missbrauchsbekämpfung, haben Sie für die Voll-GmbH, wie wir meinen, im Großen und Ganzen nicht schlecht umgesetzt. Leider zerstören Sie mögliche Erfolge durch die Einführung der Mini-GmbH.
In den letzten Tagen ist mir gerade aus dem Bundesjustizministerium immer wieder vorgehalten worden, man habe mit der GmbH-Reform einen sehr liberalen Gesetzentwurf vorgelegt und verstehe daher überhaupt nicht, warum die FDP diesem Gesetzentwurf nicht zustimme.
- Ich werde es Ihnen erklären. - Wir tragen den Gesetzentwurf nicht mit, weil Sie mit der Mini-GmbH einen Systembruch begehen, der nicht notwendig ist und der - im Gegenteil - dem Wirtschaftsstandort schaden wird.
Liberale Politik heißt für uns nicht Beliebigkeit, heißt nicht Rosinenpickerei, heißt nicht, ohne ordnungspolitischen Rahmen jeden gerade so agieren zu lassen, wie es für ihn am einfachsten ist. Liberale Politik bedeutet Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit und Übernahme von Verantwortung für wirtschaftliches Handeln. All dies haben Sie bei der Mini-GmbH nicht.
Sie verlassen den ordnungspolitischen Rahmen, indem Sie eine Kapitalgesellschaft ohne Kapital zulassen, und das, obwohl Sie - wenn auch spät - wieder zu der Einsicht gekommen sind, dass die Absenkung des Mindeststammkapitals für die GmbH gerade nicht der richtige Weg ist.
Auch wenn Kollege Gehb immer wieder glaubt, mich darüber belehren zu müssen, dass das Stammkapital keine Voraussetzung für Gläubigerschutz ist, so kann ich nur sagen: Jawohl, lieber Jürgen, das weiß ich.
Aber das Stammkapital ist ein wichtiges Signal
für Wirtschaftskraft, für Seriosität und damit letztendlich auch für Gläubigerschutz.
Wer nicht einmal bereit ist, einen bestimmten Betrag für seine unternehmerische Idee einzusetzen, um damit die Ernsthaftigkeit seines Unternehmens zu unterstreichen, wird scheitern.
Wie begründen Sie denn die Beibehaltung des Mindeststammkapitals? Da spricht man davon, das Ansehen der GmbH als verlässlicher Rechtsform des Mittelstandes nicht beschädigen zu wollen und dass das Stammkapital als Seriositätsschwelle notwendig sei. Das alles liest sich doch wie die Argumentation der FDP. Warum aber gelten diese Argumente nicht für die Mini-GmbH? Sie nehmen sehenden Auges in Kauf, dass unseriöse Gesellschaften am Wirtschaftsleben teilnehmen. Ihnen ist es egal, welcher wirtschaftliche Schaden da entsteht.
Mit der Einführung der Mini-GmbH - Frau Ministerin hat es gesagt - wollen Sie auf die britische Limited eingehen, obwohl Sie wissen, dass eine solche Gesellschaftsform nicht notwendig ist. Waren Sie, Frau Ministerin, es nicht, die ausdrücklich vor dem Gehb-Modell gewarnt hat?
Haben Sie nicht noch kurz vor Verabschiedung des Regierungsentwurfs in der FAZ erklärt - ich zitiere Sie -:
Die Mini-GmbH ist ein Zugeständnis an den Koalitionspartner ...
Und - das haben Sie heute noch einmal gesagt -:
Ganz ohne Kapital kann man kein Unternehmen gründen, auch nicht im Dienstleistungssektor.
Was hat Sie nun eigentlich vom Gegenteil überzeugt? Das haben Sie heute nicht erklärt. Die Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss kann es nicht gewesen sein. Die Mehrheit der Sachverständigen war weder von der Notwendigkeit noch gar von der Seriosität der Mini-GmbH überzeugt.
Es ist richtig: Wir hatten in den letzten Jahren einen kurzfristigen Boom von Limiteds in Deutschland, kurzfristig deshalb, weil nur ungefähr die Hälfte der Limiteds statistisch das erste Geschäftsjahr überlebt und nur 3 Prozent - ich wiederhole: 3 Prozent - die ersten beiden Jahre. Demgegenüber sind die GmbHs viel stabiler. Nur 2,5 Prozent der GmbHs geraten im ersten Jahr in finanzielle Schwierigkeiten.
Es ist also richtig, dass ein Großteil der Limiteds wirtschaftlich keinen Erfolg hatte. Warum? Diese Limiteds sind schlicht überschuldet. Das liegt nicht am britischen Recht, sondern an der fehlenden Finanzstärke dieser Limiteds. So wurde das Insolvenzverfahren bei 70 Prozent der Limited-Insolvenzen im Jahr 2006 mangels Masse nicht einmal eröffnet. Von diesen Insolvenzen - das bitte ich zu beachten - waren knapp 1 500 Arbeitnehmer in Deutschland betroffen, und die ausstehenden Forderungen beliefen sich auf rund 130 Millionen Euro. So viel zum gesamtwirtschaftlichen Schaden.
Mini-GmbHs werden dasselbe Schicksal erleiden wie die Limiteds. Sie werden bei Lieferanten, bei Banken und bei Behörden auf Vorbehalte treffen. Sie sind hoch insolvenzanfällig. Man kann natürlich sagen: Das ist das Risiko des einzelnen Geschäftsmannes. Es wird auch die Meinung vertreten, man könne die Mini-GmbH doch erst einmal ausprobieren. Wir Liberale fragen aber auch nach dem potenziellen wirtschaftlichen Schaden.
Wir fragen: Wer sind denn die Verlierer dieser Reform? Eine ganz klare Antwort hat der Sachverständige Professor Goette bei der Anhörung gegeben: Verlierer ist die Allgemeinheit. Der Fiskus, die Sozialkassen und die kleinen Gläubiger sind die Gelackmeierten. - Das sind nicht meine Worte, sondern die Worte von Professor Goette. Bei jedem insolventen Unternehmen gibt es Gläubiger, die ihr Geld nie sehen. Steuern und Sozialabgaben - das wissen wir - sind das erste, was eine Firma nicht mehr zahlt, wenn sie wirtschaftliche Schwierigkeiten hat. Arbeitnehmer und deren Familien sind von dem wirtschaftlichen Fiasko besonders betroffen.
Es wird versucht, die Mini-GmbH als ?Einstiegsvariante? zur GmbH hinzustellen, so in der FAZ, nach einer Pressemitteilung von Herrn Gehb. Wenn sie das denn wenigstens wäre, wenn man wirklich die Möglichkeit geschaffen hätte, zunächst mit einem geringen Mindestkapital zu beginnen, dann aber die GmbH mit einer festen Frist zu einer Voll-GmbH zwingend aufschließen zu lassen und umzufirmieren, dann wäre das noch ein gangbarer Weg gewesen. Eine solche Verpflichtung sieht der Gesetzentwurf aber nicht vor. Man hält bewusst an den zwei eigenständigen Formen fest, und das ist falsch. Das ganze Konzept der Mini-GmbH wird nicht gebraucht. Es nutzt niemandem.
Zum Abschluss möchte ich auf eine ganz besondere Variante des Gesetzes eingehen. Das GmbH-Gesetz wird ein gesetzliches Musterprotokoll für Notare enthalten. Ausgerechnet der Notar, der am besten ausgebildete Jurist,
der zu Recht weiterhin alle Gründungen vornehmen soll, bekommt gesetzliche Beratung. Diesen Unsinn kann man einfach nicht mitmachen.
Es ist nicht Aufgabe des Gesetzgebers, Musterverträge, Mustersatzungen und Musterprotokolle vorzugeben. Glauben Sie wirklich, man kann unseren Alltag in gesetzliche Muster pressen? Wollen wir demnächst darüber nachdenken und darüber diskutieren, welche Formularhandbücher für Notare und Rechtsanwälte künftig Gesetzesrang erhalten sollen? Nein, diesen Unsinn machen wir von der FDP nicht mit.
Lassen Sie mich noch einen kurzen Satz zu dem Entschließungsantrag der Grünen sagen: Das ist Rosinenpickerei pur. Sie wollen zum einen eine Haftungsbeschränkung bei Kapitalgesellschaften und zum anderen die steuerliche Behandlung als Personengesellschaft.
- Das ist genau der Punkt. Dazu sagen Sie so gut wie gar nichts.
Wie der Gläubigerschutz aussehen soll, sagen Sie nicht. Das ist genau der Punkt. Sie wollen zwar, dass die Unternehmen Gewinne machen, aber die Risiken und die Schäden wollen Sie sozialisieren und auf die Allgemeinheit verlagern. Da machen wir nicht mit.
Zur vorliegenden Reform kann ich nur sagen: Ja, wir brauchen eine Kultur der Selbstständigkeit. Ja, wir brauchen Existenzgründer, also Menschen, die bereit sind, wirtschaftliche Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Ja, wir brauchen eine starke, seriöse, schnell und unbürokratisch zu gründende GmbH. Aber nein, wir brauchen weder eine Mini-GmbH noch ein gesetzliches Musterprotokoll. Manchmal ist weniger schlicht mehr.
Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Dr. Jürgen Gehb ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Manche Gesetzesvorhaben kommen völlig unspektakulär daher und entpuppen sich erst bei näherer Betrachtung als politische Schwergewichte. In diese Kategorie fällt auch die GmbH-Reform. Sie ist nicht nur die umfassendste Reform des GmbH-Rechts seit dem Bestehen der GmbH im Jahre 1892, sondern sie wird auch von manch einem in der Fachliteratur, aber auch in der gängigen Literatur, die jedermann zugänglich ist, als kleine Revolution bezeichnet. Frau Ministerin und Kollegin Dyckmans, der Herrgott verzeihe Ihnen Ihre Übertreibungen, die Sie mir bei der Urheberschaft zugebilligt haben, und mir, dass ich sie ganz gerne gehört habe.
In den verschiedensten Zirkeln, zum Beispiel auf dem Deutschen Juristentag und bei Podiumsdiskussionen, wird schon sehr lange über die GmbH, über Defizite und über mögliche Veränderungen diskutiert. Nun ist das Diskutieren das eine, das Umsetzen ist das andere. Dazu braucht man nämlich Gestaltungskraft. Die Große Koalition ist auf dem Gebiet der Rechtspolitik handlungswillig und vor allen Dingen handlungsfähig.
Die Große Koalition wird hier und heute den Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen verabschieden. Letztlich kommt es nicht darauf an, ob man Zeitungsartikel schreibt, ob man Interviews gibt oder ob man Fachaufsätze verfasst, es kommt nur darauf an, was schwarz auf weiß im Bundesgesetzblatt steht. In einigen Wochen wird dies im Gesetzblatt stehen. Das ist die Leistung der Großen Koalition.
Ich möchte ohne Anspruch auf Vollständigkeit - und schon gar nicht wie in einer Rechtsvorlesung - wenigstens stakkatohaft auf einige Gesichtspunkte eingehen und sie aufzählen. Es gibt - das ist schon genannt worden - die berüchtigten Beerdigungsfälle, also Firmenbestattungen am Ende einer Gesellschaft. Es gibt die verzwickten verdeckten Sacheinlagen. Es gibt die großen verdrussbereitenden eigenkapitalersetzenden Darlehen und sonstige Leistungen, Nutzungsüberlassungen und Vorratsgesellschaften. Schließlich geht es um das ganz kontrovers diskutierte Cash-Pooling-System und vieles mehr. All diese damit verbundenen Ärgernisse schaffen wir ab. Die geplante Modernisierung werden wir erreichen. All den Missbrauch, den es bisher gegeben hat, werden wir verhindern.
Lassen Sie uns einen kurzen Augenblick Zeit nehmen und bei der Frage verweilen: Warum ist eine Reform des GmbH-Rechts notwendig? Die GmbH wird ja als das Erfolgsmodell seit ihrer Geburtsstunde 1892 bezeichnet, und 1 Million Gesellschaften mit beschränkter Haftung sind ein schlagender Beweis dafür.
Aber alle Erfolgsmodelle, ob es sich um Autos oder sonstige Waren und Güter handelt, kommen natürlich irgendwann in die Jahre und behalten ihren Erfolgsmodellcharakter nur, wenn sie den Zeiten angepasst werden. Das haben wir getan.
- ?Neues Design? sagt Herr Benneter.
Zu diesen bisher nur nationalen Gesichtspunkten einer Veränderung des GmbH-Rechts und einer Reform an Haupt und Gliedern gesellt sich eine europäische Variante, nämlich - die Kenner von Ihnen wissen es - die europäische Rechtsprechung des EuGH. Ich nenne nur die Verfahren Centros, Daily Mail, Überseering oder Inspire Art. Sie haben dazu geführt, dass wir aus unseren geradezu paradiesischen Verhältnissen - jedenfalls hinsichtlich der Exklusivität der deutschen Rechtsordnung - jäh auf den Boden der Wirklichkeit zurückgeworfen worden sind. Plötzlich stellen wir fest, dass sich deutsche Firmengründer auch anderer europäischer Rechtsformen bedienen können, zum Beispiel einer französischen oder einer spanischen. Beispielhaft bzw. pars pro toto sei die englische Limited erwähnt, die in quantitativer Hinsicht - das ist schon gesagt worden - noch immer eine große Bedeutung hat.
Diese europäischen Herausforderungen kann man nicht bewältigen, wenn man nur eine Änderung der GmbH-Konfiguration, wie wir sie kennen, vornimmt. Es ist nun einmal nicht möglich, eine Allzweckwaffe bzw. eine - ich formuliere es einmal volkstümlich - eierlegende Wollmilchsau zu schaffen. Man kann nicht einen Sportwagenfahrer, der gerne Porsche fährt, einen sechsfachen Familienvater, der einen Caravan braucht, und eine biedere Familie, die gerne ein Mittelklasseauto fährt, oder den Single mit einem Smart gleichzeitig bedienen.
Daher haben wir gesagt: Neben der Änderung bei der GmbH, die wir alle für notwendig halten und die wir ja vorgenommen haben, müssen wir auch eine spezifische Antwort auf die Herausforderungen der englischen Limited geben. Das haben wir mit der sogenannten haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft, kurz ?UG? genannt, getan. Sie wird ihren Platz in § 5 a des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts finden, und das wird auch so bleiben.
Meine Damen und Herren, was zeichnet eine haftungsbeschränkte Unternehmergesellschaft aus? Der Beweggrund, der uns zu dieser Regelung veranlasst hat, war, dass wir eine preiswerte, schnelle und unkomplizierte Gründung ermöglichen und auch die GmbH von dem Ballast, den sie mit sich bringt, entschlacken wollten. Unser Angebot ist die Gründung einer Gesellschaft mit einem Stammkapital von 1 Euro. Allerdings besteht die Pflicht zur Thesaurierung eines Viertels des jährlichen Gewinns, bis man das Stammkapital der GmbH eingezahlt hat.
Liebe Mechthild Dyckmans, aus diesem Grunde haben wir die Höhe des Stammkapitals der GmbH bei 25 000 Euro belassen. Denn aufgrund des Angebots einer Einstiegsvariante war ein ?Herumfummeln? an der Stellschraube Stammkapital - nach dem Motto: 25 000 Euro, 10 000 Euro, 5 000 Euro; wer bietet mehr, wer bietet weniger? - gar nicht mehr nötig. Wir konnten diese zugegebenermaßen bedeutungsvolle Seriositätsschwelle beibehalten.
Weil Sie eben von Konkursen geredet haben, möchte ich Sie fragen: Wissen Sie eigentlich, wie hoch die Insolvenzsumme im Falle des Konkurses einer klassischen GmbH ist? Im Schnitt beträgt diese Insolvenzsumme 800 000 Euro. 25 000 Euro Haftungskapital, mit dem man das abfangen will, ist auch nur eine Quantité negligable. Daher haben wir die Hürde für die Gründung bei einem Stammkapital von 1 Euro eingebaut.
Im Gegensatz zu den erfolglosen Versuchen in der Vergangenheit, allerdings bei politisch anders gearteten Konstellationen - ich erinnere nur an das Mindestkapitalgesetz oder an das MiKaTraG -, haben wir es nun geschafft, der klassischen GmbH unter Beibehaltung ihrer Attraktivität für diejenigen, die sich ihrer schon bedienen, eine kleine Schwester zur Seite zu stellen.
Meine Damen und Herren, es ging uns nicht nur darum, eine Regelung zu schaffen, die ein geringes Stammkapital vorsieht, sondern auch darum, die Gründungskosten zu verringern. Wer mit einer Einmann-GmbH vorliebnehmen will und zum Notar geht, der zahlt 20 Euro Notargebühren und 100 Euro Registergebühren. Das Ganze geht auch noch ziemlich schnell, und die Gründungskosten bleiben mit ungefähr 150 Euro deutlich unter den Kosten für die Gründung einer Limited.
Nun wird kritisiert, das Gründungsprotokoll sei Quatsch, und man brauche es nicht. Ich sage Ihnen: Wenn Sie heute zum Arzt gehen und sagen, dass Sie ein bestimmtes Rezept brauchen, dann greift der Arzt in eine Schublade, holt seinen 08/15-Rezeptblock heraus und schreibt es auf. Das kostet Privatpatienten wie mich, die den 2,3-fachen Satz zahlen müssen, 20,11 Euro. Wer mehr will, wem dieses Basismodell, dieser Smart Standard, nicht reicht, wer lieber einen Smart mit Schiebedach, parfümierten Haftreifen
und Ledersitzen will, der muss natürlich mehr zahlen. Wer mehr will, muss abhängig vom Geschäftswert von mindestens 25 000 Euro - da lacht das Herz, Herr Benneter, nicht wahr? - mit nach oben offenen Grenzen, freilich degressiv, mehr zahlen. Das wollen wir auch. Mehr Leistung - mehr Gegenleistung; das ist auch auf anderen Gebieten so, das ist ein ganz einfaches Prinzip.
Wenn ich schon für die Urheberschaft der Unternehmergesellschaft verantwortlich gemacht werde, will ich sagen: Solange etwas Erfolg hat, wollen alle der Urheber gewesen sein. So ist es auch diesmal: Es ist kurios, wer sich jetzt alles als Erfinder der UG geriert. Bei Misserfolg steht man allerdings als Waisenknabe da. Aber abwarten!
Es ist nicht nur der rechtspolitische Sprecher der Union, der sich für die UG ausgesprochen hat, auch aus der Wirtschaft kamen Rufe nach einer solchen Rechtsform. Ich erinnere daran, dass der Chefjustiziar des DIHK, Herr Dr. Möllering gesagt hat: Wir brauchen noch eine zusätzliche Rechtsform für die ganz Kleinen.
Auch aus der Wissenschaft kamen entsprechende Stimmen. So gehen Teile dieser Idee auf den Nestor, auf den Doyen der deutschen Gesellschaftsrechtslehre, Herrn Professor Dr. Lutter zurück; die UG hat ihm viel zu verdanken. Auch Professor Heribert Hirte hat uns mit zahlreichen Vorschlägen flankierend zur Seite gestanden. Ihm ist ebenso zu danken wie den Mitarbeitern des Justizministeriums, die, was die UG angeht, zwar zum Jagen getragen werden mussten - freilich, Herr Seibert -, aber das dann wunderbar begleitet haben.
Wir haben nicht nur national Rückenwind: Der Präsident der Wirtschaftskammer Österreichs hat erklärt, dass er auf ein ähnliches Gesetz wie für die GmbH-Reform in Deutschland nebst der UG warte. Wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn die Österreicher demnächst mit einer ähnlichen Gesellschaftsrechtsform aufwarten.
Last, but not least: Wer gelegentlich liest - dieses ?liest? wird zugegebenermaßen anders geschrieben -, konnte gestern im Handelsblatt lesen, dass die Europäische Kommission, so Binnenmarktkommissar McCreevy, eine Europäische Privatgesellschaft einführen will: die sogenannte Societas Privata Europaea - in keiner meiner Reden darf ein lateinischer Ausdruck fehlen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege, nach der Geschäftsordnung des Bundestages wäre es zulässig, auf lateinische Begriffe zu verzichten.
Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU):
Ich mache nur das, was zulässig ist - obwohl manche hier, was die freie Rede angeht, eigentlich gänzlich gegen die Geschäftsordnung verstoßen.
Die Europäische Kommission schlägt vor, dass es für die Gründung einer Societas Privata Europaea genügen soll, 1 Euro einzubringen. Ich möchte einmal wissen, wie Sie dagegen angehen wollen, Frau Dyckmans! Aber wollen wir warten, bis die Europäische Kommission endlich zu Potte kommt? Nein. Hic et nunc, hier und jetzt, heute machen wir das!
Ganz zum Schluss: Verehrte Frau Dyckmans, liebe Mechthild,
bei der ganzen Kritik, die du vorgelesen hast, hättest du dir an deinem parlamentarischen Urahnen, dem nationalliberalen Abgeordneten Dr. Bamberger ein Beispiel nehmen sollen, der sich schon am 21. März 1892 in der 199. Sitzung des Reichstages bei der Einführung der GmbH neben der Aktiengesellschaft - die übrigens genauso bekämpft worden ist wie jetzt die UG, die neben der GmbH eingeführt werden soll - wahrscheinlich - ich war nicht Zeitzeuge, auch wenn ich manchmal fast so aussehe -
ganz lässig hingestellt und erklärt hat: Allen Verzagten und allen Kritikern sei gesagt, dass sie sich erst einmal anschauen sollen, wie sich das Neue in der Praxis bewährt. - Das empfehle ich auch. Wir sollten nicht aus Angst vor dem Tode Selbstmord begehen! Wir sollten uns anstecken lassen von dem Optimismus der Pioniere des Gesellschaftsrechts!
Wir sollten nicht kleinkariert und kleinmütig an einer Gesellschaftsrechtsreform herummäkeln, die - davon bin ich überzeugt - sowohl den Gründungswilligen als auch den Investoren als auch den großen Konzernen einen Rechtsrahmen bietet, innerhalb dessen die Leute ihre unternehmerische Findigkeit, ihren Ideenreichtum umsetzen können. Ich bin der Meinung, mit der Reform, die wir heute verabschieden, wird die GmbH, wird das Gesellschaftsrecht fit für das 21. Jahrhundert.
Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Sabine Zimmermann, Fraktion Die Linke.
Sabine Zimmermann (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Gehb, Sie sprachen eben von einem neuen Design für das Gesetz. Ich denke, es geht nicht um die Fassade, sondern um den Inhalt. Deswegen muss ich Ihnen hier wirklich widersprechen.
Wir beraten heute einen Gesetzentwurf in zweiter und dritter Lesung, der den Namen, den er trägt, aus unserer Sicht nicht verdient.
Wir haben diesen Gesetzentwurf im Ausschuss - ich muss sagen: in seltener Einmütigkeit mit der FDP - abgelehnt.
Dies werden wir auch heute tun. Aus unserer Sicht gibt es keinen Anlass, die bewährte Rechtsform der GmbH durch eine neue Unterform zu ergänzen. Diese sogenannte Unternehmergesellschaft ist missbrauchsanfällig, bietet keinen hinreichenden Gläubigerschutz und ist deshalb uns unserer Sicht völlig überflüssig.
Als Grund für diese Gesellschaftsform hat Dr. Gehb - ich muss ihn wieder zitieren - in der ersten Lesung am 20. September 2007 Folgendes gesagt:
Wir stehen in einem europäischen Wettbewerb nicht nur hinsichtlich der Erzeugung von Gütern und Dienstleistungen, sondern auch hinsichtlich der Rechtsordnungen und der Rechtsformen. Diesen Wettbewerb nehmen wir an. Wir wollen und müssen ihn gewinnen.
Für mich stellt sich die Frage, ob dieser von Ihnen ausgerufene Wettbewerb zwangsläufig so aussehen muss, dass die niedrigsten Standards anzusetzen sind. Wenn überhaupt ein Vergleich zwischen Rechtsordnungen gezogen werden kann, dann sollte dies aus der Sicht meiner Fraktion nach dem Maßstab der Verwirklichung sozialstaatlicher und demokratischer Grundsätze erfolgen. Dies scheint mir hier nicht der Motor und der Maßstab der Veränderung gewesen zu sein.
Sie unterstellen, dass viele Gründer darauf angewiesen sind, möglichst viel Kapital mit einem möglichst geringen Risiko zu erwirtschaften. Warum dies das Beste ist, kann uns allerdings niemand begründen. Warum muss ein Unternehmer, der als Marktteilnehmer Gewinne erzielt, von den Risiken seines Tuns möglichst freigestellt werden? Ich frage Sie: Wie wollen Sie das den Millionen Arbeitslosen erklären, denen in den vergangenen Jahren immer mehr Risiken der Lebenssicherung aufgebürdet worden sind?
- Ja, ich frage auch Herrn Benneter zum Beispiel. Sie sind ja in einer sozialen, demokratischen Partei, deren Mitglied ich auch einmal war.
Die Gründer, die Sie mit 1 Euro mal eben eine Gesellschaft gründen lassen wollen, werden am Markt tätig sein. Die Unternehmergesellschaft wird also Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigen und darüber hinaus viele weitere Gläubiger haben.
Was macht dieser Unternehmer denn, wenn er statt der erwarteten Gewinne ganz im Gegenteil Verluste einfährt?
Er wird früher oder später logischerweise in die Insolvenz gehen. Meine Kollegin von der FDP hat es gesagt: Wer dann die Kosten trägt, scheint Ihnen gleichgültig zu sein.
- Dass Sie nicht unserer Meinung sind, ist ja allgemein bekannt.
Ebenso gehen Sie darüber hinweg, dass die neuen Unternehmen, die mit einer weitestgehenden Haftungsbeschränkung entstehen sollen, sehr viel häufiger pleitegehen. Gerade das lehrt ja die Erfahrung mit den britischen Limiteds. Von den Unternehmern, die sich in Deutschland für diese britische Rechtsform entschieden haben, ist ein hoher Prozentsatz längst insolvent. Mit ihrer grandiosen Innovation, mit ihren Unternehmergesellschaften, organisieren Sie einen Wettbewerb der Pleiterekorde.
Wenn es um Arbeitslose und Rentner geht, dann drehen Sie jeden Cent dreimal um. Wenn es aber um Gründer geht, dann soll es egal sein, wie viel Geld für Rechtstreitigkeiten und sonstige Folgekosten verloren geht. Möglichst schnell und möglichst einfach sollen Unternehmen gegründet werden. Viel mehr als ein Dogma haben Sie hier nicht zu bieten.
Sie alle haben sicherlich schon von Fällen gehört, in denen die Zahlung der Arbeitslöhne angefochten wurde und die Löhne an den Insolvenzverwalter zurückgezahlt werden mussten. Versetzen Sie sich jetzt doch bitte einmal in die Lage eines Arbeiters oder eines Angestellten. Sollen sie, wenn sie bei einem solchen Unternehmen beschäftigt sind, ihren Lohn etwa gleich beim Insolvenzverwalter abgeben, weil sie ja schließlich wussten, dass sie bei einer GmbH light arbeiten, die eben immer ein bisschen mehr Risiko in sich birgt? Ich habe dies bewusst zugespitzt
- es hat garantiert etwas damit zu tun -, weil die Koalition, wie uns scheint, anders an eine GmbH-Reform herangeht, als wir das tun würden. Während sich die Koalition fragt, mit welchen Rechtsordnungen sie um die Wette eifern kann, richten wir unseren Blick auch auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und fragen uns, wie wir deren Situation in solchen GmbHs verbessern können. Hierzu gibt es allerhand Anknüpfungspunkte im Bereich der Demokratisierung der Entscheidungsprozesse in den Unternehmen.
Auch der Gläubigerschutz muss gestärkt werden. Denn dadurch werden Arbeitsplätze erhalten und andere Unternehmen - vor allem im Mittelstand - davor geschützt, bei einer Krise des Vertragspartners selbst in eine Krise zu geraten.
Es gäbe also viel zu tun. Mit der Unternehmergesellschaft marschiert die Koalition in die entgegengesetzte Richtung und vermindert den Gläubigerschutz. In der Begründung zur Einführung dieser Unternehmergesellschaft wird lapidar auf die Vielzahl von Gründungen in der Form der Limited hingewiesen. Wie viele Gründungen aber gibt es genau? Wie viele sind schon wieder gelöscht worden? Warum ist das geschehen, und wie ergeht es den Gläubigern solcher Limiteds? Welche Probleme ergeben sich für die Gründer selbst?
All diese Fragen sind nicht seriös beantwortet worden, sonst hätten Sie diesen Gesetzentwurf nicht in dieser Form vorgelegt. Zum Teil sind die von mir genannten Fragen in der Anhörung des Rechtsausschusses beantwortet worden. Die Antworten fielen deutlich gegen die Unternehmergesellschaft aus. Es wurde klar herausgestellt, dass der faktische Verzicht auf das Stammkapital ein Risiko für die Gläubiger darstellt. Es wurde auf die französischen GmbHs mit weniger als 7 500 Euro Stammkapital hingewiesen. Ebenso wurde deutlich darauf hingewiesen, dass die englischen Limiteds viel insolvenzanfälliger sind als Unternehmen nach dem bislang geltenden deutschen Recht. Ähnliches droht nun mit der Einführung der unterkapitalisierten Unternehmergesellschaft.
Gegen diese von uns und vielen Sachverständigen geäußerten Warnungen führen Sie merkwürdige Argumente an. Über das Argument, selbst die 25 000 Euro der GmbH, die als Stammkapital aufzubringen sind, seien nichts im Vergleich zu den gewöhnlich auftretenden Schulden, kann man sich nur wundern. Man fragt sich, ob es sich dabei um Zynismus oder Gedankenlosigkeit handelt.
Sie vergessen auch die Seriositätsschwelle, die vom Stammkapital ausgeht. Die Ansparpflicht für das Stammkapital, die für die neue Unternehmergesellschaft gelten soll, mag für Sie eine kleine Beruhigungspille sein. Aus unserer Sicht ist das aber keine Lösung.
Es ist auch nicht gesagt, dass der Gesetzentwurf den Gründern selbst wirklich hilft. Denn sie kommen damit eher zu dem Trugschluss, dass nichts leichter ist, als ein Unternehmen zu gründen. Im Zweifel sind die Gründer besser beraten, wenn sie durch entsprechende Hürden davon abgehalten werden, unwirtschaftliche Unternehmungen zu gründen. Wegen mangelnder Kreditwürdigkeit werden sie von den Banken sowieso nur dann Geld bekommen, wenn sie persönlich haften.
- Ja, aber auch das kann durch Ihren Gesetzentwurf zu einem Problem werden; denn Sie fördern die Leichtfertigkeit im Umgang mit unternehmerischen Entscheidungen.
- Sie haben gleich die Möglichkeit, darauf einzugehen.
Ein zu schnelles und leichtfertiges Eingehen persönlicher Haftungsrisiken wird durch Ihr Gesetz indirekt gefördert. Wenn die Gründer mit ihrer Geschäftsidee falsch liegen, sind sie doppelt hart getroffen: als Unternehmer gescheitert und in persönlichen Schulden versunken.
Sie haben an keiner Stelle den Bedarf für die Einführung der Unternehmergesellschaft nachgewiesen. Wenn Sie den Vergleich der Rechtsordnungen sozial verantwortlich und ernsthaft durchführen würden, dann wären ganz andere Schlussfolgerungen zwingend notwendig. Dann gäbe es längst den Mindestlohn. Da Sie aber diesen Vergleich nicht sozial verantwortlich durchführen, kann man nur mit Schrecken abwarten, welche Neuerungen uns beim großen Wettbewerb der Rechtsordnungen erwarten.
Alles in allem kann man zur Einführung der Unternehmergesellschaft nur festzustellen: Wie Sie hier auf den Namen ?Gesetzentwurf ... zur Bekämpfung von Missbräuchen? kommen, ist schleierhaft und vollkommen unverständlich. Sie öffnen dem Missbrauch Tür und Tor.
Wir werden dem nicht zustimmen.
Danke.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nun hat der Kollege Jerzy Montag das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich vorgestern die FAZ gelesen habe, war ich fast geneigt, den Einstieg meiner heutigen Rede zu verändern; denn dort steht, von 2006 bis 2008 sei die Zahl der Neugründungen erschreckend zurückgegangen. Ich dachte: Oh Gott! Was ist passiert? Ich habe ein ganz anderes Bild. - Aber am Ende des gleichen Zeitungsartikels steht der Satz, verantwortlich für den Rückgang seien vor allem die gute Konjunktur in den vergangenen Jahren und die damit einhergehende Entspannung auf dem Arbeitsmarkt. Die höhere Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt erklärt also die gesunkene Zahl der Gründungen. Danach war ich ein bisschen beruhigt. Ich habe mich dann den Zahlen des Statistischen Bundesamtes zugewandt. Danach gab es im Jahr 2006 in Deutschland 53 000 GmbH-Neugründungen, 12 500 sogenannte Neuzuzüge und 8 000 Übernahmen - dabei handelt es sich um die Errichtung einer GmbH durch Kauf, Erbe oder Rechtsformänderung -, insgesamt 77 500 GmbHs.
Das GmbH-Recht ist seit fast 30 Jahren unverändert. Die angestrebte Reform ist die größte und strukturell entscheidendste seit der Gründung dieser Rechtsform.
Unternehmer haben ein Interesse, sich bei überschaubarem Risiko wirtschaftlich zu betätigen, einem Risiko, das auf die wirtschaftliche Betätigung begrenzt ist und nicht ihr Privatvermögen betrifft.
Dies ist seit über 100 Jahren ein Erfolgsmodell in Deutschland. Insbesondere der Linken sage ich: Der Mittelstand bildet den Kern dieses Modells mit überschaubarem wirtschaftlichen Risiko. Das ist auch der Kern dessen, mit dem in Deutschland die Arbeitslosigkeit bekämpft werden kann.
Sie wollen dieses Modell mit Ihren populistischen Äußerungen grundsätzlich schleifen. Damit greifen Sie unmittelbar in die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ein und erhöhen die Arbeitslosigkeit, statt mitzuhelfen, sie zu mindern.
Über die Jahrzehnte haben sich Schwächen beim GmbH-Recht herausgebildet. Wir haben Lücken erkannt, genauso wie die Rechtsprechung. Es haben sich neue Entwicklungen ergeben, die neue Regelungen erfordern. Mit dem Gesetz werden alle Probleme angepackt, von der Geburt bis zur Insolvenz und zur sogenannten Bestattung. Das ist der Kern des GmbH-Rechts. Wir unterstützen dieses Reformwerk und werden ihm zustimmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie suchen krampfhaft nach zwei, drei Punkten - und seien sie noch so unbedeutend -, um Ihre Ablehnung zu begründen. Das ist angesichts des Reformwerks überhaupt nicht angemessen.
Punkt eins ist das beurkundungspflichtige Musterprotokoll, liebe Kollegin Dyckmans. Fakt ist - die Kollegen Notare werden mir das bestätigen -: Die Notare haben das längst und brauchen kein Musterprotokoll. Sie haben sich längst auf das Gesetz vorbereitet und haben in ihrer eigenen Mustersammlung, die sie bei ihrem Verband kaufen, bereits ein entsprechendes Musterprotokoll, das sie per Knopfdruck abrufen können. Es stimmt, dieses beurkundungspflichtige Musterprotokoll wird nicht gebraucht. Aber das ist kein Grund, den Gesetzentwurf abzulehnen. Man muss wirklich mit der Lupe suchen, um so etwas zu finden.
Punkt zwei ist die Debatte über das sogenannte Gründungskapital. Ich sehe, dass man bei der Argumentation hin und her laviert. Die Bundesjustizministerin Zypries hat einmal gesagt: Es ist vernünftig, die Höhe des Mindeststammkapitals auf 10 000 Euro abzusenken, alles andere bringt nichts. Jetzt ist genau das Gegenteil eingetreten. Es ist etwas Neues hinzugekommen, nämlich die UG. Die Höhe des Mindestkapitals ist nicht auf 10 000 abgesenkt worden; sie ist bei 25 000 Euro geblieben, so wie wir es immer hatten.
- Hören Sie mir bis zum Ende zu. Die andere Argumentation ist: Diese Summe hat die Funktion einer Seriositätsschwelle. Ich halte das alles für Argumente neben der Sache. Wir haben von den Sachverständigen gehört - das wissen wir doch -, dass dies keine Seriositätsschwelle ist.
Ob man 10 000 Euro, davon 50 Prozent als Bareinlage, oder 25 000 Euro, davon 50 Prozent als Bareinlage, braucht, ist, je nach dem, wie man sich betätigen will, entweder viel oder gar nichts. Wenn man ein Darlehen braucht und dafür Schulden machen muss, gilt sowieso die persönliche Haftung. Sie sagen selber: Bei einer durchschnittlichen Insolvenzsumme von 800 000 Euro spielen 10 000 oder 25 000 Euro überhaupt keine Rolle.
Die Frage über die Höhe des Gründungskapitals mag im 19. Jahrhundert eine Rolle gespielt haben. Heute ist das unerheblich. Deswegen ist die Frage, ob die Große Koalition und das Bundesjustizministerium bei dieser Position mal so und mal anders argumentiert haben, unwichtig, wenn es darum geht, wie man diesen Gesetzentwurf bewertet. Das ist der zweite Punkt, bei dem ich Ihnen vorwerfe, dass Sie ein Haar in der Suppe suchen.
Punkt drei. Viele junge Leute haben eine Idee und wollen Unternehmer werden und suchen daher nach einer neuen und modernen Form, in der sie sich betätigen können. Diesem Bedürfnis muss man Rechnung tragen. Wenn man das nicht tut, dann verschließt man viele Möglichkeiten und verbaut den jungen Menschen Zukunftschancen. Man muss ihnen vielmehr ein Angebot machen, damit sie mit einer Beschränkung in Höhe des finanziellen Risikos, das sie in ihrem Gewerbe oder in ihrem Unternehmen tragen können, anfangen können, sodass sie nicht auf ihr persönliches Vermögen zurückgreifen müssen.
Aufgrund der europäischen Rechtsprechung können diese neuen Unternehmer ausländische Rechtsformen wählen. Wir waren uns fast alle einig, dass dies durch ein deutsches Angebot insbesondere deswegen verbessert werden muss, weil diese Rückgriffe auf englisches, spanisches oder französisches Recht für die Betroffenen ab dem zweiten Jahr zu erheblichen Nachteilen führen. Insofern haben wir hier auch eine Schutzfunktion.
Die von Ihnen vorgeschlagene UG ist nicht so schlecht, wie ihre Feinde und Gegner sie machen wollen. Aber wir Grünen sagen: Sie hat genau für diese Personen einen strukturellen Nachteil. Weil dieses Angebot als Kapitalgesellschaft ausgestaltet ist, führt dies notwendigerweise dazu, dass die Steuer von den ersten 3 Euro Gewinn, die dieses Unternehmen macht, 1 Euro einbehält.
30 Prozent gehen für die Körperschaftsteuer und weitere Steuern ab. Von den ersten 4 Euro, Herr Benneter, die ein solcher Jungunternehmer aus dem Unternehmen als Gewinn entnimmt, nimmt sich die Steuer wiederum 1 Euro, also 25 Prozent. Das ist kontraproduktiv.
Wir sagen: Die UG, wie Sie sie gemacht haben, hat nicht so viele Fehler, dass man deswegen das ganze Gesetz ablehnen muss, Frau Dyckmans.
Das ist nicht glaubwürdig. Wir Grünen haben ein besseres Angebot, nämlich die Personengesellschaft mit beschränkter Haftung.
Mit unserem Entschließungsantrag sagen wir: Verbinden wir doch die Vorzüge der UG
mit einer steuerrechtlichen Lösung in Form einer Privatgesellschaft.
Damit komme ich zu Ihnen, Frau Kollegin Dyckmans. Sie werfen uns vor, Rosinenpickerei zu betreiben und uns um Gläubiger und um Dritte nicht zu kümmern. Ich darf Ihnen dazu aus unserem Entschließungsantrag vorlesen, weil Sie offensichtlich nicht in der Lage waren, bis zum Schluss zu lesen, sonst hätten Sie uns keine solchen Vorwürfe gemacht:
Besonderes Augenmerk ist bei der Gestaltung einer solchen neuen Gesellschaftsform auf verbesserten ? Gläubigerschutz durch strenge Rechnungslegungs- und Publizitätspflichten, erhöhte Verantwortung der ? Gesellschafter für die ausreichende Kapitalisierung der von ihnen betriebenen Gesellschaft und andere Maßnahmen zum Schutz von Gesellschaft, ... Gesellschafter und ? Gläubiger zu richten.
Der Vorwurf gegen uns, wir würden uns diesem Problem nicht widmen, ist also falsch, widerlegt durch dieses Zitat.
Der Gesetzentwurf, den die Koalition vorgelegt hat, ist gut und richtig. Wir werden ihm zustimmen. Die paar Schönheitsfehler haben wir benannt und zu Protokoll gegeben. Das ist aber kein Grund, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich komme zum Schluss. Herr Präsident, meine Damen und Herren, es ist für mich eine einmalige Situation: Erstmals, seitdem ich im Hohen Hause Abgeordneter bin, habe ich meine Redezeit nicht vollständig ausgeschöpft. Das wird sich nicht wiederholen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege, diese Drohung wird ohnehin im Protokoll vermerkt. Ich werde sie aber den Kollegen im Präsidium gewissermaßen als Vorwarnung mit auf den Weg geben.
Als nächster Redner erhält der Kollege Klaus Uwe Benneter für die SPD-Fraktion das Wort.
Klaus Uwe Benneter (SPD):
Herr Kollege Montag, in der Kürze liegt die Würze.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rechtsform der GmbH ist ein Erfolgsmodell. Das ist, Frau Dyckmans, gelebter Mittelstand. GmbH bedeutet heute Wertschätzung und Anerkennung.
Die GmbH ist seit mehr als 100 Jahren ein gesellschaftsrechtliches und wirtschaftspolitisches Erfolgsmodell.
- Dann sagen Sie das hier auch und machen Sie es nicht schlechter, als es ist.
Bei 82 Millionen Einwohnern 1 Million GmbHs, das zeigt, dass viele Menschen ihr Können, ihre Arbeitskraft, ihre ganze Kreativität in solche erfolgreiche Unternehmungen oft über Generationen hinweg investieren.
Dennoch - das ist nicht zu verkennen - haben sich etliche Mängel über ein Jahrhundert - 1892 liegt ja doch schon so weit zurück - eingestellt. Kreativ sind ja nicht nur die Unternehmer gewesen, sondern kreativ waren auch die Rechtsanwender, beispielsweise die professionellen GmbH-Bestatter, die das bestehende Recht dazu genutzt haben, sich der Insolvenz und der Liquidation zu entziehen. Ihr probates Mittel war, marode GmbHs bewusst in Führungsverantwortungslosigkeit und vor allen Dingen Nichterreichbarkeit zu steuern. Diesen Firmenbestattern legen wir jetzt das Handwerk,
und zwar durch klare Zustellungsregelungen, durch eine verschärfte Haftung der Geschäftsführer bei unverantwortlichen Auszahlungen an Gesellschafter in der Krise der Gesellschaft und durch erweiterte Gesellschafterpflichten bei Führungslosigkeit der GmbH. Das alles sind Antworten auf Ihre Behauptung, wir würden eine leichtsinnige Reform machen.
Kreativ war ja auch die Rechtsprechung. Das ist bei Hunderttausenden GmbHs kein Wunder. Sie hat in manchen Bereichen dazu geführt, dass das Recht für die Anwender überhaupt nicht mehr nachvollziehbar war. Das betraf die Rechtsprechung zu den Rechtsfolgen verdeckter Sacheinlagen, die im Insolvenzfall wertmäßig nochmals und dann doppelt erbracht werden mussten. Die meisten GmbH-Gesellschafter, wenn man einmal von Konzerntöchtern absieht, haben ja keine großen Rechtsabteilungen im Rücken. Diese wurden bisher mit weit übertriebenen Rechtsfolgen überrumpelt. Das konnte niemand mehr nachvollziehen.
Wir gestalten jetzt die Rechtsfolgen verdeckter Sacheinlagen besser und einfacher. Die gefundene Anrechnungslösung, wonach die Sacheinlage nach Eintragung der Gesellschaft auf die an sich vereinbarte Geldeinlage angerechnet wird, ist korrekt. Sie verleitet den Geschäftsführer nicht zum Lügen. In der Sachverständigenanhörung wurde die noch im Regierungsentwurf vorgesehene Lösung zu Recht moniert. Wir stellen jetzt klar, dass der Gesellschafter für die Werthaltigkeit seiner Einlage beweispflichtig ist und bleibt.
Meine Damen und Herren, kreativ waren auch die Registerrichter. Bisher war vorgegeben, dass die GmbH-Gründer alle erforderlichen verwaltungsrechtlichen Genehmigungen für das Unternehmen beizubringen hatten. Daraus wurde auch noch die Forderung, Negativatteste vorzulegen, also dass eine Behörde bescheinigt, dass eine Erlaubnis gerade nicht erforderlich ist.
Welche Blüten das treibt, habe ich selbst erlebt. An mich hat sich ein junger Mann gewandt, der die Idee hatte, Autorückscheiben mit Abtönfolien gegen zu viel Sonne und vielleicht auch gegen zu viele neugierige Blicke anderer Autofahrer zu bekleben. Er sollte ein Negativattest beibringen, das besagt, dass es sich bei seinem Vorhaben nicht um ein Kfz-Handwerk handelt. Als er dann bei der Kfz-Innung war, wurde ihm gesagt, er solle erst einmal ein Negativattest beibringen, welches besage, dass es kein Glaserhandwerk sei. Da er beide Negativatteste nicht beibringen konnte, hat auch das Registergericht die Eintragung verweigert. Solcher Art sind die Blüten, die Unternehmensgründer zum Wahnsinn treiben konnten.
Wir machen damit grundsätzlich Schluss. Wir trennen Gesellschaftsrecht und Verwaltungsrecht. Verwaltungsrechtliche Fragen gehören in den Bereich der Verwaltung und nicht in den des Registergerichts. Die GmbH kann sich gründen und erst dann die erforderlichen Genehmigungen für das Unternehmen einholen. Die zuständigen Behörden können sich darum kümmern, ob eine gegründete GmbH Genehmigungen braucht und wofür diese erforderlich sind.
In vielen unkomplizierten Standardfällen ermöglichen wir künftig rasche, kostengünstige GmbH-Gründungen mit einem notariellen Musterprotokoll. Für 126 Euro können Sie jetzt eine GmbH mit einem normalen Stammkapital von 25 000 Euro gründen. Die Gründung einer Unternehmergesellschaft mit 1 Euro Stammkapital - darauf hat der Kollege Gehb schon hingewiesen - kostet jetzt 20 Euro. Jetzt bemängeln Sie, Frau Dyckmans, dass wir als Gesetzgeber uns als Gouvernante für Notare aufspielen und für diese ein Protokoll entworfen haben. Richtig, das können die auch alleine; das weiß ich aus eigenem Erleben.
- Ich schon, gut. - Das Musterprotokoll, Frau Dyckmans, ist keine Hilfestellung für Notare, sondern für die potenziellen Gründer, für die Laien.
Ein Blick ins Gesetz - also heute ins Internet -, und die Gründer wissen, dass das kein bürokratisches Monstrum, sondern ein kurzes, verständliches, lesbares Musterprotokoll ist. Ich denke, das ist das, worauf es ankommt. Das macht Unternehmensgründern Mut und die entsprechende Laune. Dagegen können Sie eigentlich nichts haben, auch Sie, Frau Dyckmans, nicht.
Der EuGH hat 2002 eine in Deutschland eigentlich gut eingeübte, funktionierende Rechtspraxis ausgehebelt. Gründungs- und Verwaltungssitz durften danach nicht auseinanderfallen. Das ist aufgehoben worden und mit der Niederlassungsfreiheit in Europa begründet worden. In der Folge hatten wir zunehmend die Rechtsform der britischen Limited, das heißt, es konnten nach englischem Recht Gesellschaften mit beschränkter Haftung ohne irgendein Mindestkapital gegründet werden. Von den sehr üblen Folgen wurden wir erst viel später überrascht.
Wir reagieren auf diese Rechtsprechung. Jetzt sind einmal wir kreativ. Wir erlauben künftig deutschen GmbHs, ihren Betrieb ins Ausland zu legen und zu verlegen. Das war bisher für eine deutsche GmbH nicht möglich. Jetzt besteht die Möglichkeit, dass deutsche Unternehmen ihre europäischen Auslandstöchter in der ihnen bekannten Rechtsform der GmbH gründen und führen. Das ist für deutsche exportorientierte Unternehmen eine große Verbesserung. Bisher mussten deutsche Unternehmen in jedem Mitgliedstaat eine nach dortigem Recht geregelte Gesellschaft gründen. Das war logischerweise mit vielen Gesellschafts-, Rechts- und Formfragen und erst recht mit hohen Kosten verbunden. Jetzt wird unsere deutsche GmbH exportfähig.
Weiterhin wurde ein für uns Sozialdemokraten wichtiges Anliegen geregelt, nämlich in der Insolvenz die Sanierungschancen und damit die Arbeitsplätze nach Möglichkeit zu erhalten. Anders als von der Linken hier behauptet, haben wir die für die Insolvenzpraxis wichtige Nutzungsüberlassung in der Insolvenz klarer geregelt. Es geht dabei um die Gegenstände, die man braucht, die der Gesellschaft von den Gesellschaftern überlassen worden waren, die aber für die Betriebsfortführung und zur Sanierung von erheblicher Bedeutung sind und bei denen immer die Gefahr bestand, dass sie sofort ausgesondert wurden und damit die Chancen auf Sanierung zunichte gemacht wurden. Die Herausgabe dieser Gegenstände können die Gesellschafter jetzt ein Jahr lang nicht verlangen. Das ist ein klarer Zeitraum. In diesem Zeitraum ist eine Sanierung möglich, sie kann in dieser Zeit gelingen.
Wir schaffen mit der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) ein neues Angebot für Firmengründer, die eben kein Mindeststammkapital von 25 000 Euro brauchen und mit weniger auskommen können. Interessanterweise behauptet jetzt die Linke Arm in Arm mit der FDP, die Limiteds in Deutschland hätten gezeigt, dass unseriöse Unternehmensgründer es darauf anlegen würden, Mitarbeiter, Sozialversicherungen und den Fiskus zu schröpfen. Diese seien die Leidtragenden, wenn von Anfang an unsolide und zahlungsunfähige Unternehmergesellschaften (haftungsbeschränkt) in Deutschland agieren würden. Die Unternehmergesellschaft ist nicht in erster Linie eine Antwort auf die Limited, sondern auf die weitverbreiteten und wohlbegründeten Zweifel an der Sinnhaftigkeit eines gesetzlich vorgegebenen Mindeststammkapitals. Es gibt viele Praktiker, die behaupten, das Stammkapital habe allenfalls in der Insolvenz eine Funktion, nämlich dann, wenn es in irgendeiner Art und Weise nicht ordentlich eingezahlt wurde und deshalb nachgezahlt werden müsse. Das Stammkapital soll ein Ausweis von Solidität und Seriosität sein, Frau Dyckmans. Das ist doch ein Witz!
- Gehen Sie einmal auf die Hamburger Reeperbahn. Dort können Sie immer etliche Herren treffen, die locker 25 000 Euro in bar in der Tasche haben. Bei diesen Herren ist das sicherlich kein Ausweis von Seriosität.
Sie meinen, dass derjenige, der weniger als 25 000 Euro einsetzen will oder kann, nicht in den Genuss der beschränkten Haftung kommen soll. Damit fallen Sie Dr. Bamberger doch in den Rücken und in der über einhundertjährigen Geschichte der GmbH weit zurück. Dieses Misstrauen war 1892 angebracht. Damals mussten GmbH-Gründer 20 000 Goldmark aufbringen; das war zu der Zeit ein Vermögen. Deshalb gab es Skepsis und Argwohn gegenüber Kapitalgesellschaften. Frau Dyckmans, Sie als Neoliberale machen sich diese heute zu eigen. Das ist nicht nachzuvollziehen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Benneter, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Klaus Uwe Benneter (SPD):
Herr Präsident, ich komme zum Fazit: Wir behalten unser Erfolgsmodell, die klassische GmbH, die wir rundum erneuert haben. Nach dem gleichen Erfolgsrezept bekommen wir eine ansehnliche Unternehmergesellschaft, der wir mit einiger Berechtigung eine gute Zukunft voraussagen können.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Kollege Benneter hat nun die Redezeit verbraucht, die Kollege Montag freundlicherweise nicht genutzt hat. Damit sind wir wieder im Limit, womit keine neue Rechtsform für unsere Debatten gemeint ist.
Der nächste Redner ist der Kollege Andreas Lämmel für die CDU/CSU-Fraktion.
Andreas G. Lämmel (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! MoMiG - das ist ein schöner Name für ein Gesetz, verglichen mit den Bezeichnungen manch anderer Gesetze, die wir im Deutschen Bundestag verabschieden.
Das MoMiG ist insgesamt ein außerordentlich gut gelungenes Gesetzeswerk. Gestern hat eine große Tageszeitung, das Handelsblat, Folgendes dazu geschrieben:
?Mo? steht für Modernisierung und Benutzerfreundlichkeit. Der Wortbestandteil ?Mi? drückt aus, dass sich die Geschäftsführer bei Missbrauch wärmer anziehen müssen.
Diese große Wirtschaftszeitung hat noch einmal deutlich gemacht, dass es sich bei dieser Reform um die größte seit 100 Jahren handelt. Wir sehen es also nicht nur selber so, sondern es wird auch von außen bestätigt, dass diese GmbH-Reform sehr wichtig für unser Land ist.
Die drei Teile des Gesetzes betreffen erstens die Erleichterung und Beschleunigung von Unternehmensgründungen - dazu ist schon viel gesagt worden -, zweitens die Erhöhung der Attraktivität der GmbH als Rechtsform - auch dazu ist schon einiges gesagt worden - und drittens die Bekämpfung von Missbräuchen.
Ich will mich mit den Argumenten auseinandersetzen, welche die FDP und die Linke vorgebracht haben. Es ist schon erstaunlich, dass die Wirtschaftskompetenz heutzutage von der FDP offensichtlich langsam zu den Grünen wandert; denn die Unterstützung, die das MoMiG bei den Grünen findet, ist bemerkenswert.
Frau Dyckmans, es ist schon erstaunlich, dass keiner der FDP-Wirtschaftspolitiker heute hier vertreten ist. Sie sind offenbar nicht gekommen, weil sie Ihre Auffassung möglicherweise nicht ganz teilen.
Ich kann mich an Zeiten erinnern, in denen die FDP und erst recht die Linken Erleichterungen für Unternehmensgründer, eine zweite Chance für Unternehmer, die schon einmal gescheitert sind, und die Entbürokratisierung von Unternehmensgründungen gefordert haben. Insofern kann ich Ihre Argumentation, die Sie heute von diesem Pult aus geführt haben, nicht nachvollziehen.
Wenn wir uns das Gründungsgeschehen ansehen, stellen wir fest, dass in guten Zeiten von deutschen Gründern in einem Monat 3 000 GmbHs und 1 000 Limiteds gegründet werden. Man muss also zur Kenntnis nehmen, dass das Gründungsgeschehen in Deutschland sich absolut verändert hat.
Mit dem Einzug des Internets in unser tägliches Leben haben sich Geschäftsmodelle entwickelt, die nicht erst 25 000 Euro Grundkapital brauchen, um eine Gesellschaft zu gründen; dieses Geld kann schon genutzt werden, um ein paar Computer oder andere Gerätschaften zu kaufen und das Geschäft aufzubauen.
Hätten wir diese Unternehmergesellschaft nach 1990 in Ostdeutschland schon gehabt, hätte sich manches menschliche Drama vermeiden lassen. Viele haben sich in eine Rechtsform begeben, bei der im Falle der Insolvenz bis ins Privatvermögen durchgegriffen wird, und die Betroffenen sind heute Sozialhilfeempfänger. Das wollen wir verhindern. Wir wollen jungen Gründern mit der beschränkten Haftung eine Möglichkeit geben, ihr Geschäftsmodell abzusichern, ohne ihr gesamtes Privatvermögen in das Geschäft einbringen zu müssen.
Zum Thema Musterprotokolle. Auch an dieser Stelle kann ich nur staunen. Die FDP begibt sich hier auf den Pfad, eine einzelne Berufsgruppe - vermeintlich - zu schützen.
Wir hätten natürlich sehr gern die Mustersatzung ermöglicht - das muss ich ganz deutlich sagen -, aber die Mehrheit hat sich letztendlich für das Musterprotokoll entschieden. Die Mustersatzung wäre noch etwas weiter gehend gewesen und hätte, wirtschaftspolitisch gesehen, für einfache Unternehmensgründungen viele Vorteile geboten, viele Kosten, auch Beratungskosten, gespart.
Das wäre eine starke Entbürokratisierung gewesen.
Aber auch das Musterprotokoll ist ein großer Schritt voran. Herr Montag, ich glaube, Sie haben es gesagt: Man muss das vom Unternehmen und nicht vom Notar her sehen. Die Frage ist: Wie viele Gänge muss der Unternehmer machen? Wie viel Beratungsleistung muss er einkaufen, um überhaupt zur Unternehmensgründung zu kommen?
Allein diese Punkte des Gesetzentwurfs sind ganz entscheidend.
Das dritte Thema ist der Missbrauch. Wir haben nach der deutschen Einheit in Ostdeutschland einige Erfahrungen mit dem Missbrauch von GmbHs sammeln müssen. Der Schaden, der dadurch verursacht worden und letztlich bei der Gesellschaft verblieben ist, ist erheblich gewesen.
Das hat das Modell der sozialen Marktwirtschaft in den Augen vieler in Misskredit gebracht.
Um ihr Vermögen geprellte Unternehmer fragen sich natürlich, wieso es möglich ist, mit einer GmbH solchen Missbrauch zu betreiben.
Insofern ist es sehr wichtig, dass solchen Missbräuchen ein Ende gesetzt wird. Damit wird auch die Rechtssicherheit erhöht, und es kann der gute Ruf Deutschlands in Bezug auf Rechtssicherheit, wenig Korruption und wenig Missbrauch erhalten werden.
Frau Zimmermann, sich mit Ihren Argumenten auseinanderzusetzen, lohnt nicht. Sie würden am liebsten wieder VEBs gründen - das wissen wir -,
aber Ihr Modell ist pleitegegangen. Ohne beschränkte Haftung ist es absolut pleitegegangen.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Bedenkenträger gab es damals, als das GmbH-Recht eingeführt wurde. Bedenkenträger gibt es heute. Bedenkenträger wird es auch morgen noch geben. Bedenkenträger wird es immer geben. Aber uns liegt ein Gesetzeswerk vor, auf das wir stolz sein können. Herzlichen Dank allen Beteiligten, die mit dafür gekämpft haben.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Garrelt Duin, SPD-Fraktion.
Garrelt Duin (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will mir ein Beispiel an dem Kollegen Montag nehmen. - Als Jurist stimme ich dem zu, was die Vorredner aus den verschiedenen Fraktionen, zumindest aus den Koalitionsfraktionen und eben auch Herr Montag von den Grünen, deutlich gemacht haben, nämlich dass wir hier auf einem juristisch wertvollen und richtigen Weg sind. Als Wirtschaftspolitiker, als der ich hier spreche, möchte ich das ebenso unterstreichen. Ich bin nämlich der festen Überzeugung, dass mit dieser Reform des GmbH-Rechts etwas getan wird, was in Deutschland nach den vielen Jahren, wo wir das Gesetz unangetastet gelassen haben, wirklich notwendig ist. Ich möchte nicht von ?überfällig? sprechen, aber jetzt ist wirklich der richtige Zeitpunkt, um das auf den Weg zu bringen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, die deutsche Wirtschaft lebt von den kleinen und mittleren Unternehmen. 3,4 Millionen kleine und mittlere Unternehmen sowie Selbstständige prägen die Wirtschaft in unserem Land. 99,7 Prozent aller Unternehmen in Deutschland sind solche kleinen und mittleren Unternehmen. Neben der Sicherung des Bestandes dieser Unternehmen müssen wir uns besonders um die Gründung von neuen Unternehmen bemühen. Wir müssen Menschen ermuntern, dass sie den Mut aufbringen, ein Unternehmen zu gründen.
Eine entsprechende Dynamik brauchen wir in Deutschland in den nächsten Jahren. Ich bin sicher, mit diesem Gesetz und anderen Maßnahmen, auf die ich gleich zu sprechen komme, gehen wir den richtigen Weg, um für eine solche Dynamik zu sorgen.
Herr Montag, Sie haben recht mit dem, was Sie aus einem Zeitungsartikel von dieser Woche zitiert haben. Aus dem in der letzten Woche veröffentlichten ?KfW-Gründungsmonitor 2008? geht hervor, dass die Zahl der Neugründungen 2007 im Vergleich zum Jahr 2006 deutlich zurückgegangen ist. Im Vergleich zum Jahr 2006 beträgt der Rückgang 21 Prozent. Damit liegt die Zahl der Neugründungen auf dem niedrigsten Stand seit der Jahrtausendwende. Sie, Herr Montag, haben schon auf die Gründe dafür hingewiesen: Aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs haben sich viele wieder in abhängige Beschäftigungsverhältnisse begeben. Unter anderem dadurch ist dieser Rückgang zu erklären.
Es ist jetzt aber die Aufgabe der Politik, Anreize zu setzen, um zu Existenzgründungen zu ermutigen. Wir haben ja in dieser Woche auch weitere entsprechende Maßnahmen auf den Weg gebracht. Denken Sie an das Forderungssicherungsgesetz und die Förderung von Wagniskapital. Damit und mit der GmbH-Reform sind wichtige Schritte getan, um die Attraktivität der GmbH im internationalen Wettbewerb zu steigern, ihre Neugründung unbürokratischer zu gestalten und - das ist von den Justizpolitikern hier eben ausreichend deutlich gemacht worden - wirkungsvoll Missbräuche bei Insolvenzen zu bekämpfen.
Es wäre möglich gewesen, grundsätzlich ein Mindeststammkapital von 10 000 Euro vorzusehen. Wir haben darüber in den Ausschüssen diskutiert. Aber die jetzt gefundene Lösung - einmal die klassische GmbH mit einem Stammkapital von 25 000 Euro und die GmbH-Variante mit geringeren Kapitalanforderungen - entspricht absolut den Anforderungen, die zu Beginn unserer Beratungen als ursprüngliche Maßgabe galten. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit dieser Reform verhindern, dass die Zahl von mittleren und kleinen Unternehmen zurückgeht. Vielmehr setzen wir notwendige Anreize, damit das nicht eintritt.
Insgesamt müssen wir aber darauf achten, dass wir das Gründungsklima in Deutschland weiter verbessern. Da reichen solche Gesetze wie das heute zu verabschiedende allein nicht aus. Es muss vielmehr einen noch engeren Schulterschluss bzw. einen noch engeren Dialog zwischen Wirtschaft und Politik geben. Wer heute Unternehmer ist, muss Politik verstehen; daran führt kein Weg vorbei. Wir als Politiker müssen aber auch versuchen, zu verstehen, was einen Unternehmer antreibt. Wir müssen nicht als Lobbyist seiner Interessen auftreten; aber wir müssen ein Verständnis dafür entwickeln, welche Nöte und Sorgen er hat, damit er seine unternehmerische Tätigkeit voll ausfüllen kann. Dazu gehört, dass wir Dinge wie Wettbewerbsfähigkeit, Innovation und Mut zum Risiko im Blick haben.
Wir müssen den Menschen sagen, dass wir ihren Mut zum Risiko, ein Unternehmen zu gründen, auch belohnen wollen. Wir dürfen ihnen nicht - das klang bei Ihnen, Frau Zimmermann, eben so durch - Angst machen, dass das alles wieder schiefgehen könnte und große Gefahren drohten.
Vielmehr müssen wir ihnen den Rücken stärken, wenn sie ein Unternehmen gründen wollen.
Wir wollen die Selbstständigkeit neben dem GmbH-Gesetz auch durch Bürokratieabbau fördern. Den Ausführungen der Vorredner zum Bürokratieabbau möchte ich mich ausdrücklich anschließen. Wir haben im Rahmen der GmbH-Reform nicht die Interessen der Notare zu vertreten, sondern wir sind dafür da, die Interessen von Existenzgründern zu vertreten. Ich glaube, dass wir das hier auch deutlich gemacht haben.
Wir tun auch mit dem Meister-BAföG etwas zur Förderung der Selbstständigkeit. Wir wollen die Schulungs- und Beratungsmöglichkeiten für Gründerinnen und Gründer ausbauen. Wir werden sicherlich auch im Bereich der Bildung - wie können wir das Thema Wirtschaft in die Schulen hineinbringen? - noch das eine oder andere auf den Weg bringen müssen.
Damit ich meinem Versprechen gerecht werde, die Redezeit nicht ganz auszuschöpfen, will ich mit Folgendem schließen: Wir als Große Koalition wollen den Unternehmergeist in Deutschland wecken - hoffentlich mit der Unterstützung von vielen. Die hier eingeleiteten Maßnahmen im GmbH-Gesetz weisen in die richtige Richtung. Lassen Sie uns den Menschen Mut machen, ein Unternehmen zu gründen und dadurch Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen! Wenn die Politik sagt: ?Es droht zu viel; lass es lieber sein; schau, dass du irgendwie anders durchs Leben kommst?, dann werden die Menschen diesen Mut nicht finden. Lassen Sie uns mit einem klaren Beispiel und auch deutlichen Worten vorangehen! Heute ist jedenfalls dafür ein guter Tag.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Daniela Raab, CDU/CSU-Fraktion.
Daniela Raab (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist die Krux eines jeden letzten Redners, dass im Prinzip alles Richtige und - rechts und links von mir - bedauerlicherweise auch alles Falsche schon gesagt wurde. Volker Beck hat vorhin gerufen: Offensichtlich hat die Große Koalition keine wirklich wichtigen Tagesordnungspunkte mehr. Warum sonst sollten wir die GmbH-Reform in der Kernzeit debattieren? - Ich glaube, lieber Kollege Beck, Sie haben auch an den Ausführungen Ihres Kollegen Montag gemerkt
- sehen Sie, wir haben daraus gelernt -:
Die GmbH-Reform ist ein wichtiges Werk.
Liebe Kollegen, insbesondere der Regierungskoalition und der Grünen, die Rechtspolitiker haben bewiesen, dass sie etwas sehr Gutes zu Ende bringen können, vor allem, dass sie nicht nur Rechtspolitik können, sondern auch Wirtschaftspolitik. Auch diese Debatte zeigt: Uns liegt ein Gesetzentwurf vor, der sowohl vom klassischen Mittelstand als auch von potenziellen kleinen Existenzgründern sehnsüchtig erwartet wurde.
Alles, was wir für die klassische GmbH tun - wo wir sie aufmöbeln, wo wir sie modernisieren, wo wir sie auch den Zeiten, in denen wir leben, anpassen -, ist schon aufgeführt worden. Lieber Kollege Gehb, ich bin dir wirklich ausgesprochen dankbar, dass du hier der Vorreiter warst und wir dich dabei unterstützen durften. Natürlich mussten wir uns überlegen, wie wir damit umgehen, dass die Limited auch in Deutschland immer mehr Anhänger findet und dass die Limited ganz offensichtlich eine Gesellschaftsform ist, die in unser Rechtssystem nicht passt und vor der wir die Menschen vielleicht ein Stück weit bewahren müssen. Wenn wir uns die Daten aus Deutschland, aus Großbritannien und den Niederlanden - dort wird die Limited vorwiegend verwendet -, die uns vorliegen, anschauen, dann müssen wir feststellen: Sie weist eine hohe Frühsterblichkeit auf, und sie ist damit am Markt de facto schon gescheitert.
Nachdem wir das gesehen hatten, war die Entscheidung klar: Wir wollen keine verwässerte GmbH, wir wollen keine nur abgespeckte Mini-GmbH. Liebe Frau Kollegin Dyckmans, eine Mini-GmbH ist das nicht. Dieser Ausdruck ist nicht nur despektierlich, sondern auch falsch.
Der Kollege Jürgen Gehb hat sich auf den Weg gemacht und überlegt, was wir tun können. Es gab einige Widerstände, auch aus den eigenen Reihen. Lieber Jürgen, wir können uns gut erinnern: Wir konnten nicht sofort alle auf unsere Seite ziehen, als wir für dein Modell einer ?Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)? plädiert haben; aber wir haben nunmehr auch das geschafft. Wir mussten einige Kompromisse schließen, die aber absolut akzeptabel sind.
Wir haben jetzt eine Unternehmergesellschaft ohne Stammkapital. Wir haben dennoch eine Haftungsbeschränkung. Wir haben unglaublich leichte Gründungsmechanismen, die wir im Prinzip auch auf die GmbH anwenden können. Wir ermöglichen gleichzeitig das Aufwachsen dieser Unternehmergesellschaft zur GmbH, wenn die Voraussetzungen letztendlich erfüllt sind. Damit, liebe Kollegen von der FDP, ist die UG nicht nur eine bessere Limited - das wäre eine Beleidigung für diese wirklich schöne Rechtsform -, sondern die einzig richtige und funktionierende Gesellschaftsform für kleine Existenzgründer.
Wir beweisen nämlich, dass beides geht: Rechtssicherheit, und zwar in einem sehr ausgeprägten Maße, und dennoch überschaubare Gründungsmodalitäten. Ich glaube, gerade an dieser Stelle ist es durchaus angebracht, dass wir uns selber einmal auf die Schulter klopfen; wir tun dies ja nicht oft. Denn genau diese Kombination, wenig Vorschriften und dennoch Rechtssicherheit zu schaffen, gelingt uns in diesem Hohen Haus leider viel zu selten. Wir können hier beispielhaft voranschreiten; denn wir beweisen: Wir schaffen auch mit wenigen, aber guten und überschaubaren Vorschriften eine ganz sichere Rechtslage für alle Beteiligten.
Es ist schon viel auf die FDP repliziert worden. Ich möchte nicht alles wiederholen, aber es erstaunt mich, und ich bin auch ein bisschen enttäuscht; das sage ich Ihnen ganz ehrlich. Ich war gestern im Ausschuss enttäuscht, und ich bin es auch heute wieder
Wir hören immer so viel von: Ihr müsst mutig voranschreiten. Ihr müsst etwas für den Wirtschaftsstandort tun. Nutzt die Chancen, die wir euch geben. - Dann schaffen wir in fast ganz großer Übereinstimmung hier im Hause ein Instrument, aber dann wird haarklein rumgezuppelt und rumgezupft und geguckt, wo vielleicht noch irgendwo etwas stecken könnte, was zu kritisieren wäre. Vielleicht haben Sie einfach ein Problem damit, dass wir schneller waren und vor Ihnen darauf gekommen sind.
Ich meine, wir werden in den nächsten Jahren sicherlich erfolgreich evaluieren können, dass gerade diese haftungsbeschränkte Unternehmergesellschaft auf dem Markt ankommt und genutzt wird. Die Justizministerin hat völlig zu Recht gesagt: Diese Rechtsform ist vor Ort sehnsüchtig erwartet worden.
Wir alle haben zahlreiche E-Mails von potenziellen Existenzgründern bekommen, die schlicht und ergreifend auf den gesetzgeberischen Startschuss warten, damit sie sich selbst in die Startlöcher bewegen und etwas vorwärts bringen können.
Ich sage Ihnen eines: Wir haben die GmbH-Reform geschafft. Wir werden heute noch das Forderungssicherungsgesetz schaffen, und wir machen die FGG-Reform. Es ist insofern eine gute Woche für die Rechtspolitik.
Ich richte einen Dank an diejenigen, die organisieren, wann wir debattieren dürfen. Denn wir haben endlich schöne Debattenzeiten und können beweisen, dass Rechtspolitik mitten im Leben steht
und wichtige Gesetzesvorhaben voranbringt, die die Menschen persönlich betreffen. In diesem Sinne: Machen wir weiter so! Es kann fast noch besser werden. Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9737, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksache 16/6140 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dieser Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit großer Mehrheit angenommen.
Wir kommen zur
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer möchte dagegen stimmen? - Möchte sich jemand der Stimme enthalten? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linken angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9796? - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? Der Entschließungsantrag ist mehrheitlich abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/9795? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist auch dieser Entschließungsantrag mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 5 b und setzen die Abstimmungen über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses auf der Drucksache 16/9737 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/671 mit dem Titel ?GmbH-Gründungen beschleunigen und entbürokratisieren?. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch diese Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 6 sowie den Zusatzpunkt 4 auf:
6. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Jürgen Trittin, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zur China-Politik der Bundesregierung
- Drucksachen 16/7212, 16/9513 -
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hellmut Königshaus, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Die Regierungsverhandlungen mit China zur Neuorientierung der Entwicklungszusammenarbeit und zur Förderung der chinesischen Zivilgesellschaft nutzen
- Drucksache 16/9745 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(f)
Finanzausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 75 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist auch das so vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem Kollegen Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will an dieser Stelle vorab noch einmal die Anteilnahme und das Mitgefühl meiner Fraktion - ich denke, aller Mitglieder des Hauses - anlässlich der vielen Opfer des Erdbebens in Sichuan ausdrücken. Ich wünsche den Chinesinnen und Chinesen alles Gute bei der weiteren Bewältigung dieser Katastrophe und beim Wiederaufbau.
In der Bewältigung dieser Katastrophe hat sich auch ein Stück des neuen China gezeigt, nicht nur im Vergleich zum schlechten Beispiel in Birma. Offenheit und Öffentlichkeit und die Annahme internationaler Hilfe begleiteten eine große solidarische Kraftanstrengung. Ich sage Ihnen: Wir wünschen, dass diese Offenheit in China zur Regel wird, übrigens auch bei der Aufarbeitung der Versäumnisse, die die Folgen des Erdbebens in so mancher Schule so verschlimmerten.
Als wir im letzten Herbst unsere Große Anfrage zu China formulierten, hatten wir die unübersehbare Bedeutung im Kopf, die China heute für das globale Geschehen hat. Kaum ein anderes Land zieht so widersprüchliche Fantasien und Bilder auf sich wie China. Von der ?gelben Gefahr? über den ?erwachenden Drachen? bis zum jetzt ausgerufenen ?Weltkrieg um Wohlstand? reichen die Bilder und Ängste, die China in vielen Gesellschaften des Westens hervorruft.
Es ist interessant: Dieser Diskurs hat eine ganz andere Sicht auf China abgelöst, die vor wenigen Jahren noch dominierte. Das war die Sicht der China-Bewunderer, jener Wirtschaftseliten, die in China vor allen Dingen einen Riesenmarkt sahen. Dazu gehörte auch die Sicht eines damaligen Wirtschaftsministers, der es ganz vorbildlich fand, wie China in zwei Jahren eine Transrapidstrecke plante und baute. Dabei hatte er aber einfach vergessen, dass dafür Menschen entschädigungslos enteignet und aus ihren Häusern vertrieben worden sind und dass die Pfeiler im Schlamm der Jangtse-Mündung so schlecht gegründet wurden, dass sie heute repariert werden müssen.
Wir suchen also nach Antworten zwischen falscher Verdammnis und blinder Apologetik: Wie sieht die Bundesregierung den Akteur China auf der ökonomischen und politischen Bühne der Welt? Wie ist seine Rolle in einer multipolar gewordenen Welt, in der Länder wie Brasilien, China und Indien eine immer wichtigere Rolle spielen? Sieht die Bundesregierung China als Konkurrenz und Bedrohung oder als strategischen Partner?
Eines wissen wir: Es gibt heute kein Problem auf diesem Globus, das man ohne oder sogar gegen China lösen könnte. Denken Sie an den Klimawandel, an die wachsende Konkurrenz um die sehr endlichen Ressourcen, an die Debatte um die Nahrungsmittelpreise. Heute wissen wir: Selbst der Dollarkurs hängt sehr viel mehr vom Anlageverhalten der Nationalbank Chinas ab als von den Entscheidungen der US-amerikanischen Fed. Schon lange investieren Unternehmen in China nicht mehr in erster Linie wegen niedrigerer Löhne, sondern weil sie diesen Markt einfach nicht mehr ignorieren können.
Wir hatten gedacht, dass wir auf diese Fragen eine Antwort von der Bundesregierung bekommen. Sie hat zwar umfassend geantwortet; aber die Vielzahl der Antworten bezeugt eines: Es gibt keine einheitliche Politik Deutschlands gegenüber China. Es gibt eine Reihe kleinteiliger Einzelantworten; aber eine Konzeption gibt es nicht.
Interessant ist, dass die Bundesregierung auf diese Konzeptionslosigkeit, lieber Kollege, auch noch stolz ist. Auf unsere Frage, ob es ein Chinakonzept gibt, wird geantwortet, das lohne nicht, weil man angesichts der Veränderungen in China flexibel sein müsse; es gebe aber Konzepte von einzelnen Ressorts. Das heißt also, die Ressorts sind nicht so flexibel wie die Bundesregierung, deren Auswärtiges Amt für die Koordinierung zuständig ist.
Wir haben nach Projekten in China gefragt. Was sind eigentlich die Ergebnisse dieser Zusammenarbeit? Auch da ist die Antwort bezeichnend: Es gibt keine Übersicht; es gibt auch keine Evaluierung der Zusammenarbeit mit China. Das gilt auch für die sehr verstreute Entwicklungszusammenarbeit mit China, die sich auf Klimapolitik sowie Wirtschafts- und Strukturreformen konzentrieren soll, was wir begrüßen.
Dazu haben wir aber natürlich eine Frage: Wenn es, wie es in der Antwort heißt, ein besonderes deutsches Interesse für die Bereiche Klimapolitik, Wirtschaft und Rechtsstaatlichkeit gibt, wie konnte es dann eigentlich passieren, dass das BMZ nach den Unruhen am 14. März mal eben die Verhandlungen über die Ausgestaltung der EZ ausgesetzt hat? Man kann so oder so darüber denken. Mich würde einmal interessieren, lieber Herr Erler: Ist das eigentlich mit dem Auswärtigen Amt abgestimmt worden? Ist es im deutschen Interesse, genau diejenigen Felder der deutschen Kooperation fallen zu lassen, an denen Deutschland ein virulentes Interesse hat?
Oder war das einfach nur die Pressepolitik des BMZ der HWZ? Es hätte ja elegant sein können, wenn der Außenminister in der Frage des Empfangs des Dalai-Lama gesagt hätte: Das ist jetzt vielleicht nicht ganz angemessen; da schicke ich die Entwicklungsministerin vor. - Es wäre vielleicht auch eine gelungene Intrige gewesen, wenn es die Kanzlerin geschafft hätte, Frau Wieczorek-Zeul gegen den Kanzlerkandidaten Steinmeier zu instrumentalisieren.
Ich glaube, wir in diesem Hause sind uns alle darin einig, dass keine dieser Vermutungen zutrifft. Wissen Sie, warum nicht? Weil das voraussetzen würde, dass sie miteinander reden. Genau das findet aber nicht statt.
Ich glaube, dass es bei dem gesamten Vorgang im Hinblick auf den Dalai-Lama-Besuch gar nicht um die Menschenrechte in China und in Tibet gegangen ist, sondern ausschließlich um Innenpolitik und Wahlkampfaufstellung in Deutschland. Ich finde, die Menschenrechte in China sind nicht geeignet, in dieser Weise für innenpolitische Auseinandersetzungen in Deutschland benutzt, um nicht zu sagen: missbraucht zu werden.
Wenn Sie es beispielsweise mit den Menschenrechten ernst meinen würden, dann würden Sie jetzt die Bereitschaft Deutschlands erklären, jene Uiguren, die seit Jahren in Guantánamo einsitzen, die die US-Armee selber als unschuldig und ungefährlich betrachtet und denen ein Gericht bescheinigt, dass sie keine feindlichen Kombattanten sind, endlich hier aufzunehmen, weil man sie nicht nach China abschieben kann; denn dort wären sie der Verfolgung ausgesetzt. Ich denke, das wäre eine vernünftige Menschenrechtspolitik.
Es gibt noch einen anderen Ansatz, sich China zu nähern. Das ist der Ansatz, den ich in der Asien-Strategie der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gefunden habe.
Darin sagt man, man solle sich mehr auf Indien statt auf China konzentrieren.
Denn Indien sei gut und China sei böse, weil Indien eine Demokratie sei, China aber ohne Zweifel nicht.
Das ist, lieber Herr Ramsauer, der gleiche Ungeist, der gerade in den USA abgewählt wird,
nämlich die Aufteilung der Welt in Gut und Böse, in Schwarz und Weiß.
Genauso wenig wie in Indien heute alles gut ist, weil es demokratisch ist, ist in China heute alles schlecht und autoritär. Nichts würde den Menschen in China heute weniger nutzen und zur Lösung der globalen Probleme weniger beitragen als eine neue Frontstellung gegenüber China. China ist eine autoritäre, aber fragmentierte Gesellschaft. Wir brauchen eine auf Kooperation ausgerichtete Politik gegenüber China, die aber jenseits von Besserwisserei und jenseits von Leisetreterei funktioniert, die die Fortschritte, die es im Bereich der Menschenrechte gibt, thematisiert, die aber auch thematisiert, dass es im Vorfeld der Olympiade Rückschritte in der Menschenrechtspolitik gegeben hat, die klarmacht, dass wir zwar auf Chinas Kooperation angewiesen sind, aber auch bestimmte Erwartungen haben. Wer ein neuer Akteur in der Weltpolitik ist, muss sich auch der Verantwortung für die Lösung der Probleme dieser Welt stellen,
sei es in Darfur oder sei es im Umgang mit dem Atomprogramm des Iran. Das ist die richtige Herangehensweise. Wir brauchen eine China-Politik, die auf den Aufbau einer strategischen Kooperation setzt, und zwar jenseits von Besserwisserei und jenseits von opportunistischer Leisetreterei. Wir hätten uns gewünscht, das in der Antwort der Bundesregierung zu lesen. Was wir vorgefunden haben, war viel Richtiges und manch Fragwürdiges, aber alles nicht sortiert.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Trittin, in Ergänzung Ihrer Ausführungen zur Menschenrechtsfrage möchte ich darauf hinweisen, dass es gerade im Kontext des Rechtsstaatsdialogs zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China ganz sicher erwünscht wäre, wenn die seit langem geplante Reise des Menschenrechtsausschusses des Deutschen Bundestages, die erst vor Kurzem bedauerlicherweise zum wiederholten Male an Vorbehalten und Einwänden auf chinesischer Seite gescheitert ist, nun endlich zustande kommen könnte.
Nun erteilte ich das Wort dem Kollegen Eckart von Klaeden für die CDU/CSU-Fraktion.
Eckart von Klaeden (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Herr Kollege Trittin, bei aller Wertschätzung muss ich Ihnen leider sagen: Ihre Rede zu China hat nicht zu den stärksten Reden gehört, die Sie in diesem Haus gehalten haben.
Was Sie über die fehlende Konzeption der Bundesregierung und unser Asien-Papier gesagt haben, war eher Ausdruck freien Assoziierens als Ausdruck der Tatsache, dass Sie sich mit dem Konzept der Bundesregierung oder unserer Asien-Strategie beschäftigt haben.
Das, was unsere Asien-Strategie zum Ausdruck bringt, aber auch der Politik der Bundesregierung zugrunde liegt, ist unser Interesse an einer nachhaltigen Stabilität in der Entwicklung Chinas. ?Nachhaltige Stabilität? setzt einen qualitativen Stabilitätsbegriff voraus. Neben der wirtschaftlichen Entwicklung geht es um die politische Öffnung, um demokratische, vor allem rechtsstaatliche Reformen im Innern, um ein gutes Verhältnis zu den Nachbarn und eine verantwortungsvolle Teilnahme an internationalen Entscheidungsprozessen im globalen Rahmen, insbesondere als Mitglied des Weltsicherheitsrates.
China ist dank seines ökonomischen und politischen Aufstiegs zu einem bedeutenden Akteur geworden, und zwar nicht nur auf den internationalen Märkten, sondern auch in der internationalen Politik. Seit 2005 ist China nach den USA, Japan und Deutschland die viertgrößte Volkswirtschaft. 2007 hat es mit über 11 Prozent erneut die höchste Wachstumsrate unter den großen Volkswirtschaften erzielt. Sein Anteil am Welthandel ist von unter 1 Prozent vor 20 Jahren auf heute 5 Prozent angestiegen, und die Exportrate steigt weiter an. Ausländische Direktinvestitionen strömen weiterhin in das Land, und chinesische Unternehmen treten im Ausland zunehmend selbst als Investoren auf.
Dieser ökonomische Aufstieg hat zwangsläufig zu einem politischen Aufstieg Chinas geführt. China ist heute eine Macht mit nicht nur regionalen, sondern auch globalen Ambitionen. China ist ohne Zweifel eine Weltmacht im Werden. Deswegen werden unsere Beziehungen, aber auch die Beziehungen Europas zu China immer wichtiger. Daher ist es gut, dass wir heute an so prominenter Stelle eine grundsätzliche Debatte über unsere Chinapolitik führen.
China ist für uns zu einem der weltweit wichtigsten Wirtschaftspartner geworden. Die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen sind in der Tat eine beeindruckende Erfolgsgeschichte. Der Außenhandel Deutschlands mit China hat sich in den Jahren 2000 bis 2007 fast verdreifacht. Da die Importe aus China seit einiger Zeit die deutschen Exporte dorthin übersteigen, erzielt China gegenüber Deutschland - auch gegenüber Europa - einen wachsenden Handelsüberschuss. China hat sich zudem zu einem wichtigen Produktionsstandort für deutsche Firmen entwickelt. Es gibt kaum ein großes deutsches Unternehmen, das nicht in China produziert. Das ist gut so; denn wir haben zur Sicherung unseres eigenen Wohlstandes ein Interesse daran, dass sich unsere Unternehmen an die Wachstumsdynamik in China ankoppeln.
Chinas Einfluss wächst aber nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in politischer, diplomatischer, kultureller und militärstrategischer Hinsicht. Durch seine wachsende wirtschaftliche Kraft, zunehmende Softpower, seine Stellung als ständiges Mitglied im VN-Sicherheitsrat und sein aktiveres Engagement in regionalen und multilateralen Strukturen ist ein chinesischer Beitrag zur Lösung vieler regionaler und globaler Fragen heute nicht mehr wegzudenken.
Die deutsch-chinesischen Beziehungen sind eng, substanzreich und robust. China ist für uns ein wichtiger Partner in Asien, und wir sind für Peking ein ebenso wichtiger Partner in Europa. Es gibt zwischen beiden Seiten eine breite Palette von Dialogen in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, Umwelt und Politik. Dazu gehört auch der Menschenrechts- und Rechtsstaatsdialog, der auszubauen und zu fördern ist, wie es der Präsident gerade angesprochen hat. In der Außenpolitik ist inzwischen auch der notwendige Dialog über für beide Seiten relevante außen- und sicherheitspolitische Themen wie Iran, Sudan und Afrika aufgenommen worden. China ist also ein wichtiger Partner für uns.
China wird insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht aber auch zu einem immer stärkeren und direkten Wettbewerber. Deutsche und europäische Unternehmen konkurrieren bereits heute in verschiedenen Weltregionen mit chinesischen Firmen, zum Beispiel um Infrastrukturprojekte im Nahen Osten oder in Afrika, aber auch zunehmend bei der Lieferung von Investitionsgütern und Maschinen. Hierbei kommen der chinesischen Seite insbesondere ihre erheblichen Kostenvorteile zugute.
China ist auch der größte Produktimitator der Welt. Westliche Unternehmen verlieren in China und in zunehmendem Maße auch auf Drittmärkten und selbst auf dem Heimatmarkt jedes Jahr Milliardenbeträge durch Produktpiraterie. Durch die erheblichen Investitionen europäischer Unternehmen in China, die überwiegend in Joint Ventures erfolgen, wächst das Risiko, dass zu viel Know-how zugunsten chinesischer Firmen auf die beschriebene Weise abfließt.
Auch im Energie- und Rohstoffbereich ist die Konkurrenz Chinas weltweit zu spüren und hat zu den Preiserhöhungen beigetragen, die wir seit einiger Zeit bei Öl und Gas erleben.
Mit China - das ist Bestandteil unserer Asienstrategie und ein Umstand, Herr Trittin, der nicht geleugnet werden sollte - steigt ein nicht demokratischer und nicht liberaler Staat in der weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Hierarchie auf. China hat in den vergangenen 30 Jahren ein Entwicklungs- und Modernisierungsmodell geschaffen, das bisher außerordentlich erfolgreich ist. Moderne autoritäre politische Führung wird kombiniert mit staatlich beaufsichtigtem Kapitalismus.
Meines Erachtens steht der Beweis noch aus, ob das chinesische Modell langfristig eine nachhaltige Entwicklung ermöglichen kann. Daran sind insbesondere deswegen Zweifel angebracht, da nach unserer Auffassung - das betrifft den nachhaltigen Stabilitätsbegriff, der unserer Asienstrategie zugrunde liegt und von Ihnen gerade infrage gestellt wurde - eine nachhaltige Entwicklung nur dann möglich ist, wenn sich China zu einem System weiterentwickelt, das auf Partizipation ausgerichtet ist und die Menschenrechte schützt. Das hat nichts mit der Auffassung zu tun, dass China böse und Indien gut sei; das steht nicht in unserer Strategie und ist auch sonst nirgendwo in unseren Reden oder Stellungnahmen zu finden. Ich glaube, das gehört zu einer differenzierten Wahrnehmung der Realität Chinas. Dazu gehört auch, dass das chinesische Modell sich in einigen Entwicklungsländern ganz offensichtlich erheblicher Attraktion erfreut und damit die Anziehungskraft westlich liberaler Ordnungsprinzipien mindert.
Auch wenn die Veränderungen in China in den letzten drei Jahrzehnten ohne Zweifel bemerkenswert sind, müssen wir feststellen, dass sich das westliche Entwicklungsmodell nicht unmittelbar auf China übertragen lässt. Zwar ruht heute die Herrschaft der KP Chinas nicht mehr auf dem Kommunistischen Manifest, doch sind weder Demokratie noch Rechtsstaatlichkeit noch Bürgergesellschaft an seine Stelle getreten. Ihre Herrschaftslegitimation zieht die chinesische KP aus dem wirtschaftlichen Erfolg und - als Surrogat für die Partizipation - aus zunehmendem Nationalismus.
Bei uns wird immer wieder angenommen, dass sich aus den verstärkten wirtschaftlichen Beziehungen automatisch eine Weiterentwicklung des politischen Systems in unserem Sinne ergeben muss. Vor dem Glauben an einen solchen Automatismus, denke ich, gilt es zu warnen.
Denn es ist eine falsche Annahme, die chinesische Führung betreibe freiwillig oder unfreiwillig eine Politik, an deren Ende zwangsläufig die eigene Selbstentmachtung in einer Mehrparteiendemokratie und einem Rechtsstaat mit Gewaltenteilung und unabhängiger Rechtsprechung stehen müsse. Gerade hier stößt das von vielen propagierte Konzept ?Wandel durch Handel? an seine Grenzen. Es muss von der Politik begleitet werden. Ich lehne das Konzept ?Wandel durch Handel? nicht ab, glaube aber, dass es weder absolut gilt, wie das manchmal dargestellt wird, noch automatisch zum Erfolg führt.
Wir müssen uns auch mit der Frage beschäftigen, welche Risiken für Chinas Entwicklung in Zukunft entstehen könnten, zum Beispiel aufgrund der inneren Entwicklung, der wirtschaftlichen Entwicklung, des großen Armutsgefälles und des Verhältnisses von Nationalstaat zu Provinzen.
Um sich auf Schwierigkeiten einzustellen, sollte man aus unserer Sicht nicht nur mit China selbst über die weitere Entwicklung sprechen, sondern auch die Nachbarn Chinas und die gesamte Region stärker in den Dialog einbeziehen. Das gilt für unsere traditionellen Verbündeten wie Japan und Südkorea, aber auch für die ASEAN-Staaten.
Je mehr wir ein Umfeld schaffen, in dem wir die Entwicklung Chinas positiv begleiten, und je mehr sich die Deutschen und die Europäische Union bei der Gestaltung dieses Umfeldes engagieren - allerdings als Ergänzung und nicht als Alternative zum Ausbau unserer bilateralen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen -, desto besser ist die Aussicht darauf, dass sich die positive Entwicklung Chinas zum Nutzen unserer beiden Länder und zum Nutzen Asiens und Europas fortsetzt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Werner Hoyer, FDP-Fraktion.
Dr. Werner Hoyer (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass Kollege Trittin diese Debatte mit Bemerkungen zu den Opfern der Erdbebenkatastrophe in China eröffnet hat. Es ist immer wieder erforderlich, dass wir unser Mitgefühl mit den Opfern zeigen, unsere Hilfsbereitschaft anbieten und vor allen Dingen die Dimension dieser Katastrophe begreifen, die wahrscheinlich alles übertrifft, was wir in den letzten Jahrzehnten erlebt haben. Das wird eine dauerhafte Aufgabe sein, auch dann, wenn die Medien nicht mehr unmittelbar vor Ort sind. Denn der nächste Winter kommt bestimmt. Auch dann werden dort noch zig Millionen Menschen betroffen sein, die unsere Hilfe und Solidarität brauchen.
Es wäre auch nicht schlecht, wenn wir einmal, zum Beispiel beim Katastrophenschutz, von den Chinesen lernen würden. Von China lernen, das ist ohnehin etwas, was wir uns auf die Fahne schreiben sollten, anstatt ständig nur oberlehrerhaft gegenüber China aufzutreten.
Selten gab es im Bundestag und in Deutschland eine so intensive Auseinandersetzung mit China wie in diesem Jahr. Das ist gut und richtig. Trotzdem fällt auf, dass wir uns eigentlich immer nur mit Einzelfacetten befassen.
Mein Eindruck ist: Das Tempo der Veränderung, nicht nur in der ökonomischen Sphäre, wird bei uns weder analytisch noch konzeptionell nachvollzogen. Stattdessen dominieren verschiedene Facetten das Bild: Facetten der Geschichte einer großen und Tausende Jahre alten Kulturnation, Facetten der Geschichte des Kommunismus, Facetten der Vielfalt der Völker und Regionen Chinas, die zusammenzuhalten für jede chinesische Regierung eine gigantische Herausforderung ist, Facetten wie Menschenrechte, Umwelt, Klima, Wahrnehmung internationaler Verantwortung, Religionsfreiheit, Medienfreiheit und vieles mehr.
In der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage sind viele gute Informationen enthalten. Man findet Aussagen über Stärken und Schwächen. Aber wie bewerten wir das? Offenbar gibt es ja, wie wir heute Morgen festgestellt haben, zwei Chinapolitiken der Bundesregierung, wenn nicht mehr.
Wenn man genauer hinsieht, stellt man fest, dass hier der klassische Konflikt zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik besteht. Für die Glaubwürdigkeit in Wertefragen und die Bedienung eigener taktischer oder innenpolitischer Zwecke ist immer angesagt, sich auf die Gesinnungsethik zu berufen. Wer aber auch und gerade in Wertefragen, zum Beispiel bei der Verbesserung der Menschenrechtslage, etwas erreichen und seine eigenen Interessen strategisch wahren will, der kommt allein mit der Berufung auf die Gesinnungsethik nicht aus. Wir sollten uns nicht dem Vorwurf aussetzen, mehr am Beifall zu Hause interessiert zu sein, wenn wir Fehlentwicklungen anprangern, als an der Lösung der Probleme, unter denen die Menschen vor Ort leiden.
Nur das Gesamtbild kann die Grundlage eines strategischen Ansatzes sein.
Bei der Analyse kommt man zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem, ob man diesen Ansatz statisch oder dynamisch auslegt. Der Status Chinas und der Status unserer Beziehungen geben an vielen Stellen Anlass zu Kritik. Man muss aber sehen, woher China kommt und wohin es sich in den letzten 20 Jahren entwickelt hat. Man muss den gewaltigen Fortschritten Rechnung tragen und zumindest einmal feststellen, dass die Entwicklung im Großen und Ganzen in die richtige Richtung geht.
Es kommt auf die Basis an, auf der man Kritik äußert. Niemand wird von uns erwarten - von uns Liberalen schon gar nicht -, dass wir unsere Grundüberzeugungen in Menschenrechtsfragen über Bord werfen oder sie verstecken. Aber für eurozentrische Besserwisserei, für Überheblichkeit sollte kein Platz sein. Ehrlichkeit und die Vermeidung doppelter Standards sind angesagt.
Als Freund Chinas, auf der Basis von Respekt und Sympathie kann man heutzutage chinesischen Gesprächspartnern gegenüber die heikelsten Themen ansprechen.
Denn die Veränderungsdynamik Chinas geht weit über die ökonomische Sphäre hinaus. Im Grunde beobachten wir einen faszinierenden Prozess der Verwestlichung. Wir sollten das nicht als Bedrohung empfinden, sondern als Chance.
Warum sind manche Fragen in der Diskussion mit den chinesischen Partnern so heikel? Weil das Riesenreich seine Traumata hat. Stabilität und harmonische Entwicklung sind ein Stichwort, Zusammenhalt der Nation - so viele Ethnien leben in China - ist ein anderes. Und dann ist da dieses Relikt des Altkommunismus, nämlich die Haltung zu Religion und Religionsfreiheit: Religion als Opium für das Volk. Es ist höchste Zeit, dass auch unsere chinesischen Partner Marx in die Mottenkiste packen.
Bisweilen fragt man sich, warum unsere chinesischen Partner es uns so schwer machen, warum sie nicht mehr Gelassenheit, warum sie nicht mehr Selbstbewusstsein an den Tag legen, wie es ihrer Kultur und Tradition eigentlich entspricht. Warum zum Beispiel greifen sie, wie kürzlich geschehen, auf die Sprache der Kulturrevolution zurück und lösen damit bei uns so viele Irritationen aus? Wir sollten unsere chinesischen Partner ermutigen, gelassener zu sein, souveräner zu sein und nicht jede kritische Anmerkung als Anschlag auf die nationale Einheit oder auf die stabile und harmonische Entwicklung zu empfinden. Weder eine Abkehr von der Ein-China-Politik noch eine Destabilisierung Chinas kann Ziel oder Motiv deutscher Politik sein.
Es gibt große Probleme, es gibt aber auch Fortschritte. Es gibt eine Riesenarmut, und die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weiter. Aber man muss auch sehen: Zwischen 1959 und 1961 sind 30 Millionen Menschen durch Hunger umgekommen. So etwas wäre im heutigen China nicht mehr möglich. Das muss man anerkennen.
Im Bereich der Rechtsstaatlichkeit gibt es über die Frage der Menschenrechte weit hinaus viele Dinge, die man sich noch wünschen würde. Aber die Chinesen arbeiten daran, und das, was erreicht worden ist, ist enorm. Es ist auch ein Ergebnis kleiner Beiträge deutscher Politik; das sollten wir nicht verstecken.
Noch vieles ist umzusetzen. Wir sollten uns als Partner anbieten.
Ab nächster Woche ist Tibet wieder für Ausländer geöffnet. Das ist eine gute Nachricht. Ich danke dem Präsidenten dafür, dass er eine Anmerkung zur Reise des Menschenrechtsausschusses gemacht hat.
Auch in der Tibet-Frage sind Ehrlichkeit und Realismus angesagt, sowohl was die Historie angeht als auch was die Gegenwart und die Zukunft angeht. Unser Rat an die chinesischen Freunde lautet: Ihr seid gut beraten, den direkten Dialog mit dem Dalai-Lama zu suchen und den Dialog ernsthaft zu führen.
Wer weiß, was nach ihm kommt.
Wir erwarten, dass unsere chinesischen Partner die Gesetze zum Schutz der Tibeter tatsächlich umsetzen. Wir müssen allerdings unseren tibetischen Gesprächspartnern gegenüber klarmachen, dass auch Gewalt von ihrer Seite nicht nur nicht zielführend, sondern inakzeptabel ist.
Das heißt, dass wir in den Gesprächen mit dem religiösen Führer der Tibeter - die wir selbstverständlich führen dürfen - sagen müssen, dass wir um eine präzise Definition von Autonomie nicht herumkommen
und dass wir keine Forderung unterstützen - die wird nicht von ihm kommen, aber möglicherweise von anderen -, die auf eine Destabilisierung Chinas hinauslaufen würde.
Unter dem Strich: Sehen wir China als Partner oder als Gegner? Meine Damen und Herren, der Westen hat keine China-Strategie. Partnerschaft oder Eindämmung? Eindämmung ist das Thema neokonservativer Think Tanks in den Vereinigten Staaten und woanders. Eines müssen wir in der Tat eindämmen, nämlich den Nationalismus, der auch in China droht,
wenn wir die Empfindungen der Menschen in China in unsere Überlegungen nicht hinreichend einbeziehen.
Wer China ständig nur als Bedrohung und strategischen Widersacher sieht, wird China als strategischen Gegner bekommen und - noch wichtiger - nichts von den Dingen erreichen, die uns hinsichtlich der inneren Probleme Chinas besonders am Herzen liegen. Bei keinem dieser Probleme werden wir dann etwas zum Besseren wenden können.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Walter Kolbow für die SPD-Fraktion.
Walter Kolbow (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie der Kollege Trittin und der Kollege Hoyer, so will auch ich für die SPD-Bundestagsfraktion noch einmal das Mitgefühl für die Erdbebenopfer zum Ausdruck bringen und in diesem Zusammenhang deutlich machen, dass die Hilfen, die von der Bundeswehr und den vielen Spenderinnen und Spendern öffentlich und privat geleistet worden sind, geholfen haben und sicherlich auch weiter helfen werden.
Ich denke, es ist gut, dass der Bundestagspräsident angesprochen hat, dass der Menschenrechtsausschuss nicht nur nach China möchte, sondern in unserem Namen auch soll, und dass das Argument - wir nehmen das natürlich ernst -, dass man dort im Moment wegen der Erdbebenkatastrophe nicht zur Verfügung stehen kann, noch einmal überdacht werden sollte, damit diese Reise möglich wird.
Herr Kollege Hoyer, ich stehe nicht an, deutlich zu sagen, dass vieles von dem, was Sie hier vorgetragen haben, auch den Intentionen der sozialdemokratischen China-Politik entspricht. Herr Kollege Trittin, ich weiß, dass das kräftige Sowohl-als-Auch, das bei der Beantwortung kompliziertester Fragen häufig auch eine Grundposition von Willy Brandt gewesen ist, auch auf das Problem hier zutrifft.
Ich sage an dieser Stelle: Natürlich sind wir alle im Respekt vor Papieren, Auffassungen, Reiseergebnissen und Diskussionen in unserem Lande daran interessiert und von unserem Anspruch her auch dazu verpflichtet, eine China-Strategie zu entwickeln. Zu einer Strategie bedarf es aber natürlich auch des Sich-Einlassens auf strategische Positionen. Hier ist gesagt worden, dass dem natürlich nicht nur der chinesische Pragmatismus gelegentlich entgegensteht, der diese Dinge für uns kompliziert, weswegen auch die Aufforderung an die chinesischen Partner ergeht - wie meine Vorredner das schon gesagt haben -, sich auf diese ehrliche Debatte so einzulassen, wie sie sich im eigenen Land auch auf die Überwindung ihrer schrecklichen Vergangenheit und Traumata - denken Sie nur an die Kulturrevolution und an das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Jahre 1989 zurück - eingelassen haben.
Ich denke, dass wir dadurch herausgefordert werden, Positionen zu überwinden, die 1966 bis 1969 während der ersten Großen Koalition zum Ausdruck kamen - sie sind heute nicht angeklungen -, als Kurt Georg Kiesinger den Deutschen zurief: ?Ich sage nur China, China, China?. Auch wegen der offenen und ehrlichen Aussprache - an dieser werden wir uns messen lassen; das gilt aber auch für unsere chinesischen Partnerinnen und Partner - sind die Ängstlichkeit in diesem Zusammenhang und die Mystifizierung des chinesischen Partners ebenfalls bei weitem überwunden.
Ich denke, dass durch das EU-Projekt zur Durchführung von Dorfwahlen in China - um eines herauszugreifen, von dem ich glaube, dass dadurch Optimismus geweckt werden kann -, das von 2001 bis 2006 durchgeführt worden ist - inzwischen sind Dorfwahlen anerkannter Bestandteil der administrativen Strukturen in der Volksrepublik China -, deutlich gemacht wird, dass eine solche Kooperation möglich ist, dass es über einzelne Inhalte dieser Kooperation hinausgehen kann und dass sie Basis für Strategien werden kann; denn auf dem 17. Parteitag im Oktober 2007 hat sich der Generalsekretär Hu Jintao immerhin zu dem Ziel der Partizipation und zur Basisdemokratie in der Bevölkerung bekannt. Daneben hat er auch unter der Überschrift ?Harmonisierung der Gesellschaft? den Anspruch verkündet, dies weiterzuentwickeln. Wir haben diesen Weg eingeschlagen und führen Diskussionen, auch mit den Verantwortlichen in der Kommunistischen Partei Chinas. Dort ist ein Diskussionsprozess eingeleitet worden, zu dem auch die Auseinandersetzung mit dem Alleinvertretungsanspruch gehört. Die Diskussion verläuft zwar zögerlich, aber immerhin hat sie begonnen. Dabei wird der Blick auch auf Parteiendemokratien in anderen Ländern gerichtet.
Aber was die Strategie, mit der dieses Land mit seinen 1,3 Milliarden Einwohnern den Herausforderungen begegnet, und die bereits angesprochene Gefahr des Nationalismus angeht, müssen wir Geduld aufbringen und auch mit Rückschlägen fertig werden. Wir müssen aber auch dazu beitragen, solche Rückschläge zu vermeiden.
Es ist deutlich geworden, dass die Chinesen weltpolitische Spieler sind, ohne die in Bereichen wie Entspannung, Abrüstung, Rüstungskontrolle und friedensschaffende Maßnahmen auch in Hotspots der Weltgemeinschaft keine Erfolge mehr erzielt werden können. Gerade das Beispiel Nordkorea zeigt, dass China mittlerweile gewillt und fähig ist, seiner politischen Verantwortung in den internationalen Beziehungen nachzukommen und damit auch eine konstruktive Rolle in brennenden Situationen wie einem Atomkonflikt einzunehmen bereit ist. Auch daran muss man den chinesischen Partner messen und dieses positive Engagement auch auf andere Krisenregionen wie den Iran oder den Sudan übertragen.
Ich denke, dass es intellektuell durchaus redlich ist, wenn wir uns - auch vor dem Hintergrund unserer Entschließungen zu den Laogai-Lagern und zur Verfolgung der Falun Gong - auch mit dem Thema Tibet befassen. Wir wollen das nicht überheblich mit erhobenem Zeigefinger tun - das wurde bereits angesprochen -, sondern wir gehen auch dieses Thema mit Respekt vor einem Dialog, der zum Ziel führen soll, an und laden die chinesischen Partner ein, die Verhandlungen mit den Exiltibetern wieder aufzunehmen. Wir machen deutlich, dass wir auf Ergebnisse setzen und dass die Aufnahme von Verhandlungen vor dem Beginn der Olympischen Spiele ein sinnvolles Zeichen des Friedens wäre, der diese Spiele begleiten soll.
Ich danke Ihnen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Wolfgang Gehrcke das Wort.
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte für die Fraktion Die Linke meine Überlegungen damit beginnen, Beileid und Mitgefühl für die furchtbare Naturkatastrophe auszusprechen. Es liegt zwar kein Antrag vor, aber vielleicht kann man das - ähnlich wie es der Auswärtige Ausschuss bereits getan hat - im Namen aller Fraktionen des Deutschen Bundestages den chinesischen Partnerinnen und Partnern übermitteln. Ich würde das sehr begrüßen; denn es erleichtert vieles, wenn man die eigenen Überlegungen aus einer solchen Position heraus vertritt. Ich sehe in diesem Punkt auch keine Differenzen.
Wenn man versucht, den Stellenwert unserer Beziehungen zu China strategisch einzuordnen - aus meiner Sicht ist das Verhältnis Deutschlands bzw. der Europäischen Union zu China, um das es heute geht, eine der wichtigsten Fragen der deutschen Außenpolitik -, dann ist es zu bedauern, wenn in der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Grünen nur auf Einzelprojekte und einzelne Ressorts verwiesen wird.
Grundsätzlich stellt sich die einfache Frage, ob es so etwas wie eine deutsche Chinapolitik gibt, welches ihre Grundzüge sind und ob die Beziehungen zu China einen strategischen Stellenwert für Deutschland haben. Herr Staatsminister, ich habe mich schon mehrfach darüber beschwert, dass die Bundesregierung alle möglichen Politikfelder mit dem Etikett ?strategisch? versieht. Es gibt zwar strategische Partnerschaft und strategische Zusammenarbeit, aber in den meisten Fällen ist damit kein großer strategischer Inhalt verbunden. Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und China hätte tatsächlich einen strategischen Stellenwert. Es muss doch der Bundesregierung möglich sein, diesen strategischen Stellenwert nicht auf einzelne Bereiche beschränkt - das ist Verschwendung -, sondern zusammenfassend zu formulieren. Ich finde, das ist ein Mindestanspruch, den man erheben muss.
China ist eine Weltmacht oder auf dem Weg zu einer Weltmacht. Ich will gleich hinzufügen, damit das nicht falsch ausgelegt wird: Ich war immer und bin ein Gegner einer unipolaren Welt und von Ansprüchen auf eine solche Welt. Die Alternative zu einer unipolaren Welt ist nicht eine bipolare Welt. Die Alternative dazu ist vielmehr eine Gemeinschaft unterschiedlicher Akteure, Völker und Vereinigungen. Das macht einen großen Unterschied in der Betrachtung unseres Verhältnisses zu China aus.
Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, hört sich banal an, obwohl er fast die Grundlage für alles ist. Ich finde es herausragend, dass heute keine Menschen mehr in China verhungern. Die einfache Überlebensfrage nach einer Schale Reis ist beantwortet. Es gibt in China sicherlich Armut, Ungerechtigkeit und viele ungelöste Probleme. Aber dass dieses Land mit einer Milliardenbevölkerung es schafft, seine Menschen zu ernähren, ist ein gewaltiger Schritt, den man nicht mit kleiner Münze beantworten darf. Aus meiner Sicht ist das tief beeindruckend.
Wir sollten versuchen, zu ermessen, was es bedeutet, wenn Menschen nicht mehr verhungern müssen.
Drittens müssen wir uns darüber klar sein, dass kein Weltproblem ohne die Hilfe oder - genauer gesagt - ohne aktive Mitarbeit Chinas zu lösen ist. Wir sollten uns wünschen, dass China in noch stärkerem Maß Verantwortung in der Weltpolitik übernimmt. Ich will einige Bereiche nennen. Die Bewältigung von Klimaentwicklung und Klimakatastrophen, die Beantwortung der Fragen nach dem ökologischen Überleben der Welt und die Bekämpfung des Hungers in allen Teilen der Welt sind ohne China nicht möglich.
Ich will auch ansprechen, warum es uns so schwerfällt, die Stärke und den Einfluss Chinas bei einer friedlichen Lösung in Afghanistan zu nutzen - das ist eine einfache Überlegung -, und zwar in Kooperation mit den Nachbarn Afghanistans, dem Iran und anderen, und eine entsprechende Politik zu betreiben.
Das hieße, Militär endlich mit Politik zu beantworten.
Ich glaube zudem, dass wir keine Lösung in den Fragen betreffend das Atomprogramm Nordkoreas und das mögliche Atomprogramm des Irans erreichen, wenn wir China nicht als fairen Mittler - China hat das Recht, die westliche Politik nicht ständig zu unterstützen und ihr zu widersprechen - in Anspruch nehmen.
Außerdem wird es eine Reform der UNO ohne China nicht geben - das ist klar -, nicht nur weil China Mitglied des UN-Weltsicherheitsrates ist. Hat es nicht auch für die deutsche Politik eine hohe Bedeutung, dass wir über China einen besseren Draht zu den sogenannten Blockfreien - obwohl es keine Blöcke mehr geben soll - entwickeln könnten?
China kann in mehrfacher Hinsicht für eine kooperative Welt nutzbringend sein. Die Grundlage dazu ist - ich finde es spannend, Herr Kollege von Klaeden, dass das in Ihrer Rede überhaupt nicht auftauchte; aber das müssen Sie selber wissen - eine Ein-China-Politik. Gerade von einer Partei wie der CDU/CSU, die sich zu einem Zeitpunkt, als ich eine gegensätzliche Position vertrat, so sehr für eine Ein-Deutschland-Politik eingesetzt hat, hätte ich, was eine Ein-China-Politik betrifft, mehr Aufmerksamkeit und Klarheit erwartet.
Vor diesem Hintergrund müssen wir gemeinsam über eine Lösung des Tibet-Problems nachdenken. China wäre gut beraten, sich an die eigene Verfassung exakt zu halten, die autonome Regionen sowie die Gleichheit der Nationen, der Sprachen, der Sitten und der Gebräuche vorsieht.
Das ist Gegenstand der chinesischen Verfassung. Es liegt in der Auseinandersetzung der Kooperation zwischen Tibetern und Chinesen, dies in die politische Praxis umzusetzen.
Ich sage Ihnen aber auch: Die Definition des Dalai-Lama - er war Gast bei uns im Auswärtigen Ausschuss - von Autonomie - nicht auf das Gebiet Tibet, sondern auf die Abstammung bezogen; er sprach wörtlich von Religion und Blut - lässt sich schwer in Rechte fassen.
Aber auch eine solch offene Sprache gegenüber unseren Partnern kann man sich doch nicht gegenseitig untersagen. Überlegen Sie sich einmal: Wenn in China Ähnliches wie in der damaligen Sowjetunion passiert wäre, eine Auflösung des Staatengebildes in Einzelstaaten, dann hätte dies die Welt nicht ausgehalten.
Deswegen muss man vorsichtig sein und den Anfängen mit einer vernünftigen Politik wehren.
Ich möchte uns, mich selbst immer eingeschlossen, gemeinsam mahnen, in Stil und Gestus einen anderen Umgang zu pflegen. Allzu oft klingt in unseren Reden durch: Wir sind die Belehrenden, und ihr seid die Lernenden. Dieser Gestus kann gerade vor dem Hintergrund der Kolonialgeschichte Europas in China nicht akzeptiert werden.
Das Land legt großen Wert auf Würde, Stolz und Selbstbewusstsein. Wir müssen eine Sprache finden, in der nicht immer der Eurozentrismus in Erscheinung tritt. Ich denke, es ist wichtig, dass der belehrende Ton weg muss.
- Ich erinnere daran, dass ich vorhin von kleiner Münze gesprochen habe, Herr Kollege.
Ich will eine letzte Bemerkung zur chinesischen Außenpolitik machen. Ich finde die chinesische Außenpolitik durchaus berechenbar. Sie bewegt sich sehr hart am Text der Charta der Vereinten Nationen.
Ich finde - damit will ich abschließen, Frau Präsidentin, obwohl noch vieles zu sagen wäre -, dass die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die entsprechende Frage etwas sehr Vernünftiges geschrieben hat. Ich zitiere:
Da der Erhalt eines friedlichen Umfeldes für die Entwicklung des Landes höchste Priorität besitzt, ist Chinas Militärpolitik und -doktrin defensiv ausgerichtet; der Ersteinsatz von Nuklearwaffen wird ausgeschlossen.
Wenn ich das Gleiche von den USA behaupten könnte, dann wäre ich sehr glücklich und dann wäre der Welt wirklich gedient.
In diesem Sinne möchte ich gerne, dass wir zusammen eine vernünftige Politik entwickeln.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Erich Georg Fritz für die CDU/CSU-Fraktion.
Erich G. Fritz (CDU/CSU):
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Herr Trittin, ist tatsächlich zu einem Kompendium über China geworden. Wenn Sie die Struktur bemängeln, Herr Kollege Trittin, dann muss ich Ihnen sagen, dass sie, wie Sie bei der Lektüre feststellen können, ausschließlich an Ihrer Frageweise liegt. Von daher dürfen Sie sich nicht beklagen, wenn die Bundesregierung so antwortet, wie Sie gefragt haben.
Ich glaube, dass die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage ziemlich genau das ganze Feld der inneren Entwicklung Chinas mit seinen Erfolgen und Widersprüchen darlegt. Sie zeigt die unendlichen Bedürfnisse und Möglichkeiten, die in einer Zusammenarbeit Europas und insbesondere Deutschlands mit China liegen. Ich habe den Eindruck, dass die Antwort weder politisch geschönt noch zu drastisch ist. Sie nennt einfach die Dinge beim Namen. Insofern halte ich die Antwort im Sinne eines vernünftigen Umgangs mit unserem Partner für angemessen.
Bei der Zusammenfassung kommt man zu einigen Einschätzungen, die für die weitere Diskussion vielleicht nicht unwesentlich sind. 30 Jahre wirtschaftliche Reformen und Entwicklungen in China haben nicht nur dieses Land, sondern auch die Welt verändert. Das heißt für China und für die Welt, dass ein altes Kulturvolk auf die weltpolitische Bühne zurückgekommen ist. Wenn man sich klarmacht - Herr Gehrcke, vielleicht mit Ihrer begeisternden Zustimmung früher -, was dieses Volk auf diesem Weg mitgemacht hat, ist die Kraft, ist der Elan, sind die sich entwickelnden Fähigkeiten geradezu bewundernswert, die China an den Tag legt.
Dass nicht nur wir Deutsche, sondern dass die Welt Probleme hat, den kulturellen Hintergrund dieser Entwicklung zu lesen - das gilt nicht nur für Unternehmer, sondern auch für Politiker, für alle, die mit China zusammenarbeiten. Dieses Land hat sich selbst zurückgezogen und den Austausch nicht gepflegt. Jetzt ist es zurück. Beide Seiten lernen, nicht nur, weil wir dazu genötigt sind, sondern auch, weil wir Freude daran haben, mit dieser neuen Herausforderung umzugehen.
Es ist ein Land mit einer ungewöhnlichen wirtschaftlichen Dynamik. Die Welt nimmt das erstaunt zur Kenntnis, häufig genug voller Angst. Es gibt eine Verringerung von Armut im großen Stil. Ist das denn gar nichts wert? Warum reden wir nicht darüber,
dass dieser Weg der wirtschaftlichen Liberalisierung Chinas zu einer Verringerung von Armut führt wie in Indien und Brasilien auch? Ich habe manchmal das Gefühl, alle, die früher vom Teilen geredet haben, haben damit nichts mehr im Sinn, wenn etwas plötzlich über den Wettbewerb erworben und nicht mehr gnädig gegeben wird. China ist nun einmal in der Rolle dessen, der sich seinen Anteil über den Wettbewerb nehmen kann. Freilich gibt es auch an dieser Form des Wettbewerbs das eine oder andere zu kritisieren.
Der politische Bedeutungszuwachs Chinas ist noch nicht immer in Peking und in der Welt mit den richtigen Ressourcen hinterlegt. Aber das ist doch kein Wunder. Wenn Sie sich einmal anschauen, wie schnell der Generationenwechsel in der Führungsschicht und bei den international Aktiven gelungen ist, dann ist es schon erstaunlich, welche Qualität man vorfindet.
Darauf müssen wir uns einstellen. Da gibt es neue Herausforderungen, die wir erst einmal bestehen müssen. Aber noch ist und fühlt sich China nicht in der Lage, in jeder Weise, zu jeder Zeit und an jeder Stelle Verantwortung zu übernehmen. Diese Ansprüche an die Übernahme von Verantwortung in internationalen Angelegenheiten, an Chinas Mitgestaltung werden aber gestellt. Deshalb muss sich China von vielen, allein auf nationales Interesse konzentrierten Vorstellungen lösen.
Diese positive Entwicklung Chinas bedeutet aber auch, dass China es jetzt mit Ängsten und Widerständen auf der Welt zu tun hat, mit denen umzugehen es bisher überhaupt nicht gewohnt war. Deshalb sind manche Reaktionen, die wir in den letzten Monaten erlebt haben, natürlich vor diesem Hintergrund zu sehen.
China muss soziale und regionale Disparitäten ausgleichen. Dagegen ist der Ausgleich in den Beitrittsländern der Europäischen Union geradezu eine Bagatelle, obwohl wir wissen, wie schwierig solche Prozesse sind. Die Rohstoffsicherung für eine so dynamisch wachsende Wirtschaft zu betreiben, ist natürlich eine Herausforderung. Für die gab es auch in China kein Drehbuch. Wir beklagen uns zu Recht, dass wir da einem Prozess zuschauen, den wir in seinen Auswirkungen wenig beeinflussen können und den wir an vielen Stellen in der Art des Vorgehens nicht gutheißen.
Mit internationalen Ansprüchen auf Standards für Menschenrechte, Ressourcenschonung, Klimaverantwortung, soziale Entwicklung und den Ausbau des Rechtsstaats wird China von allen Seiten konfrontiert. Wir sind an diesem Prozess beteiligt. Jeder, der diese Gespräche führt, weiß, dass die Möglichkeit eines Dialogs, das Verständnis für diesen Dialog und die Bereitschaft, sich einzulassen, in China zugenommen haben, auch wenn die Ergebnisse nach wie vor nicht so sind, wie wir sie gerne hätten.
Die Vorteile aus der Öffnung der Märkte für chinesische Produkte sind natürlich mit dem Anspruch hinterlegt, die Regeln, die man unterschrieben hat, konsequent einzuhalten und alles dafür zu tun, dass in Peking nicht nur ein Gesetz gemacht wird, sondern dass man sich auch vor Ort in den Unternehmen, in den Handelsströmen an die akzeptierten Regeln hält.
Die vielfältigen Umweltprobleme und deren Folgen für die Bevölkerung dürfen nicht länger verdrängt werden. Dies bietet eine ganz neue Form der Zusammenarbeit. Der Bericht der Bundesregierung zeigt, was darin steckt und was wir auf diesem Feld zum Vorteil beider Seiten leisten können.
Einzusehen, dass auf Dauer ein modernes, weltoffenes China, wirtschaftlich erfolgreich und international angesehen, den Bürgern nicht die wesentlichen Partizipationsmöglichkeiten vorenthalten kann, zu akzeptieren, dass Menschenrechte nicht nach Gutdünken verweigert werden können, dass Meinungs- und Religionsfreiheit nicht unterdrückt werden können, wenn man diesen Prozess nicht innerhalb des eigenen Landes gefährden will, und dass man Pluralismus in Gesellschaft und Politik auf Dauer braucht, weil anders die kreativen Kräfte dieses Volkes nicht zu erhalten sein werden - auf dieser Basis ist es möglich, den Dialog mit China zu führen.
Ich glaube, dass der gerade vorhin angeklungene Gegensatz zwischen Gesinnungsethik oder werteorientierter Außenpolitik und pragmatischer Außenpolitik eine Konstruktion ist, die eigentlich gar nichts taugt. Es kann doch nur darum gehen, dass wir die Interessen, die auf beiden Seiten vorhanden sind, die auch gemeinsame sein können - ich hoffe, in Afrika wird es in Zukunft besser gemeinsam gehen -, natürlich vor dem Hintergrund der eigenen Wertvorstellungen diskutieren. Ich denke, dass man dem Anspruch der Chinesen auf Vertrauen und gerechten und fairen Umgang miteinander und Respekt voreinander umso besser gerecht werden kann, je mehr sich Wertvorstellungen durch einen dauerhaften Dialog einander annähern, und dass daraus ein umso größeres Verständnis und damit erst die Möglichkeit des gegenseitigen Respekts erwachsen.
Es gibt viele Dinge im Zusammenhang mit unserer Chinapolitik, die diskussionswürdig sind. Aber diese Politik ist so, weil die Wirklichkeit so ist. Deshalb sollte man sich davor hüten, zunächst einmal eine Schablone zu basteln und dieser die Chinapolitik anzupassen. Lassen Sie uns vielmehr an den Stellen, wo Menschen aktiv miteinander umgehen, in der Wirtschaft, in der Politik, zunehmend in der Kultur, alle Chancen für den Dialog nutzen. Dann wird es eine Entwicklung zum gegenseitigen Vorteil geben.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Für die Bundesregierung spricht nun Herr Staatsminister Gernot Erler.
Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte diese Debatte nutzen, um noch einmal unser tiefes Mitgefühl für die Opfer der Erdbebenkatastrophe vom 12. Mai zum Ausdruck zu bringen. Das Ausmaß dieser Katastrophe, bei der über 5 Millionen Wohnhäuser zerstört wurden, ist schwer vorstellbar. Die chinesische Regierung hat schnell reagiert, die chinesische Gesellschaft hat große Solidarität mit den Betroffenen gezeigt. Die Offenheit, mit der die chinesische Führung auf die internationalen Hilfsangebote, auch auf unsere, reagiert hat, hat Eindruck gemacht und dazu beigetragen, dass diese Hilfe schnell bei den Betroffenen ankam. Dass dies nicht selbstverständlich ist, wissen wir von anderen aktuellen Katastrophenfällen. Wir werden China auch bei den jetzt anstehenden Aufgaben der Sicherung und des Wiederaufbaus nach Kräften unterstützen.
Wenn man über unsere Chinapolitik redet, sollte man sich zunächst vergewissern, mit welchem Partner man es hier zu tun hat. China ist ein riesiges Land mit 1 300 Millionen Menschen, mit einer jahrtausendealten, reichen Kultur, das in den letzten beiden Jahrzehnten ein geradezu atemberaubendes Entwicklungstempo vorgelegt hat, mit zweistelligen Wachstumsraten in den letzten fünf Jahren und einer äußerst konkurrenzfähigen Außenwirtschaft, die über den Außenhandel inzwischen eine Devisenreserve von 1,6 Billionen US-Dollar angesammelt hat. Aber China ist eben auch eine Gesellschaft, die vor enorm großen Herausforderungen steht. Wie dieses Land mit seinen vielen Völkern und Religionen zusammenhalten? Wie eine Identität und ein Zusammengehörigkeitsgefühl für 1,3 Milliarden Menschen schaffen und aufrechterhalten? Wie die Dynamik des Wirtschaftswachstums so steuern, dass möglichst viele Menschen am Wohlstandsgewinn teilhaben und dass die Unterschiede zwischen Arm und Reich nicht zu groß werden? Wie eine Balance finden zwischen der notwendigen Handlungsfähigkeit der Regierung und der ebenso notwendigen Transformation und Modernisierung von Staat und Gesellschaft?
Dazu kommt ein unvermeidbarer Lernprozess. Chinas Rolle als Global Player wächst. Damit schwindet aber auch Chinas Chance, sich allein auf die eigenen Probleme zu konzentrieren. Vielmehr muss China internationale, globale Verantwortung übernehmen, und zwar in Bezug auf Frieden und Konfliktlösung auf verschiedenen Kontinenten, die Zivilisierung des Wettbewerbs um Rohstoffe und Energieressourcen sowie gemeinsame Antworten auf die globalen Umwelt- und Klimawandelprobleme.
Liebe Kollegen Trittin, Hoyer und Gehrcke, die Bundesregierung hat sich, was ihre Chinapolitik angeht, entschieden. Sie verfolgt eine Grundlinie, die jede Isolierung und Ausgrenzung vermeiden will, die auf Einbindung, eine Verantwortungsgemeinschaft und vor allem auf Dialog setzt.
Dabei sind wir schon ein Stück vorangekommen. Wir haben seit Jahren einen ernsthaften Strategiedialog - das Wort ?Strategie? wurde also aufgegriffen -, einen durchaus nicht immer einfachen Menschenrechts- und Rechtsstaatsdialog und einen Umweltdialog. Insgesamt wurden über 30 verschiedene Dialogmechanismen entwickelt. Das sind hochrangig besetzte, echte Dialoge, die auf gleicher Augenhöhe stattfinden und bei denen wir uns auch den kritischen Fragen der chinesischen Seite stellen.
Das ist eine Politik, die auf konkrete Ergebnisse setzt, die auf eine langfristige und nachhaltige Entwicklung hinarbeitet, die aber - wie wir mehrfach erfahren haben - manchmal auch von tagespolitischen Ereignissen nicht unberührt bleibt. Das war zum Beispiel der Fall bei der hochrangigen Begegnung mit dem Dalai-Lama, die zu einer Unterbrechung der bilateralen deutsch-chinesischen Dialogforen führte. Diese Unterbrechung gehört mittlerweile zum Glück der Vergangenheit an. Es waren vor allen Dingen die Bemühungen des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier - zuletzt bei seiner Chinareise vom 13. bis 15. Juni -, die den Weg für eine Fortsetzung dieser Dialoge freigemacht haben.
Übrigens sparen diese Dialoge kein Thema aus, auch nicht die Punkte, bei denen wir uns nachdrücklich eine Änderung der chinesischen Politik wünschen, ob das die massive Anwendung der Todesstrafe, die Administrativhaft oder den Umgang mit Dissidenten und mit Minderheiten angeht. Unsere Erfahrung ist, dass nur auf partnerschaftlicher Basis geführte Gespräche etwas bewirken können; nur damit kann man Einfluss nehmen.
Nach den jüngsten Ereignissen in Tibet haben wir mehrfach zu direkten Gesprächen zwischen der chinesischen Führung und dem Dalai-Lama geraten. Am 4. Mai hat es eine erste Begegnung zwischen Pekinger Offiziellen und Vertretern des Teams des Dalai-Lama in Shenzhen gegeben. Eine zweite war für den 11. Juni vorgesehen, wurde aber wegen der Erdbebenereignisse verschoben. Wir ermutigen dazu, auf diesem Weg weiterzugehen.
Die Welt braucht China als verantwortungsbewussten Teilhaber der Weltgesellschaft. In jedem Schritt unserer Chinapolitik - das ist unser Anspruch - muss dieses Ziel erkennbar bleiben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Hellmut Königshaus für die FDP-Fraktion.
Hellmut Königshaus (FDP):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sind dem Präsidenten sehr dankbar dafür, dass er eingangs der Debatte darauf hingewiesen hat, dass noch einige Menschenrechtsfragen, die im Zusammenhang mit der Reise des Menschenrechtsausschusses zu sehen sind, mit der chinesischen Seite zu diskutieren sind. Dieser Hinweis war sehr wichtig. Deshalb ist es sehr zu bedauern, dass wir ausgerechnet die Menschenrechts- und die Tibetfragen heute leider voraussichtlich erst gegen 22 Uhr unter fast vollständigem Ausschluss der Öffentlichkeit besprechen werden.
Der Eindruck des Kollegen Trittin, dass es der Bundesregierung bei der Chinapolitik an einer kohärenten Haltung fehlt, ist nicht falsch. Wenn man zur Regierungsbank schaut, wird auch optisch erkennbar, woran das liegen könnte. Kein einziger Bundesminister hat sich zu dieser Kernzeitdebatte hierher bewegt, übrigens auch nicht Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, obwohl wir sie zur Belohnung mit unserer Auffassung zur Entwicklungshilfe für China vertraut gemacht hätten. Das ist mir unverständlich.
- Ja, die Staatssekretärin sitzt dort. Ihr sind unsere Auffassungen bestens vertraut - das weiß ich -; sie nimmt diese Belohnung immer gern entgegen.
Wir sind uns beiderseits in dieser Frage schon in vielen Punkten entgegengekommen. Ich denke, wir sind uns einig darüber, dass China - das räumt auch die Bundesregierung ein - kein Entwicklungsland im klassischen Sinne mehr ist; viele der Ausführungen hier haben das deutlich gemacht. China ist eine Großmacht: über 1 Billion Euro Devisenreserven, Wachstumsraten, von denen wir hier nur träumen können, Exportweltmeister, wenn man die EU-Binnenlieferungen der Deutschen einmal außen vor lässt. China ist übrigens inzwischen selbst Geber. Allein nach Afrika fließen 7,5 Milliarden Euro.
Da stellt sich doch die Frage, warum dieses Land eigentlich nach wie vor der größte Nehmer deutscher Entwicklungshilfe ist.
Etwa 200 Millionen Euro beträgt die ODA-Leistung inzwischen. Wir haben uns gestern über Afghanistan und über die Frage unterhalten, wo dort die strategischen Interessen liegen. Angesichts dessen ist dieser Fakt weitestgehend unverständlich. Ich frage insbesondere Sie, meine Damen und Herren von der Koalition: Warum machen Sie das weiter mit? Dazu sollten Sie hier eigentlich Stellung nehmen.
Wir von der FDP wollen nicht die Einstellung der Entwicklungszusammenarbeit mit China, wie immer behauptet wird; wir wollen eine Umstellung, die den veränderten Voraussetzungen Rechnung trägt.
- Herr Tauss, herzlich willkommen! - Dazu gehört insbesondere, dass wir die Zivilgesellschaft stärken. Die bisherige EZ beschränkt sich im Wesentlichen auf die Zusammenarbeit mit staatlichen Organisationen - dafür ist vielleicht noch Stamokap-Denken ein bisschen verantwortlich -, aber die richtigen Partner für eine nachhaltige Entwicklung sind auf Dauer die privaten Unternehmen und die zivilen Organisationen. Dahin müssen wir kommen.
Wir müssen darauf achten, dass China, das selbst überall als großer Investor und auch als großer Geber auftritt, eingebunden wird und koordiniert auftritt mit den traditionellen Gebern, zu denen wir gehören; denn wir haben gemeinsam die Verpflichtung, die MDGs zu erreichen. Wir brauchen die Chinesen, damit sie das nicht konterkarieren.
China müssen wir also als Partner betrachten. Deshalb - Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss - müssen wir bereit sein, in unseren Beziehungen, in unserer Entwicklungszusammenarbeit diese neuen Realitäten zur Kenntnis zu nehmen und daraus Konsequenzen zu ziehen.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Manfred Grund für die CDU/CSU-Fraktion.
Manfred Grund (CDU/CSU):
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es sind die Bilder des schrecklichen Erdbebens, die sich bei uns so tief eingeprägt haben - Bilder von Eltern und Lehrern, die unter den Trümmern von Schulgebäuden und Wohnhäusern mit bloßen Händen nach ihren Kindern bzw. Schülern suchen, Bilder auch von erschöpften Helfern. Ich denke ebenfalls an das Bild des chinesischen Ministerpräsidenten, der sich angesichts dieses Leids seiner Tränen nicht geschämt hat. Damit einhergehend zeigt sich eine große Offenheit im Umgang mit dem Ausmaß dieser Katastrophe und in der Annahme von Hilfeleistungen.
Insbesondere die deutsche Erdbebenhilfe war vorbildlich. Neben einem mobilen Krankenhaus wurden mehrere Wasseraufbereitungsanlagen und Unterkünfte zur Verfügung gestellt. Herr Staatsminister, es war gut, heute Ihre Aussage zu hören, dass diese Hilfe weitergeht, weil angesichts des Ausmaßes der Katastrophe, der zerstörten Ortschaften, die in dieser Form wahrscheinlich nie wieder aufgebaut werden können, eine länger andauernde Hilfe notwendig ist. Wir leisten sie gern, weil wir dazu in der Lage sind und weil sie angenommen wird. Vielen Dank auch an die Bundesregierung!
Unsere Hilfe und unser Mitgefühl gelten natürlich den Menschen in Sichuan, der betroffenen Provinz. Aber wir sollten auch die politische Dimension dieser geleisteten und entgegengenommenen Hilfe nicht unterschätzen. Damit ergibt sich ein positiver Effekt für die deutsch-chinesischen Beziehungen.
Jetzt nehme ich das Thema von Herrn Königshaus auf: Entwicklungszusammenarbeit. Genau diesen positiven Effekt erwarten wir auch von der Entwicklungszusammenarbeit mit China, wie sie auch ausgestaltet sein mag.
Natürlich könnte China aufgrund der Devisenreserven - sie sind schon mehrfach genannt worden - infolge des Handelsüberschusses unsere Unterstützung vom finanziellen Umfang her allein kompensieren. Unsere Zusammenarbeit erschöpft sich aber nicht in finanzieller Unterstützung, sondern wir wollen wirtschaftliche und finanzielle Hilfen geben. Insbesondere die technische Zusammenarbeit stellt nicht eine Einbahnstraße dar, sondern wir bekommen auch etwas zurück, was uns im gegenseitigen Verhältnis guttut. Ich glaube, zwei Punkte sprechen dafür, warum wir an der wirtschaftlichen und der Entwicklungszusammenarbeit festhalten sollten:
Erstens. Natürlich ist China kein Entwicklungsland mehr. Es ist ein Schwellenland, in dem Erste und Dritte Welt manchmal ganz unvermittelt aufeinanderprallen. Vergleiche von China mit anderen Partnerländern der Entwicklungshilfe gehen häufig fehl. Wenn schon, dann müsste man China mit Afrika vergleichen: So groß sind die Gegensätze, aber auch die Dimensionen unserer Hilfe.
Zweitens. Der Zweck unserer Entwicklungszusammenarbeit ist letztlich nicht allein am Volumen der finanziellen Hilfe zu bemessen, sondern auch an den Einflussmöglichkeiten, die wir in positivem Sinne dadurch gewinnen können.
Dabei spielt der Wissenstransfer eine große Rolle, insbesondere geförderte Projekte im Bereich von Umwelt- und Energietechnologien. Deutsche Firmen sind mit Umwelttechnologie in China auf dem Markt und setzen dort einen ganz erheblichen Anteil ihres Volumens um. Umgekehrt vermittelt diese Entwicklungszusammenarbeit aber auch ein besseres Verständnis der Probleme und der Entwicklungsprozesse in China. Die Entwicklungszusammenarbeit ist somit eigentlich ein Entwicklungsdialog. Ich glaube, allein das ist es wert, daran festzuhalten.
Wir sollten bei allem Kritischen, was hier und heute von Vertretern aller Fraktionen angesprochen worden ist, eines nicht aus dem Auge verlieren: China ist ein Land mit 1 300 Millionen Menschen, in dem vor 30, 40 Jahren noch Millionen Menschen verhungert sind. Die Regierung hat den Menschen dieses Landes erstmals, auch wenn es nur schrittweise vorangeht, gesicherte Perspektiven eröffnet. Das ist eine Riesenverantwortung, die die Regierenden da auf ihre Schultern geladen haben und die sie nach meinem Dafürhalten auch nach bestem Wissen und Gewissen umzusetzen versuchen.
Natürlich wird auf Dauer nur ein pluralistisches System den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt in China gewährleisten können. Auf Dauer braucht China ein Regierungssystem, welches auf dem Wettbewerb unterschiedlicher politischer Kräfte beruht. Aber wenn wir von einem Wettbewerb der Systeme sprechen, dann haben wir zugleich auch eine Perspektive vor Augen. Auf längere Sicht wird es zu diesem Wettbewerb der Systeme kommen. Im Moment ist es China, das versucht, sich diesem Wettbewerb zu stellen, und auch erst einmal in diesem strategischen Wettbewerb bestehen muss. Keiner von uns hat versucht, das jetzige politische System der Volksrepublik zu verteidigen. Ich glaube aber, wir alle setzen darauf, dass es eine evolutionäre Entwicklung gibt. Es gibt ja in den letzten 20 Jahren erkennbare Fortschritte. Der letzte Tiefpunkt waren die Geschehnisse auf dem Tiananmen-Platz. Danach gab es in weiten Teilen eine sehr verantwortungsvolle Entwicklung.
Was wir brauchen, ist keine unkritische Haltung, sondern eine Politik des Verständnisses und des Engagements mit China. Was wir brauchen, ist ein konstruktiv-kritischer Dialog. Das kam heute eigentlich in fast allen Reden zum Ausdruck. Ich glaube, wir sind in der Zusammenarbeit mit der Volksrepublik China auf einem guten Weg. Wir sollten so fortfahren.
Herzlichen Dank für diese Gemeinsamkeit in der Sache.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun hat für die SPD-Fraktion der Kollege Johannes Pflug das Wort.
Johannes Pflug (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst sagen: Ich bin sehr froh über diese Debatte am heutigen Vormittag, weil sie sicherlich dazu beitragen kann, dass das in der Vergangenheit in der Öffentlichkeit, aber auch bei Veranstaltungen und in der Medienberichterstattung entstandene Zerrbild der Volksrepublik China wieder einigermaßen in den richtigen Rahmen gerückt wird.
Ich selbst bin in diesem Jahr dreimal in China gewesen, zum ersten Mal während der Ereignisse in Tibet. Ich war zu der Zeit in Schanghai. Ich konnte am Abend des 14. März noch die Berichterstattung von CNN sehen. Am nächsten Tag wurde die Berichterstattung von CNN wie auch die anderer Fernsehsender zensiert. Ich habe das für einen Fehler gehalten: CNN zeigte auch brennende Autos und geplünderte Läden, keineswegs nur demonstrierende Menschenrechtler oder Mönch. Es war ein schwerer Fehler der chinesischen Politik, die Berichterstattung zu zensieren.
Zur Zeit des Erdbebens war ich zum zweiten Mal in China und in Nordkorea. Ich konnte mich davon überzeugen, mit welcher Hilfsbereitschaft junge Menschen vor öffentlichen Gebäuden auf der Straße spontan für die Opfer des Erdbebens sammelten. In Chongqing ließ man brennende Kerzen auf kleinen Teppichen über den Jangtse schwimmen - natürlich gegen ein entsprechendes Entgelt -, ebenfalls für die Opfer des Erdbebens. Die Welle von Hilfsbereitschaft war unglaublich.
Ich konnte mich in Schanghai von dem unglaublichen Enthusiasmus überzeugen, den man vor Beginn der Olympischen Spiele aufbrachte, als die Fackelläufer durch die Stadt liefen. Tausende von jungen Menschen standen mit Fähnchen und Bändern am Straßenrand und winkten. Wir als Europäer wurden freundlich und herzlich aufgenommen. Da war nichts von Abkommandieren oder Ähnlichem zu spüren, sondern nur von Enthusiasmus. Vor allen Dingen nach den Erdbeben herrschte das Gefühl vor, von der Führung endlich ernst genommen worden zu sein und eine offene Berichterstattung zu bekommen.
Herr Hoyer, ich gebe Ihnen recht: Da bildet sich Nationalgefühl heraus, nicht Nationalismus. Wer gestern das Fußballspiel gesehen hat und die Straßen hier bei uns vor und nach diesem Spiel beobachtet hat, der wird nicht auf die Idee kommen, dass das, was man gesehen hat, Nationalismus war. Ich würde das einmal als völlig normalen Umgang mit dem Nationalbewusstsein bezeichnen. Dennoch muss man diese Entwicklung durchaus im Auge behalten.
Vor kurzem bin ich zum dritten Mal in China gewesen, und zwar mit unserem Außenminister und Kolleginnen und Kollegen. Diese Reise war sehr erfolgreich, vor allen Dingen deshalb, weil Außenminister Steinmeier nicht nur sehr hochrangige Gesprächspartner hatte und gute Gespräche geführt hat, an denen wir teilweise teilnehmen konnten, sondern auch, weil er darauf bestanden hat, dass er und wir Abgeordneten mit Regimekritikern sprechen durften,
was von bestimmten Richtungen in der chinesischen Regierung, die es natürlich auch gibt, so nicht vorgesehen war. Steinmeier hat sich da durchgesetzt. Diese Gespräche sind für uns sehr nützlich gewesen.
In der Großen Anfrage steht, dass die Entwicklung in China bei den Menschen häufig Angst, Besorgnis und ungeheuere Hoffnungen erweckt. Ich denke, das ist zu Recht so formuliert. Es wird auch auf die mangelhafte Lage von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten verwiesen und die Rolle Chinas in der Zukunft hinterfragt.
Niemand hat bisher verschwiegen, dass dieses große Land natürlich auch große Probleme hat. Es gibt in China große Umweltprobleme, Korruption - vor allem auf den lokalen Ebenen -, Fehlallokation von Ressourcen, vermutlich im Wesentlichen durch die zentrale Steuerung. Es gibt soziale Disparitäten in der Einkommensverteilung, in den sozialen Sicherungssystemen und in der Bildung. Es gibt auch regionale Disparitäten zwischen den Küstenstädten, den Großstädten im Landesinnern, den ländlichen Regionen und vor allem in der Infrastruktur. Aber all diese Probleme werden von der chinesischen Führung gar nicht geleugnet; vielmehr werden sie nach meinen Erkenntnissen durchaus sehr gut angegangen. Man versucht, diese Probleme zu lösen.
Was wir sehen müssen, ist, dass China zur Lösung dieser Probleme weiterhin auf hohes Wachstum setzt. Hohes Wachstum erfordert Energie und Rohstoffe. Das wiederum führt dazu, dass die Welt Chinas Aktivitäten auf den internationalen Energie- und Rohstoffmärkten sehr intensiv beobachtet und dass China dabei an die Interessensgrenzen anderer Staaten stößt. Hier stellt sich in der Tat die Frage: Wie geht China mit den Interessen anderer Staaten um, und wie werden diese Konflikte gelöst?
Ohne dies hier in der Kürze der Zeit diskutieren zu können, darf ich eines sagen: Wer die chinesische Politik der letzten 20 Jahre beobachtet hat, der wird bestätigen müssen, dass Chinas Außen- und Innenpolitik sehr pragmatisch auf Ausgleich und Konfliktvermeidung angelegt ist. Dieser Pragmatismus führt zugleich zu stetigen Veränderungen der innerstaatlichen Strukturen, und zwar in Richtung mehr Rechtsstaatlichkeit und Demokratisierung, sowie zur Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung; Kollege Gehrcke hat darauf hingewiesen.
Lassen Sie mich zum Abschluss etwas machen, was in einem deutschen Parlament nicht unbedingt üblich ist. Ich möchte gerne Ministerpräsidenten Wen Jiabao aus seiner Rede zitieren, die er am 13. März zur Begrüßung von Herrn Steinmeier und seiner Delegation gehalten hat. Wen Jiabao sagte: Erstens. China wird auf jeden Fall seine Öffnungspolitik fortsetzen. Zweitens. China wird ein transparentes Rechtssystem aufbauen. Drittens. China wird die Urheberrechte schützen. Viertens. China wird den Bürokratieabbau fortsetzen. Die bilateralen Beziehungen zwischen China und Deutschland, der Europäischen Union und anderen Staaten müssen langfristig und strategisch angelegt sein. Die Zusammenarbeit im internationalen Bereich, insbesondere in den Vereinten Nationen, im EU-China-Dialog, in der ASEM und in anderen Organisationen, muss gestärkt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich stimme dem chinesischen Ministerpräsidenten voll und ganz zu. Gleichzeitig betone ich aber, dass wir auch weiterhin unsere deutschen, europäischen und westlichen Werte offen vertreten werden. Dazu gehört selbstverständlich auch, dass wir empfangen und reden werden, wann, wo und mit wem wir es für richtig halten.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.
Johannes Pflug (SPD):
Man sollte allerdings beachten, dass die Resultate von Treffen und Gesprächen - mit wem auch immer - in einem vernünftigen Verhältnis zu den mittel- bis langfristig verfolgten politischen Zielen stehen müssen. Das wird auch in Zukunft zu Meinungsunterschieden führen. Wichtig ist jedoch, dass wir darüber offen und ehrlich sprechen. Nur dann kann sich Vertrauen bilden, und nur dann wird aus Kooperation eine konzeptionelle strategische Partnerschaft und schließlich gute Freundschaft zwischen den Menschen. Das ist wichtig.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, Sie müssen wirklich zum Schluss kommen.
Johannes Pflug (SPD):
Wir alle tragen gemeinsam Verantwortung - nicht nur für unsere Völker, sondern für alle Menschen auf der Welt.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Christoph Strässer für die SPD-Fraktion.
Christoph Strässer (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Königshaus, Sie tun so, als würden wir die menschenrechtliche Komponente bei der Chinadebatte vernachlässigen. Wir hatten aber in den letzten drei Monaten wohl vier Debatten zu den Themen China, Menschenrechte und Tibet sowie Große Anfragen und Aktuelle Stunden. Wenn uns also jemand vorwirft, wir würden die Thematik der Menschenrechte in China nicht problematisieren, dann ist dies eine Konterkarierung der Realität im Deutschen Bundestag, meine Damen und Herren.
Lassen Sie mich diese menschenrechtliche Thematik in einigen Punkten ansprechen. Das Erste, was Johannes Pflug erwähnt hat, ist mir ganz wichtig. Ich möchte nämlich an einem Beispiel aufzeigen, wie und in welchen Dimensionen auch unterschiedliche Facetten der chinesischen Wirklichkeit deutlich werden. Er hat unseren Versuch angesprochen, mit Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtlern in Peking ein Gespräch zu führen. Das hat die Deutsche Botschaft mit fünf prominenten Menschen vorbereitet. Allerdings erreichte uns am Vormittag jenes Tages die Nachricht, dass das Gespräch abgesagt wurde. Wir haben natürlich gefragt, warum dieses Gespräch abgesagt wurde und ob es seitens der Chinesen gecancelt wurde. Aber nein, die Antwort lautete: Diese Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler hatten Angst. - Sie hatten Angst, weil vor ihren Häusern die Staatssicherheit positioniert war. Sie hatten Angst, weil sie in Anrufen bedroht worden sind und um ihre persönliche Sicherheit fürchten mussten.
Nun ist etwas passiert, was ich hervorheben möchte, wenn es um Werte in der Außenpolitik geht. In diesem Zusammenhang möchte ich das Agieren unseres Außenministers ganz hoch einsortieren. Er hat nämlich seinen Besuch an dieser Stelle genutzt und in Gesprächen mit dem Vizeaußenminister der Volksrepublik China gefordert: Unser Gespräch mit der chinesischen Führung werden wir nur dann ordentlich weiterführen können, wenn es ein Gespräch mit Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtlern in Peking geben wird.
Meine Damen und Herren, dieses Gespräch hat dann letztendlich stattgefunden. Ich kann Ihnen auch über die Wirkung dieses Gesprächs berichten, die es nicht nur bei uns entfaltet hat; wir sagen nämlich immer, dass es uns gut tut. Die Frau - sie ist die Sprecherin der Toten vom Tiananmen-Platz -, mit der wir gesprochen haben, hat uns in einer sehr bewegenden Rede Folgendes gesagt: Das heutige Gespräch mit dem deutschen Außenminister ist für mich so etwas wie ein Durchbruch in meiner politischen Arbeit. Das wünschen wir uns. - Sie ist uns unendlich dankbar dafür gewesen, dass wir es möglich gemacht haben, dieses Gespräch zu führen.
Ich will an diesem Punkt noch etwas anderes deutlich machen; das betrifft das, was wir heute diskutieren. An diesem Ereignis wird deutlich, welch unterschiedliche Perspektiven die chinesische Innenpolitik aufweist. Auf der einen Seite gibt es - das ist uns auch sehr deutlich gesagt worden - Probleme mit einem stark beharrenden Apparat, der zum Beispiel für das Aufstellen von Staatssicherheitseinheiten vor den Häusern der Bürgerrechtler verantwortlich ist. Aber es gibt eben auch die andere Seite dieser chinesischen Politik,
für die die Reformer stehen, die sich in der Konfrontation, die wir vor Ort erlebt haben, durchgesetzt haben, indem sie dieses Gespräch ermöglicht haben.
Für mich ist eine der Erkenntnisse aus dieser Reise unserer Delegation, dass wir uns fragen müssen: Wen unterstützen wir eigentlich? Wen unterstützt die deutsche Außenpolitik und mit welchen Mitteln? Ich kann nur sagen: Unser klarer Anspruch muss sein, diejenigen politischen Kräfte in China zu unterstützen, die an dieser Reformpolitik, so langsam sie auch vorangeht und so schwer sie durchzusetzen ist, festhalten. Denn mit diesen Menschen werden wir einen Dialog führen können, der letztendlich die Volksrepublik China, was den Aspekt Menschenrechte betrifft, voranbringt. Das ist die klare Botschaft.
Ich möchte noch an zwei anderen Stellen deutlich machen, wo wir die Diskussion über Probleme im Zusammenhang mit den Menschenrechten fortführen müssen. Der Präsident hat die abgesagte Reise des Menschenrechtsausschusses schon angesprochen. Ich füge hinzu: Wir wenden uns hier in dieser Angelegenheit zwar an unsere chinesischen Partner und an den chinesischen Botschafter. Aber der Menschenrechtsausschuss hat auf seine Bitte, dass auch andere Ausschüsse auf die Absage der Reise reagieren mögen, keine Reaktion erfahren. Wenn man gegenüber den Chinesen den Mund spitzt, aber intern nicht pfeift, dann wird unsere Kritik nicht ernst genommen werden. Diesen Punkt sollten wir in unseren Beratungen einmal ansprechen.
Aus unseren Gesprächen ergibt sich folgende Botschaft: Wenn wir einen Dialog wollen - Dialog ist kein Selbstzweck, aber er ist wichtig; wir haben gesehen, dass es an vielen Stellen vorangeht -, dann brauchen wir dafür einen Partner. Ich sage es jetzt einmal etwas salopp: Wir können uns als Deutsche, als Europäer oder als internationale Gemeinschaft unsere Partner auf der anderen Seite nicht backen. Sie sind so, wie sie sind. Deshalb finde ich es ausgesprochen gut und richtig, wenn wir von hier aus signalisieren, dass wir darin übereinstimmen, dass wir sie akzeptieren müssen.
Eine Botschaft von Helmut Schmidt, die schon 30 Jahre alt ist und die sich heute bewahrheitet, lautet: Die westliche Besserwisserei, die in Peking an den Tag gelegt wird, ist von Übel. - Ich kann mich dieser Feststellung nur anschließen und sagen: Wir wollen und müssen diesen Dialog weiterführen. Denn er wird dazu führen, dass die von China betriebene Öffnungspolitik auch unter menschenrechtlichen Aspekten unumkehrbar ist. Dafür sollten wir gemeinsam arbeiten und andere Dissonanzen im Zusammenhang mit der Frage, wer eine wertegebundene und ethisch verantwortungsvolle Außenpolitik macht, zurückdrängen. Menschenrechtspolitik soll den Menschen nutzen; daran sollten wir sie messen.
Auch ich sage der Bundesregierung herzlichen Dank für die Antworten, aber auch für ihre konstruktive Menschenrechtspolitik gegenüber China, die in den letzten Wochen und Monaten betrieben worden ist.
Danke schön.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich schließe die Aussprache zu diesem Punkt.
Bezüglich des Zusatzpunktes 4 wird interfraktionell die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/9745 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 14. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 27. Juni 2008,
an dieser Stelle veröffentlicht.]