STERBEHILFE
Die Länder können sich nicht auf ein Gesetz gegen kommerzielle Beihilfe zum Suizid einigen. Noch in diesem Jahr soll es einen neuen Anlauf geben
Als "Quacksalber des Todes" kritisiert Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) gewerbsmäßige Sterbehelfer, die über Vereine oder Firmen Beihilfe zum Selbstmord wie eine Dienstleistung anbieten. Der ehemalige Hamburger Justizsenator Roger Kusch hatte mit seiner Mitteilung, er habe einer lebensmüden, aber nicht todkranken 79-Jährigen Sterbehilfe geleistet, eine Welle der Empörung ausgelöst. Aber in der Sitzung des Bundesrates waren die Vertreter der Länder am 4. Juli ratlos: Zwar bestand der Wille, Leuten wie Kusch durch eine neue Strafrechtsnorm das Handwerk zu legen, auf einen neuen Paragrafen konnte man sich aber nicht einigen. Heraus kam nur eine Entschließung mit wohlfeilen Absichtserklärungen und der Ankündigung, noch in diesem Jahr eine gesetzliche Regelung anzustreben.
Sechs von der Union regierte Länder hatten dem Bundesrat - schon lange bevor Kusch von seiner umstrittenen Aktion in einer Pressekonferenz berichtete - einen Gesetzentwurf vorgelegt. Darin sieht ein neuer Paragraf 217 des Strafgesetzbuches vor, "gewerbliche und organisierte Suizidbeihilfe" unter Strafe zu stellen. Damit sollte auch die Tätigkeit von Vereinen wie die Schweizer "Dignitas", die Sterbehilfe im Ausland vermitteln, ein Riegel vorgeschoben werden. Doch ist die Abgrenzung sehr schwierig. Karlheinz Wichmann, Präsident der Gesellschaft für humanes Sterben, sah sogar seine Organisation in Gefahr: "Das ist eine Bedrohung für eine völlig normale und gesetzmäßig agierende Gesellschaft", hatte Wichmann den Gesetzentwurf kritisiert. Seine Gesellschaft berät ihre Mitglieder vorrangig auf das Leben hin. "Wir als Gesellschaft für humanes Sterben hätten niemals so gehandelt", grenzte sich Wichmann von Kusch ab. Zwar wurde in der Begründung des Gesetzentwurfs darauf hingewiesen, dass es nicht das Ziel sei, zum Beispiel Angehörige unter Strafe zu stellen, die einem todkranken Familienmitglied Hilfestellung leisten wollten, aber einige Länderjuristen wollten nicht ausschließen, dass auch Ärzte und Pfleger von Hospizvereinigungen möglicherweise mit strafrechtlichen Konsequenzen zu rechnen gehabt hätten.
Dass die Formulierung nicht einfach werden würde, war im Bundesrat frühzeitig klar. Ein erster Entwurf der Länder Saarland, Thüringen und Hessen wurde bereits im Rechtsausschuss der Länderkammer stark verändert. Dennoch zeichnete sich keine Mehrheit ab. Damit hatten die Parteiführungen der großen Koalition auf einmal ein Problem. Zwar argumentierten alle Beteiligten wie Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), die Kusch "makabre Propaganda" vorwarf. Aber wäre bei einer Ablehnung des Gesetzentwurfs im Bundesrat wohl der Eindruck entstanden, die Politik sei nicht in der Lage, etwas gegen das "Horror-Szenario" (Justizministerin Beate Merk) einer Suizid-Beihilfe als Dienstleistung zu unternehmen.
Von den Unions-Ländern verweigerten Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen dem Entwurf die Unterstützung. Von der SPD-Seite gab es ebenfalls keine Hilfe. Länder wie Berlin und Rheinland-Pfalz sprachen sich strikt gegen den Entwurf aus. Eine Sprecherin des Justizministeriums in Mainz hatte den Entwurf als völlig unverhältnismäßig kritisiert. Er stehe im Widerspruch zur geltenden Straffreiheit der Suizid-Beihilfe. "Wenn man so etwas juristisch ausarbeitet, muss es auch sauber sein", verlangte die Sprecherin.
Am Vorabend der Bundesratssitzung war in einem Gespräch der Unions-Ministerpräsidenten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach einer Lösung gesucht worden. Klar war, der Entwurf musste vom Tisch, aber es durfte in der Öffentlichkeit auch nicht der Eindruck entstehen, die Politik sei nicht handlungsfähig.
Auch der SPD-Vorsitzende, der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck, wurde eingeschaltet. Er verhandelte mit seinem baden-württembergischen Kollegen Günther Oettinger (CDU) über Möglichkeiten, das Problem bei Gesichtswahrung aller Beteiligten zu lösen.
Beck und Oettinger einigten sich auf einen Antrag, der im Bundesrat sofort eine große Mehrheit fand. In Deutschland zeichne sich eine Entwicklung ab, die zum Ziel habe, die Behilfe zur Selbsttötung in gewerblicher Form anzubieten. "Hier besteht die Gefahr, dass aus einer momentanen Verzweiflungssituation die unumkehrbare Entscheidung zum Suizid getroffen wird, die ohne die erleichterte Verfügbarkeit von zur Selbsttötung geeigneten Mitteln und Gegenständen nicht erfolgt wäre", heißt es in dem Antrag. Es widerspreche dem Menschenbild des Grundgesetzes, wenn mit dem Suizid und dem Leid von Menschen Geschäfte gemacht würden. "Einer ,Kommerzialisierung des Sterbens' muss unter allen Umständen Einhalt geboten werden". Es müsse daher ein Straftatbestand geschaffen werden, mit dem die gewerbliche Suizid-Beihilfe unter Strafe gestellt werde.
Für den umstrittenen Punkt des alten Länder-Entwurfs gab es nur einen Prüfauftrag: "Zu prüfen bleibt, inwieweit auch die Gründung einer Vereinigung und eine maßgebliche Rolle in einer solchen Vereinigung unter Strafe gestellt werden kann." Noch in diesem Jahr müsse gesetzgeberisch gehandelt werden.
Beck, der überraschend selbst in der Länderkammer das Wort ergriff, sagte, man habe eine "scheinbare Kontroverse" vermeiden wollen. In den entscheidenden Fragen des Schutzes von Leben und der Würde von Menschen gebe es keine grundsätzlichen Unterschiede. Allenfalls bei den Instrumentarien könne man anderer Auffassung sein.
Der baden-württembergische Bundesratsminister Wolfgang Reinhart (CDU) erinnerte daran, dass sich der alte Länder-Gesetzentwurf damit auf keinen Fall erledigt habe, sondern zur weiteren Beratung in die Bundesrats-Ausschüsse zurückgehe.
Dem Antrag stimmten 14 der 16 Länder zu. Nur Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen zogen nicht mit. Ein Sprecher der Berliner Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) erklärte: "Nicht alles, was verwerflich ist, muss auch gleich strafbar sein." Ähnliche Bedenken hat der frühere Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig: "Man kann ein so sensibles Thema nicht mit dem Strafrecht angehen", warnte der FDP-Politiker, der sich für eine wirksame Kontrolle der Organisationen aussprach.
Andererseits wandten sich Politiker wie der Hamburger Justizsenator Till Steffen (Grüne) in der Länderkammer grundsätzlich dagegen, dass Organisationen mit der Sterbehilfe ein Geschäft betreiben. Und Reinhart wies darauf hin, dass eine angebotene Dienstleistung "Sterbehilfe" alte und kranke Menschen unter Druck setzen könne, dieses Angebot auch anzunehmen. Mehrere Unions-Politiker äußerten die Sorge, dass das Angebot "Suizid-Beihilfe" den Selbstmord eines Tages als normal erscheinen lassen könne und er damit quasi gesellschaftsfähig werde.
Die deutsche Hospiz-Stiftung, eine Patientenschutzorganisation der Schwerstkranken und Sterbenden, zeigte sich von der Politik enttäuscht. "Einmal mehr ist es fünf nach zwölf als fünf vor zwölf", sagte der geschäftsführende Vorstand der Stiftung, Eugen Brysch. Es müsse endlich eine gesetzliche Regelung zum Verbot der kommerzialisierten Sterbehilfe geben. "Eines muss klar sein: Suizidhilfe ist keine Sterbebegleitung. In diesem Sinne müssen die Politiker zum Wohl der schwerstkranken und sterbenden Menschen an einem Strang ziehen", forderte Brysch.
Er warf Kusch vor, sich zum Herrn über Leben und Tod aufzuschwingen. Der Ex-Senator sei ein "politischer Amokläufer", der nur öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen wolle. Kusch selbst beizeichnete sein Handeln dagegen als "Akt christlicher Nächstenliebe".