"Dem Amt Leben, Wirksamkeit und Würde gegeben"
Nach dem Bundespräsidenten ist er der höchste Repräsentant der deutschen Demokratie: Der Bundestagspräsident - protokollarisch der "zweite Mann im Staate". Mag seine politische Macht auch begrenzt sein, so genießt sein Amt doch höchstes Ansehen. Sein Wort hat in der Öffentlichkeit Gewicht. In unserer Serie stellen wir die zehn Männer und zwei Frauen an der Spitze des deutschen Parlaments vor. Hier: Dr. Hermann Ehlers, zweiter Bundestagspräsident vom 19. Oktober 1950 bis zu seinem Tod am 29. Oktober 1954.
Als er am 19. Oktober 1950 nach dem Rücktritt seines
Vorgängers Erich Köhler zum Bundestagspräsident
gewählt wurde, war der Politiker Hermann Ehlers noch
weitgehend unbekannt. Drei Jahre später aber, bei seiner
Wiederwahl an die Spitze des deutschen Parlaments, votierten die
Abgeordneten mit breiter Zustimmung für ihn: Er bekam 467 von
487 abgegebenen Stimmen. Das ist eines der besten Ergebnisse
überhaupt bei einer Bundestagspräsidentenwahl.
Christlich und deutschnational
Ehlers wird am 1. Oktober 1904 in Berlin geboren. Sein Vater arbeitet als Postbeamter, sein familiäres Umfeld ist bürgerlich, politisch konservativ und vor allem protestantisch geprägt. Bereits als 15-Jähriger wird Ehlers im Bibelkreis aktiv, einer christlichen Jugendbewegung, der er sein Leben lang verbunden bleibt.
Ehlers studiert Jura in Berlin und Bonn und promoviert 1929 mit
einer Arbeit über "Wesen und Wirkungen des Reichslandes
Preußen". Während seines Studiums ist er Mitglied im
Verein Deutscher Studenten, einer christlich und deutschnational
orientierten Studentenverbindung unter dem Dach des
Kyffhäuserverbandes.
Im kirchlichen Widerstand aktiv
Der Weimarer Republik steht Ehlers zu dieser Zeit distanziert gegenüber. Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kommen, wird Ehlers im kirchlichen Widerstand aktiv.
Er engagiert sich in der Bekennenden Kirche, die sich als
christliche Oppositionsbewegung gegen die Versuche der
Nationalsozialisten wehrt, Lehre und Organisation der Evangelischen
Kirche mit dem "Dritten Reich" gleichzuschalten.
Berufliche Diskriminierung durch die Nationalsozialisten
Nach seinem Eintritt in den Verwaltungsdienst der "Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union" arbeitet Ehlers seit 1934 als Rechtsanwalt in einer Kanzlei, die hauptsächlich mit der Bearbeitung kirchenrechtlicher Fragen der Preußischen Bekennenden Kirche betraut ist. Zudem wird er ein Jahr später auch Mitglied in deren Bruderrat.
Dieses Engagement führt für Ehlers allerdings beruflich
zu Nachteilen: Schon 1934 hatte Ehlers die Leitung des
Rechtsberatungsreferats in Berlin-Steglitz an ein NSDAP-Mitglied
verloren. Nun scheitern auch alle Versuche, endgültig in den
Staatsdienst als Richter aufgenommen zu werden.
Seit 1946 in der CDU
Auch an anderer Stelle bekommt Ehlers die Restriktionen des Hitler-Regimes zu spüren: Die "Jugendwacht", eine Zeitschrift der evangelischen Jugendverbände, deren Schriftleiter er fünf Jahre ist, wird 1938 eingestellt. Im Zweiten Weltkrieg wird Ehlers einberufen und der Flugabwehr in Hamburg zugeteilt. Dort bleibt er auch bis Kriegsende stationiert.
Im Oktober 1945 wird Ehlers in Oldenburg Oberkirchenrat der
Evangelisch-Lutherischen Kirche, an deren institutionellen
Grundlagen er maßgeblich mitarbeitet. Auch politisch ist er
nun aktiv: 1946 wird er Mitglied der neu gegründeten CDU. Sein
erklärtes Ziel: Den Aufbau eines "christlichen" Staates, einer
wirklichen Demokratie unterstützen.
Aus der Vergangenheit gelernt
Aus der Vergangenheit – auch seiner eigenen in der Weimarer Republik – hat Ehlers gelernt. Zu seinem Engagement im Verein Deutscher Studenten nimmt er selbstkritisch Stellung: "Viele aus der nationalen Bewegung in Deutschland gewachsenen richtigen Ansätze sind jeweils durch eine dämonische Kraft in ihr Gegenteil verkehrt worde."
Als er 1950 Bundestagspräsident wird, arbeitet Ehlers
dafür, der Demokratie in der jungen Bundesrepublik eine
sichere und tragfähige Basis zu geben. Die Versäumnisse
der Weimarer Republik und die Verbrechen des Nationalsozialismus
dürften sich nie mehr wiederholen, so Ehlers. Als
unerlässlich für die Verankerung der Demokratie hält
er "die Freiheit des Menschen und seine Selbstverantwortung".
Politik und Bevölkerung zusammenbringen
Aber: Das "Volk müsse zur Demokratie erzogen" werden. Dementsprechend setzt sich Ehlers dafür ein, Parlament und Bevölkerung zusammenzubringen. Erstmals werden große Plenardebatten im Rundfunk übertragen, und das Bundeshaus wird für Besucher geöffnet.
Als Bundestagspräsident erwirbt sich Ehlers schnell Ansehen:
"Wie ein Komet", sagte sein Amtsnachfolger Eugen Gerstenmaier
einmal im Rückblick, sei seine "ordnende Kraft an dem
düsteren Himmel der jungen, in Gestaltungswehen liegenden
Bundesrepublik" erschienen. So habe der Staat an Achtung gewonnen,
und das Parlament an Profil.
Staatsakt im Bonner Bundeshaus
Dem Amt des Bundestagspräsidenten habe Ehlers darüber hinaus "Leben, Wirksamkeit und Würde" verliehen. So war die Zustimmung auch über Parteigrenzen hinweg groß, als er sich als Bundestagspräsident 1953 zur Wiederwahl stellte. Völlig überraschend aber starb Herrmann Ehlers rund ein Jahr später, am 29. Oktober 1954, im Alter von nur 50 Jahren an den Folgen einer Mandelvereiterung.
Bundespräsident Theodor Heuss würdigte Leben und Wirken
des Politikers mit einem Staatsakt im Bonner Bundeshaus. Viele
öffentliche Einrichtungen, die Hermann-Ehlers-Stiftung sowie
Bildungswerke der Konrad-Adenauer-Stiftung sind heute nach ihm
benannt.