224. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 28. Mai 2009
Beginn: 09.02 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, gibt es einige amtliche Mitteilungen. Wir beginnen mit einer rundum erfreulichen Mitteilung: Der Kollege Ernst Burgbacher feiert heute seinen 60. Geburtstag.
Dazu darf ich Ihnen - ganz offenkundig im Namen des ganzen Hauses - herzlich gratulieren.
Gratulieren möchte ich auch dem Kollegen Gert Weisskirchen und der Kollegin Uschi Eid, die am 16. bzw. 18. Mai ähnlich runde Geburtstage gefeiert haben. Auch Ihnen meine ganz besonders herzlichen Glückwünsche!
- Ich weiß gar nicht, ob solche rührenden Verbrüderungsszenen von den Stenografen erfasst werden. Im Ausnahmefall, finde ich, ist das angemessen; das will ich hiermit angeregt haben.
Der Kollege Dr. Frank Schmidt hat mit Wirkung vom 25. Mai 2009 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als Nachfolgerin begrüße ich herzlich die Kollegin Dr. Erika Ober.
Herzlich willkommen und gute Zusammenarbeit!
Die Fraktion der FDP teilt mit, dass Herr Gerry Kley sein Amt als stellvertretendes Mitglied im Stiftungsrat der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur niedergelegt hat. Als Nachfolger wird der Kollege Christoph Waitz vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist der Kollege Waitz hiermit zum stellvertretenden Mitglied des Stiftungsrats der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP:
Haltung der Bundesregierung zu den kritischen Äußerungen von EU-Kommissar Günter Verheugen über die Bankenaufsicht in Deutschland
(siehe 223. Sitzung)
ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
(Ergänzung zu TOP 46)
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Änderung des Übereinkommens vom 25. Juni 1998 über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Erstes Aarhus-Änderungs-Übereinkommen)
- Drucksache 16/13115 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Sicherung der Bauforderungen
- Drucksache 16/13159 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG)
- Drucksache 16/13160 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate Künast, Peter Hettlich, Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Alternativen zum Weiterbau der Bundesautobahn A 100 in Berlin
- Drucksache 16/13172 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Birgitt Bender, Dr. Thea Dückert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Transparenz schaffen - Verbindliches Register für Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter einführen
- Drucksache 16/13174 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung (f)
Innenausschuss Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Hermann, Katrin
Göring-Eckardt, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Dopingvergangenheit umfassend aufarbeiten
- Drucksache 16/13175 -
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Katrin Göring-Eckardt, Peter Hettlich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Umsetzungsgesetz für UNESCO-Welterbeübereinkommen vorlegen
- Drucksache 16/13176 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Riegert, Wolfgang Bosbach, Norbert Barthle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Swen Schulz (Spandau), Dagmar Freitag, Dr. Peter Danckert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Sport fördert Integration
- Drucksache 16/13177 -
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
ZP 3 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
(Ergänzung zu TOP 47)
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)
- zu dem Antrag der Abgeordneten Mechthild Dyckmans, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über die Europäische Überwachungsanordnung in Ermittlungsverfahren innerhalb der Europäischen Union (Ratsdok. 17002/08)
- zu dem Antrag der Abgeordneten Jerzy Montag, Volker Beck (Köln), Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Europäische Überwachungsanordnung rechtsstaatlich absichern - Stellungnahme gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes
- Drucksachen 16/12733, 16/12856(neu), 16/13101 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)
Dr. Carl-Christian Dressel
Mechthild Dyckmans
Sevim Dagdelen
Jerzy Montag
ZP 4 Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften
- Drucksachen 16/8100, 16/12315, 16/13079, 16/13210 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Zöller
ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Jens Ackermann, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für ein einheitliches Rentenrecht in Ost und West
- zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Cornelia Behm, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rentenwert in Ost und West angleichen
- Drucksachen 16/9482, 16/10375, 16/13201 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Maria Michalk
ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln), Kai Gehring, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit (ÄVFGG)
- Drucksache 16/13154 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 7 a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes
- Drucksachen 16/10529, 16/10581 -
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes
- Drucksache 16/31 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss)
- Drucksache 16/13219 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Beatrix Philipp
Dr. Michael Bürsch
Gisela Piltz
Jan Korte
Silke Stokar von Neuforn
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn, Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Mehr Datenschutz beim so genannten Scoring
- Drucksachen 16/683, 16/13219 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Beatrix Philipp
Dr. Michael Bürsch
Gisela Piltz
Jan Korte
Silke Stokar von Neuforn
ZP 8 Beratung des Antrags der Bundesregierung
Anpassung des Einsatzgebietes für die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias
- Drucksache 16/13187 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Am heutigen Donnerstag werden die Tagesordnungspunkte 8, 20 und 30 abgesetzt. Die nachfolgenden Tagesordnungspunkte der Koalitionsfraktionen rücken jeweils vor.
Morgen werden die Tagesordnungspunkte 44 und 45 abgesetzt und die Tagesordnungspunkte 41 und 42 getauscht.
Schließlich mache ich auf drei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 211. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden.
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften
- Drucksachen 16/12256, 16/12677 -
überwiesen:
Ausschuss für Gesundheit (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und
Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Kultur und Medien
Der in der 220. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Innenausschuss (4. Ausschuss) und dem Ausschuss für Gesundheit (14. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden.
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Gewerberecht und in weiteren Rechtsvorschriften
- Drucksache 16/12784 -
überwiesen:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Der in der 221. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden.
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Akkreditierungsstelle (Akkreditierungsstellengesetz - AkkStelleG)
- Drucksache 16/12983 -
überwiesen:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
- Ich habe den Eindruck, auch dazu gibt es Einvernehmen. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 f auf:
4. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ? Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Strafzumessung bei Aufklärungs- und Präventionshilfe (... StrÄndG)
- Drucksache 16/6268 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)
- Drucksache 16/13094 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)
Dr. Peter Danckert
Joachim Stünker
Jörg van Essen
Sevim Dagdelen
Jerzy Montag
b) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren
- Drucksache 16/12310 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren
- Drucksache 16/11736 -
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung von Absprachen im Strafverfahren
- Drucksache 16/4197 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)
- Drucksache 16/13095 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)
Dr. Peter Danckert
Joachim Stünker
Jörg van Essen
Sevim Dagdelen
Jerzy Montag
c) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten
- Drucksache 16/12428 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten
- Drucksache 16/11735 -
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung des Aufenthalts in terroristischen Ausbildungslagern (... StrÄndG)
- Drucksache 16/7958 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)
- Drucksache 16/13145 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Gehb
Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)
Dr. Peter Danckert
Joachim Stünker
Jörg van Essen
Sevim Dagdelen
Jerzy Montag
d) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen
- Drucksache 16/12321 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jerzy Montag, Volker Beck (Köln), Monika Lazar, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen
- Drucksache 16/11434 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)
- Drucksache 16/13096 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)
Dr. Matthias Miersch
Jörg van Essen
Sevim Dagdelen
Jerzy Montag
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Jörg van Essen, Mechthild Dyckmans, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Angemessene Haftentschädigung für Justizopfer sicherstellen
- Drucksachen 16/10614, 16/13096 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)
Dr. Matthias Miersch
Jörg van Essen
Sevim Dagdelen
Jerzy Montag
f) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Untersuchungshaftrechts
- Drucksache 16/11644 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)
- Drucksache 16/13097 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)
Dr. Peter Danckert
Dr. Matthias Miersch
Jörg van Essen
Sevim Dagdelen
Jerzy Montag
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst die Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries.
Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz:
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Mit den fünf Gesetzen, die wir heute hier, im Deutschen Bundestag, beschließen, vollenden wir das strafrechtliche Arbeitsprogramm der Großen Koalition. In den vergangenen vier Jahren haben wir knapp 30 Projekte realisiert. Damit haben wir nicht nur den Koalitionsvertrag erfüllt, sondern wir haben auch eine Menge erreicht: Wir haben mehr Sicherheit geschaffen, wir haben Opfer besser geschützt, und wir haben den Rechtsstaat gestärkt.
Zunächst zur Sicherheit. Immer wieder müssen wir bestehende, neu identifizierte Schutzlücken im materiellen Strafrecht schließen. Das tun wir auch jetzt mit dem GVVG. Künftig kann bestraft werden, wer sich zur Begehung von Terroranschlägen einer Ausbildung unterzieht. Wir stellen auch das Verbreiten von Anschlagsplänen im Internet unter Strafe. Mit diesem Gesetz reagieren wir auf neue Organisationsformen des Terrorismus. Auch Einzeltäter, die wir zunehmend beobachten, können künftig angemessen bestraft werden.
Polizei und Justiz brauchen außerdem die nötigen Ermittlungsinstrumente. Mit der Vorratsdatenspeicherung haben wir einen wichtigen Schritt unternommen, um Straftaten aufklären zu können.
Schließlich brauchen wir auch ein Prozessrecht, das hilft, Anschläge und andere schwere Verbrechen zu verhindern. Deshalb ist die Kronzeugenregelung, die wir heute beschließen, so wichtig.
Das Verhalten eines Täters nach der Tat, Herr Kollege Ströbele, konnte schon immer strafmildernd berücksichtigt werden.
Das schreiben wir jetzt ausdrücklich ins Gesetz. Zudem schaffen wir klare Vorgaben, in welchem Umfang Strafen gemildert werden können. Das schafft sehr viel mehr Transparenz und erhöht den Anreiz für eine Zusammenarbeit mit Polizei und Justiz.
Trotzdem haben wir dafür gesorgt, dass auch in Zukunft niemand seiner gerechten Strafe entgeht, indem wir im Gesetz zum Beispiel festgeschrieben haben, dass bei Androhung einer lebenslangen Freiheitsstrafe nicht unter ein Strafmaß von zehn Jahren erkannt werden darf. Übermäßige Milderungen wird es also nicht geben. Das verhindert das Gesetz.
Der Kampf gegen latente Gefahren des Terrorismus ist wichtig. Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass die Menschen vor den konkreten Alltagsgefahren sicher sind und sich sicher fühlen. Auch diesbezüglich hat die Große Koalition gehandelt und zum Beispiel den Schutz vor Stalking verbessert. Inzwischen sind mehrere Tausend Verfahren zu diesem Straftatbestand anhängig. Das zeigt, dass das eine notwendige Maßnahme war. Diese Maßnahme kommt vor allem Frauen zugute; denn mehr als 80 Prozent der Opfer sind Frauen.
Wir haben außerdem den Kampf gegen Kindesmissbrauch gestärkt und das erweiterte Führungszeugnis eingeführt. Das erhöht den Schutz der Kinder; denn jeder, der künftig beruflich oder ehrenamtlich mit Kindern arbeiten will, muss durch Vorlage eines solchen Führungszeugnisses nachweisen, dass er nicht einschlägig vorbestraft ist.
Jugendliche können aber nicht nur Opfer, sondern auch Täter werden. Deswegen haben wir zum Schutz vor jugendlichen Gewalttätern zwischen 14 und 17 Jahren den Anwendungsbereich der nachträglichen Sicherheitsverwahrung ausgedehnt. Wir haben außerdem das Jugendgerichtsgesetz ergänzt. Dort ist nun ausdrücklich festgeschrieben: Bei Jugendlichen geht Erziehung vor Strafe. Das ist ein deutliches Bekenntnis zu einer modernen Kriminalpolitik, und es ist eine klare Absage an jene, die ständig nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts rufen.
Zu einem fairen Ausgleich von Freiheit und Sicherheit gehört aber auch die Stärkung der Bürgerrechte und des Rechtsstaates. Auch das hat die Große Koalition mit Veränderungen in dieser Legislaturperiode angepackt. Wir haben vor allem mit der Neuregelung der heimlichen Ermittlungsmaßnahmen gemäß Strafprozessordnung Maßstäbe gesetzt. Wir haben dort die Eingriffsvoraussetzungen verschärft, dem staatlichen Handeln Grenzen gesetzt, den Schutz der Berufsgeheimnisträger gestärkt und den Schutz gegen Überwachungsmaßnahmen ausgebaut.
Heute stärken wir den Rechtsstaat erneut: Wir stellen die Beschränkungen für Untersuchungsgefangene, die über die Freiheitsentziehung hinausgehen, zum Beispiel die Postkontrolle, auf eine klare gesetzliche Grundlage. Wir sorgen auch dafür, dass Gefangene Möglichkeiten des Rechtsschutzes gegen solche Maßnahmen haben. Wichtig ist zudem: Künftig müssen die Betroffenen schon bei der Festnahme belehrt werden, und von Beginn der Haft an wird ihnen ein Pflichtverteidiger zur Seite gestellt.
Außerdem wird heute durch einen Gesetzesbeschluss die Entschädigung für all jene erhöht, die zu Unrecht hinter Gittern saßen. Die Kosten dafür tragen die Länder; das ist so in diesem föderalen System. Ich bin den Ländern dafür dankbar, dass diese Initiative von ihnen ausgegangen ist.
Die vorgeschlagene Erhöhung der Entschädigung für den immateriellen Schaden von 11 Euro auf 25 Euro pro Tag ist notwendig und richtig. Richtig ist auch, dass wir pauschal entschädigen, weil Ansehen, Vorleben, Prominenz oder Einkommen an dieser Stelle keine Rolle spielen dürfen. Die Freiheit der Betroffenen muss dem Staat in jedem Falle gleich viel wert sein.
Um Gleichheit geht es auch bei dem letzten Projekt, das wir heute verabschieden: der Verständigung im Strafverfahren. An dieser Stelle gibt es immer ein großes Missverständnis: Verständigungen sind - entgegen weitverbreiteter Ansicht, vor allen Dingen in der Presse - keine Privilegien für Weiße-Kragen-Täter; vielmehr sind sie in unserer Justiz gerade bei ?kleinen Fischen? Alltag. Der Unmut ist auch deshalb entstanden, weil Verfahren zu spektakulären Einzelfällen in der Vergangenheit zu wenig transparent waren. Genau das wollen wir mit unserem Gesetz ändern: Wir wollen die Verständigung aus den Gerichtsfluren und den Hinterzimmern holen und in das Licht der Hauptverhandlung rücken.
Das sorgt für mehr Transparenz und stärkt auch das Vertrauen in die Justiz.
Eines muss klar sein: Egal wie prominent, wie bekannt, wie reich ein Angeklagter ist und egal wie gut seine Anwälte sind: Vor dem Gesetz müssen auch weiterhin alle gleich sein.
Richtig ist deswegen, dass wir kürzlich die Tagessätze bei Geldstrafen erhöht haben, und zwar von 5 000 Euro auf bis zu 30 000 Euro, je nach Tagesverdienst einer Person. Das heißt: Wir können künftig auch Topverdiener angemessen bestrafen.
Meine Damen und Herren, entscheidend bleibt allerdings, dass komplexe Wirtschafts- und Steuerstraftaten von der Justiz vollständig aufgeklärt werden. Deswegen müssen Staatsanwaltschaften und Gerichte personell ausreichend ausgestattet sein. Sie wissen, dass meine Schlussfolgerung zu diesem Thema unter dem Schlagwort steht: Gerechtigkeit braucht eine starke Justiz.
Dafür hat der Deutsche Bundestag in dieser Wahlperiode eine Menge getan. Ich denke, die Arbeit wird in der nächsten Wahlperiode fortgesetzt werden. Ich möchte mich bei all denen hier im Hohen Hause, die in den letzten vier Jahren mit ihrem Engagement dazu beigetragen haben, dass wir weitere Erfolge für den sozialen Rechtsstaat erlangen konnten, recht herzlich bedanken.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Jörg van Essen für die FDP-Fraktion.
Jörg van Essen (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe erwartet, dass die Bundesjustizministerin hier heute eine Bilanz zieht. Bei den vielen verschiedenen Gesetzentwürfen, die zu einem Paket geschnürt worden sind, bietet es sich tatsächlich an, einen Blick zurück auf diese Legislaturperiode zu werfen.
In der Rechtspolitik ist es anders als in vielen anderen Politikbereichen des Deutschen Bundestages. Wir haben immer den Stil gepflegt, dass es zwischen Koalition und Opposition intensive Gespräche über die entsprechenden gesetzgeberischen Vorhaben gegeben hat.
All das, was wir in anderen Ausschüssen erleben - dass man sich gelegentlich gegenseitig beschimpft, dass man miteinander nicht sachlich umgeht -, ist in der Rechtspolitik, Gott sei Dank, nicht der Fall. Ich bin sehr dankbar dafür und schließe mich deshalb, Frau Ministerin, dem Dank an, dass das in dieser Legislaturperiode in unserem Ausschuss, im Rechtsausschuss, wieder möglich war.
- Ausnahmen bestätigen die Regel, Herr Kollege; das wissen Sie.
Trotzdem möchte ich sagen, dass für uns als Liberale, als FDP-Bundestagsfraktion, die heutige Bilanz sehr unterschiedlich ausfällt. Es gibt Dinge, die wir sehr begrüßen. Am meisten freut mich der Fortschritt, den wir im Bereich des Operschutzes erreicht haben. Ich schaue den Kollegen Kauder an, weil ich weiß, dass er ganz besondere Verantwortung dafür hat, dass wir hier ein Stück vorangekommen sind, und zwar ein gehöriges Stück.
Ganz herzlichen Dank für Ihr Engagement! Viele andere waren ebenfalls daran beteiligt, dass wir das schaffen konnten.
Das findet jetzt zunehmend Kritik - ich bedauere das sehr -, insbesondere in der Anwaltschaft. Wir erhalten sehr viele Schreiben, in denen steht, die Rolle des Beschuldigten werde beeinträchtigt. Genau das ist aus meiner Sicht nicht der Fall. Das Opfer war im Strafprozess bisher immer der Unbekannte, der Nichtinteressierende. Dass das jetzt besser geworden ist, freut mich ganz besonders.
Es gibt einen zweiten Punkt, den ich kritisch ansprechen möchte. Ich hätte mich gefreut, wenn wir heute im Rahmen dieses umfangreichen Paketes im Bereich des Strafrechts auch eine vernünftige Regelung für die Strafverfolgung von Soldaten aufgrund von Vorfällen, die sich beim Dienst im Ausland ereignet haben, erreicht hätten.
Ich weiß, wie sehr sich der Bundesverteidigungsminister - er sitzt auf der Regierungsbank - in dieser Frage engagiert hat, wie sehr er mich unterstützt hat. Herr Minister, ganz herzlichen Dank! Aber wir haben immer noch keine vernünftige Regelung.
Dass ein Ermittlungsverfahren wie das gegen den Oberfeldwebel, der in einer Notwehrsituation geschossen hat, über neun Monate dauert, dass Rekonstruktionen auf einem Übungsplatz der Bundeswehr angeordnet werden, macht deutlich, dass wir in diesem Bereich eine vernünftige Regelung brauchen.
Für mich ist klar: Zur Bundeswehr gehört der Staatsbürger in Uniform. Deswegen möchte ich, dass die zivile Justiz erhalten bleibt. Aber: Die Justiz muss einsatzfest sein. Es muss Staatsanwälte und Richter geben, die die Besonderheiten des Auslandseinsatzes kennen. Deshalb wird das - jedenfalls für meine Fraktion - einer der wichtigsten Punkte auf der Agenda der Rechtspolitik in der neuen Legislaturperiode sein.
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, bei dem ich ebenfalls bedauere, dass wir nicht zu einer Lösung gekommen sind: Es geht um notwendige Nachsteuerungen im strafrechtlichen Wiederaufnahmerecht. Viele kennen den Fall, dass eine Frau ermordet worden ist, dass ihr Täter aufgrund einer DNA-Analyse feststeht und dass er nicht bestraft werden kann.
- Ich meine es so, wie ich es hier sage. - Ich teile das Gefühl ganz vieler, insbesondere der Angehörigen des Opfers, die sich mit diesem Zustand nicht abfinden können.
Deswegen bedauere ich ganz außerordentlich, dass wir hier nicht zu einer Lösung gekommen sind. Auch das muss auf der Agenda bleiben.
Ich habe gesagt, dass die Bilanz dessen, was heute auf der Tagesordnung steht, für uns unterschiedlich ausfällt. Es gibt von uns Zustimmung, zum Beispiel zum Deal im Strafverfahren. Frau Ministerin, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu: Das darf nicht nur etwas für Reiche sein, sondern muss ein ganz selbstverständliches Prinzip im Strafprozessrecht werden. Hier gelten alle Vorschriften, die wir haben, zum Beispiel die Vorschrift, dass ein Verfahren bei Zahlung einer Geldbuße wegen Geringfügigkeit eingestellt werden kann. Das setzt Verständigung voraus. Viele ganz normale Bürger profitieren davon. Ich glaube, dass auch hier die Beratungen im Rechtsausschuss zu erheblichen Verbesserungen geführt haben.
Es ist klar: Das Konsensprinzip wird nicht eingeführt, und es gibt weiterhin den Amtsermittlungsgrundsatz. Es gibt auch ganz klare Regelungen dafür, dass das Gericht keinen Druck machen darf und dass beispielsweise ein Geständnis nur unter bestimmten Voraussetzungen verwertet werden kann. Es gibt also eine umfangreiche rechtsstaatliche Sicherung. Ich halte das für einen großen Fortschritt.
Die Rechtsprechung hat sich immer mit dem Deal befasst, hat den Deal immer anerkannt und hat vor allen Dingen immer gesetzliche Regelungen angemahnt. Das begrüßen wir. Ich glaube, dass die heutige Entscheidung eine gute Stunde für die Strafrechtspolitik ist, da wir im Hinblick auf Absprachen im Strafprozess eine vernünftige Regelung gefunden haben.
Ich persönlich finde auch die neuen Regelungen gut, die wir im Bereich der Untersuchungshaft treffen. Wie ich sehe, ist heute auch ein Landesjustizminister anwesend, nämlich mein Parteifreund Goll aus Baden-Württemberg.
Ich weiß, dass aufseiten der Länder Sorgen wegen der Pflichtverteidigerbestellung bei Inhaftnahme bestehen. Wir, die FDP-Bundestagsfraktion, haben diese Regelung allerdings unterstützt; das sage ich in aller Deutlichkeit.
Die Länder befürchten, dass sie die Umsetzung dieser Regelung zu viel kostet. Diese Sorge ist berechtigt, zumal die Länder unter erheblichem finanziellen Druck stehen. Dennoch wäre ich Ihnen, Herr Minister Goll, dankbar, wenn Sie bei Ihren Kollegen dafür werben würden, den Gedanken, der in der Anhörung des Rechtsausschusses vorgetragen worden ist, zu berücksichtigen. Professor Schöch, der als Sachverständiger geladen war, hat sehr beeindruckend dargelegt, dass die Pflichtverteidigerbestellung eine Verkürzung der Untersuchungshaft zur Folge hat. Man kann also sagen, dass diese Regelung für die Länder in finanzieller Hinsicht sogar von erheblichem Vorteil ist.
Wenn die Pflichtverteidigerbestellung tatsächlich zu einer Verkürzung der Untersuchungshaft führt, dann ist diese Regelung nicht nur unter pekuniären Gesichtspunkten von Bedeutung, sondern hat auch ein Stück weit mehr Gerechtigkeit zur Folge. Untersuchungshaft ist nämlich ein erheblicher Eingriff, und sie darf nur so lange vollzogen werden, wie sie notwendig ist. Wenn die Pflichtverteidigerbestellung dazu führt, dass jemand früher aus der Untersuchungshaft entlassen wird, weil für die Untersuchungshaft keine Notwendigkeit mehr besteht, dann ist das auch ein Sieg für den Rechtsstaat und die Sicherheit in unserem Land.
Weniger gut finden wir die Regelung zur Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen. Da ich selbst lange Zeit Oberstaatsanwalt war, kann ich Ihnen sagen: Leider kommt es immer wieder vor, dass durch justizielles Handeln Unrecht geschieht, dass zum Beispiel jemand zu Unrecht verhaftet wird oder andere Schäden erleidet. Wenn der Staat Unrecht begangen hat, muss es selbstverständlich sein, dass dieses Unrecht angemessen entschädigt wird. Daher ist die Erhöhung der Entschädigung von bisher 11 Euro auf nunmehr 25 Euro pro Hafttag, wie sie die Länder vorgesehen haben, sicherlich ein Fortschritt.
In einem Punkt bin ich allerdings anderer Meinung als Sie, Frau Bundesjustizministerin: Die Einzelfälle unterscheiden sich; man kann nicht alles über einen Kamm scheren. Wir, die FDP-Bundestagsfraktion, vertreten in dieser Frage die gleiche Position wie die Anwälte. Wir befürworten die österreichische Lösung und wollen, dass im konkreten Einzelfall eine individuelle Entscheidung getroffen wird. In Österreich zeigt sich, dass die durchschnittliche Entschädigung pro Hafttag bei konkreter Beurteilung des Einzelfalles viel höher ausfällt. Wie ich gelesen habe, werden in Österreich etwa 100 Euro pro Tag für zu Unrecht erlittene Haft gezahlt. Bei diesem Thema wird sich meine Fraktion enthalten. Die vorgesehene Regelung ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, sie geht uns aber nicht weit genug.
Nicht zustimmen werden wir der Kronzeugenregelung. Frau Ministerin, Sie haben recht, dass es sich hierbei um ein allgemeines Prinzip handelt. In § 46 Abs. 2 des Strafgesetzbuches heißt es, dass bei der Strafzumessung auch das Verhalten des Angeklagten nach der Tat zu berücksichtigen ist, beispielsweise der Umstand, dass er gestanden oder durch Hinweise zur Aufklärung seiner Tat beigetragen hat. Ich persönlich teile nicht die vielfältigen Sorgen, die in der Literatur, aber auch in der Lehre im Zusammenhang mit der Kronzeugenregelung im Allgemeinen geäußert werden. Aber so, wie diese Regelung jetzt ausgestaltet ist, findet sie meine Zustimmung und die Zustimmung unserer Fraktion nicht.
Nach der vorgesehenen Regelung muss sich ein Angeklagter nicht unbedingt zur eigenen Tat äußern, beispielsweise zu Mittätern; vielmehr kann es, um eine Strafermäßigung zu bekommen, ausreichen, wenn ein Angeklagter Angaben zu einer Tat macht, mit der er nichts zu tun hat.
Wenn beispielsweise ein Kindesmissbraucher Angaben zu einem Subventionsbetrug macht, dann kann dies eine Reduzierung seiner Strafe zur Folge haben.
- Nein, natürlich ist das kein Automatismus;
aber Sie ermöglichen eine solche Reduzierung. Das ist eine Regelung, die wir als FDP-Bundestagsfraktion nicht akzeptieren wollen.
Wir lehnen die Kronzeugenregelung in der Form, in der sie heute von Ihnen vorgeschlagen wird, ab.
Wir lehnen auch das ab, was Sie für den Bereich der Terrorcamps und der entsprechenden Ausbildung vorschlagen. Auch wir als FDP-Bundestagsfraktion sehen selbstverständlich die Gefahren, die aus dem Islamismus hervortreten. Wir sehen auch, dass es immer wieder auch Reisen in Länder gibt, in denen in Terrorcamps ausgebildet wird. Wir sehen ebenfalls die Bedrohung für unser Land. Das, was Sie vorschlagen, ist aus unserer Sicht aber der falsche Weg.
Es hilft nicht, das sechzehnte Skalpell in einen Operationsraum zu legen, wenn es an Ärzten und Krankenschwestern fehlt. Deshalb ist unser Ansatz auch ein völlig anderer: Wir wollen die Nachrichtendienste, die dort eine ganz wesentliche Bedeutung haben, stärken und deren Möglichkeiten verbessern, insbesondere hinsichtlich der Aufklärung. Dafür sind wir offen.
Lieber Herr Danckert, die Lücke, die die Koalition dort sieht, wird von mir und unserer Fraktion aber nicht gesehen. Natürlich gibt es dort auch Einzeltäter. Das ist aber keine neue Entwicklung. Es hat sich in der Vergangenheit doch gezeigt, dass sich überall dort, wo Organisationsdelikte nicht gegriffen haben, beispielsweise bei den Kofferbombern in Köln, keinerlei Lücke hinsichtlich der Möglichkeit gezeigt hat, diese Täter zu bestrafen.
Beide potenziellen Kofferbomber von Köln sind zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt worden. Das heißt, die Straflücken, die zu dieser Diskussion geführt haben, sind nicht wirklich vorhanden.
Ich selbst bin einige Jahre lang in einer Staatsschutzabteilung tätig gewesen. Aus meiner staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit habe ich die Erfahrung mitgebracht, dass es sehr gut ist, dass wir zwischen nachrichtendienstlicher Tätigkeit und Strafverfolgungstätigkeit unterscheiden.
Diese Unterscheidung wird hiermit gelockert. Auch diese Entwicklung wird von uns nicht unterstützt. Daher gibt es von FDP-Seite ein klares Nein zu Ihren Vorschlägen.
Insgesamt zeigt sich also ein gemischtes Bild. Ich denke, dass wir in der Rechtspolitik in nächster Zeit noch einiges zu tun haben - dann hoffentlich mit liberaler Handschrift.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Dr. Jürgen Gehb von der CDU/CSU-Fraktion ist der nächste Redner.
Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Land ist in diesen Tagen 60 Jahre alt geworden. Wir alle haben sicherlich noch die Feierlichkeiten vor unserem geistigen Auge und die vielfältigen Lobgesänge auf unsere Verfassung in unserem Ohr. Nun ist unser Grundgesetz nicht nur an solchen Festtagen, dort vielleicht ganz besonders, von Bedeutung, sondern es gilt natürlich auch im Alltag, und es spielt in nahezu jeder Rechtsdebatte, auch heute wieder, eine Rolle.
Ich will darauf hinweisen, dass die Grundrechte zwar klassische Abwehrrechte sind - deswegen will unser Freund Charly Dressel von der SPD ja, dass die Förderung des Sports als Staatsziel im Grundgesetz verankert wird; er will den Sport nämlich abwehren -;
aber im Moment - ich denke an die Skandale der letzten Zeit in großen Firmen, Stichwort: Datenschutz - werden die Privaten weniger durch den Staat als vielmehr durch die Privaten bedroht.
Auch sonst finde ich, dass die Sicht auf die Grundrechte verkürzt wird, wenn man nur eine Bändigung und Zähmung des Staates im Auge hat. Durch die Grundrechte werden vielmehr auch Fürsorge- und Schutzpflichten des Staates begründet, etwa im Bereich des Arbeits- und Sozialrechts, aber auch im Bereich der inneren Sicherheit. Deswegen ist es sehr missverständlich, Herr von Essen, dass Ihre Kollegin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, unlängst gesagt hat, es gebe kein Grundrecht auf Sicherheit.
Es mag zwar kein Grundrecht auf Sicherheit geben; aber auch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung steht nicht expressis verbis im Grundgesetz,
sondern das Bundesverfassungsgericht hat es aus der Zusammenschau vieler Grundrechtsartikel entwickelt. Genauso wie es eine grundrechtlich verbürgte Schutzpflicht des Staates gibt - das, Herr Montag, können Sie in mehreren Bänden des Bundesverfassungsgerichts nachlesen; ich empfehle etwa den 80. und den 107. Band -,
erwächst als Reflex auf diese Schutzpflicht natürlich auch ein Recht des Bürgers darauf, dass er geschützt wird.
Nun will ich die Begehrlichkeit hier gar nicht so groß werden lassen und sagen, dass der Staat einen hundertprozentigen Schutz gewährleisten kann; das wäre ja völlig unredlich. Wir müssen aber versuchen, den Schutz so weit wie möglich zu gewähren und die Gefahren so weit wie möglich zu reduzieren. Dass wir dabei vermintes Gelände betreten und uns in einem Spannungsfeld zwischen dem Anspruch auf Sicherheit einerseits und dem Anspruch auf Freiheit andererseits bewegen, ist doch klar.
Deswegen haben wir mit dem Gesetzentwurf zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten einen weiteren Schritt hin zur Gewährleistung von Recht und Sicherheit getan. Herr van Essen, Sie haben gesagt, es nütze nichts, das 16. Skalpell in den Operationssaal zu bringen, wenn es zu wenig Ärzte gibt. Es nützt aber auch nichts, einen ganzen Operationssaal voller Ärzte zu haben, wenn Sie ihnen kein Skalpell in die Hand geben.
Deswegen wollen wir auch Verhaltensweisen, die wirklich nicht sozial adäquat sind, mit einbeziehen. Wer nach Afghanistan, Pakistan oder sonst wohin reist,
um sich dort im Umgang mit Waffen und Sprengstoff zu schulen, kann uns doch nicht weismachen, dass er das deshalb macht, um hier bei der Kirmes in Zehlendorf Schützenkönig beim ?Laufenden Keiler? zu werden. Das ist aberwitzig. Mit dem Gesetz schaffen wir eine Grundlage, damit gegen die Gefährder ermittelt werden kann. Wir wollen ermitteln, verfolgen und am Ende auf einer sicheren Rechtsgrundlage bestrafen können.
Deswegen haben wir diesen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht und werden ihn heute verabschieden.
Wie immer, wenn die Große Koalition im Begriff ist, Sicherheitsgesetze zu verabschieden, kommt geradezu reflexartig das Argument von der linken Seite, von den Grünen, aber auch von den Freidemokraten
- genau, das Bundesverfassungsgericht; darauf komme ich gleich zu sprechen -, wir würden wieder den Popanz des ?Big Brother is watching you? aufbauen, und das Bundesverfassungsgericht hebe andauernd unsere Sicherheitsgesetze wieder auf. Mit diesem Märchen möchte ich jetzt aufräumen.
Das Bundesverfassungsgericht hat eine Reihe von Sicherheitsgesetzen aufgehoben, die zu einer Zeit, als die Grünen Koalitionspartner waren, verabschiedet worden sind.
Wir sind auch nicht dafür haftbar, dass Landesgesetze aufgehoben werden. Seit dem 18. Oktober 2005, dem Tag der Konstituierung des Bundestages für diese Legislaturperiode, hat das Bundesverfassungsgericht nicht ein einziges Sicherheitsgesetz dieser Koalition aufgehoben. Es hat lediglich am 11. März 2008 im Wege einer einstweiligen Anordnung die Nutzung bereits gespeicherter Daten in einem Teilbereich ausgesetzt. Im Übrigen hat es das Telekommunikationsüberwachungsgesetz unbeanstandet gelassen.
Andere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die Sicherheitsgesetze dieser Koalition aufgehoben hätten, wie Sie immer wieder behaupten, gibt es nicht.
Merken Sie sich das ein für alle Mal. Durch gebetsmühlenhafte Wiederholung, dass von uns erarbeitete Gesetze aufgehoben worden sind, wird diese Behauptung nicht besser oder gar richtig.
Wenn ich schon bei der Unredlichkeit der Kritik an unserer Rechtspolitik bin, dann will ich - wenn auch sozusagen als Obiter dictum - darauf hinweisen, dass sich in die Phalanx dieser unredlichen Kritiker inzwischen auch ehemalige Verfassungsrichter einreihen.
So haben Exverfassungsrichter Jentsch und der frühere Vizepräsident Mahrenholz in einer Anhörung zur Wahlrechtsreform - nachdem das Bundesverfassungsgericht die Wahlrechtsvorschriften für verfassungswidrig erklärt hat; freilich hat es dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 30. Juni 2011 eingeräumt, um das zu heilen - allen Ernstes die Auffassung vertreten, dass wir, so zunächst Herr Jentsch, wenn wir jetzt die Bundestagswahl auf der Grundlage dieser Normen durchführten, die Erwartung des Bundesverfassungsgerichts enttäuschen würden, wenn wir das nicht noch vorher machen. Noch schlimmer hat es Mahrenholz formuliert, der gesagt hat, die Wahlen wären dann verfassungswidrig.
Herr Präsident, gestatten Sie auch mir einmal, etwas vorzulesen. Ich weiß, dass es in diesem Hause einen Generaldispens von der Geschäftsordnung gibt, weil wir inzwischen zu einem Vorlesewettbewerb verkommen sind, wie wir nachher noch sehen werden.
Genauso wie die Lektüre des Gesetzes häufig bei der Rechtsfindung hilft, hilft auch die Lektüre der Entscheidungsgründe eines Urteils weiter. Das Bundesverfassungsgericht hat wörtlich ausgeführt:
Im Hinblick auf die hohe Komplexität des Regelungsauftrags und unter Berücksichtigung der gesetzlichen Fristen zur Vorbereitung einer Bundestagswahl erscheint es daher
- gut hinhören! -
unangemessen, dem Gesetzgeber aufzugeben, das Wahlrecht rechtzeitig vor Ablauf der gegenwärtigen Wahlperiode zu ändern.
Ein derart kurzer Zeitraum birgt die Gefahr, dass die Alternativen nicht in der notwendigen Weise bedacht und erörtert werden können.
Meine Damen und Herren, wenn die Erwartung des Bundesverfassungsgerichts, dass wir das rechtzeitig machen, in dieser Formulierung begründet sein soll und wenn das Bundesverfassungsgericht es ausdrücklich für unangemessen hält, dann halte ich es für unglaublich, dass diese Herrschaften mit der Autorität ihrer früheren Ämter bei den Bürgern den Eindruck erwecken wollen, wenn sie zur Wahl gingen, nähmen sie an einer verfassungswidrigen Wahl teil. Das hilft nicht, die Wahlmüdigkeit zu beenden.
Wir verabschieden heute neben dem Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten auch erneut die Kronzeugenregelung. Wir hatten schon einmal, zwischen 1989 und 1999, eine, wenn auch viel abgespecktere, Form der Kronzeugenregelung - sie ist dann von Rot-Grün nicht weiter verfolgt worden -,
und wir verabschieden heute sozusagen eine Strafzumessungsregel in § 46 des Strafgesetzbuches, wonach ein Täter in den ?Genuss? einer Strafmilderung oder Strafbefreiung kommen kann, allerdings unter Wahrung schwerster rechtsstaatlicher Kautelen. Es darf nicht etwa der Mörder freigesprochen werden; vielmehr bleiben Tat- und Schuldangemessenheit weiterhin die Richtschnur für dieses Verfahren. Aber wenn ein Täter bei der Aufdeckung oder Verfolgung anderer Straftaten hilft, kann er freigesprochen werden, wenn auch nicht automatisch,
wie Herr Stünker eben zu Recht dazwischengerufen hat bei dem Beispiel, ob der Kinderschänder freigesprochen werden kann, weil er zur Überführung des Ladendiebes beigetragen hat.
Diese Kronzeugenregelung ist ein weiterer Meilenstein bei der Aufklärung komplizierter Straftaten, bei denen man häufig das Instrumentarium, das einem zur Verfügung steht, gar nicht effizient genug einsetzen kann und deshalb auf die Mithilfe von Straftätern angewiesen ist.
Die Frau Ministerin hat eben auch die Absprachen im Strafprozess angesprochen. Dazu haben wir bereits in der ersten Lesung von der linken Seite unsägliche Vergleiche gehört; das Strafgesetzbuch sei kein Handelsgesetzbuch, wobei, Herr Ne¨kovic, auch das Handelsgesetzbuch nicht zur freien Disposition steht, sondern sicherlich ebenso nach bestimmten Rechtsregeln auszulegen ist. Aber dazu ist genug gesagt worden: Pontius Pilatus und Incitatus, eines der Pferde des Kaisers Caligula, das dieser - die schwächste Personalentscheidung - einmal zum Konsul ernannt hat; das ist vergleichbar mit Ihrer Berufung in früherer Zeit zu einem Bundesrichter,
jedenfalls wenn Sie solche Bemerkungen machen, wie Sie sie hier gemacht haben.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Gehb, ich glaube nicht, dass dies die Art der Auseinandersetzung um die von Ihnen zu Recht als ernsthaft gewürdigten Themen in besonderer Weise befördert.
Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU):
Herr Präsident, ich nehme das zur Kenntnis. Wenn Sie allerdings die Rede gehört hätten, die mich zu dieser Replik geführt hat, könnten Sie dafür etwas mehr Verständnis aufbringen. Aber ich will gern zugeben, dass ich in der mir eigenen Art der freien Rede gelegentlich dazu neige, über das Maß hinauszuschießen. Das tut mir leid; das passiert auch anderen.
Meine Damen und Herren, ich will auf ein ganz wesentliches Element hinweisen. Im Zusammenhang mit der Absprache im Strafprozess ist eben der Begriff Transparenz gefallen. Es ist ganz wesentlich, dass dies aus dem Dunstkreis der Mauschelei, der Heimlichtuerei herausgeholt worden ist. Das ist richtig. Bei dem Stichwort Transparenz fällt mir der Deutsche Anwaltstag ein, der am Donnerstag letzter Woche begonnen hat und bei dem sich der inzwischen ausgeschiedene Präsident Kilger in seiner Eröffnungsrede doch weiß Gott wieder nicht die Aussage verkneifen konnte, dass die Große Koalition ihre Rechtspolitik in intransparenter Geheimnistuerei verabschiede; damit wird sozusagen der Vorwurf des kollusiven Zusammenspiels erhoben.
- Seien Sie froh, dass Sie nicht da waren, Herr Stünker.
Dieser Vorwurf ist, nachdem sich Herr Kilger vor einem Jahr dazu hat hinreißen lassen, den deutschen Rechtsstaat mit Guantánamo zu vergleichen, ein weiterer schwerer Fauxpas. Meines Erachtens ist das gesamte Haus aufgerufen, dies zurückzuweisen. Es gibt nicht mehr Transparenz bei der Verabschiedung von Gesetzen als in der Form, wie wir es tun.
Ebenso wie andere Berufsverbände, etwa der Deutsche Richterbund oder die BRAK, ist auch der Deutsche Anwaltsverein nahezu bei allen unseren Anhörungen mit einem Repräsentanten als Sachverständigem vertreten, wobei von dieser Seite nicht immer die klügsten Einwände kommen.
Ich denke nur daran, dass in dem Verfahren zur Wiederaufnahme, das Sie angesprochen haben, ein vom DAV entsandter Sachverständiger gesagt hat, das erinnere ihn an Gestapo-Methoden.
Liebe Repräsentanten des Deutschen Anwaltvereins, bitte vermeiden Sie Anleihen und Metaphern aus der Nazizeit, Guantánamo, Abu Ghureib oder Ähnlichem. Der deutsche Rechtsstaat muss im Hinblick auf alle anderen Staaten dieser Welt keinen Vergleich scheuen. Ich finde, das müsste unter allen Fraktionen und Parteien in diesem Haus Konsens sein, liebe Freunde.
Mit den Gesetzentwürfen, die wir heute verabschieden - ich sage das ohne Anspruch auf Vollständigkeit; das Untersuchungshaftrecht und die Erhöhung der Entschädigung für zu Unrecht in Strafhaft gewesene Gefangener wurden schon angesprochen - und die übrigens ein besonderes Anliegen der Unionsfraktion sind, haben wir im Grunde genommen die Koalitionsvereinbarung mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks abgearbeitet. Allen Unkenrufen, dass diese Koalition kraftlos sei und dass sie zerstritten sei, zum Trotz möchte ich für die Rechtspolitik sagen - ich bin der rechtspolitische Sprecher und nicht der Vorsitzende meiner Fraktion -,
dass das, was wir in den letzten vier Jahren auf dem Gebiet der Rechtspolitik geleistet haben, sowohl in der Art, wie wir menschlich zusammengearbeitet haben - das gilt für meine Beziehungen als rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion zu Herrn Stünker, Herrn Peter Danckert, Charly Dressel, Herrn Körper und insbesondere zur Ministerin und zum Staatssekretär Alfred Hartenbach -, also was den persönlichen Umgang angeht, als auch in der Sache, in Zukunft nicht mehr so schnell geleistet wird und in der Vergangenheit nicht geleistet worden ist.
Wir werden diese Koalition kraftvoll, ernsthaft, konstruktiv und anständig zu Ende bringen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Kollegin Ulla Jelpke ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Gehb, obwohl es wirklich reizt, Ihnen zu antworten, lässt es meine Redezeit nur zu, auf die Entwürfe der Gesetze zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten sowie zur Bekämpfung des Aufenthalts in terroristischen Ausbildungslagern einzugehen.
Die Bundesregierung will die Vorbereitung von Terroranschlägen unter Strafe stellen. So weit die guten Absichten. Doch die vorliegenden Gesetzentwürfe taugen nicht zu mehr Sicherheit. Sie stellen einen Bruch mit fundamentalen rechtsstaatlichen Prinzipien dar.
Bisher wird jemand für eine Tat bestraft, lieber Herr Kollege, die er auch begangen oder zumindest versucht hat. Doch nun soll bereits eine Tat zur Strafverfolgung führen, die weder begangen noch versucht wurde.
Nicht einmal konkrete Anschlagspläne müssen für die Strafverfolgung angeblich terroristischer Vorbereitungshandlungen nachgewiesen werden. Ob es sich bei dem Herunterladen von Sprengstoffrezepten aus dem Internet um wissenschaftliches Interesse, bloße Neugier
oder die Vorbereitung eines Anschlags handelt, ob ein Guerillacamp zu journalistischen Recherchezwecken, aus Abenteuerlust
- ich freue mich, dass Sie sich so schön aufregen - oder zur Kampfausbildung besucht wird, ob ein Wecker gekauft wird, um nicht zu verschlafen oder um damit einen Zeitzünder für eine Bombe zu basteln, soll sich demnächst aus der politischen und der religiösen Gesinnung einer Person ableiten
und kann mit bis zu zehn Jahren bestraft werden.
Damit findet eine Abkehr vom Tatprinzip im deutschen Strafrecht statt. Tätergesinnung und Täterpersönlichkeit statt des Unrechtsgehalt einer Tat sollen nun bereits der Grund für eine Strafverfolgung sein.
Das nennen wir Gesinnungsjustiz.
Um es mit den Worten der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen zu charakterisieren - Zitat, bezogen auf das Gesetz -:
Das ist nicht weniger als das Gedankenverbrechen ... aus Orwells 1984.
Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft wollen durch die vorliegenden Gesetze noch mehr Vollmachten für Lauschangriffe, Bespitzelung und Untersuchungshaft. Darum geht es in Wirklichkeit. Doch es ist rechtsstaatlich unhaltbar, mit Gummiparagrafen neue Straftatbestände zu schaffen, um auf diese Weise Strafverfolgungsbehörden mit weiteren Sondervollmachten auszurüsten.
Das sollte auch der Justizministerin Zypries klar sein, wenn sie ihre eigenen Gesetze schon als ?verfassungsrechtlich auf Kante genäht? bezeichnet. Um es noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Diese Gesetze bereiten nicht nur einer weiteren Gesinnungs- und Schnüffeljustiz den Weg - schlimmer noch, sie schaffen ein illegitimes Feindstrafrecht, das in seiner Konsequenz in der Tat, Herr Gehb, nach Guantánamo führt. Das ist mit uns nicht zu machen, und deswegen lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile dem Kollegen Jerzy Montag, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierungskoalition hat heute fünf strafrechtspolitische Vorhaben und elf Gesetzentwürfe zu einer gemeinsamen Beratung zusammengefasst. Auch wenn die Rechtspolitik damit endlich einmal bei Tageslicht und zur Primetime diskutiert wird - ich werde den Verdacht nicht los, dass doch wieder nur schnöde Taktik dahintersteckt. Es ist nicht zu übersehen, dass damit höchstproblematische und rechtsstaatlich wirklich abscheuliche Vorhaben im Windschatten von zum Teil oder in Gänze zustimmungsfähigen Gesetzentwürfen segeln sollen.
Sie wollen Ihre rechtspolitischen Schandtaten
damit verdecken; aber ich glaube, das wird Ihnen nicht gelingen.
Erstens: die Kronzeugenregelung. Was Sie als Strafzumessungsregel für Aufklärungs- und Präventionshilfe heute hier vorlegen, ist tatsächlich ein unwürdiger Handel mit der Gerechtigkeit.
Straftäter, die den Ermittlungsbehörden ihr Wissen über Straftaten offenbaren, an denen sie selbst in keiner Weise beteiligt waren, sollen erhebliche Strafrabatte erhalten. Selbst Mörder sollen so einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe entkommen können. Ausdrücklich kann eine schuldunangemessen niedrige Strafe verhängt werden; manche können von jeglicher Strafe verschont bleiben. Das ist nichts anderes als ein Judaslohn für Verrat. Besonders schockierend ist, dass selbst Mörder in den Genuss eines solchen zweifelhaften Vorteils kommen können.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Montag, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dressel?
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Aber gerne.
Dr. Carl-Christian Dressel (SPD):
Herr Kollege Montag, Sie haben soeben ausgeführt, selbst Mörder könnten in den Genuss einer geringeren als der lebenslangen Freiheitsstrafe kommen. Ist Ihnen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen bekannt, wonach regelmäßig sogar wegen Mordes zu einer geringeren Freiheitsstrafe als der lebenslänglichen verurteilt wird? Begründet wird das mit Art. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Schuldprinzip.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Lieber Kollege Dressel, Sie sind offensichtlich schlecht informiert. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass Sie kein Strafrechtler sind. Eine solche Rechtsprechung, wonach die Justiz in der Regel verpflichtet wäre, bei Mord keine lebenslängliche Freiheitsstrafe zu verhängen, gibt es nicht.
Es gibt entgegen der gesetzlichen Regelung, wonach es keine Ausnahmen von lebenslänglich geben kann, eine Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die sich auf die Konstellation der Tat bezieht. Ich erinnere Sie an die Tat einer Tochter, die jahrelang von ihrem Vater missbraucht, geschlagen, vergewaltigt wurde und ihren Vater im Schlaf mit dem Hammer erschlug. In einem solchen Fall, so das Bundesverfassungsgericht, kann es das, was im Strafgesetzbuch steht, nämlich auf jeden Fall lebenslänglich, nicht geben. Sie aber wollen in dieses Gesetz hineinschreiben, dass ein Mörder, der über eine Tat, mit der er nichts zu tun hat, etwas aussagt, wegen des Verrats dieses völlig anderen Falles der lebenslänglichen Freiheitsstrafe entgehen kann, auch wenn es für die Ausführung seiner Mordtat keinerlei Milderungsgründe gibt. Das nenne ich eine schuldunangemessen niedrige Bestrafung.
Es gibt keinen Bedarf für eine solche Regelung. Selbst ein strafrechtlicher Staatsnotstand würde sie nicht rechtfertigen. Wir befinden uns aber bei der Verfolgung und Bekämpfung der Kriminalität in Deutschland nicht in einem Notstand. Den Problemen, die es bei der Prävention zum Schutze der Bevölkerung, bei der Aufklärung von Straftaten und bei einer effektiven, schnellen und rechtsstaatlichen Bearbeitung angeklagter Straftaten gibt, müssen die Länder - das ist ihre Pflicht; eine Flucht in die Kronzeugenregelung ist keine Lösung - mit einer ausreichenden personellen und Sachausstattung der Ermittlungsbehörden begegnen.
Viele Argumente, die zu Unrecht gegen eine Verständigung im Strafprozess vorgebracht werden, treffen bei der Kronzeugenregelung geradezu ins Schwarze. Alles Entscheidende spielt sich vor Eröffnung des Hauptverfahrens ab, also ohne das Gericht, das später in der Hauptverhandlung nur noch als Notar eines längst ausgehandelten Geschäfts benötigt wird. Der Verrat, als Aufklärungshilfe kaschiert, und der Lohn, nämlich der Strafrabatt,
werden zwischen der Polizei und der Staatsanwaltschaft einerseits und dem Straftäter andererseits ausgehandelt. Das ist wirklich ein schmutziger Deal mit dem Verbrecher, der eigentlich hinter Gitter gehört.
In der Beschlussempfehlung zur heutigen Debatte heißt es dazu von Ihnen in aller Deutlichkeit - ich zitiere -:
Für kooperationsbereite Straftäter ... soll deshalb die Möglichkeit ... des Absehens von Strafe geschaffen werden, und zwar grundsätzlich unabhängig davon, welche Art von Straftat sie selbst begangen haben.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Auch der Kollege Kauder würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich gestatte sie sehr gerne, aber erst nach dem Satz, den ich jetzt noch sagen will; denn dann bin ich mit dem Thema Kronzeugenregelung fertig.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich vermute, darüber werden wir sofort eine Verständigung erreichen.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich sage Ihnen: Nichts von dem Guten, das heute in die Strafprozessordnung punktuell geschrieben werden soll, kann eine solche Kronzeugenregelung rechtfertigen. Deswegen lehnen wir sie ab.
Jetzt bitte Herr Kollege Kauder.
Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU):
Herr Kollege Montag, habe ich es richtig verstanden, dass Sie der Auffassung sind, dass über die Strafmilderung eines Angeklagten, der Angaben macht, die Polizei und die Staatsanwaltschaft entscheiden, ohne den Richter einzubinden?
Ich kenne die Vorschrift des § 46 b StGB, den wir verabschieden wollen, nur so, dass darüber rechtsstaatlich ein Gericht zu entscheiden hat und die Strafmilderung nicht gewähren muss, sondern nach Abwägung aller entscheidenden Strafzumessungsgründe und Strafzumessungstatsachen darüber befindet.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Lieber Kollege Kauder, auch darüber möchte ich die Öffentlichkeit aufklären.
- Es gibt nichts zuzugeben, Herr Kollege Danckert. Das, was in der Fragestellung insinuiert wird, ist falsch. Deswegen will ich es auch Ihnen, lieber Kollege Danckert, jetzt noch einmal erklären. Aber vor allen Dingen will ich es Ihnen, Herr Kollege Kauder, erläutern, damit es nicht von meiner Redezeit abgeht.
Der entscheidende Punkt ist, dass dieses Geschäft, die Aufklärungshilfe gegen einen Strafrabatt, eingefädelt und beendet sein muss, bevor das Hauptverfahren eröffnet worden ist, bevor also das Gericht mit dem Fall überhaupt befasst worden ist. Eine spätere Erklärung des Beschuldigten führt nach Ihrem Gesetzentwurf eben nicht zu der Möglichkeit dieses Handels.
Das bedeutet praktisch und faktisch in der Zukunft, dass die Polizei, vielleicht sogar mit einem noch nicht verteidigten Beschuldigten, die Gespräche führen wird, die es heute in Drogensachen schon in jedem Verfahren gibt.
Das Allererste, was die Polizei zu einem festgenommenen Drogenbeschuldigten sagt, ist: Grüß Gott - in Bayern - oder guten Tag, das ist § 31 des Betäubungsmittelgesetzes, lesen Sie ihn sich genau durch. Darin steht, welchen Strafrabatt Sie von uns bekommen, wenn Sie Angaben machen.
- Das ist das, was die Polizei regelmäßig erklärt. - Dann wird dieses Geschäft zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft einerseits und dem Täter andererseits natürlich zustande kommen. Dann - da haben Sie Recht - gehen diejenigen
- nichts da! -, die das Geschäft verhandelt haben, vor den Richter - rein formal - und sagen mehr oder minder: Du bist der Notar, du bestätigst das nur noch.
Das wird in der Zukunft die Folge sein. So ist das auch bei § 31 Betäubungsmittelgesetz. Das ist die Praxis. Lieber Kollege Kauder, Sie kennen sie sehr genau.
Meine Damen und Herren, die neuen Strafvorschriften der §§ 89 a und 89 b StGB stellen jedwede Aufnahme von Beziehungen zu einer Gruppe unter Strafe, wenn dies einer zukünftigen Unterweisung in irgendwelchen, nicht näher bezeichneten Fertigkeiten dienen soll, die wiederum der möglichen zukünftigen, nach Ort und Zeit nicht bestimmten Ausführung einer schweren Straftat dienen sollen.
Diese Vorschriften sind viel mehr als nur ein rechtsstaatlicher Kollateralschaden. Die Vorbereitung einer Vorbereitung einer Straftat unter Strafe zu stellen, ist Ausdruck einer Sicherheitsphobie, die keine Grenzen und keine Regeln kennt, sondern nur Erfolg haben will, und dies offensichtlich um jeden Preis.
Die Bundesjustizministerin hat dies reichlich euphemistisch ?ein Gesetz auf Kante nähen? genannt. Ihre Kollegin, Frau Zypries, die Justizsenatorin von der Aue, SPD, hat am 6. März 2009 dazu im Bundesrat erklärt: Die Straftatbestände sind unbestimmt, konturlos und kaum handhabbar. Die Gefahr, dass unbescholtene Bürger betroffen sein werden, bewegt sich in einem Größenbereich, der nicht vertretbar ist. Der Gesetzentwurf führt die Rechtspolitik auf einen Pfad, an dessen Ende die Gefahr besteht, dass Errungenschaften aufs Spiel gesetzt werden, die uns heute vor Willkür schützen. In Deutschland soll kein Mensch allein für seine Absichten bestraft werden.
Das ist die Kritik Ihrer sozialdemokratischen Kollegin an Ihrem Gesetzentwurf, Frau Zypries.
Ganz bewusst, meine Damen und Herren, wende ich mich jetzt nicht nur an die Kolleginnen und Kollegen der Sozialdemokraten, sondern auch an die der CDU/CSU. Es gibt Menschen, die aus Habsucht oder aus Gier, aus Hass oder aus grenzenloser Verblendung schreckliche Straftaten vorhaben. Manche denken nur an sie; manche bereiten sich in Gedanken darauf vor, sie irgendwann in Zukunft zu begehen; manche üben sich sogar in Fertigkeiten, die sie in Zukunft vielleicht auch einzusetzen gedenken. All dem ist in einem Rechtsstaat mit den Mitteln des Strafrechts nicht zu begegnen. Strafrecht ist kein Gefahrenbekämpfungsrecht. Genauso, wie wir uns gegenseitig versichern, dass wir uns als Demokraten beim Schutz unserer parlamentarischen Demokratie nicht von Demokratiefeinden auseinandertreiben lassen wollen, rufe ich heute die Rechtspolitiker aller Fraktionen dazu auf, sich nicht von dem Ruf nach größtmöglicher angeblicher Sicherheit und von vermeintlichen neuen Sicherheitslücken in immer neue, fragwürdige Gesetze hineintreiben zu lassen.
Wir dürfen die Grundsätze eines rechtsstaatlichen Strafrechts eben nicht scheibchenweise einer trügerischen Sicherheit opfern. Vielmehr müssen wir das beherzigen, was uns allen der Bundesverfassungsrichter Hoffmann-Riem am 14. März 2009 auf dem Kongress meiner Fraktion ?60 Jahre Grundgesetz - Fundamente der Freiheit stärken? mit auf den Weg gegeben hat, nämlich: Wir müssen wieder lernen, mit Risiken zu leben.
Das, meine Damen und Herren, macht uns nicht wehrlos. Lassen wir uns das doch nicht einreden! Das macht uns gerade gegenüber Straftätern, die unsere freiheitliche, rechtsstaatliche, grundrechtsorientierte Ordnung im Visier haben, stark. Die heute zur Abstimmung stehenden neuen Straftatbestände lehnen wir Grünen ab.
Es gibt keine Debatte über Reformen des Rechts der Untersuchungshaft ohne den Hinweis, dass es ein großer Fehler war, das Recht der Untersuchungshaft und des Jugendstrafvollzugs in die Länderkompetenz zu geben, aber so ist es geschehen. Jetzt - das hat etwas Tragikomisches, kann man schon sagen - legt der Bund mit den Resten seiner Kompetenz einen Gesetzentwurf zum Untersuchungshaftrecht vor, nachdem er es über Jahrzehnte, als er die Kompetenz hatte, nicht geschafft hat, und zwar bei allen Konstellationen in diesem Haus, einen solchen Gesetzentwurf vorzulegen.
Ich habe in der ersten Lesung dazu schon Grundsätzliches erklärt.
Darauf will ich Bezug nehmen und an dieser Stelle nur noch einmal sagen, was fehlt. Es fehlt eine feste Frist für das Ende der U-Haft: U-Haft darf in der Regel nur für sechs Monate, höchstens jedoch zwölf Monate verhängt werden. - Einem Gesetz mit einer solchen Regelung hätten wir zustimmen können.
Die Länder planen einen § 1 ihrer Gesetze zum Untersuchungshaftvollzug mit folgendem Wortlaut - ich hätte es gut gefunden, wenn Sie die Kraft gehabt hätten, eine solche Regelung auch in den hier vorliegenden Gesetzentwurf aufzunehmen -:
Die Untersuchungshaftgefangenen gelten als unschuldig. Sie sind so zu behandeln, dass der Anschein vermieden wird, sie würden zur Verbüßung einer Strafe festgehalten.
Eine solche Regelung, in der die Unschuldsvermutung an erster Stelle genannt wird, wäre auch in Ihrem Gesetz begrüßenswert gewesen.
Die Pflichtverteidigerbestellung wird erheblich verbessert.
Aber ich will an dieser Stelle schon noch daran erinnern, dass die Kollegen Danckert und Kauder in der ersten Debatte wie die Löwen gebrüllt haben
und ausgeführt haben, Pflichtverteidigung ab der ersten Sekunde der vorläufigen Festnahme sei absolut unverzichtbar; aus Zeitgründen kann ich die Zitate nicht mehr vortragen. Es ist ein Fortschritt erzielt worden - wir haben eine bessere Regelung gefunden -, aber trotz Ihres Gebrülls in der ersten Lesung ist es nur ein ganz zaghafter Schritt.
Meine Redezeit geht zu Ende. Deswegen will ich zu dem Deal im Prozess nur so viel sagen: Ich halte die Kritik daran - heute auch in der Süddeutschen zu lesen - für, um ein Wort von Ihnen, Herr Präsident, aufzunehmen, unmaßstäblich. Wir Grünen stimmen diesem Gesetzentwurf zu, und zwar ausdrücklich deswegen, weil darin rechtsstaatliche Regelungen im Bereich der Verständigung im Strafprozess festgeschrieben werden, und das ist richtig so.
Zuallerletzt zur Haftentschädigung. 11 Euro pro Tag für unschuldig verbüßte Haft, das war jämmerlich. Mit 25 Euro haben wir im europäischen Maßstab, Herr Goll, immer noch die rote Laterne; wir liegen damit an letzter Stelle. Es wird vielleicht nicht als große Notwendigkeit gesehen, die Entschädigung für unschuldig erlittenen Freiheitsentzug großzügig zu regeln, aber für eine gute Rechtspolitik wäre es doch wichtig gewesen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Peter Danckert ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion.
Dr. Peter Danckert (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Montag, der Herrn Kauder und mir vorwirft, gebrüllt zu haben,
hätte sich etwas sorgfältiger mit der Materie beschäftigen müssen. Hätte er das getan, wäre er zu diesem Hinweis gar nicht erst gekommen.
Wir sind in einer seltsamen Mischung aus Generaldebatte und Befassung mit den konkreten Gesetzentwürfen. Mein Fazit der letzten vier Jahre lautet: Wir haben hier eine wirklich hervorragende Rechtspolitik gemacht.
Das lag nicht nur, wie der Kollege Gehb gesagt hat, an den menschlichen Beziehungen - sie sind die Grundlage dafür -; wir haben auch um die jeweils beste Lösung gerungen.
Das war nicht immer ganz einfach, aber wir haben gute Lösungen gefunden. Ich bedanke mich daher beim Justizministerium und bei der großen Zahl von Mitarbeitern, die uns im Gesetzgebungsverfahren begleitet haben.
Ich will Ihnen, Herr van Essen, obwohl meine Redezeit knapp ist, sagen: Sie haben mich in zwei Punkten wirklich maßlos enttäuscht. Zum einen hat mich Ihr Vorschlag enttäuscht, wie mit Wiederaufnahmetatbeständen umgegangen werden soll. Ich habe in meiner Arbeitsgruppe zu denen gehört, die gefordert haben, zu überlegen, wie wir Wiederaufnahmetatbestände neu fassen können - auch wegen des genannten Falles. Aber was Sie uns hier geboten haben, als Sie hier vom Pult gefordert haben, gewissermaßen als Oberrichter unter Verzicht auf die Unschuldsvermutung, die ja in Ihrer Argumentation sonst immer eine große Rolle spielt, festzulegen, wer schuldig ist, war schon ziemlich starker Tobak.
Sie sollten sich einmal überlegen, ob es richtig ist, sich in dieser Frage sozusagen zum Oberrichter aufzuschwingen.
Der DNA-Test ist - das wissen Sie - nach der Rechtsprechung ein Element in einer langen Kette von Beweiselementen und nicht das allein ausschlaggebende. Man kann nicht aufgrund dieses einen Elements sagen, dass jemand schuldig ist.
Wenn ich jemals einen Grund gehabt hätte, meine Meinung in dieser Frage zu ändern, wäre Ihr Beitrag der Anlass dazu gewesen. So viel dazu.
Zum Zweiten hat mich enttäuscht, dass Sie hier gesagt haben, das Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Straftaten sei falsch; stattdessen solle man besser die Zahl der Mitarbeiter beim Bundesnachrichtendienst und auch den anderen Diensten aufstocken. Diese Argumentation halte ich für absurd. Dann könnte man ja genauso gut fordern, alle Straftatbestände abzuschaffen und das Heer der Polizisten zu erweitern.
- Ja, ich weiß, ich kann es besser. Aber Ihr Argument war an dieser Stelle ganz besonders schlecht. Deshalb war diese Replik nötig.
Zu dem Gesetz zur Kronzeugenregelung will ich nur Folgendes sagen: Wenn wir uns etwas eingehender mit dieser Materie beschäftigen, finden wir im Kontext unseres Strafgesetzbuches viele Fälle, bei denen zum Beispiel aus Gründen der Opportunität auf die Verfolgung schwerster Straftaten verzichtet wird bzw. es gar nicht erst zu einer Verhandlung kommt.
- Ja, schauen Sie sich doch die Straftatbestände an. Vielleicht wissen Sie es aber auch nicht, weil Sie sich nicht gründlich genug mit dieser Frage beschäftigt haben.
Das, was wir hier machen, also die Legalisierung von bestimmten Regelungen, die sinnvoll und gut sind, ist demzufolge der richtige Weg. Wenn Sie hier den Eindruck vermitteln, es käme nun dazu, dass alles schon im Vorfeld zwischen Angeklagten und Staatsanwalt ausgedealt würde,
dann verschweigen Sie der Öffentlichkeit ein entscheidendes Element, nämlich dass es einer Entscheidung des Gerichts bedarf. Wenn das Gericht dem Deal nicht zustimmt, dann funktioniert all das, was vorher besprochen worden ist, eben nicht. Was Sie hier an dieser Stelle gemacht haben, ist wirklich bösartig.
Ich akzeptiere ja, dass man in einer solchen Frage anderer Meinung sein kann. Ich kann aber nicht akzeptieren, wenn scheinheilig
argumentiert wird, indem das Gericht, das letztendlich das Urteil spricht, sozusagen beiseitegeschoben und behauptet wird - auch das ist eine seltsame Auffassung von Rechtsstaatlichkeit -, der Richter sei nur noch Notar.
Das ist wirklich - da kann ich mich dem Zwischenruf von Herrn Gehb nur anschließen - unglaublich.
Jetzt zu den Themen, die mich in besonderer Weise beschäftigt haben. Wir haben hier, wie ich finde, etwas erreicht, was mir am Anfang nicht sinnvoll zu sein schien. Ich war kein Befürworter der Verständigung im Strafverfahren, einfach deswegen, um es kurz und knapp zu sagen, weil dabei die Kunst der Strafverteidigung verloren geht. Die Kolleginnen und Kollegen überlegen dann nur noch, wie sie so rasch wie möglich dealen können, ohne überhaupt die Vorbedingung hierfür erfüllt zu haben, nämlich ein gründliches Aktenstudium.
Das ist sozusagen die Ausgangssituation. Wir haben aber einen Auftrag mit auf den Weg bekommen, der - -
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich habe den Eindruck, Herr Kollege Danckert, dass Sie geneigt sind, eine Zwischenfrage des Kollegen Montag zu beantworten.
Dr. Peter Danckert (SPD):
Ich freue mich darüber.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Bitte schön.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Danke. - Herr Kollege Danckert, Sie haben das Hohelied auf Ihre Kronzeugenregelung gesungen. Beim Thema ?Deal? erklären Sie nun, dass Sie bisher dagegen gewesen seien, weil, wenn der Deal eingeführt würde, jeder Verteidiger, statt im Rahmen des kontradiktorischen Strafprozesses für seinen Mandaten zu kämpfen, als Erstes daran denken würde, wie man zu einer gütlichen oder besseren Einigung kommen könnte.
Ich frage Sie: Trifft diese Argumentation nicht in einem noch stärkeren Maße auf die Kronzeugenregelung zu, die Sie ins Gesetz schreiben wollen? Das bedeutet doch, dass jeder Verteidiger beim ersten Kontakt mit einem Beschuldigten sagen wird: Lassen wir einmal den eigentlichen Tatvorwurf beiseite. Es interessiert nicht, was du gemacht haben sollst. Das Erste, was ich von dir wissen muss, ist: Weißt du irgendetwas über einen anderen? Wenn das der Fall ist, dann kann ich zur Polizei und Staatsanwaltschaft gehen und in einen Deal der Kronzeugenregelung einsteigen. - Das wird die Folge Ihres Kronzeugenparagrafen sein und genau das bestätigen, was Sie beim Thema ?Deal? als Befürchtung geäußert haben.
Dr. Peter Danckert (SPD):
War das eine Frage oder eine Feststellung? Die Kronzeugenregelung ist ein rechtstaatliches Verfahren. Am Ende entscheidet das Gericht, und zwar nicht als Notar im Sinne einer Beurkundung einer wie auch immer gearteten Absprache. Das ist die eine Seite.
Die Verständigung im Strafverfahren gibt es in der Gerichtspraxis seit 15 bis 20 Jahren. Ich habe mich zwar immer dagegen ausgesprochen, aber am Gesetzgebungsverfahren, das im Übrigen ausgezeichnet war, teilgenommen. Dabei habe ich sozusagen Schritt für Schritt - auch wegen meiner Bedenken am Gesetzgebungsverfahren - entscheidende Hinweise gegeben und entscheidende Veränderungen bewirkt, sodass ich letztendlich diesem Gesetz zustimmen kann und werde. Ich halte es für richtig.
Der Große Senat hat uns in seinem Beschluss vom März 2005 einen Auftrag gegeben. Wir haben, nachdem viele Versuche vorher gescheitert sind, den Antrag angenommen und eine, wie ich finde, vernünftige und handhabbare Regelung getroffen. Es ist vor allen Dingen eine Regelung - die Bundesjustizministerin hat darauf hingewiesen -, die die Absprache bzw. den Deal ins Licht der Öffentlichkeit rückt, in die Hauptverhandlung bringt und nicht auf den Fluren des Gerichts verbleiben lässt.
- Das ist Pech! Sie haben ja auch gar keine Frage gestellt, sondern eine Feststellung getroffen, durch die ich eine kleine Verlängerung meiner Redezeit gewonnen habe.
Die Verständigung im Strafverfahren ist okay.
Sie haben am Ende Ihrer Rede beanstandet, dass es nicht gelungen ist, eine große Reform im Untersuchungshaftrecht auf den Weg zu bringen. Herr Kollege Kauder und ich haben sie angestoßen, weil es einen Grund gab, bestimmte Gedanken einzubringen. Eine große Reform, wie sie Ihnen vorschwebt - und die man sich durchaus vorstellen kann -, wäre in dieser Legislaturperiode nicht fertig geworden. Mir, als ehemaligem Strafverteidiger, und auch Ihnen müsste es eigentlich wichtig sein, dass wir ein fast historisches Ergebnis erzielt haben, indem wir dem in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten sofort die Hinzuziehung eines Pflichtverteidigers ermöglichen. Das hat es in den letzten 100 Jahren nicht gegeben. Die Anwälte haben immer darum gekämpft. Nun haben wir es erreicht. Es ist daher eine seltsame Geschichte, dass die Opposition nun anfängt zu mäkeln und sagt, dass sie an dieser oder jener Stelle noch Veränderungen haben will, anstatt das Ergebnis zu würdigen. Aber das ist Ihr gutes Recht als Opposition.
Etwas anderes ist in diesem Zusammenhang auch noch wichtig: Die Rechtsprechung hat uns zur Akteneinsicht gemäß § 147 StPO gewisse Hinweise gegeben. Wir haben hier eine Verbesserung erreicht, indem wir ins Gesetz geschrieben haben, dass derjenige, der sich in Untersuchungshaft befindet, Akteneinsicht - in der Regel über seinen Anwalt - bekommen kann. Das heißt, im neuen Gesetz gibt es in dieser Hinsicht Verbesserungen. Bisher gab es nur den Anspruch auf Informationen, die für den Haftbefehl Voraussetzung waren. Jetzt erhält der Anwalt die Möglichkeit, durch Akteneinsicht - die die Regel sein wird - die Dinge herauszuarbeiten, die möglicherweise zu einer Aufhebung des Haftbefehls führen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Danckert.
Dr. Peter Danckert (SPD):
Das ist ein großer Fortschritt. Deshalb kann man diesem Gesetz mit gutem Gewissen zustimmen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält der Kollege Siegfried Kauder, CDU/CSU-Fraktion.
Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Menschen verbinden Politik auch mit Köpfen. Wenn es um die innere Sicherheit geht, ist der Kollege Montag eher nicht der Kopf, an den man denkt, und die Kollegin Jelpke schon gar nicht.
Wenn von innerer Sicherheit gesprochen wird, denkt man an Innenminister Dr. Wolfgang Schäuble,
der für Sicherheit in diesem Land steht: Ohne ihn gäbe es kein BKA-Gesetz, ohne ihn gäbe es keine Onlinedurchsuchung, ohne ihn gäbe es keine Vorratsdatenspeicherung.
- An der Reaktion hier im Saal sieht man, dass man leicht die Spreu vom Weizen trennen kann.
Die CDU bzw. CSU ist die Partei der inneren Sicherheit.
Innere Sicherheit und Freiheit sind keine Gegensätze. Es geht nicht um Freiheit oder Sicherheit,
sondern um Freiheit in Sicherheit. Freiheit und Sicherheit bedingen sich wechselseitig.
Wir werden die Sicherheitsstruktur in Deutschland verbessern, indem wir zwei Gesetzgebungsvorhaben umsetzen.
Eine Kronzeugenregelung gab es schon einmal; im Jahr 1999 lief sie aus. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen von der SPD, ich habe Verständnis dafür, dass Sie sich in der rot-grünen Koalition in der Rechtspolitik mit den Grünen etwas schwertaten.
Die Grünen wollten nicht, dass die Kronzeugenregelung fortgesetzt wird, weil es nahezu keine Anwendungsfälle gegeben habe.
Warum hat es keine Anwendungsfälle gegeben? Weil die Kronzeugenregelung an § 73 d StGB - Erweiterter Verfall - andockte und damit viel zu engmaschig gestrickt war. Wenn Sie die Praktiker gefragt hätten, hätten die Ihnen erklärt: Wir brauchen die Kronzeugenregelung, man muss sie ausweiten.
Ich empfehle, in der Zeitschrift für Rechtspolitik aus dem Jahr 2000, Seite 121, den Aufsatz von Pfeiffer, zu lesen. Dann sehen Sie, dass Sie damals die falsche Entscheidung getroffen haben. Dies korrigieren wir heute in zweiter und dritter Lesung.
Die Kronzeugenregelung ist nichts Ungewöhnliches. Eine Kronzeugenregelung gibt es zum Beispiel in § 31 des Betäubungsmittelgesetzes. Lieber Kollege Montag, den Fall, den Sie geschildert haben, dass ein Polizeibeamter einem Inhaftierten zusagt: Wenn du Angaben machst, wirst du eine mildere Strafe bekommen, mag es in der Praxis geben;
aber das wäre eine unzulässige Vernehmungsmethode und nicht verwertbar. Sie erzählen Humbug aus der Kiste eines Strafverteidigers. Das sind Extremfälle, die es so nicht gibt.
Die Kronzeugenregelung ist etwas Sinnvolles. Sie sollten § 46 b Abs. 2 unseres Gesetzentwurfes lesen! Dann werden Sie schnell feststellen, dass auch bei Strafmilderung die schuldangemessene Strafe nicht unterschritten werden darf. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass ein Nachtatverhalten bei der Strafhöhe berücksichtigt wird; das ergibt sich schon aus § 46 StGB, Grundsätze der Strafzumessung.
- Genau, Herr Kollege Ströbele: Bei Mördern greift § 46 StGB nicht, weil auf Mord lebenslange Freiheitsstrafe steht. Genau deswegen brauchen wir den vorgeschlagenen § 46 b StGB. Denn auch in diesem Bereich ist Aufklärung notwendig. Sie sind da auf dem Holzweg.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wie hat die Kollegin Jelpke, die, weil sie Nichtjuristin ist, mit den Straftatbeständen ein bisschen Probleme hat,
die Vorschriften zur Strafbarkeit von Vorbereitungshandlungen staatsgefährdender Gewaltdelikte gegeißelt! Ist es denn etwas Ungewöhnliches, dass im Strafgesetzbuch Vorbereitungshandlungen unter Strafe gestellt werden? Wie ist es denn in § 30 des Strafgesetzbuches? Dort wird eine Vorbereitungshandlung, die zu einem Verbrechen führt, ganz bewusst unter Strafe gestellt. Denn wir wollen dieses Verbrechen verhindern.
- Herr Kollege Montag, Sie sollten sich nicht dümmer stellen, als es geboten ist.
Sie wissen sehr wohl, warum § 30 StGB bei terroristischen Vorbereitungshandlungen nicht greift: weil wir zwei Täter und einen konkreten Tatplan, den wir bei der Aufklärung terroristischer Straftaten noch nicht kennen, brauchen. Das sind doch olle Kamellen; das wissen wir Rechtspolitiker doch seit langem.
Deswegen brauchen wir die Strafvorschriften, wie sie in § 89 a und § 89 b StGB zukünftig vorgesehen sind.
Wer in ein Terrorcamp reist, um sich dort ausbilden zu lassen, dem wollen wir bewusst eine Strafe androhen.
Herr Kollege Wieland, Strafrecht kann auch - wir haben schon darüber diskutiert - präventiv wirken. Es ist eine verfahrensrechtliche Bezugsnorm, die es in der Tat ermöglicht,
schon in der Vorbereitungsphase Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen durchzuführen, damit wir einen terroristischen Anschlag verhindern können, rechtzeitig den Fuß in der Tür haben
und Ermittlungsansätze gewinnen, um gegen diese Täter vorzugehen.
Wir bauen aber nicht nur an einer Sicherheitsarchitektur; wir verbessern auch die Voraussetzungen in einem Strafverfahren. Ich bin dem Kollegen van Essen dankbar, dass er den Opferschutz erwähnt hat. Ein Gesetzgebungsvorhaben ist noch nicht umgesetzt: das zweite Opferrechtsreformgesetz. Ich würde mich freuen, wenn wir dies mit vereinter Kraft noch in dieser Legislaturperiode schaffen würden.
Man darf aber keinen Tunnelblick haben - ich gehe davon aus, dass Sie mir einen solchen auch nicht unterstellen -: Ein Rechtsstaat darf sich nicht nur um die Opfer von Straftaten kümmern; auch die Beschuldigten müssen Rechte haben. Herr Kollege van Essen, ich bin mir dessen bewusst, dass wir, wenn wir über den Opferschutz reden, auch immer prüfen müssen, ob wir mit opferschützenden Vorschriften die Rechte eines Beschuldigten, für den die Unschuldsvermutung gilt, nicht allzu sehr einschränken.
Kollege Montag, was war denn unter Rot-Grün? Die Idee, frühzeitig einen Pflichtverteidiger zu bestellen, hätte doch gerade Ihnen kommen können. Sie kam aber offensichtlich nicht.
- Haben Sie sich nicht durchsetzen können? - Wir jedenfalls werden dies in dieser Legislaturperiode umsetzen.
Die Rechte des Beschuldigten werden verbessert, indem wir frühzeitig eine Pflichtverteidigerbestellung zulassen. Herr Kollege Danckert und ich durften uns dieses Themas annehmen. Ich bin außerordentlich dankbar dafür, dass wir damit Erfolg hatten.
Es ist richtig, was vorgetragen worden ist: Die Bedenken der Länder sind unberechtigt. Die frühzeitige Pflichtverteidigerbestellung führt nach Modellversuchen zu einer deutlichen Verkürzung der Dauer der Untersuchungshaft und somit zu Einsparungen in den Länderhaushalten.
- Ja, Kollege Ströbele, dies führt auch zu mehr Gerechtigkeit. Auch diese Idee hätte Ihnen unter Rot-Grün kommen können.
Nun hat Kollege Montag moniert, dass die Haftentschädigung schon immer zu gering gewesen sei. Lesen Sie einmal in den Annalen nach, wer überhaupt auf die Idee gekommen ist, die Haftentschädigung anzuheben. Vielleicht stoßen Sie da auf einen bestimmten Namen. Man kann natürlich weiter meckern und sagen, 25 Euro pro Tag seien für eine zu Unrecht verbüßte Haft zu wenig. Folgendes muss man erst einmal klarstellen: Hier geht es um einen sogenannten immateriellen Schaden. Die Justizministerin hat recht: Wenn es um einen immateriellen Schaden, also nicht um einen Vermögensschaden, geht, ist jeder gleichwertig. Da kann es nicht sein, dass jemand eine höhere und ein anderer eine geringere Entschädigung bekommt. Das ist beim materiellen Schaden so, aber nicht beim immateriellen Schaden.
Deswegen bin ich den Ländern, deren Haushalte knapp bemessen sind, dankbar, dass sie sich dafür verwendet haben, die Haftentschädigung auf 25 Euro pro Tag anzuheben.
Zum Abschluss ein Wort - nicht zum Deal, Herr Kollege Montag - zur Verfahrensabsprache im Strafprozess.
Auch hier bin ich Innenminister Wolfgang Schäuble außerordentlich dankbar, dass er ein Problem angesprochen hat, das wir ebenfalls gelöst haben - gerade Sie, Herr Kollege Montag, der Sie das Beispiel angeführt haben, was alles bei Gericht verhandelt wird, wären der Richtige gewesen, auf dieses Problem aufmerksam zu machen -: nämlich die Frage, wer kontrolliert, dass bei der Verfahrensabsprache die Spielregeln eingehalten worden sind. In der Sachverständigenanhörung zu diesem Thema hat ein Sachverständiger ein nicht gerade gutes Bild von der Justiz gezeichnet. Er sagte, es würden zu viele Deals durchgeführt, was unzulässig sei.
Wir brauchen also eine Kontrollinstanz. Eine solche haben wir dadurch eingeführt, dass dann, wenn die Verfahrensabsprache erfolgreich gewesen ist, nicht auf Rechtsmittel verzichtet werden kann, sodass die Staatsanwaltschaft und - Herr Kollege van Essen, das hat vielleicht keiner gemerkt - auch der Nebenkläger Rechtsmittel einlegen können und die Frage, ob die Verfahrensabsprache ordnungsgemäß zustande gekommen ist, prüfen lassen können.
Sie sehen also: Wir machen eine Rechtspolitik mit Augenmaß und Vernunft. Wir verbessern die Sicherheitsarchitektur Deutschlands und achten gleichzeitig darauf, dass Strafverfahren rechtsstaatlich sind und bleiben. Ich bedauere es sehr, dass aus diesem Haus die Botschaft nach außen dringt, es gebe Strafverfahren, die diesen Regeln nicht entsprechen würden.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Wolfgang Ne¨kovic ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke.
Wolfgang Ne¨kovic (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in insgesamt 90 Minuten über elf Vorlagen. In 90 Minuten kann man über eine solche Fülle parlamentarischer Initiativen, die zudem - der Kollege Montag hat es gesagt - fundamentale Veränderungen unseres Strafsystems vornehmen, nicht verantwortungsvoll beraten. Das ist keine parlamentarische Debatte. Das ist eine Alibiveranstaltung für das Protokoll. Die Menschen in diesem Land haben einen Anspruch darauf, dass sich die Abgeordneten ausreichend Zeit nehmen, um schwierige Probleme in angemessener Zeit hier im Plenum zu debattieren.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Ne¨kovic, darf ich Sie einen Augenblick unterbrechen? Sie sollten bei der jetzt zuhörenden Öffentlichkeit nicht den Eindruck erwecken, die Beratung hätte heute Morgen erst begonnen und würde heute aufhören. Hier wird eine Beratung, die vorher stattgefunden hat, zum Abschluss gebracht.
Kritik ist natürlich zulässig, aber es sollte nicht der falsche Eindruck entstehen, dass hier in 90 Minuten fünf Gesetzgebungsvorhaben abschließend beraten würden.
Wolfgang Ne¨kovic (DIE LINKE):
Herr Lammert, ich habe Ihren Einwand erwartet und daher antizipierend gesagt: in angemessener Zeit öffentlich im Parlament zu debattieren. Ich habe nur die öffentliche Debatte gemeint, die Ausweis unserer Arbeit ist und in der wir der Öffentlichkeit zeigen, wie wir mit diesen elf Vorlagen umgehen. Das habe ich zum Gegenstand meiner Kritik gemacht. Dazu fühle ich mich berechtigt.
Ich werde mich deswegen in meinen Ausführungen nur auf die Kronzeugenregelung und den Deal im Strafverfahren beschränken müssen. Diese Entwürfe sind falsche Antworten auf eine wichtige Frage. Die wichtige Frage lautet: Wie kann es endlich gelingen, die deutsche Strafjustiz von ihrer Überlastung zu befreien? Die Linke gibt Ihnen eine Antwort darauf, die von den allermeisten Sachverständigen und den meisten meiner Kolleginnen und Kollegen, den Richterinnen und Richtern im Lande, geteilt wird: Einer überlasteten Justiz müssen Sie die personellen und sachlichen Mittel an die Hand geben, die es ihr ermöglichen, ihre verantwortungsvollen Aufgaben in ausreichender Zeit zu erfüllen. In unserem Land haben zu wenig Richter zu wenig Zeit, um zu viel Arbeit zu erledigen.
Denn es gilt weiterhin: Die Mutter der Wahrheit und der Gerechtigkeit ist die Zeit. Richter brauchen ausreichend Zeit für ihre Arbeit. Das ist die Antwort, die wir für richtig halten.
Die Entwürfe zur Kronzeugenregelung und zum Deal geben eine ganz andere Antwort. Sie lautet: Wir geben der klammen Justiz keinen zusätzlichen Cent für ihre verantwortungsvolle Arbeit, sondern wir entlasten die Justiz, indem wir richtige und wichtige Kernprinzipien des Strafrechts preisgeben, weil ihre Beibehaltung zu viel Zeit kosten würde. Dieser falschen Antwort werden Sie nachher Ihre Stimme geben. Sie werden am Ende dieser, wie ich finde, Nichtdebatte Ja sagen zur neuen Kronzeugenregelung. Nach dieser Regelung kann - ich sage: kann - einem Straftäter die Strafe erlassen oder gemildert werden, nur weil er Aufklärungshilfe bei einer ganz anderen Straftat geleistet hat.
In der Konsequenz kann das dazu führen, dass ein Vergewaltiger künftig deswegen straffrei ausgehen kann oder eine wesentlich mildere Strafe erhält, nur weil er dazu beiträgt, dass Straftaten wie zum Beispiel Geldfälschung, Geldwäsche oder Computerbetrug aufgeklärt werden.
Dadurch werden Täter bevorzugt, die im kriminellen Milieu tief verstrickt sind und daher Kenntnis von anderen Straftaten haben. Opfer von Straftaten werden entsetzt feststellen, dass man Täter laufen lässt oder milder bestraft, nur weil sie sich für das Gericht in anderer Sache nützlich gemacht haben. Solche Belohnungen für kriminelle Verstrickungen werden Sie den Wählerinnen und Wählern nicht erklären können. Sie werden diesen unwürdigen Handel mit der Gerechtigkeit dennoch in wenigen Minuten hier beschließen.
Sie werden ohne Zweifel auch Ja sagen zum Deal im Strafverfahren, und Sie werden damit die Zweiklassenjustiz legalisieren.
Deals kommen überproportional häufig in komplizierten Wirtschaftsfällen vor. Hier wird die Überlastung der klammen Justiz besonders deutlich. Den Gerichten fehlen die Mittel und das Personal, um trickreich verschleierte Vermögenslagen aufzuklären und komplizierte Geldflüsse nachzuvollziehen. Sie sehen sich dabei Angeklagten gegenüber, die über bestens bezahlte und bestens ausgebildete Anwälte verfügen, die dem Gericht mit langwieriger und anstrengender Konfliktverteidigung drohen.
Anstatt nun aber den Gerichten finanziell unter die Arme zu greifen, verführen Sie die Richterinnen und Richter, mit den Angeklagten Handel zu treiben. Der Angeklagte gesteht, sodass sich die Richter die Mühseligkeit einer langen und konfliktreichen Verhandlung ersparen können.
Als Gegenleistung einigt man sich mit dem Angeklagten auf eine Strafe, die dieser für angemessen hält. Ich wiederhole: Das Strafgesetzbuch ist kein Handelsgesetzbuch.
Wer Banken mit einer Feuerwaffe ausraubt und ohne großen Aufwand überführt werden kann, den trifft die volle Härte des Gesetzes. Wenn der Chef derselben Bank aber mit dem Computer trickreich und damit kompliziert seine Kunden betrügt, wird das Gericht künftig mit dem Herrn beraten, welche Strafe ihm denn genehm wäre.
Wohin dieser Weg führt, den Sie jetzt beschließen wollen, können Sie einer Online-Darstellung eines bekannten Strafverteidigers aus Essen entnehmen, der so für sich und um seine Mandanten wirbt. Ich zitiere aus diesem Werbeschreiben eines Strafverteidigers. Darin heißt es:
Sie haben einen Prozess vor dem Amtsgericht, Schöffengericht oder Landgericht. Dann werden Sie erleben, dass ich schon vor der Hauptverhandlung einen Deal mit der Staatsanwaltschaft und dem Gericht abstimmen kann. Dieser Deal dient einem optimalen Ergebnis für Ihr Verfahren.
Bedenken Sie, dass Richter und Verteidiger die gleiche Sprache sprechen und sich häufig aus anderen Verfahren kennen. Dieses Vertrauensverhältnis führt dazu, dass eine gute Gesprächsbasis für Ihren Prozess geschaffen wird.
- Ich karikiere nicht. Das ist wörtlich im Internet nachzulesen.
Strafprozesse werden heute oft außerhalb vom Gerichtssaal geklärt. Absprachen gehören zum Alltag.
Der Grund hierfür ist recht simpel zu erklären. Die Staatsanwaltschaften sind dermaßen überlastet, dass sie froh sind, wenn ihnen ein Verteidiger ein vernünftiges Angebot macht. Sie können damit diese Akte schließen und sich der nächsten widmen. So einfach kann das sein. Der Strafprozess wird zum Geben und Nehmen.
Das Gleiche gilt für die Hauptverhandlung: Richter wollen ein schnelles Verfahren. Ein geständiger Angeklagter ist die Voraussetzung für eine schnelle Verfahrensbeendigung. Im Gegenzug muss das Gericht bzw. die Staatsanwaltschaft aber auch etwas in die Waagschale legen.
Dies erfolgt meist in der Form, dass ein mildes Urteil in Aussicht gestellt wird. ? Manchmal kann der Angeklagte ein Schnäppchen machen.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Der Kollege Dr. Matthias Miersch ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion.
Dr. Matthias Miersch (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg eine allgemeine Bemerkung: Herr Kollege Kauder, Sie haben den Minister Schäuble hier als Garanten für die innere Sicherheit dargestellt.
Ich nehme für die SPD-Fraktion und vor allen Dingen für unsere Justizministerin in Anspruch, dass wir die Kraft sind, die in dieser Großen Koalition innere Sicherheit, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit miteinander verbinden will.
Ich glaube, man muss an mehreren Stellen doch ein bisschen auf die Praxis verweisen. Meines Erachtens ist es eine Stärke des Rechtsausschusses - ich bin erst seit dieser Legislaturperiode Mitglied des Rechtsausschusses -,
dass ihm tatsächlich viele Praktiker angehören, nämlich Staatsanwälte, Richter und Rechtsanwälte. Insofern wundert es mich schon, Herr Kollege Montag - vielleicht machen wir einmal eine Strafverteidigung zusammen -,
dass Sie ein so schlechtes Bild von unserer Berufszunft haben. Wenn Sie glauben, angesichts der Kronzeugenregelung würde die erste Mandantenberatung mit der Frage beginnen, ob der Mandant uns ein anderes Verfahren offenbart, dann haben Sie sich, glaube ich, relativ weit von der aktiven Verteidigung entfernt.
Ich glaube, dass es zu vernünftigen Regelungen und zu einer größeren Transparenz kommt.
Im Übrigen, Herr Kollege Ne¨kovic, Sie haben zum Thema Deal eine Internetseite eines Anwalts zitiert. Ja, das, was einer der Berufskollegen dort macht, ist zu kritisieren. Aber man muss doch sagen: Gerade das, was Sie hier zitiert haben, muss Anlass dafür sein, eine solche Regelung des Deals klar und transparent ins Gesetz zu schreiben.
Ich weiß es; denn ich nehme regelmäßig an Strafverteidigertagen teil. Ich verfolge die Reden sehr aufmerksam. Aber machen wir uns nichts vor: All das, was an der Regelung zur Verständigung kritisiert wird, ist alltägliche Gerichtspraxis.
Es ist auch nicht von Nachteil, weil jeder der Beteiligten, die im Übrigen zustimmen müssen, sehr genau abwägen kann, ob das, worüber man sich verständigen soll, ein adäquates, ein angemessenes Ergebnis ist. Insofern finde ich es völlig falsch und denke, es geht an der Praxis vorbei, wenn man hier Unrechtmäßigkeit etc. unterstellt. Das Gegenteil ist der Fall. Durch diese Regelung werden Sicherheit und Transparenz geschaffen.
Mir war es ganz wichtig, dass vor allen Dingen die Verbindung mit dem Rechtsmittelverzicht aufgelöst und nicht Gegenstand der Regelung ist, weil dadurch ein Druckmittel vorhanden wäre, das unter Umständen tatsächlich zu kritisieren gewesen wäre. Insofern, glaube ich, ist das eine sehr gute Regelung.
Eine andere Frage, die heute mehrfach angesprochen wurde, stößt auf die Kritik der Bundesländer. Es geht darum - aus meiner Sicht ist dies ein Meilenschritt -, jemandem in Untersuchungshaft schnell einen Verteidiger zur Verfügung zu stellen. Ich habe ein Schreiben des niedersächsischen Justizministers erhalten. Er schreibt, dass es keine Begründung dafür gibt. Er befürchtet eine hohe monetäre Belastung der Länder.
Ich war als Strafverteidiger an einem Projekt in Göttingen beteiligt und kenne die Ergebnisse einer Studie in Hessen, die über drei Jahre untersucht hat, was die frühzeitige Beiordnung eines Verteidigers bedeutet. Ich rate jedem, vor allen Dingen den Länderministern, sich diese Studien sehr genau anzusehen. Die Untersuchungshaft verkürzt sich dadurch um durchschnittlich bis zu 60 Tage. Wenn man bedenkt, dass den Ländern pro Hafttag 100 Euro aufgebürdet werden, ist jeder Tag, der vermieden wird, ein Pluspunkt.
Es ist auch ein Pluspunkt für mehr Rechtsstaatlichkeit, weil es um den gravierendsten Eingriff geht, den unser Rechtssystem vorsieht. Die frühzeitige Beiordnung eines Verteidigers ermöglicht es, in kürzester Zeit beispielsweise das familiäre Umfeld zu ergründen, Therapieeinrichtungen zu kontaktieren, das Strafverfahren und einen Haftprüfungstermin richtig und ordnungsgemäß vorzubereiten. Das heißt, die frühzeitige Beiordnung führt auch zur Verfahrensverkürzung. Insofern gibt es nicht nur ein monetäres Argument, sondern auch ein gewichtiges rechtsstaatliches Argument, das diesen Meilenschritt heute rechtfertigt.
Ein anderes Thema, das die Länder genauso betrifft, ist die Entschädigung der Opfer von Strafverfolgungsmaßnahmen. In der Debatte darüber herrschte 20 Jahre lang Ebbe. Der Kollege Kauder und die Bundesjustizministerin haben die Länder aufgefordert bzw. gebeten, dazu Vorschläge zu machen. Ich glaube, es ist ein Schritt,
dass wir es nach 20 Jahren schaffen, die Entschädigung auf das Doppelte anzuheben. Aber ich habe auch großes Verständnis für all diejenigen, die sagen, dass wir weiter daran basteln müssen.
Der niedersächsische Justizminister hat auch dazu einen Brief geschrieben. Er schreibt, es sei abstrus, an Forderungen in Höhe von 100 Euro zu denken, unabhängig davon, dass eine Angemessenheit wahrscheinlich nie erreicht wird. Das, was mit einer Inhaftierung verbunden ist, können sich sicherlich nur diejenigen richtig vorstellen, die einmal in dieser Situation gewesen sind.
Ich finde es vernünftig, ins europäische Ausland zu schauen und die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Rate zu ziehen. Ich habe bei mir im Wahlkreis eine Gruppe, eine Initiative, die sich mit dieser Frage intensiv beschäftigt und auch die Fälle des europäischen Auslands untersucht hat.
Ich denke, wir sollten die Vorschläge aus Berlin, die der Grünen und die der FDP nicht einfach zu den Akten legen.
Es macht Sinn, heute den vorliegenden Gesetzentwurf als ersten Schritt zu verabschieden; denn er ist die Voraussetzung, um überhaupt voranzukommen. Wir sollten aber auch überlegen, ob man eventuell auch andere Bemessungskriterien anwendet, vom Strafvorwurf bis zur Dauer der Inhaftierung.
Ich lade Sie ein, in der nächsten Legislaturperiode, in der wir hoffentlich wieder im Rechtsausschuss Politik machen können, diese Frage gemeinsam mit uns anzugehen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Norbert Geis ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
Norbert Geis (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zweifellos ist in der jetzt zu Ende gehenden Legislaturperiode auf dem Gebiet der Rechtspolitik sehr viel geleistet worden. An dieser Stelle ist ein Dank angebracht: an die Bundesjustizministerin, an die Beamten im Bundesjustizministerium, vor allem aber an die Kolleginnen und Kollegen im Rechtsausschuss. Hier ist viel Arbeit geleistet worden; das muss man auch einmal vor der Öffentlichkeit kundtun. Dafür herzlichen Dank!
- Auch die Opposition hätte an dieser Stelle ruhig klatschen können.
- Danke schön.
Ich möchte zu vier Punkten Stellung nehmen: zur Kronzeugenregelung, zum Deal, zum Thema Terrorcamps und zur Untersuchungshaft.
- Das werde ich morgen tun, Herr Kollege. Ich bitte Sie aber schon jetzt, sich die Ohren zu putzen.
Lassen Sie mich jetzt ein wichtiges Thema ansprechen. Die Kronzeugenregelung - das haben wir heute Morgen schon gehört - ist im Jahre 1999 ausgelaufen. Das war ein Fehler. Hier bin ich anderer Auffassung als Sie, Herr Montag, und als Sie, Herrn van Essen, auch wenn ich Ihre Meinung sehr schätze, weil Sie einige sehr wichtige Argumente angeführt haben.
Ich bin der Auffassung, dass die Kronzeugenregelung einen wesentlichen Beitrag zum Schutz unserer Rechtsordnung und zum Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger leisten kann.
Lassen Sie mich kurz auf die Gründe zu sprechen kommen. Welche Aufgaben hat das Strafrecht? Die wichtigste Aufgabe des Strafrechts ist, die Rechtsordnung zu schützen und den Leuten klarzumachen: Wer gegen ein Gesetz verstößt, der muss mit Strafe rechnen. - Es hat also, wie wir alle wissen, auch eine präventive Bedeutung.
Wenn es angesichts der Beweislage aber unmöglich ist, ein Verbrechen aufzudecken und die Täter vor Gericht zu bringen, damit sie abgeurteilt werden, dann verliert das Strafrecht an Kraft. Dem wollen wir mit der Kronzeugenregelung entgegenwirken.
Wir alle wissen, in welchen Fällen die Kronzeugenregelung in der Regel greift, nämlich bei Wirtschaftsverbrechen, in Fällen der organisierten Kriminalität und im Zusammenhang mit Terrorvereinigungen. Solche Terrorvereinigungen kapseln sich bekanntlich sehr stark ab und haben einen konspirativen Charakter. Es ist kaum möglich, in sie einzudringen. Außerdem ist es völlig ausgeschlossen, dort einen verdeckten Ermittler einzuschleusen. Aus diesen Gründen ist es nicht gerade leicht, ihre Strukturen aufzubrechen.
Wir alle wissen auch, warum beispielsweise die Strukturen der Mafia in Italien aufgebrochen werden konnten, nämlich deshalb, weil sich aus der Mitte der Mafia Zeugen gefunden haben, die über die Strukturen und die Hintermänner ausgesagt haben. Ein solches Verhalten wollen wir mithilfe der Kronzeugenregelung erreichen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?
Norbert Geis (CDU/CSU):
Ja, bitte.
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege Geis, Sie haben erwähnt, dass die Dauer der Prozesse in Wirtschaftsstrafverfahren und ähnlichen Verfahren verkürzt werden könne und darauf hingewiesen, dass die Kronzeugenregelung in solchen Fällen zur Anwendung kommen könne. Aus der Praxis wissen wir - um das festzustellen, muss man nur täglich Zeitung lesen -, dass es in Wirtschaftsstrafverfahren und ähnlichen Verfahren auch heute schon, ohne dass die Kronzeugenregelung gilt, ständig zu solchen Deals kommt.
Vorhin ist schon zutreffend auf die eigentliche Bedeutung der Kronzeugenregelung hingewiesen worden, die darin liegt, dass auch Mörder - ich betone: Mörder - in den Genuss kommen können, dass ihre Strafe in erheblichem Umfang gesenkt wird, und zwar bis auf zehn Jahre Freiheitsstrafe. Als die Kronzeugenregelung unter Rot-Grün ausgelaufen ist, waren die Einzigen, die dies bedauert haben und sich nach der Kronzeugenregelung zurückgesehnt haben, Mörder, die auf die Möglichkeit eines solchen Deals gewartet haben.
Halten Sie es für richtig, dass diese Regelung, die eigentlich nur für diesen Fall etwas Besonderes bringt und notwendig ist, so ins Gesetz aufgenommen wird? Für die ganzen anderen Fälle brauchen Sie sie nicht.
Diese werden schon heute nach § 46 Abs. 2 des Strafgesetzbuches, nach dem das Nachtatverhalten strafmildernd berücksichtigt werden kann, verhandelt.
Norbert Geis (CDU/CSU):
Herr Ströbele, zunächst einmal unterscheide ich natürlich zwischen einem Deal bei Wirtschaftsstrafsachen und der Kronzeugenregelung. Bei der weltweiten kriminellen wirtschaftlichen Tätigkeit der Wirtschaftsgilde - so würde ich fast sagen, weil man schlecht davon sprechen kann, dass es eine Vereinigung ist - ist schon auch ein starkes konspiratives Element vorhanden. Deswegen brauchen wir auch für diesen Bereich die Kronzeugenregelung. Wir brauchen sie aber noch viel mehr für die Bereiche Terror und organisierte Kriminalität. Die Kronzeugenregelung ist ein vorzügliches Instrument, um in diesen Bereichen tätig zu werden.
Nun zur Frage, die Sie gestellt haben, ob es richtig ist, dass dann auch ein Mörder mit einer geringeren Strafe davonkommt. Wir haben in den Gesetzentwurf geschrieben: ?nicht unter zehn Jahren?. Das ist ja schon einmal ein Vorbehalt. Insofern wird Ihr Aspekt berücksichtigt.
Sie müssen aber bedenken, dass wir keinen Kronzeugen bekommen, wenn wir keine Anreize bieten. Durch die Rechtsordnung müssen auch Anreize geboten werden, um die Rechtsordnung zu schützen. Deswegen verteidige ich es auch, dass selbst ein Mörder besser davonkommt, wenn er Strukturen aufdeckt und damit hilft, neue Straftaten zu verhindern. Darum geht es uns. Es geht uns um den Schutz der Menschen.
Dies sind uns die Abstriche im Rahmen der Strafverfolgung wert.
Kommen wir zum Deal. Es ist heute hier schon oft genug gesagt worden, welche Bedeutung der Deal hat. Der Deal ist ein Instrument, das im Strafverfahren laufend gebraucht wird, und er ist notwendig geworden. Es ist richtig, dass er jetzt gesetzlich geregelt wird, damit das letztendlich keinen Willkürcharakter hat, wonach ihn der eine bekommt und der andere nicht. Dem haftet ein gewisser Hautgout an. Deswegen ist es richtig, dass wir das heute gesetzlich regeln. Das ist ja auch in zwei wichtigen Entscheidungen des BGH gefordert worden. Die letzte stammt aus 2005, in der er noch einmal eine gesetzliche Regelung gefordert hat. Deswegen wollen wir den Deal, der gängige Praxis ist, gesetzlich regeln.
Die Frage ist allerdings - damit habe ich mich schwergetan -, ob man das Geständnis des Täters nicht doch braucht. Wie will ich einen solchen Deal überhaupt verantworten, wenn der Täter keinen reinen Tisch macht? Das hätte ich schon verlangt. Dazu hat man sich im Kompromiss aber nicht durchringen können, wenn ich das so sagen darf. Trotzdem nehme ich diese gesetzliche Regelung so an, wie sie ist.
- Doch, es ist leider so, wie ich sage.
Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen will, sind die Terrorcamps. Natürlich ist schon vieles zur Bekämpfung des Terrorismus gesagt worden. Das ist ein Ungeheuer, das unsere ganze Zivilisation bedroht. Wir müssen uns dazu in der Rechtsordnung einiges einfallen lassen. Es geht nicht an, dass wir an diesem Ungeheuer vorbeiblicken oder versuchen, hindurchzublicken. Es bedroht uns mit aller Gewalt. Deswegen glaube ich, dass es notwendig ist, auch die Täter zu finden und ihrer habhaft zu werden, die sich in solchen islamistischen Terrorcamps ausbilden lassen wollen.
Es wird aber sehr schwierig sein. Wenn Sie sich die gesetzliche Regelung genau durchlesen, dann stellen Sie fest, dass sie so kompliziert ist, dass es in der Praxis sehr schwierig sein wird, sie überhaupt justiziabel zu halten,
weil ich glaube, dass es so, wie sie jetzt gestaltet ist, schwierig sein wird, den Beweis anzutreten.
Ich bin der Auffassung - Herr van Essen, das wird Ihnen jetzt nicht gefallen -, dass schon die Teilnahme an einem solchen Terrorcamp strafbar sein müsste.
Denn alles andere ist einfach zu schwierig, und wir würden in der täglichen Praxis nicht weiterkommen.
Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zur Untersuchungshaft. Es ist zwar richtig - das begrüße ich uneingeschränkt -, dass der freie Bürger oder die freie Bürgerin, die in Untersuchungshaft geraten - dabei gilt zunächst die Unschuldsvermutung -, einen Pflichtverteidiger haben müssen, wenn sie nicht so betucht sind wie andere, die sofort einen Verteidiger bestellen können. Das scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein.
Allerdings weise ich darauf hin, dass in der jüngsten Vergangenheit die Zahl der Verurteilungen von Untersuchungshäftlingen deutlich zurückgegangen ist, auch ohne Bestellung eines Pflichtverteidigers.
Außerdem erfolgt die Anordnung der Untersuchungshaft - auch das darf man nicht übersehen, Herr Danckert -
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Geis.
Norbert Geis (CDU/CSU):
- in der Regel nur dann, wenn ein Tatverdacht auf eine schwere Straftat vorliegt oder Fluchtgefahr gegeben ist. Das wird auch dann der Fall sein, wenn ein Pflichtverteidiger bestellt wird.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Geis.
Norbert Geis (CDU/CSU):
Dennoch ist es richtig - schon aufgrund des Prinzips der Gleichbehandlung -, dass wir eine Regelung treffen, wie sie in unserem Gesetzentwurf vorgesehen ist.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Joachim Stünker für die SPD-Fraktion.
Joachim Stünker (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, am Ende dieser sehr lebhaften rechtspolitischen Debatte und auch am Ende dieser Legislaturperiode kann man eine Lehre ziehen: Rechtspolitik darf man nicht mit ideologischen Scheuklappen machen. Diejenigen, die Rechtspolitik mit ideologischen Scheuklappen betreiben, leben in einer anderen Welt und kommen dann zu solchen Reden - es tut mir leid, das festzustellen -, wie Sie sie gehalten haben, Herr Kollege Montag, und auch Sie, Herr Kollege Ne¨kovic.
- Herr Kollege Ne¨kovic, wenn Sie mir vorhalten, ich würde heucheln, dann muss ich Ihnen sagen - jetzt muss ich vorsichtig sein, dass ich keinen Ordnungsruf bekomme -: An Heuchelei sind Sie nicht zu überbieten.
Bei der Rechtspolitik muss man zunächst einmal auch die Rechtswirklichkeit in den Blick nehmen. Mit den Gesetzentwürfen, die wir heute beraten, schreiben wir rechtspolitische Geschichte. Die Regelungen, die wir heute beschließen, werden irgendwann in die Geschichte eingehen. Denn es geht überwiegend um Fragen im Strafrecht und Strafprozessrecht, die über Jahrzehnte streitig waren, die diskutiert worden sind. Dies bringen wir heute zu einem Abschluss.
Von daher muss ich, der ich mich fast ein ganzes Leben lang auf verschiedenen Ebenen mit dem Recht befasst habe, feststellen, dass heute ein guter Tag ist. Ich bin stolz darauf, dass wir diese Regelungen verabschieden.
Ich will kurz auf die einzelnen Punkte eingehen. Der erste Punkt ist die Untersuchungshaft. Ich bin als junger Richter 1981 in das Bundesministerium der Justiz abgeordnet worden - es war nur ein kurzes Gastspiel -, als die Untersuchungshaft neu geregelt werden sollte. Es sollte ein Untersuchungshaftgesetzbuch erarbeitet werden. Ich bin nach einem Dreivierteljahr wieder gegangen, weil ich gemerkt habe, dass niemand das wirklich machen wollte. Es war nicht möglich, das zwischen Bund und Ländern abzustimmen.
Heute schaffen wir vor dem Hintergrund der neuen föderalen Zuständigkeiten - das ist richtig - eine Regelung, mit der wir eine Frage lösen, die auch lange streitig war, indem wir festlegen, dass jeder Beschuldigte an dem Tag, an dem ihm ein Haftbefehl zugestellt wird, einen Pflichtverteidiger bekommt. Das ist ein Riesenschritt für die Waffengleichheit im Strafprozess.
Ich appelliere an die Länder, in dieser Frage nicht dem Versuch zu erliegen, ein Verfahren im Vermittlungsausschuss anzustreben. Es wäre nicht gut, wenn wir die Gewährung rechtsstaatlicher Grundsätze sozusagen nur von finanziellen Voraussetzungen abhängig machen würden. Davor kann ich nur warnen.
Der zweite Punkt ist die Kronzeugenregelung. Mit den vorliegenden Regelungen entscheiden wir einen 20 Jahre alten Streit. Es ist bereits an die alten Regelungen erinnert worden. Seitens der Länder wurde auch jetzt wieder der Wunsch erhoben, eine bereichsspezifische Regelung mit einzelnen Tatbeständen zu schaffen. Das haben wir Sozialdemokraten immer abgelehnt, und deshalb ist die alte Regelung seinerzeit unter Rot-Grün ausgelaufen. Heute schaffen wir eine Strafzumessungsregelung. Das ist ein riesiger Unterschied. Das hat etwas mit Rechtsstaatlichkeit zu tun. Herr Kollege Montag, das Bild vom deutschen Strafprozess, das Sie hier gezeichnet haben, mag auf bayerische Amtsgerichte zutreffen, gibt aber nicht die Wirklichkeit in deutschen Landen wieder.
Wir schaffen nämlich eine Regelung, die in der Revision überprüfbar ist, weil das Gericht in seinem Urteil die Strafzumessung begründen muss. Es muss darlegen, auf welchem Weg es zu dieser Strafzumessung gekommen ist, es muss vor dem Hintergrund dessen, was der Angeklagte als Kronzeuge ausgesagt hat, eine angemessene Gewichtung darlegen. Ein Kronzeuge für einen Ladendiebstahl kann keine Strafmilderung für ein Vergewaltigungsdelikt erhalten, wie es hier teilweise erzählt worden ist. Das Ganze wird justiziabel und kann in der Revision überprüft werden.
Zum nächsten Punkt - das bekämpfen Sie immer, Herr Kollege Montag; ich glaube, Sie haben es nicht verstanden -:
Wir sagen, der Kronzeuge muss sein Wissen vor Eröffnung des Hauptverfahrens kundtun, im Zwischenverfahren.
- Nein, das ist genau das Richtige, um Missbrauch einzudämmen!
Da wird nämlich klar: Er kann nicht in der Hauptverhandlung plötzlich äußern, er wisse da aber etwas, was sich hinterher als falsch herausstellt. Es muss einer sein, der wirklich aus Überzeugung sagt: Ich räume hier auf, ich mache Schluss mit meiner kriminellen Vergangenheit, und darum will ich euch dies und das erzählen,
um so - sozusagen als Beginn der Resozialisierung - ein neues Leben anzufangen.
Mit dieser Regelung wird die Kronzeugenregelung auf ganz wenige, wirklich schwerwiegende Fälle beschränkt. Dies wird also nicht die allgemeine Praxis im Strafprozess in Deutschland sein. An dieser Stelle haben wir also eine rechtsstaatliche Regelung mit hoher Hürde getroffen.
Lassen Sie mich einen Satz zur Verständigung im Strafprozess sagen. Das Wort Deal mag ich nicht; das mag daran liegen, dass ich 25 Jahre meines Lebens als Richter gearbeitet habe. Ich habe nie gedealt; ich habe viele Verständigungen getroffen. Herr Kollege Ne¨kovic und auch andere tun immer so, als sei dies die Folge davon, dass die Strafjustiz so überlastet sei
und die Länder auf diesem Gebiet ihren Aufgaben nicht nachkämen. Sicherlich ist etwas daran, dass die Strafjustiz überlastet ist; das ist gar nicht zu bestreiten.
Ich habe es in der ersten Lesung schon gesagt, wiederhole es heute jedoch: Die Verständigung im Strafprozess ist das Ergebnis einer anderen Kultur im Strafprozess. Als ich im Jahre 1975 als junger Richter als Beisitzer in eine Große Strafkammer kam, wurde dort so verhandelt: Vorn saß das Gericht, überhöht, da vorne tanzten ein paar Figuren herum, da wurden Zeugenvernehmungen durchgeführt, der Angeklagte wurde befragt. Der Vorsitzende machte das nach einem streng formalen Verfahren, keiner verzog eine Miene, keiner sagte, was er von dem ganzen Ding hielt, und zum Schluss kam ein Urteil heraus, angesichts dessen der arme Angeklagte gar nicht wusste, was ihm geschehen war.
Dann kam eine andere Kultur in den Strafprozess hinein, nämlich die Kultur des Gesprächs. Sicherlich hat meine Generation mit dazu beigetragen - sowohl Richter als auch Strafverteidiger -, dass es dort zu Veränderungen gekommen ist. In diesem Zusammenhang kam man dann auch zu Absprachen. Das ist der Hintergrund gewesen, nicht die angebliche Ressourcenknappheit in der Justiz.
Dass dies selbstverständlich auch zu Missbrauch geführt hat, ist menschlich und stellt die andere Seite dar. Um genau diesen Missbrauch auszuschließen, Grenzen einzuziehen und Regeln zu setzen, verabschieden wir jetzt dieses Gesetz: für mehr Rechtsstaatlichkeit, für mehr Transparenz und dafür, dass das Ganze revisionsrechtlich überprüft werden kann.
Es tut mir leid, Herr Kollege Ne¨kovic: Ich bin immer noch davon überzeugt, dass in der Bundesrepublik Deutschland die Gewaltenteilung funktioniert. Sie funktioniert gut, aber nicht aus Ihrem ideologischen Blickwinkel.
Letzte Anmerkung, Herr Präsident; ich bin gleich damit fertig. Ich muss noch zwei, drei Sätze zu den Terrorcamps sagen dürfen, weil behauptet wurde, das Ganze sei Gesinnungsstrafrecht und Ähnliches.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen doch alle, dass wir diese Tatbestände für einen ganz eng begrenzten Kreis von Straftätern definieren. Wir wissen, Herr Kollege van Essen, weil wir die Dienste haben, dass unter uns Menschen leben, die deutsche Staatsbürger sind, aber trotzdem im Ausland in entsprechenden Einrichtungen gewesen sind, um sich ausbilden zu lassen und anschließend in diesem Land schwere Anschläge durchzuführen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Joachim Stünker (SPD):
Aber wir können nach geltendem Recht nichts dagegen tun; das ist das Problem. Deshalb handeln wir hochverantwortlich, wenn wir diese Regelung, die bei genauer Betrachtung rechtsstaatlich sehr eng gefasst ist, heute verabschieden.
Auch ich bedanke mich für vier Jahre hervorragende Rechtspolitik. Man könnte noch viele andere Bereiche nennen. Ich bin sicher: Die Große Koalition wird im Gegensatz zu dem, was Herr Kilger gesagt haben soll, in die Geschichte eingehen.
Wir haben in der Rechtspolitik sehr viel erreicht.
Schönen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich schließe die Aussprache.
Tagesordnungspunkt 4 a. Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Strafzumessung bei Aufklärungs- und Präventionshilfe. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13094, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6268 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen.
und Schlussabstimmung. Ich darf diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, bitten, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit der Mehrheit der Stimmen der Koalition angenommen.
Tagesordnungspunkt 4 b. Hier geht es um die Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13095, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12310 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer diesem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen.
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist dieser Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Weiterhin Tagesordnungspunkt 4 b. Jetzt geht es um die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zum von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13095, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/11736 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Das ist einvernehmlich so beschlossen.
Wir stimmen über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Absprachen im Strafverfahren ab. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf der genannten Drucksache, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 16/4197 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt 4 c. Wir stimmen nun über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten ab. Unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Rechtsausschuss auf Drucksache 16/13145, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12428 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer dieser Beschlussempfehlung folgt und dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen.
und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmt, den bitte ich, sich von den Plätzen zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Wir stimmen über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu dem von den Fraktionen von CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten ab. Hier empfiehlt der Rechtsausschuss unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13145, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/11735 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? - Ist jemand anderer Meinung oder will sich enthalten? - Diese Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Wir stimmen über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Aufenthalts in terroristischen Ausbildungslagern ab. Hier empfiehlt der Rechtsausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf der genannten Drucksache, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 16/7958 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt die weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt 4 d. Wir stimmen über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen ab. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13096, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 16/12321 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung mehrheitlich angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustimmen will, den bitte ich, sich von den Plätzen zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist der Gesetzentwurf mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.
Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen ab. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf der genannten Drucksache, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 16/11434 abzulehnen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mehrheitlich abgelehnt. Damit entfällt die weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt 4 e. Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 16/13096 fort. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der FDP-Fraktion auf Drucksache 16/10614 mit dem Titel ?Angemessene Haftentschädigung für Justizopfer sicherstellen? abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Diese Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Tagesordnungspunkt 4 f. Wir stimmen nun über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Untersuchungshaftrechts ab. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13097, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksache 16/11644 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen.
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Damit können wir diesen umfangreichen Tagesordnungspunkt abschließen. Ich bedanke mich für die Mitwirkung.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 g auf:
5. a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Finanzmarktstabilisierung
- Drucksache 16/13156 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. h. c. Jürgen Koppelin, Frank Schäffler, Jens Ackermann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Schließung kreditwirtschaftlicher Aufsichtslücken
- Drucksache 16/12884 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Florian Toncar, Dr. h. c. Jürgen Koppelin, Otto Fricke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle von Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung
- Drucksache 16/12885 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
d) Erste Beratung des von den Abgeordneten Rainer Brüderle, Florian Toncar, Frank Schäffler, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen Enteignungen
- Drucksache 16/12904 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss
Federführung strittig
e) Erste Beratung des von den Abgeordneten Florian Toncar, Frank Schäffler, Jens Ackermann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Wettbewerbskonformität von Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzmarktes
- Drucksache 16/12996 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
f) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Otto Fricke, Rainer Brüderle, Jens Ackermann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung der Sozialisierung
- Drucksache 16/3301 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)
- Drucksache 16/7729 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Philipp Mißfelder
g) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Zeil, Rainer Brüderle, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Mittelstandsförderung sichern - ERP-Vermögen aus der KfW-Bankengruppe herauslösen
- Drucksachen 16/8928, 16/11630 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Herbert Schui
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll diese Aussprache eine Stunde dauern. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann können wir das so vereinbaren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile mit der Bitte, dass diejenigen, die diesem Tagesordnungspunkt nicht mehr folgen können oder wollen, ihre Gespräche außerhalb des Plenarsaals fortsetzen, als erstem Redner dem Kollegen Carsten Schneider für die SPD-Fraktion das Wort.
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Rheinland und das Oderbruch haben etwas Leidvolles gemeinsam. Jedes Jahr aufs Neue besteht die Gefahr eines Hochwassers. Das ist prinzipiell bekannt. Deswegen gibt es dort Dämme, Überflutungsgebiete, ausreichend Sandsäcke und einen gut vorbereiteten Katastrophenschutz. Trotzdem kann es zu Hochwasserkatastrophen kommen. Die erste Pflicht des Staates ist es dann, den Betroffenen mit allen Kräften rasch und effektiv zu helfen. Dafür ist er da, und daran zweifelt hoffentlich niemand.
Die internationale Finanzkrise hatte mehrere Ursachen. Die meisten waren bekannt, aber sie wurden unterschätzt. Es gab keine ausreichenden Dämme und keine Flutungsbecken, vor allem nicht im angloamerikanischen Raum. Die Dynamik und Entwicklung der Krise aber wurden von allen stark unterschätzt. Stichworte sind: der Zusammenbruch von sechs Investmentbanken, 62 Hedgefonds, die Insolvenz von Lehman Brothers, der Interbankenmarkt, toxische Papiere - alles Namen und Begriffe, die mittlerweile geläufig sind, es vor der Krise aber wahrscheinlich nicht waren -, die Zahlungsunfähigkeit eines Staates, nämlich Islands, andere Staaten, die auf der Kippe stehen, zum Beispiel die Ukraine oder die Staaten im baltischen Raum. Mit diesen Begriffen kann man die Auswirkungen der internationalen Finanzkrise beschreiben, einer Finanzkrise, die auch heute noch mit ihren Auswirkungen auf das Wachstum der Wirtschaft in der ganzen Welt und vor allen Dingen - durch unsere starke Exportabhängigkeit - in Deutschland zu spüren ist.
Wir haben in einem ersten Schritt im Oktober des letzten Jahres mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz erste Dämme eingezogen. Sie haben gewirkt: Das Finanzsystem hat sich zunächst stabilisiert. Keiner braucht mehr Angst um seine Spareinlagen zu haben. Der Zahlungsverkehr funktioniert wieder. Die Kreditversorgung, zumindest nach den aktuellen Zahlen der Bundesbank, ist noch in ausreichendem Maße sichergestellt.
Nichtsdestotrotz gibt es einige erkennbare Probleme - darauf gehe ich noch ein -, die mit der hier vorgelegten Novelle des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes aufgegriffen werden. Nicht nur toxische Wertpapiere von Unternehmen sind von einem schlechten Rating betroffen; vielmehr sind mittlerweile selbst die Kurse von Staatsanleihen gefallen. Das hat zur Folge, dass die Eigenkapitalbasis der Banken zunehmend mehr eingeschränkt wird und damit die notwendige Kreditvergabe schwieriger wird, wenn es an einer starken Eigenkapitalunterlegung fehlt.
Daher hat die Bundesregierung einen Entwurf vorgelegt - wir als Fraktion übernehmen ihn und bringen ihn heute hier ein -, der auf diese Fragen eine notwendige Antwort gibt. Uns als Fraktion waren dabei drei Punkte besonders wichtig:
Erstens. Es soll keine zentrale Bad Bank für schlechte Papiere geben, sondern jedes Institut ist für die Auslagerung und in letzter Konsequenz für die Verluste selbst verantwortlich.
Zweitens. Es fließen keine weiteren Steuergelder oder zusätzliche Staatsgarantien über das hinaus, was wir bereits im Oktober 2008 beschlossen haben.
Drittens. Am Ende der Laufzeit dieser Zweckgesellschaften - das ist sehr technisch; umgangssprachlich werden sie ?Bad Banks? genannt, man kann aber auch Rekonstruktionsbanken sagen - zahlen die Alteigentümer, das heißt die Aktionäre, nicht die Steuerzahler. Das ist für meine Fraktion ein entscheidender Punkt.
Nicht nur die privaten Banken sind betroffen. Auch bei den Landesbanken gibt es erkennbare strukturelle Probleme. Ich habe manchmal den Eindruck, dass es bei den Eigentümern, in diesem Fall den Sparkassen, die das Problem zum Teil erkannt haben, aber vor allen Dingen bei den Ministerpräsidenten der Länder wie mit den drei Affen ist: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Man versucht schon seit einem Jahr, damit durchzukommen, aber das wird nicht weiter funktionieren.
Wenn wir die Regelungen im Gesetzentwurf in Bezug auf die Landesbanken im parlamentarischen Verfahren noch ändern sollten - ich sehe dafür die Notwendigkeit, weil das System, so wie es jetzt ist, in seiner Struktur nicht überlebensfähig ist -, erwarte ich ein klares Konzept seitens der Eigentümer und damit der Länder zu einer Neuaufstellung, das heißt einer Rekonstruktion des Landesbankensektors. Anderenfalls wird meiner Fraktion eine Zustimmung sehr schwerfallen oder nicht möglich sein.
Die Vertreter der anderen Fraktionen werden sich zum Gesetzentwurf und Bad Banks ja noch äußern. Was ich bisher öffentlich von der Linken zu diesem Problem gehört habe, läuft darauf hinaus, dass sie eine Staatsbank gründen und alles selber machen wollen. Dieses System hatten wir schon bis 1990. Das hat nicht funktioniert. Ich glaube, diesen Ansatz kann man ad acta legen. Das gilt auch für den Vorschlag der FDP, zu dem man sagen muss: Dort, wo die FDP nach Markt schreit, schreit der Markt nach dem Staat, zumindest nach Teilverstaatlichung. Banker, die eine Teilverstaatlichung fordern, hätte ich mir vorher nicht vorstellen können.
Unser Ziel bleibt ein stabiler Finanzmarkt. Wir wollen kein drittes oder viertes Konjunkturpaket - hier haben wir genügend Maßnahmen ergriffen -, sondern wir wollen - das ist zwingend notwendig - den Geldfluss wieder in Gang bringen. Ich will klar sagen, dass ich noch Bedenken habe, ob die Regelungen in unserem Gesetzentwurf ausreichend sind, um die Einsicht der Banker in die Notwendigkeit dieser Regelungen herbeizuführen. Ich erwarte, dass das Angebot, das wir als Staat machen, angenommen wird. Ich erwarte, dass nicht wieder Eigenkapitalrenditen von 25 Prozent hinausposaunt werden, die im Zweifel nichts weiter als Zahlen auf dem Papier sind, aber der Realität nicht standhalten, mit der Folge, dass am Ende die Kreditversorgung für den Mittelständler, also für den kleinen Unternehmer, aber auch für den großen Unternehmer auf der Strecke bleibt. Das kann und darf nicht sein.
Dafür werden wir im parlamentarischen Verfahren zu sorgen haben.
Die bisherigen Maßnahmen greifen durchaus. In Anbetracht des ersten Halbjahres der Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung bleibt aber eines aufzugreifen: das Problem der Rekapitalisierung von Banken. Banken brauchen Eigenkapital, um Kredite vergeben zu können. Das Eigenkapital wird aber durch Wertberichtigungen und die schlechtere wirtschaftliche Entwicklung aufgezehrt.
An dieser Stelle sehe ich die Notwendigkeit, das Eigenkapital der Banken deutlich aufzustocken; wir werden zum gesamten Themenkomplex, unter anderem auch zu diesem Punkt, eine Anhörung durchführen. Die Banken dürfen sich das Geld gern am Markt holen, das heißt Aktien ausgeben. Sollte dies nicht möglich sein, muss der Staat an dieser Stelle - wir haben noch bestehende Mittel in Höhe von 60 Milliarden Euro - stärker aktiv werden. Im Zweifel müssen wir - so machen es die Engländer und die Amerikaner - den Banken das Geld aufdrängen,
damit an die Wirtschaft Kredite zu vertretbaren Konditionen vergeben werden können. Die EZB senkt zwar immerzu den Leitzins, allerdings habe ich den Eindruck, dass dies bei den Unternehmen nicht so richtig ankommt. Auch das kann nicht sein.
Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, der für meine Fraktion sehr wichtig ist. Der Gesetzentwurf greift viele unserer Bedenken auf, zum Beispiel die Frage: Wird der Steuerzahler belastet oder nicht? Er wird nicht belastet. Es verbleibt aber ein Restrisiko. Das Restrisiko ist die Insolvenz einer Bank. In dem Falle würden wir, als Vertreter der Bürger, auf den Kosten sitzen bleiben. Das will ich nicht. Das gilt es zu verhindern, indem wir eine Restrisikoumlage einführen. Unsere Partei bzw. unsere Fraktion haben sich bereits auf dem Parteitag im Oktober dafür ausgesprochen.
Jeder Finanzmarktakteur profitiert davon, wenn der Staat einen soliden Finanzmarkt garantiert: die Sparkassen, die Genossenschaften und auch die Großbanken. Es profitieren nicht nur diejenigen, die Mittel in Anspruch nehmen, sondern alle, weil Vertrauen geschaffen wird.
Wenn eine Bank zusammenbricht, kommt es zu einem Dominoeffekt, der zu Ausfällen und Verlusten führt. Dieses Restrisiko darf daher nicht vom Steuerzahler, also der Allgemeinheit, getragen werden. Es muss eine Restrisikoumlage eingeführt werden, die von allen Marktteilnehmern bezahlt wird und das Restrisiko abschirmt.
Das ist systemgerecht und ordnungspolitisch sauber, was auch vom Bundesbankpräsidenten bestätigt wurde. Das wäre somit eine gelungene Vervollständigung des Gesetzentwurfs. Ich hoffe, dass wir uns darauf verständigen können.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Florian Toncar von der FDP-Fraktion.
Florian Toncar (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der heute von den Koalitionsfraktionen vorgelegte Gesetzentwurf wurde in guter Absicht erstellt. Es geht zu Recht darum, die Vertrauenskrise im Bankensektor einzudämmen. Wenn dies nicht gelingt, wird sich die allgemeine Wirtschaftskrise, die den Alltag der Menschen in Deutschland immer stärker bestimmt, verlängern. Es geht darum, sicherzustellen, dass Unternehmen in Deutschland wieder Kredite zu vernünftigen Konditionen erhalten und dass Investitionen sowie Arbeitsplätze finanziert und gesichert werden. Dies gilt insbesondere für den Mittelstand, der besonders unter der Krise leidet.
Es ist zugegebenermaßen eine komplexe Aufgabe, sicherzustellen, dass die Bilanzen von Banken bereinigt werden und gleichzeitig die Risiken für den Steuerzahler begrenzt werden. Es ist nicht leicht, dies miteinander zu vereinbaren. Ich bin durchaus der Meinung, dass man diesen Gesetzentwurf schneller hätte erarbeiten können. Viele Banken haben ihre Papiere heute schon abgeschrieben. Das Eigenkapital dieser Banken ist stark belastet, was sich in den Kreditkonditionen niederschlägt; der Herr Kollege Schneider hat das soeben angesprochen. Die Leitzinsen sind niedrig, aber die Kreditkonditionen haben sich dramatisch verschärft. All das hat mit dem Kapitalschwund vieler Banken zu tun. Deswegen ist es zu spät, diesen Gesetzentwurf erst heute zu beraten.
Man hätte seit Ende 2008 mit Hochdruck an diesem Gesetzentwurf arbeiten müssen.
Die ersten Experten haben sich in diesem Zeitraum gemeldet. Es war aber vermutlich Sand im Getriebe der Koalition, der dazu geführt hat, dass es erst jetzt passiert. Es war sogar so, dass die Bundesregierung von ihren eigenen Institutionen dazu gedrängt werden musste. Die Bundesbank hat angefangen, an Vorschlägen zu arbeiten, weil nichts passiert ist. Der SoFFin, die KfW und auch die BaFin haben plötzlich angefangen, eigene Ideen zu entwickeln. Daher kann man sagen, dass dieses Vorhaben politisch leider zu spät angegangen worden ist. Die Bundesregierung ist hier von ihren eigenen Institutionen getrieben worden. Deswegen tragen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, ein gutes Stück der Verantwortung für diesen Zeitverzug.
Das Modell steht allen deutschen Banken offen. Aber es ist kein Geheimnis, dass es einige gibt, die ganz besonders darauf angewiesen sind, ihre Bilanzen bereinigen zu können. Ich spreche von den staatlichen Banken, von den Landesbanken, die in massiven Problemen stecken. Dieses Gesetz ist faktisch als Rettungsanker gerade für die staatlichen Banken gedacht; sie haben das größte Interesse daran.
Aber jedem ist auch klar - der Bundesregierung ebenfalls -, dass der Gesetzentwurf noch geändert werden muss, damit die Landesbanken ihre Bilanzen tatsächlich bereinigen können. Er passt noch nicht so richtig auf die öffentlich-rechtlichen Banken. Das heißt, was heute vorliegt, ist noch gar nicht das Konzept für diejenigen, die die größte Hilfe brauchen, die am dringendsten Hilfe benötigen. Insofern besteht noch kein Grund zum Feiern; es ist allenfalls ein Einstieg in die Lösung des Bewertungs-, des Bilanzierungsproblems bei den Landesbanken.
Niemand verlangt von der Bundesregierung Unmögliches, etwa dass sie die Länder zwingt, sich insoweit vernünftiger zu verhalten und auf eine Konsolidierung der Landesbanken hinzuarbeiten. Ein Gesetz wie das vorliegende sollte aber schon genutzt werden, um Druck auszuüben, um den Druck zu erhöhen, damit in die Landesbanken wirklich wieder Nachhaltigkeit einzieht und ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell entwickelt wird.
Es ist leicht, Nachbarn mit starken Worten zu beschimpfen. Ich würde mir wünschen, dass man einmal dort Klartext spricht, wo die Missstände am größten sind: gegenüber den Ministerpräsidenten, gegenüber den Ländern. Sonst besteht das systemische Risiko an unserem eigenen Finanzplatz weiter und wird uns noch lange Sorgen bereiten.
Die FDP wird den vorgelegten Entwurf prüfen. Wenn er wirksam ist, wenn damit die Probleme bei den staatlichen Banken ernsthaft angegangen werden, werden wir uns überlegen, zuzustimmen.
Ich möchte noch auf eine der Vorlagen der FDP eingehen. Sicherlich sind alle sehr diskussionswürdig, aber ein Gesetzentwurf ist mir ganz besonders wichtig. Es geht um das Thema ?Parlamentarische Kontrolle?. Was die Informationspolitik der Bundesregierung angeht, so gibt es Defizite, die aus den verschiedensten Fraktionen heraus, auch aus den Regierungsfraktionen heraus, schon heute beklagt werden. Wenn der Koalitionsentwurf so beschlossen wird, wenn diese Zweckgesellschaften eingerichtet werden, dann - das muss uns klar sein - wird der Sonderfonds neben dem Bundeshaushalt noch mindestens weitere 20 Jahre bestehen; das ist garantiert. Er wird nicht vorher liquidiert werden können. Das heißt, mit diesem Gesetzentwurf ist die Verlängerung des Sonderfonds, des zweiten Haushalts, vorprogrammiert. Im Übrigen erhöhen sich die Risiken durch diese Garantien beträchtlich. Die Risiken bei den Zweckgesellschaften sind höher als die Risiken, die durch Garantien herkömmlicher Art bisher eingegangen worden sind.
Ich glaube, dass das Parlament darauf reagieren muss. Wir schlagen in unserem Gesetzentwurf vor, die parlamentarischen Kontrollrechte klarzustellen und auszuweiten. Dieses Anliegen sollte uns alle einen. Wir sind an diesem Punkt gesprächsbereit, erwarten aber, dass das Parlament mit diesem Gesetzentwurf - damit ist die Verlängerung der Laufzeit des SoFFin um mindestens 20 weitere Jahre verbunden - auch seine eigenen Mitwirkungsrechte stärkt.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Steffen Kampeter von der CDU/CSU-Fraktion.
Steffen Kampeter (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vertrauen ist ein zentraler Schlüssel zu wirtschaftlichem Wachstum. An beidem mangelt es leider in der deutschen Wirtschaft zum gegenwärtigen Zeitpunkt.
Vertrauen wiederherzustellen, in einer befristeten Maßnahme durch den Staat, ist das Gebot der Stunde. Wir müssen alles daransetzen, dass man im Finanzsystem untereinander wieder Vertrauen fasst und dass die Bürgerinnen und Bürger wieder Vertrauen in das finanzielle System fassen.
Wir sind angesichts der Rezession und der Finanzkrise in den vergangenen Monaten entschlossene Schritte gegangen, um dieses Vertrauen aufzubauen. Am Anfang stand das Sparbuch. Wir erinnern uns kaum noch daran: Die Garantie der Bundeskanzlerin für die Spareinlagen war nicht nur finanziell wichtig; sie war auch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Signal dafür, dass wir uns zuvorderst um diejenigen kümmern, die ihr Erspartes gesichert sehen wollen. Erst dann, in einem zweiten Schritt, haben wir uns unter dem Stichwort Finanzmarktstabilisierung an das herangewagt, was gemeinhin als ?Bankenrettung? bezeichnet wird.
Diese Bezeichnung ?Bankenrettung? führt aber ein bisschen vom Kern unserer Politik weg. Unsere Politik ist nämlich vor allen Dingen Bürgerrettung; denn jeder ist auf ein funktionsfähiges Finanzdienstleistungssystem angewiesen - der Handwerker, was die Bezahlung seiner Rechnung angeht, oder die Rentnerin bzw. der Rentner, was die Auszahlung der Rente angeht.
Diese Politik ist im Kern auch Mittelstandsförderung. Insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen sind auf diese Dienstleistung angewiesen; ohne diese könnten sie nicht existieren. Deswegen ist das eine Politik nicht nur für die großen, sondern auch für die kleinen und mittleren wirtschaftlichen Akteure,
und in diesem Sinne letztendlich auch eine Politik der Arbeitsplatzsicherung.
Finanzmarktstabilisierung ist Arbeitsplatzsicherung. Die Große Depression in den 30er-Jahren und das damit einhergehende Bankensterben haben zu Massenarbeitslosigkeit geführt. Unsere Politik führt dazu, dass die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise gemildert werden. Von daher ist sie gelebte soziale Marktwirtschaft und in diesem Sinne ein guter Beitrag der unionsgeführten Bundesregierung zum wirtschaftlichen Fortkommen Deutschlands.
Wenn wir auf die letzten Wochen und Monate zurückschauen, können wir feststellen: Diese Politik ist auch erfolgreich. Anders als in anderen Ländern ist keine einzige Finanzinstitution in Deutschland gezwungen worden, ihre Türen zu schließen. Das verloren gegangene Vertrauen der Banken untereinander wird schrittweise wieder aufgebaut - für die Techniker: Der Interbankenhandel kommt wieder in Gang; sein Volumen nimmt zu. Der Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung beraten, setzt auf eine qualitative Fortentwicklung dieser notwendigen und erfolgreichen Politik, die im vergangenen Winterhalbjahr unter Mitwirkung des Bundestages, insbesondere des Haushaltsausschusses, innerhalb einer einzigen Woche konsequent umgesetzt worden ist.
Bei dieser Bankenpolitik gibt es zwischen folgenden drei Aspekten einen inneren Zusammenhang: Es geht einmal um die Stabilisierung des Bankensystems; zum Zweiten geht es um den Schutz des Steuerzahlers vor Lasten, die er eigentlich nicht tragen muss; drittens geht es um Wachstumsförderung.
Der vorliegende Gesetzentwurf zielt im Kern darauf ab, das Problem des Bilanzschrotts in den Bankbilanzen zu lösen. Wie ein Krebsgeschwür hat es sich dort hineingefressen, das Vertrauen der Banken untereinander gefährdet und ihr Eigenkapital ausgezehrt. Dass sie deshalb immer weniger Kredite vergeben, ist nicht in unserem Interesse. Deshalb müssen wir dieses Problem lösen. Vor allen Dingen müssen wir es besser lösen als die Amerikaner, die zwar viel Geld der Steuerzahler ausgegeben haben, um diese Papiere aufzukaufen, aber kein positives Ergebnis erzielt haben, oder als die Engländer, die die Risiken versichert haben.
Die deutsche Lösung beruht im Kern auf der Eigentümerverantwortung; die Eigentümer der Banken haften für den Bilanzschrott. Bei maximaler Schonung des Steuerzahlers geben wir den Banken die Möglichkeit, entsprechende Papiere in eine Zweckgesellschaft auszulagern. Dafür werden staatlich garantierte Papiere in die Bilanzen eingestellt. Letztendlich findet also ein Aktivtausch statt. Das entspricht einem Vorschlag, den ich in die Debatte eingeführt habe, und orientiert sich am Grundgedanken der Ausgleichsforderung.
Zentral ist es, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass der Bilanzschrott auf Dauer aus den Bilanzen herausgenommen und damit das Problem gelöst wird - fachsprachlich: Ein echter Abgang muss erfolgen. Letztlich tragen damit die Aktionäre über die nächsten Jahre die Verluste aus den Papieren. Das ist eine Lösung im Sinne der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, weil deutlich wird, wer eigentlich die Verantwortung trägt. Für diese Lösung gibt es sehr viele englische Begriffe. Ich halte sie für wenig zielführend. Ich möchte lieber von einer Beiboot-Lösung sprechen, und zwar in dem Sinne, dass die Banken ein Beiboot zu Wasser lassen, das ihnen zeitweilig hilft, dass das eigentliche Schiff wieder in stabile Lage kommt und Fahrt aufnehmen kann. Erst wenn die ins Beiboot ausgelagerten Probleme abgearbeitet sind, wird dieses von den Banken wieder eingeholt. Die Eigentümerverantwortung ist also das zentrale Anliegen bei dieser Beiboot-Lösung und damit dieses Gesetzentwurfes.
Kollege Schneider hat vorhin ein weiteres Problem angesprochen, ein Problem, das im Gesetzentwurf noch nicht geregelt ist, aber für uns ein drängendes Problem ist: die Landesbanken. Hierzu will ich die Position der Unionsfraktion deutlich machen.
Landesbanken sind ein unverzichtbarer Bestandteil der Mittelstandsfinanzierung. Ihre Eigentümerstruktur stellt sich ja so dar: Eigentümer sind nicht nur die Länder, sondern auch die Sparkassen. Wer die Landesbanken nun aus politischen Gründen im Stich lässt, gefährdet eine zentrale Säule der Kreditfinanzierung des Mittelstands und ist mitverantwortlich für eine mögliche Ausweitung der Arbeitslosigkeit.
Das ist der politische Ausgangspunkt dieser Debatte über die Landesbanken.
Außerdem möchte ich deutlich machen, dass die Beiboot-Lösung auch eine Option für die Lösung der Probleme der Landesbanken ist. Auch sie können einen Teil ihrer Papiere abwracken.
Es gibt aber einen weiteren Bereich, für den derzeit noch eine gesetzgeberische Lösung fehlt. Diese wollen wir im Laufe dieses Verfahrens finden. Dafür wird sich die Unionsfraktion einsetzen. Wir lassen den Mittelstand und die Sparkassen mit der Kreditfinanzierung nicht im Stich. Wir wollen eine Lösung innerhalb dieses Gesetzes.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Kampeter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke?
Steffen Kampeter (CDU/CSU):
Selbstverständlich.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Bitte, Herr Fricke.
Otto Fricke (FDP):
Herr Kampeter, mir fehlt ein klares Bekenntnis. Ich stimme vollkommen zu, dass wir die Finanzierung des Mittelstandes sichern müssen und dass hier die Sparkassen und auch die Landesbanken eine Rolle spielen. Mich interessiert Folgendes: Wer bleibt dann nach Meinung der CDU/CSU in der Haftung für den Schrott, den die Landesbanken haben? Sind Sie der Meinung, dass sich die Eigentümer aus der Haftung herausnehmen können, indem der Steuerzahler an anderer Stelle - beispielsweise über Kapitalerhöhungen - den Sparkassen hilft, oder bleibt es dabei, dass diejenigen in der Haftung sind, die bisher Eigentümer sind?
Steffen Kampeter (CDU/CSU):
Der Grundgedanke all unserer Überlegungen zur Bankenrettung ist, dass die Eigentümer für das verantwortlich sind, was in ihren Banken passiert ist. Wenn ich auf die Landesbanken abziele, dann sind die Adressaten einer Lösung selbstverständlich die Eigentümer der Banken.
Dass war beispielsweise im Fall von Nordrhein-Westfalen der Fall, wo sich die Landschaftsverbände, das Land und die Sparkassen sehr kooperativ zeigen.
Das gilt auch für viele andere Bereiche. Es kann keine Lösung geben, an der sich die Eigentümer der Landesbank nicht beteiligen. Das ist die Position der Unionsfraktion. Das muss man in aller Klarheit sagen.
Ich will hinzufügen, Herr Kollege Fricke, dass dadurch, dass wir eine Debatte über die Landesbanken angefangen haben, Bewegung in die Szenerie gekommen ist. Heute lesen wir in den Zeitungen über das Angebot der Sparkassen, enger zusammenarbeiten zu wollen. Das wurde bisher immer infrage gestellt. Manche sprechen jetzt von einer Strukturreform. Wir als Unionsfraktion sind für diese Debatte offen. Wir sind für das eine oder andere Reformmodell durchaus zu haben. Wenn dies so präzise und so konkret von den Ländern, von den Eigentümern der Landesbanken und damit auch der Sparkassen, eingebracht wird, dann bin ich zuversichtlich, dass die Bedenken hinsichtlich einer Lösung des Landesbankenproblems, die es noch in Teilen der SPD-Fraktion gibt, ausgeräumt werden können. Dies ist im Interesse unseres Landes. Daran wollen wir als Unionsfraktion nicht nur mit einzelnen Regelungen, sondern mit dem Gesetzentwurf insgesamt beitragen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Barbara Höll von der Fraktion Die Linke.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nichts hören, nichts sehen, nichts oder nur die Hälfte sagen - so agieren Sie von der Koalition, Herr Schneider. So werden Sie kein Vertrauen schaffen; denn nur wer sich seiner Verantwortung stellt und aus seinen eigenen Fehlern lernt, ist überhaupt befähigt, das Richtige zu tun.
Sie machen immer nur so weiter. Das ist grob fahrlässiges Verhalten.
Gerade die deutsche Politik ist in hohem Maße für die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise verantwortlich.
Sie haben die Deregulierung der Finanzmärkte massiv vorangetrieben. Um einige Beispiele zu nennen: Erstens. 2004 wurden unter Rot-Grün die Hedgefonds in Deutschland zugelassen.
- Sie haben sie erstmals in gering regulierter Form zugelassen.
Zweitens. Sie haben jahrelang nichts, aber auch gar nichts gegen Steueroasen getan.
Drittens haben Sie durch die Zulassung von Zweckgesellschaften überhaupt erst die Möglichkeit geschaffen, dass Banken in einer solchen Art und Weise agieren konnten.
Die Bankenaufsicht, Herr Sanio, erklärte uns, dass sie zum Beispiel bei der Sachsen LB Manndeckung hatten. Alle waren dann völlig überrascht, dass es eine solche Katastrophe gab.
Es fragt sich, warum Landesbanken und Sparkassen so agiert haben. Das ist ein zweiter großer Verantwortungsbereich, dem Sie sich endlich stellen müssten. Sie haben die Steuerbasis der Kommunen und Länder immer weiter nach unten getrieben. Durch die Steuerreformen ist es seit 1999 bei Kommunen und Ländern zu massiven Steuerausfällen gekommen.
Das ist die Realität.
Allein durch die im Rahmen der Unternehmensteuerreform 1999/2000 durchgeführte Senkung der Körperschaftsteuersätze kam es zu jährlichen Ausfällen von rund 10 Milliarden Euro für die Länder und Kommunen.
Natürlich bekamen die Landesfinanzminister Dollarzeichen in den Augen wie Dagobert Duck, als sie die Möglichkeit sahen, zum Beispiel durch Gründung einer Zweckgesellschaft in Irland solch hohe Renditen zu erzielen. Sie aber haben diesen Druck erzeugt. Dem müssten Sie sich endlich stellen.
Wenn man sich vor Augen hält, dass der Anteil der Landesbanken und anderer deutscher Banken wie zum Beispiel der Dresdner Bank an den Hochzins-/Hochrisikofinanzinstrumenten in den USA 2007 - zu einem Zeitpunkt, als sich amerikanische Banken aus diesem Geschäft schon wieder schrittweise zurückzogen - 15 Prozent betrug, erkennt man: In Erwartung hoher Renditen investierten deutsche Unternehmen in die risikoreichsten und zweifelhaftesten Adressen der Wall Street. Die Realität ist: Sie haben sie dorthin getrieben.
Herr Steinbrück erklärte noch im September 2008: Die Krise ist eine amerikanische und wird uns nicht so interessieren. Frau Merkel verkündet jetzt: Aus der Krise werden wir gestärkt hervorgehen. - Wie denn, wenn Sie nicht bereit sind, aus Ihren Fehlern zu lernen?
Jetzt muss eine Stärkung des Kreditsektors das Ziel sein, um ihn überhaupt wieder funktionsfähig zu machen. Die Firmen klagen über extreme Schwierigkeiten bei der Kreditversorgung. Ein aktuelles Beispiel ist Karstadt; Karstadt hat Schwierigkeiten, überhaupt eine Kreditlinie zu bekommen. Es braucht eine Klärung der Eigenkapitalprobleme der Banken; denn die toxischen Papiere fressen die Eigenkapitalbasis der Banken auf, sodass sie keine Kredite mehr vergeben können. Aber wie kann man verhindern, dass am Ende die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler dafür zahlen müssen? Legen die Banken endlich offen, welche toxischen Papiere ihre Bilanzen belasten? Sind Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, bereit, die Finanzmärkte zu regulieren? Wenn man sich ansieht, was Regierungskoalition und Regierung machen, muss man leider sagen: Getan wird viel zu wenig, fast nichts. Auch das heute vorgelegte Modell ist eine Mogelpackung.
Erstens. Wir werden mit einer Teillösung nicht weiterkommen. Eine Teillösung schafft nicht automatisch Vertrauen; denn es bleibt ein Rest in den Bilanzen. Wir wissen noch immer nicht, wie groß dieser Rest ist. Einen Zwang zur Offenlegung, welche toxischen Papiere die Bilanzen belasten, gibt es nicht; das wird den Banken überlassen. Jeder, der staatliche Unterstützung wie Hartz IV beziehen will, muss sich de facto vor dem Amt ausziehen. Die Banken bekommen Garantien und Geld, ohne dass von ihnen Derartiges verlangt wird. Es ist eine Unverschämtheit, wie Sie mit dem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger umgehen.
Ein Zwang zur Offenlegung ist notwendig. Wir können die Bewertung der Papiere doch nicht den Banken überlassen. Das ist doch wohl unsere Pflicht und Aufgabe.
Zweitens. Die EZB hat den Leitzins kontinuierlich gesenkt; er liegt derzeit bei 1 Prozent. Was tun die Banken? Geben sie die Zinssenkung an die Wirtschaft, an die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die Kredite brauchen, weiter? Nein. Die Kreditzinsen für Unternehmen liegen derzeit bei 6 bis 7 Prozent, und der Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken hat vor kurzem verkündet, dass sie absehbar noch steigen werden. Die Banken geben die Senkung des Leitzinses also nicht weiter. Das ist nicht hinnehmbar.
Drittens. Der Handel mit toxischen und faulen Papieren läuft weiter. Letztendlich tun Sie nichts dagegen. Ihr Agieren bei der Commerzbank spricht eine eindeutige Sprache. Wir als Linke haben Sie gefragt - ich zitiere aus unserer Kleinen Anfrage -:
Werden sich die Vertreter der Bundesregierung im Aufsichtsrat dafür einsetzen, die Aktivitäten der Bank hinsichtlich der unter den Fragen 8. und 9. benannten Themen kritisch zu überprüfen und ggf. zu korrigieren?
Es geht dabei um Steuerhinterziehung, um das Agieren der Commerzbank in verschiedenen Steueroasen, so zum Beispiel Andorra, den Cayman-Inseln, Liechtenstein, Luxemburg, Malta und Singapur. Was antwortet die Regierung?
Die auf Veranlassung des Bundes gewählten oder entsandten Aufsichtsratsmitglieder erfüllen ihre Aufgabe im Rahmen der einschlägigen Vorschriften und im Interesse des Unternehmens.
Ich dachte, die sollen die Interessen der Bürgerinnen und Bürger vertreten und nicht die Interessen des Unternehmens.
Wir sagen Ihnen: Was Sie uns vorgelegt haben, wird die Krise nicht beheben. Es werden nur Teillösungen angestrebt; das funktioniert nicht. Wir haben Ihnen viele Dinge, die jetzt passiert sind, vorausgesagt; doch Sie wollten nicht hören. Es wäre jetzt an der Zeit, dass Sie die Ohren öffnen, um zu hören, nachdenken und dann entsprechend agieren.
Das schwedische Modell hat gezeigt, dass es funktionieren kann. Aber es hat nur funktioniert, weil die Banken verstaatlicht wurden.
Nur dadurch, dass die systemrelevanten Großbanken verstaatlicht werden, ist überhaupt eine demokratische Kontrolle möglich.
Nur so wird es gelingen, dass die Banken ihre Geschäftstätigkeit auf das zurückführen, wofür sie gegründet wurden: Abwicklung des Zahlungsverkehrs, Verwaltung der Einlagen und Sparguthaben, kostengünstige und flächendeckende Versorgung der Realwirtschaft.
Ich danke Ihnen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Alexander Bonde vom Bündnis 90/Die Grünen.
Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben in diesen Wochen ein besonderes Schauspiel: Überall dort, wo sich große Aufgaben stellen, verkündet die Koalition eine Lösung, und im Wochentakt wird an dieser Lösung nachgebessert. Wir sehen es am Bundeshaushalt. Hier wurde uns gerade der zweite Nachtrag vorgelegt.
Heute haben wir die erste Lesung des zweiten Nachtrages zum Finanzmarktstabilisierungsgesetz. Sie haben dieses Gesetz schon neulich nachbessern müssen. Ihre Ursprungslogik war, uns Steuerzahler in eine milliardenschwere Erpressungssituation im Zusammenhang mit Herrn Flowers und anderen im Rahmen der Hypo Real Estate hineinzutreiben. Heute schlagen Sie uns vor, nachzubessern, weil in Ihrer ursprünglichen Konzeption nicht vorgesehen war, wie mit Schrottpapieren umzugehen ist; denn Sie hatten geglaubt, dass Sie mit einem - für die Banken sehr schönen - Verfahren über Bürgschaften durchkommen werden. Die nächste Nachbesserung ist schon angekündigt; denn Sie können bis heute nicht sagen, wie es bei den Landesbanken weitergeht. Selbst bei der Frage der Bad Bank - wir alle wissen, dass es hierbei vor allem um die Landesbanken geht - ist diese Koalition nicht in der Lage, für die Landesbanken einen Weg aufzuzeigen.
Das Ganze macht deutlich, dass Sie, auch wenn die Notwendigkeit zur Verabschiedung eines Pakets zur Bankenrettung unbestritten ist, mit der falschen Logik an die Sache herangehen. Das holt Sie jetzt bei jedem einzelnen Schritt ein, den Sie im Rahmen Ihrer Nachbesserungen machen.
Ein zentraler Strickfehler ist bis heute, dass es an Transparenz fehlt. Als Parlament werden wir mit der Einstufung ?Geheim? unterrichtet - wenn überhaupt. Der Bevölkerung lassen Sie bis heute keine Chance, zu erkennen, wer am Ende von den Rettungsschirmen in Milliardenhöhe profitiert.
Jetzt wird bekannt, welche Bank welche Bürgschaft bekommt. Aber das Spannende ist doch: Wer sind insgesamt die Profiteure der Rettung, die die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler finanzieren?
Ich will es einmal benennen: Die Deutsche Bank bzw. Herr Ackermann wären vielleicht etwas weniger aufgeblasen gewesen, wenn bekannt wäre, wie sehr die Deutsche Bank von den Rettungsmaßnahmen indirekt profitiert
und an welchen Stellen der Wert ihrer Anteile und ausstehende Zahlungen und Kredite gerettet worden sind.
Jetzt ist dies per se nicht illegitim, weil auch die Deutsche Bank Bestandteil des Finanzmarktes ist. Aber ich glaube, dass in der Frage, wer die Profiteure sind, ein höheres Maß an Ehrlichkeit nötig ist. Sie sind bis heute nicht bereit, dementsprechend vorzugehen.
Die Selbstentmachtung des Parlaments in der Bankenrettung, die wir zunehmend erleben, ist offensichtlich. Ich kann Sie von der Koalition nur auffordern, den unhaltbaren Zustand zu beenden, dass das Kernrecht des Parlamentes, nämlich das Haushaltsrecht, im Zusammenhang mit der Entscheidung, ein Paket von 480 Milliarden Euro zu verabschieden, völlig ausgehebelt ist. In dem diesbezüglichen Entwurf der Bundesregierung sind wieder keine zusätzlichen Parlamentsrechte vorgesehen. Ich möchte Sie wirklich auffordern, diesen Zustand zu beenden. Es ist mit der Ehre eines Parlamentes nicht vereinbar, der Bundesregierung - da kann man ihr noch so sehr vertrauen - Blankoschecks auszustellen. Ich appelliere an Ihr Gewissen und an Ihre Ehre als Parlamentarier, diesen unhaltbaren Zustand zu beenden.
Zum Thema ?Bad Banks?. Man kann viel darüber diskutieren. Wir glauben, dass man die Situation schon im Herbst hätte angehen müssen. Ich glaube, dass wir heute besser dastünden, wenn wir den Weg einer intelligenten Teilverstaatlichung gegangen wären und nicht den Weg, den Sie gegangen sind. Es geht nicht darum, Banken unbedingt zu verstaatlichen, sondern darum, Sicherheiten für die Bürgerinnen und Bürger zu schaffen und eine Rekapitalisierung auf Basis einer fairen Risikoabschätzung zu ermöglichen.
An dieser Stelle sind wir bei der Frage, welcher Logik man bei der Rettung von Banken folgt. Wenn im Zentrum steht, dass man Banken nicht um ihrer selbst willen rettet, sondern, um das System zu erhalten, dann muss man überlegen, ob es Sinn macht, die Banken zu fragen, wie sie gerne gerettet würden. Um es mit den Worten des Kollegen Kampeter zu sagen, der die toxischen Papiere mit Krebsgeschwüren verglichen hat: Ich kenne keinen Arzt, der das Krebsgeschwür interviewt und es fragt: Wie hätten Sie es denn gerne? Wäre Ihnen der komplette Abgang genehm?
So haben Sie Ihr Bad-Bank-Modell konstruiert.
Da Sie keine Bank zu einem Stresstest verpflichten wie in den USA, können Sie auch keine Bank verpflichten, bei einem negativen Ergebnis des Stresstestes eine Bad Bank zu konstruieren. Am Ende heißt das, dass viele Banken, die eigentlich eine solche Konstruktion bräuchten, keine Bad Bank gründen werden, weil sich das für die Bank betriebswirtschaftlich nicht rentiert. Folgt man der betriebswirtschaftlichen Logik, steht nämlich das Interesse des Aktionärs im Vordergrund und nicht die Erhaltung des volkswirtschaftlichen Systems.
Mit Ihrem Entwurf zur Ausgestaltung der Bad Banks sind Sie wieder einmal den Menschen auf den Leim gegangen, die der Meinung sind, dass Bankenrettung von Bankern oder zumindest von Anwälten, die für Banken arbeiten, gemacht werden muss. Das ist es, was wir kritisieren. Es ist notwendig, dass wir bei den toxischen Papieren vorankommen. Ich glaube aber, Sie befinden sich auf der falschen Spur und folgen der falschen Logik.
Ich glaube, die Teilnahme an einem solchen Modell muss für diejenigen Banken verbindlich sein, die einen Stresstest mit realistischen Risikoszenarien nicht bestehen.
Alles andere würde bedeuten, dass die Banken betriebswirtschaftliche Rettungsszenarien entwickeln, die zur Folge haben, dass genau die Kredite heruntergefahren werden, die der Mittelstand jetzt braucht. Das betrifft den Handwerker genauso, wie es die Frage berührt, wie die Innovationen, die wir heute insbesondere im Bereich der Umwelttechniken brauchen, finanziert werden. Wir alle wissen, dass der Aufschwung nur kommen kann, wenn wir in dieser Krise hochinnovative Produkte entwickeln und in zukünftige Märkte investieren. Genau das verhindern Sie aber mit Ihrer Strategie. Diese Strategie wird dazu führen, dass viele Banken ihre Kreditvolumina herunterfahren, weil sie bezüglich ihrer Eigenkapitalquote unter Druck stehen.
Das, was Sie hier machen, ist auch wirtschaftspolitisch falsch. Sie versuchen wieder einmal, mit einem möglichst geringen Einsatz eine harte Maßnahme zu verhindern. Am Ende wird das aber nur dazu führen, dass es nicht bei diesen Korrekturen am Gesetz bleibt, sondern Sie munter weiter korrigieren müssen.
Ihre Ansage, dass dieses Modell die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nichts kosten wird, ist längst überholt. Sie haben uns ja auch schon versprochen, dass der Haushalt bis 2011 ausgeglichen sein würde.
Insofern fürchte ich, dass Ihr Versprechen, dies würde den Steuerzahler nichts kosten, leider nichts wert ist.
Sie müssen in der Anhörung und im parlamentarischen Verfahren noch erheblich nacharbeiten. So leid es mir tut, aber diese Bad Bank ist auch ein Bad Law. Neben der schlechten Bank ist es also auch ein schlechtes Gesetz. Diese schlechte Gesetzgebung der Bundesregierung ist ein Problem, das wir als Parlament ausbaden müssen.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Für die Bundesregierung hat nun der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller das Wort.
Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Lage ist ernst. Deswegen verbietet es sich eigentlich auch für Oppositionsparteien, diese Debatte für billige Polemik zu nutzen.
Ich danke den Rednerinnen und Rednern von SPD und CDU/CSU, aber auch Herrn Toncar von der FDP für ihre Beiträge, die zeigen, dass wir darin übereinstimmen, dass die vergangenen Monate eindeutig gezeigt haben, dass die bisherigen staatlichen Rettungsmaßnahmen nicht ausreichen, dass wir mehr tun müssen.
Jetzt ist der Ton lauter. Allerdings ist mir eine Minute Redezeit verloren gegangen, Herr Präsident; vielleicht bekomme ich sie dazu.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Diese Minute können Sie gerne hinzubekommen. - Bitte schön.
Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen:
Ich habe gesagt: Die Lage ist zu ernst, als dass man seitens der Opposition, hier insbesondere von der Linken, die zum Teil verwirrt ist und verwirrende Argumente vorbringt und Behauptungen aufstellt, mit billiger Polemik arbeitet.
Wir von der SPD, der CDU/CSU und der FDP stimmen darin überein, dass die bisher ergriffenen Maßnahmen nicht ausreichen. Kollege Kampeter hat schon darauf hingewiesen, wie das Problem, das auf diesem Globus in einer völlig neuen Dramatik aufgetreten ist, weltweit angegangen wurde. Die Amerikaner haben versucht, zu einer Lösung zu kommen, die im Wesentlichen den Steuerzahler belastet, was nicht das Gelbe vom Ei ist. Die Briten haben es mit einer Versicherungslösung versucht; das hat nicht funktioniert.
Wir haben lange darüber nachgedacht und hatten am Schluss noch einen Zielkonflikt zu lösen. Wir wollten nämlich einerseits die Bilanzen der Banken entlasten, andererseits aber den Steuerzahler damit nicht belasten.
Um dieses Problem doch noch zu lösen, haben wir das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland eingeschaltet, das Verbesserungsvorschläge angebracht hat, die wir in den Gesetzentwurf eingearbeitet haben, den dankenswerterweise heute die Koalitionsfraktionen als Fraktionsinitiative einbringen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Kollege Bonde hat gefragt: Wer sind die Profiteure? Die Profiteure dieser Rettungsaktion sind
die Handwerker, die Häuslebauer,
die Selbstständigen, die Unternehmen.
Wir wollen mit unserem Modell im Interesse des Schutzes und des Erhalts der Arbeitsplätze den Geldkreislauf innerhalb der Bankenwirtschaft wieder in Gang setzen und neue vertrauensbildende Maßnahmen ergreifen.
Das Bad-Bank-Modell funktioniert in folgender Weise: Die bisher unterschiedlich wertberichtigten Papiere werden mit einem zusätzlichen Abschlag von 10 Prozent, den die Bank verkraften muss, in eine Zweckgesellschaft übertragen. Die Bank übernimmt eine Schuldverschreibung dieser Zweckgesellschaft, macht also einen Aktivtausch. Die verbrieften Rückzahlungsverpflichtungen der Zweckgesellschaft werden vom Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung garantiert. Die Garantie wirkt zugunsten der Bank, die die Schuldverschreibung erworben hat. Der Vorteil ist, dass die Bank diese Schuldverschreibung bei der Bundesbank zur Beschaffung neuen Geldes einreichen kann, was mit den ursprünglichen Wertpapieren nicht möglich war. Damit können wir Eigenkapital freisetzen, das für die Vergabe neuer Kredite an Häuslebauer, Unternehmen, Selbstständige und Handwerker dringend gebraucht wird. Das ermöglichen wir durch diese Maßnahmen.
Diese Garantie wird für die Banken allerdings nicht zum Nulltarif erhältlich sein. Die Bank muss mehrfach zahlen. Erstens muss sie für die übernommene Garantie eine Garantiegebühr an den SoFFin bezahlen. Sie muss zweitens einen Ausgleichsbetrag in gleichbleibenden Raten über die Garantielaufzeit von maximal 20 Jahren zahlen, der aus der Differenz zwischen dem um 10 Prozent reduzierten Buchwert und dem durch Sonderprüfer noch festzusetzenden vermuteten Endwert dieser Papiere, dem sogenannten Fundamentalwert bei Fälligkeit, ermittelt wird. Die Differenz muss auf der Zeitachse ausgeglichen werden. Drittens muss sie die Ausschüttungen an ihre Anteilseigner - bei Aktiengesellschaft also die Dividenden - sperren und an den Bund auskehren, falls der tatsächliche Marktwert bei Fälligkeit unter dem geschätzten Fundamentalwert liegen sollte. Insofern haben die Koalitionsfraktionen jetzt gemeinsam einen Vorschlag eingebracht, der den Steuerzahler maximal schützt.
Es ist auch über die Frage des Kollegen Toncar diskutiert worden: Wie steht es mit dem Konsolidierungsmodell? Richtig ist: Der SoFFin hat sich mit der Erarbeitung dieses Modells Verdienste erworben. Bei der Diskussion hat sich aber gezeigt, welche vielfältigen Fragen noch zu lösen sind, die noch in der Prüfung sind und auf die der SoFFin noch keine Antworten hat. Ich möchte nur ein Beispiel nennen: Es sollen ja nicht nur Risikopositionen ausgelagert werden, sondern auch Geschäftsfelder. Die Eigentümer müssen sich endlich dazu äußern, welche Geschäftsfelder sie auslagern wollen.
Wenn sie sich geäußert haben, welche Geschäftsfelder sie auslagern wollen, muss geklärt werden, bei wem die politische Verantwortung liegen soll. Ich möchte darauf hinweisen, dass mit manchen Geschäftsfeldern sehr viel Personal verbunden ist. Was geschieht dann mit dem Personal? Wer trägt am Schluss die politische Verantwortung dafür, was mit dem Personal zu geschehen hat?
All diese Fragen bedürfen einer vertieften Erörterung. Das kann man nicht so einfach aus dem Ärmel schütteln, Herr Kollege Toncar.
Wir sind dabei, mit den Ländern und den Sparkassen über die noch offenen Fragen zu diskutieren. Wir wollen Abwicklungsgesellschaften in der Rechtsform von Anstalten des öffentlichen Rechts gründen, auf die die Risikopositionen und ganze Geschäftsbereiche übertragen werden können.
Wir sind im Übrigen, Herr Kollege Kampeter, guten Willens, Ihnen die Lösungsvorschläge in der nächsten Zeit zu übermitteln,
damit Sie rechtzeitig vor der Schlussberatung im Haushaltausschuss über diese Lösungsvorschläge nicht nur nachdenken, sondern auch entscheiden können.
In diesem Sinne ?Glück auf!? für unser Vorhaben.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Carl-Ludwig Thiele von der FDP-Fraktion.
Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Staatssekretär, Sie haben es zu Recht angesprochen: Die Lage ist ernst. Es ist kein alltäglicher Vorgang, mit dem wir uns hier heute zu beschäftigen haben. Es sollte auch nicht zur Regel werden. Aber wenn die Notwendigkeit besteht, dann müssen wir uns im Parlament mit dem Problem so auseinandersetzen, wie es heute geschieht.
Die FDP hat im Interesse der Aufrechterhaltung des Finanzmarktes für die Bürger in unserem Land dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz zugestimmt. Die FDP ist allerdings der Auffassung, dass neben den kurzfristigen Löschaktionen in diesem Bereich auch die Frage nach der Verursachung der Brände zwingend gestellt werden muss. Denn im Zusammenhang mit der Frage, wer die Verantwortung trägt, ist gleichzeitig Vorsorge dafür zu treffen, dass so etwas nicht wieder geschehen kann.
Der Finanzsektor - das ist nicht jedem Bürger unseres Landes klar - ist der am stärksten regulierte und beaufsichtigte Bereich unserer Wirtschaft. Im Kreditwesengesetz sind klare Regelungen über die Liquidität und das Eigenkapital der Banken aufgestellt. Trotz dieser Regeln, trotz einer staatlichen Aufsicht durch die Bankenaufsicht und die Bundesbank und trotz einer Aufsicht durch das Bundesfinanzministerium ist unser Finanzsystem in eine Krise geraten, wie sie überhaupt nicht vorstellbar war. Deshalb handelt es sich hier aus unserer Sicht an erster Stelle um Staatsversagen.
Um es auch hinsichtlich der Landesbanken klarzustellen: Nach Auffassung der FDP sollte der Staat nicht Unternehmer sein. Es ist nicht die Aufgabe des Staates, private Banken wie die IKB oder Landesbanken zu führen, für deren Verluste in vielen Bundesländern der Steuerzahler einzustehen hat. Wir müssen uns wieder auf die Grundordnung besinnen. Der Staat sollte die Regeln setzen und Schiedsrichter sein, aber nicht Marktteilnehmer. Das sind Grundsätze, die uns die soziale Marktwirtschaft gelehrt hat und auf die wir zurückkommen müssen, damit die Wirtschaft wieder florieren kann.
Es ist nach wie vor ein Skandal, dass die Hypo Real Estate, die inzwischen über 100 Milliarden Euro staatlicher Gelder erhalten hat, überhaupt nicht der Bankenaufsicht unterlag. Dadurch kam es zu Problemen. Bis heute hat kein Mitglied der Bundesregierung erklärt, dass ein Fehler passiert sei oder dass man Verantwortung habe. Verantwortung in unserem Staat kann nicht so aussehen, dass die Repräsentanten des Staates, die in der Aufsicht, in der Verantwortung sind, sagen: Das ist jetzt alles so gelaufen, jetzt lasst uns nur nach vorne schauen. - Stattdessen müssen wir prüfen, was falsch gelaufen ist und wer die Verantwortung trägt. Die Verantwortlichen müssen klar benannt werden. An der Stelle erwarte ich immer noch ein Wort der Entschuldigung des Finanzministers für das Versagen der Finanzaufsicht, das unter seiner Ägide entstanden ist.
Das ist bis heute nicht erfolgt. Das ist ein Armutszeugnis von Verantwortung in unserem Land. Das ist nicht hinzunehmen.
Im Gesetz zur Fortentwicklung der Finanzmarktstabilisierung ist geregelt, dass die Banken ihre Schrottpapiere - so werden sie umgangssprachlich genannt - zum Buchwert minus 10 Prozent abgeben sollen. Diesem Buchwert soll ein Fundamentalwert gegenübergestellt werden. Hier stellt sich schon heute die Frage, ob es bilanztechnisch nicht so sein müsste, dass der Buchwert den Fundamentalwert bereits abbildet. Wenn das so wäre, dann gäbe es nämlich gar keinen Unterschied zwischen Buchwert und Fundamentalwert. Oder sind in den Buchwerten der Banken Werte abgebildet, die in Wirklichkeit schon gar nicht mehr zu erzielen wären? Hier sollte die Bankenaufsicht sehr vorsichtig sein; denn eigentlich dürfte das gar nicht sein.
Es gibt also noch viele offene Fragen, mit denen wir uns in einer Anhörung befassen müssen. Ein Gesetzentwurf liegt zwar vor. Ich gehe aber davon aus, dass er massiv verändert werden muss. Eines der Hauptprobleme in diesem Bereich sind die Landesbanken. Weil es unterschiedliche Landesbanken gibt, muss für sie eine Lösung gefunden werden, die institutsspezifisch ist.
Insofern stelle ich fest: Wenn man mit diesem Gesetz versuchen möchte, auf dem Finanzmarkt wieder etwas mehr Vertrauen zu schaffen, dann sollte es so formuliert werden, dass es auch angenommen werden kann. Ich habe Zweifel, ob private Banken angesichts der Bedingungen und Kautelen, die mit diesem Gesetz verbunden sind, überhaupt interessiert und in der Lage sein werden, dieses Gesetz anzunehmen, um wieder Kapital zu erhalten und das zu tun, was nötig ist: Kredite an den Mittelstand und die Wirtschaft insgesamt zu vergeben, damit unsere Wirtschaft wieder vorankommt, die Zahl der Arbeitsplätze steigt und die Zahl der Arbeitslosen sinkt.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Albert Rupprecht von der CDU/CSU-Fraktion.
Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere akute und äußerst dringende Aufgabe ist es, eine drohende Kreditklemme für Handwerk, Mittelstand und Industrie im Lande abzuwenden. Die Fähigkeit der Banken, Kredite zu vergeben, hängt entscheidend von der Eigenkapitalausstattung ab. Das Eigenkapital ist derzeit dreifach massiv unter Beschuss:
Erstens: Die Produkte in den Bilanzen verlieren tagtäglich weiter an Wert. Das wird auch so bleiben, solange unter anderem die Immobilienpreise in den USA fallen. Zum Zweiten: Durch die Wirtschaftskrise fallen Unternehmenskredite aus. Zum Dritten: Die Herabstufung durch Ratingagenturen zwingt Banken nach Basel II, mehr Eigenkapital zu hinterlegen. Weil Banken auf dem Kapitalmarkt derzeit aber kein Kapitel bekommen, bleibt ihnen letztendlich nur die Möglichkeit, die Kreditvergabe herunterzufahren. Deswegen ist es eine Schlüsselaufgabe, das Eigenkapital in den Bankbilanzen zu stabilisieren. Sonst kommt es im Laufe des Jahres zu einer breiten Kreditklemme und zu einem weiteren Einbruch von Wachstum und Beschäftigung.
Durch den vorliegenden Gesetzentwurf wird das Eigenkapital stabilisiert. Giftige Produkte in einem Umfang von 200 Milliarden Euro können in Zweckgesellschaften ausgelagert werden. Die Altlasten werden dort über 20 Jahre abgetragen. Und - das ist entscheidend und war unsere klare politische Vorgabe -: Das verbleibende Defizit wird von den Alteigentümern getragen. Wir haben Wort gehalten: Der Steuerzahler wird nicht zusätzlich belastet.
Sehr geehrte Damen und Herren, Modellrechnungen zeigen uns: Im äußersten Fall kann durch die Auslagerung giftiger Produkte in einem Umfang von 200 Milliarden Euro die Fähigkeit deutscher Banken, Kredite zu vergeben, in einer Größenordnung von 2,5 Billionen Euro steigen. Auch wenn dieses Rechenbeispiel ein Extremfall ist, der in der Praxis nicht eintreten wird, weil nicht alle Banken mitmachen werden und weil nicht jedes giftige Produkt mit 100 Prozent Eigenkapital hinterlegt werden muss, zeigt es die Dimension, um die es beim heute vorliegenden Gesetzentwurf geht. Im Vergleich dazu ist das Konjunkturprogramm II mit seinem Volumen von 50 Milliarden Euro eigentlich nachrangig. Oder andersherum: Ohne die Kraft der Banken, Kredite zu vergeben, wird es kein Ende der Wirtschaftskrise geben.
Deswegen ist es auch höchste Zeit, dass der Gesetzentwurf vorliegt. Die Finanzpolitiker der Unionsfraktion haben das bereits im Dezember 2008 gefordert, und zwar in den jetzt vorliegenden Grundzügen. Ich kann mir die Anmerkung an dieser Stelle nicht verkneifen: Minister Steinbrück hat unsere Vorschläge damals massiv abgelehnt und geantwortet:
Einige sollten erst nachdenken ... Die Einrichtung einer sogenannten Bad Bank würde Deutschland 150 bis 200 Mrd. Euro kosten.
In der Tat: Nachdenken kann etwas bewegen. Das gilt auch beim Finanzminister.
Das vorliegende Modell der Zweckgesellschaft ist in den Grundzügen sehr gut gelungen. Kompliment an die Fachleute in den Ministerien! Im Detail gibt es aber einen Änderungsbedarf zu diskutieren. Zudem fehlt der notwendige zweite Teil für die Landesbanken. Es geht im Konkreten um folgende Punkte:
Erstens. Der 10-prozentige Abschlag beim Auslagern in die Zweckgesellschaft kostet manche Bank wertvolles Eigenkapital in Milliardenhöhe. Wir sollten auf diesen Abschlag verzichten.
Zweitens. Wieso ist der Stichtag der Wertermittlung der 31. März 2009 und nicht der 31. Dezember 2008? In diesen drei Monaten ist der Wert der Produkte massiv gesunken. Auch das kostet wertvolles Eigenkapital.
Drittens. Der Anwendungsbereich. Es macht keinen Sinn, ausschließlich ABS-Papiere zuzulassen. Wenn wir Klarheit in den Bilanzen der Banken und Vertrauen zwischen den Banken erreichen wollen, muss alles, was toxisch ist, offengelegt werden und raus aus den Büchern.
Viertens. Die Banken müssen wieder fähig werden, privates Eigenkapital zu bekommen, statt dauerhaft am staatlichen Tropf zu hängen. Das gelingt aber nur, wenn die neuen Aktionäre, zum Beispiel nach Kapitalerhöhungen, frei von Altlasten sind, das heißt, die Altlasten müssen ausschließlich von den Alteigentümern getragen werden und nicht von den Neueigentümern nach Kapitalerhöhungen.
Fünftens. Wenn wir die Banken wieder auf gesunde Füße stellen wollen, dann ist es notwendig, dass ganze Geschäftsbereiche, die nicht zukunftsfähig sind, ausgelagert werden können. Das gilt vor allem für die Landesbanken, und das geht weit über die toxischen Assets hinaus. Der SoFFin hat hier bereits vor Monaten Vorschläge für derartige Konsolidierungsbanken vorgelegt.
Dazu brauchen wir - das ist unsere feste Überzeugung - einen Gesetzentwurf vonseiten des Finanzministeriums, der bis heute leider nicht vorliegt. Wir brauchen diese Konsolidierung für die Landesbanken, wir brauchen sie aber auch, um Schaden von den regionalen Sparkassen abzuwenden. Es ist der klare Wunsch der Unionsfraktion, dass der Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren um dieses Element erweitert wird. Wir brauchen hier endlich einen Gesetzestext.
Wir werden keinen gesetzlichen Zwang zur Auslagerung der giftigen Papiere beschließen. Wir erwarten aber, dass die betroffenen Banken mitmachen. Andernfalls muss die Bankaufsicht mit Druck dafür sorgen.
Die größte Wirtschafts- und Finanzkrise seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland zu meistern, ist ein Riesenkraftakt für unser Land. Bundesregierung und Gesetzgeber haben das Land in den vergangenen Monaten stabilisiert und das Schlimmste verhindert. Auch der vorliegende Gesetzentwurf hilft, Schaden vom deutschen Volke abzuwehren.
Die Banken sind aber auch gefordert, das Gesetz zu nutzen und im möglichen Rahmen Kredite zu vergeben. Die Banken haben hier ganz klar eine Verantwortung für unser Land.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Reinhard Schultz von der SPD-Fraktion.
Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir haben hier zum ersten Mal in den letzten 16 Jahren - seitdem habe ich die Möglichkeit, Gesetzgebung mitzugestalten - das Phänomen einer prozessbegleitenden Gesetzgebung. Das muss auch so sein. Wir haben ein neues Problem, das sich in die eine oder andere Richtung auf eine Art und Weise zuspitzt, die zwei, drei Monate vorher möglicherweise gar nicht erkennbar gewesen ist. Deswegen müssen wir sozusagen just in time eine Feinsteuerung an den grundsätzlich richtigen Instrumenten vornehmen, die wir uns mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz gegeben haben. Das ist der Prozess, und das kann man uns nicht vorwerfen, sondern man müsste uns eigentlich dafür loben, dass wir so klug sind, diese Feinsteuerung vorzunehmen und nicht an Prinzipien festzuhalten, die möglicherweise nicht mehr problemadäquat sind.
Das gilt auch für das Problem des besonderen Abschreibungsbedarfs für die sogenannten faulen oder toxischen Papiere. Dieser Begriff ist eigentlich völlig falsch. Wir haben bildlich betrachtet einen Hühnerbestand, von dem wir wissen, dass einige der Hühner krank sind. Wir wissen aber nicht genau, welche. Es gibt entweder die Möglichkeit, dass wir uns für Keulung entscheiden - das wäre auf die Banken übertragen eine mittlere Katastrophe -, oder wir entscheiden uns für Quarantäne. Wir haben uns für Quarantäne entschieden. Die infizierten Papiere kommen in Quarantäne. Auf der Zeitachse wird sich zeigen, wo es einen hundertprozentigen Abschreibungsbedarf gibt und wo es eine Wertaufholung gibt. Das ist die Kunst. Deswegen gibt es auch zwei unterschiedliche Buchwerte: einen möglicherweise jetzt und den zweiten zum Zeitpunkt der Schlussabrechnung. Die Differenz wird bewertet.
Auch der Vorwurf, wir würden im Zusammenhang mit dem Abschreibungsbedarf keine Transparenz schaffen, ist aus meiner Sicht, ehrlich gesagt, völliger Blödsinn.
In dem Augenblick, in dem wir Banken die Möglichkeit geben, diese Bestände auszulagern und darüber auch noch eine Garantie zu geben, ist doch völlig klar, dass es von beiden Seiten einen detaillierten Bewertungsprozess geben wird. Es wird auch gestritten werden, um zu einer vernünftigen Bewertung zu kommen. Transparenter wird es nicht sein. Der Staat und der SoFFin sind mit dabei.
Insofern ist das, denke ich, ein guter Prozess. In dem Bereich der Auslagerung von besonderem Abschreibungsbedarf sind im Übrigen die Landesbanken voll mit einbezogen. Wir können gar keinen Unterschied zwischen Privatbanken, Landesbanken oder irgendwelchen Bankentypen machen. Sie sind mit dabei. Das Angebot gilt auch für sie.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Schultz, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dr. Höll?
Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD):
Ja, selbstverständlich.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
Danke, Herr Kollege. - Ich habe eine Frage. Sie haben eben das Bild der infizierten Hühner verwandt. Wie machen Sie das, wenn Sie nicht einmal wissen, welche Hühner infiziert sind? Auf Vermutung hin? Es gibt schließlich keinen Zwang auf Offenlegung.
Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD):
So ist das bei der Quarantäne, ob beim Hühnerbestand oder in jedwedem anderen Fall, dass man die Kranken sozusagen von den Gesunden isoliert - das gilt für den gesamten Bestand - und beobachtet, wie sich die Dinge entwickeln. Aber man will eine Infizierung weiterer Bestände - in diesem Fall der guten Bank - vermeiden. Deswegen wird die Trennung vorgenommen.
Die Transparenz wird dadurch geschaffen, dass bewertet werden muss, welcher Buchwert jetzt bzw. mit einem Abschlag realistisch wäre. Der gesamte Abschreibungsprozess wird dann begleitet werden, und am Ende gibt es einen neuen Wert, den wir noch nicht kennen. Er kann viel gesünder sein - um im Bild zu bleiben -, als wir es uns heute vorstellen; er kann aber auch schlechter sein. Die notwendige Transparenz entsteht innerhalb der Bad Bank durch den beidseitigen Bewertungsprozess, nämlich durch die Bank selber als De-facto-Eigentümer und den Garantiegeber.
Zu dem Sonderthema Landesbanken: Man darf es sich, finde ich, nicht ganz so einfach machen, Herr Kampeter. Ich bin immer dafür gewesen, dass wir uns um die Landesbanken kümmern, die eine bedeutende Rolle spielen - 20 Prozent aller Unternehmenskredite, Kredite für Selbstständige usw. laufen nach wie vor über die Landesbanken -, statt nur deshalb nichts zu tun, weil die Landesbanken ausschließlich in den Ländern betroffen sind, wo derzeit sozusagen eine andere Feldpostnummer regiert. Man muss aber auch zur Kenntnis nehmen, dass in den letzten Jahren zum Teil durch die Eigentümer, insbesondere die Landesregierungen, mehr als merkwürdig und sträflich mit den Landesbanken umgegangen worden ist.
Es gab viele Chancen, sie zu sanieren und zu konsolidieren. Das Gegenteil ist gemacht worden. Nach den letzten Krisen Anfang dieses Jahrzehnts hat man sich nicht besonnen, sondern im Grunde genommen weitergemacht, als wäre nichts passiert. Da muss man nach den Verantwortlichkeiten fragen.
Sind wir dafür verantwortlich, oder sind es diejenigen, die in den Bundesländern auch die finanzpolitische Verantwortung tragen?
Dass die Sparkassen dabei mit im Boot sind, wissen wir. Wir wissen auch, dass die Sparkassen als Miteigentümer gegenüber einer Landesregierung in einer wesentlich schwächeren Stellung sind. Denn wir haben parallel dazu die Gesetzgebung der Länder im Zusammenhang mit den Landessparkassen als erzieherische Prozesse mit vertikaler Integration und anderem mehr erlebt, die dazu beigetragen haben, dass sich die Sparkassen in ihrer Eigentümerrolle nicht mehr gegen die Länder wehren konnten.
Aber wir müssen das Problem lösen. Deswegen bin ich auch froh darüber, dass heute der Sparkassen- und Giroverband sein Papier vorgelegt hat, welche Kernfelder er sich für die künftige Landesbankenstruktur vorstellt, nämlich, um das zu zitieren, Sparkassenzentralbank, komplementäres Mittelstandsgeschäft, Unternehmensgeschäft, Begleitung der heimischen Kunden im internationalen Geschäft und kundenorientiertes Kapitalmarktgeschäft. Dies ist eine abschließende Aufzählung der Felder, über die man gut diskutieren kann. Das Investmentgeschäft und Kapitalmarktgeschäfte genereller Art fallen weg, ebenso Immobilienspezialfinanzierungen und andere Dinge. Das heißt, sie konzentrieren sich auf ein Kernfeld, das auch in Blickweite dessen steht, was die Sparkassen als Miteigentümer zur Verstärkung ihrer Handlungsfähigkeit brauchen.
Daraus folgt die zweite Frage: Wie viele Landesbanken brauchen wir? Dazu muss ein klarer Fahrplan her, sodass am Ende nur noch eine passgenaue Kapazität an Landesbanken vorhanden ist, wie sie die Sparkassen als Zentralinstitut und als Mittelstandsbank tatsächlich benötigen, und kein Stück mehr. Wenn dieser Plan vorliegt und die Länder mitmachen, dann ist es doch selbstverständlich, dass wir dafür sind, auch die dann überflüssigen, nicht mehr tragfähigen Geschäftsfelder in eine andere Umgebung zu nehmen und sie sozusagen sozialplanmäßig abzuschmelzen. Diesen hierbei stattfindenden Prozess wollen wir garantieren.
Wenn aber mit uns ein Spielchen gemacht werden sollte, indem im Grunde genommen alles beim Alten bleibt und nur eine Holding über die bestehenden Landesbanken errichtet wird, sie aber weitermachen können wie bisher,
dann werden wir das garantiert nicht mitmachen.
- Die SPD-Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat ihre Schularbeiten gemacht, als sie ihre Krisen hatte, und hat der Regierung Rüttgers eine gesunde WestLB übergeben.
Wie man in so kurzer Zeit aus einem relativ gesunden Institut einen Todkranken machen kann,
bei dessen Rettung derzeit die Landesregierung und auch die Präsidenten der regionalen Sparkassen nur deswegen so konstruktiv sind,
weil sie noch auf dem letzten Drücker aus dem offenen Sarg springen wollen - das ist doch der Grund -, ist mir ein Rätsel. Die WestLB ist im freien Fall; leider, muss man sagen. Wie man das so schnell hinbekommen kann, ist schon ein finanzpolitisches Kunststück.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Schultz - -
Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD):
Ich will zum Ende kommen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ja, bitte.
Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD):
Ich unterstreiche ausdrücklich die Forderung von Carsten Schneider, beim Risiko für den Steuerzahler eine weitere Reißleine einzuziehen. Falls die Situation eintritt, dass einzelne Banken während dieses 20-jährigen Prozesses das Zeitliche segnen, was ich nicht hoffe, und damit das Instrument Dividendenausschüttungssperre nicht mehr greift, muss die Finanzfamilie insgesamt dafür bezahlen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Schultz, bitte!
Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD):
Nachgelagerte Restrisikoumlage muss sein; anderenfalls ist dies politisch gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern nicht vermittelbar, die das dann letztendlich bezahlen müssten oder die Sorge hätten, es bezahlen zu müssen. Zumindest die großen Volksparteien dürften das nicht vertreten können.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege Otto Bernhardt das Wort.
Otto Bernhardt (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst zu Ihnen, Herr Kollege Schultz: Es ist eigentlich unter Ihrem Niveau, was Sie zur Westdeutschen Landesbank gesagt haben, die Sie geordnet übergeben haben wollen. Es bedürfte eines speziellen Vortrags, dies zurückzuweisen. Ich sage nur ganz klar: Diese Aussagen haben mit der Wirklichkeit überhaupt nichts zu tun.
Die Debatte hat Folgendes gezeigt: Wir alle sind davon überzeugt, dass wir etwas tun müssen, um unseren Banken die Möglichkeit zu geben, ihre Bilanzen von den schlechten Papieren zu entlasten. In der Tat ist dies der einzige Punkt, den wir bisher noch nicht gelöst haben; aber dies gilt nicht nur für uns in Deutschland. Auch das Versicherungsmodell in Großbritannien hat nicht zur Entlastung der Bilanzen geführt; ebenso ist der Versuch der Vereinigten Staaten, mit dem Einsatz umfangreicher öffentlicher Gelder Private zu animieren, diese Papiere zu kaufen, zumindest bisher nicht aufgegangen.
Natürlich ist der vorliegende Gesetzentwurf nur ein erster Schritt; das wissen wir.
Aber, meine Damen und Herren, da wir das Ganze am 3. Juli abschließen müssen - wir brauchen bis zur Sommerpause eine gesetzliche Grundlage für dieses Thema -, war es richtig, zunächst einmal diesen ersten Schritt vorzulegen, der natürlich nur das Problem der schlechten Papiere löst.
Er löst natürlich nicht das Hauptproblem unserer Landesbanken, ganze Bereiche abzugeben. Aber ich gehe davon aus - der Herr Staatssekretär hat darauf hingewiesen -, dass im Rahmen der parlamentarischen Beratungen noch Lösungen für diesen Teil gefunden werden. Ich bin sicher, dass wir am 3. Juli etwas verabschieden werden, das auch dieses Problem löst.
Die Frage, warum die schlechten Papiere aus der Bilanz genommen werden müssen, kann man einfach mit einem Satz beantworten: Die betroffenen Kreditinstitute sind sonst nicht in der Lage, im notwendigen Umfang neue Kredite zu geben. Wenn sie das nicht können, dann kommt die Realwirtschaft nicht wieder in Gang. Das heißt, dies ist eine Entscheidung für die Realwirtschaft, die wir zwingend treffen müssen.
Bei der Beantwortung der Frage, um welches Volumen es sich handelt, hat eine Zahl die Öffentlichkeit ein bisschen verunsichert. Bei den 850 Milliarden Euro, die einmal genannt wurden, handelt es sich um Papiere, die die Banken gerne abgeben würden nach dem Motto ?Wünsch dir was?. Aber ich glaube, bei den Papieren, die wirklich infrage kommen, bewegen wir uns in einer Größenordnung von 200 Milliarden Euro. Es ist richtig, dass wir beim Prinzip der Freiwilligkeit bleiben. Das heißt, jede Bank muss selbst entscheiden, ob sie von dieser Möglichkeit Gebrauch macht. Mein Eindruck ist, dass sechs Banken davon Gebrauch machen müssen. Vielleicht kommt noch eine siebte Bank hinzu. Es geht um vier Landesbanken, die Hypo Real Estate und die Commerzbank.
Das entscheidende Problem, vor dem wir standen - das hat der Staatssekretär Diller aufgeführt -, war die Beantwortung der Frage, wie wir einen Weg finden, dass auf der einen Seite die Bankbilanzen endgültig entlastet werden und auf der anderen Seite die Risiken nicht vom Steuerzahler, sondern letztlich von den Verursachern getragen werden. Hier gibt es aus meiner Sicht durchaus eine Reihe ungeklärter Fragen und Probleme. Ich nenne als Beispiel den 10-prozentigen Abschlag. Dieser Vorschlag stammt nicht von uns oder vom Finanzministerium, sondern von der EU. Aber ich kann mich damit noch nicht anfreunden; denn das würde bei Papieren mit einem Volumen von 200 Milliarden Euro einen Abschreibungsbedarf in Höhe von 20 Milliarden Euro bedeuten. Ich weiß nicht, woher die zur Diskussion stehenden Banken das nehmen sollen. Die Bestimmung, dass diejenigen, denen es schlecht geht, wegen der 7-Prozent-Grenze nicht abschreiben müssen, erscheint mir unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung sehr problematisch. Das heißt, wer gut gewirtschaftet hat, muss 10 Prozent abschreiben, wer schlecht gewirtschaftet hat, nicht. Das ist für mich eine ganz offene Frage.
Ich glaube einfach nicht daran, dass noch so gute Fachleute in der Lage sind, den wirklichen Preis der infrage kommenden Papiere zu ermitteln. Den gibt es einfach nicht. Wir stellen aber auf diesen Preis ab. Ich bin noch immer nicht sicher, ob wir wirklich die Risiken aus den Bankbilanzen nehmen können, wenn die Banken selber später für die Risiken zahlen müssen. Wie Sie wissen, gibt es unterschiedliche Auffassungen unter den Wirtschaftsprüfern. Ich habe zurzeit mehr Sorge wegen der Problematik der Konsolidierung. Weil die gesamten Chancen und Risiken aus den ?Beibooten? beim Mutterinstitut bleiben, ist für mich das Thema der Konsolidierung noch nicht aus der Welt. Wir müssen darüber in Ruhe diskutieren.
Ich stelle fest, dass ein Aspekt noch nicht angesprochen wurde. Ich möchte das in Form einer Frage tun, obwohl ich vermute, dass dieser Ansatz falsch verstanden wird. Deutsche Banken, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, können unter Umständen 20 Jahre keine Dividenden zahlen. In anderen Ländern übernimmt zum größten Teil der Steuerzahler die Risiken. Ich will das nicht, stelle aber die kritische Frage: Können unsere Kreditinstitute, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, international konkurrieren, wenn sie 20 Jahre keine Gewinne ausschütten können? Das ist eine sehr kritische Frage, mit der wir uns sicherlich auch in der nächsten Legislaturperiode befassen müssen.
Ich stelle abschließend fest: Die Große Koalition ist auch in der Lage, das letzte schwierige Problem der internationalen Finanzkrise zu lösen. Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der einen guten ersten Schritt darstellt. Wir werden am 3. Juli einen umfassenden Gesetzentwurf zu dieser Problematik verabschieden.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/13156, 16/12884, 16/12885 und 16/12996 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Die Vorlage auf Drucksache 16/12904 soll ebenfalls an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Finanzausschuss, die Fraktion der FDP wünscht Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie.
Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion der FDP, also Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, also Federführung beim Finanzausschuss, abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktionen der FDP und Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
- Nein, Sie haben sich enthalten. Ich kann es nicht ändern. Wollen Sie gerne, dass wir die Abstimmung wiederholen? Ich bin gerne dazu bereit.
Also: Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der CDU/CSU und der SPD? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Jetzt stimmt es. Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zur Abschaffung der Sozialisierung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7729, den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/3301 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Zustimmung der FDP-Fraktion und Gegenstimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt. Damit entfällt die dritte Beratung.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel ?Mittelstandsförderung sichern - ERP-Vermögen aus der KfW-Bankengruppe herauslösen?. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11630, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8928 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 196. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 29. Mai 2009,
auf der Website des Bundestages unter ?Aktuelles?, ?Plenarprotokolle?, ?Endgültige Fassungen? veröffentlicht.]