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Bei den Bundestagswahlen in diesem Jahr wird über die Verteilung der Abgeordnetensitze nach neuen Gesetzesvorschriften entschieden. Mit der am 21. Februar verabschiedeten Novelle hat der Bundestag das 1956 ausgefertigte Bundeswahlgesetz bereits zum 22. Mal geändert. Nicht immer hat der Gesetzgeber das Wahlsystem aus eigenem Antrieb überarbeitet. Mehrfach sah sich die Politik zum Handeln gezwungen, weil das Bundesverfassungsgericht Wahlvorschriften für verfassungswidrig erklärte.
Auch mit ihren jüngsten Gesetzesänderung reagierten die Fraktionen auf Vorgaben der Karlsruher Verfassungshüter. Im Juli 2012 hatte der Zweite Senat eine von der Regierungskoalition erst im September des Vorjahres durchgesetzte Wahlrechtsreform in maßgeblichen Punkten für verfassungswidrig erklärt (2 BvF 3/11, 2 BvR 2670/11, 2 BvE 9/11).
Für die gesetzliche Neuregelung spielte außerdem ein zweites, im Juli 2008 verkündetes Verfassungsgerichtsurteil eine wichtige Rolle (2 BvC 1/07, 2 BvC 7/07). Damals machte das Gericht Vorgaben zur Reform des Wahlgesetzes, denen die 2011 in Kraft getretenen Änderungen jedoch nach dem Urteil vom vergangenen Jahr nicht genügten.
Im Mittelpunkt des Streits stand der paradoxe Effekt, dass mehr Wählerstimmen für eine Partei unter Umständen zu Mandatsverlusten dieser Partei führen können. Als die Verfassungsrichter deshalb 2008 Korrekturen des Wahlgesetzes forderten, gewährten sie dem Gesetzgeber eine fast dreijährige Frist bis zum 30. Juni 2011.
Vor allem die Grünen, aber auch die SPD sowie einige CDU-Politiker mahnten jedoch, die Reformarbeiten bereits bis zur Bundestagswahl 2009 abzuschließen. Eine rasche Korrektur sei "unbedingt erwünscht und bei gutem Willen auch möglich". Andererseits wurde in der CDU vor "einem juristischen Husarenritt" gewarnt, der die Gefahr einer Wahlanfechtung berge.
Letztlich unternahmen nur die Grünen einen Gesetzesvorstoß, das Wahlrecht noch vor der Bundestagswahl am 27. September 2009 zu ändern. Unterstützung kam von der Linksfraktion. Auch die SPD, die damals mit den Unionsfraktionen die Regierung stellte, signalisierte Sympathie.
Letztlich votierte die SPD-Mehrheit jedoch gegen die Vorlage der Grünen. Man habe damit rechnen müssen, dass die Union das Vorhaben einer zügigen Reform im von ihr dominierten Bundesrat weiter verschleppen werde, hieß es zur Begründung.
Als 2011 neue Anläufe zur Korrektur des Wahlrechts unternommen wurden, machten abermals die Grünen mit einem im Februar vorgelegten Gesetzentwurf den Anfang. Es folgten die SPD und die Linksfraktion mit Reformvorschlägen im Mai 2011. Am 28. Juni 2011, zwei Tage vor Ablauf der vom Verfassungsgericht gesetzten Frist, präsentierte die schwarz-gelbe Koalition ihre Vorlage.
Die Entwürfe reflektierten gravierende Meinungsunterschiede, wie das Wahlrecht den Vorgaben aus Karlsruhe angepasst werden solle. Uneins war man vor allem darüber, wie mit den Überhangmandaten zu verfahren sei. Sachverständige appellierten Anfang September 2011 in einer Anhörung im Innenausschuss des Bundestages an die Politik, eine einvernehmliche Lösung zu finden – wie diese aussehen könne, darüber zeigten sich die Fachleute allerdings selbst uneins.
Mahnend meldete sich der Präsident des Verfassungsgerichts Prof. Dr. Andreas Voßkuhle zu Wort. Man werde nicht zulassen, dass die nächste Bundestagswahl auf der Grundlage eines verfassungswidrigen Wahlrechts stattfinde. "Wenn Not am Mann ist, dann machen wir es auch selbst", deutete Voßkuhle die Möglichkeit einer einstweiligen Anordnung seines Gerichts an.
Am 29. September 2011 wurde das neue Wahlgesetz gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen verabschiedet. Wenige Tage nach seinem Inkrafttreten Anfang Dezember 2011 erhob der Verein "Mehr Demokratie" im Namen von mehr als 3.000 Bürgern Verfassungsbeschwerde.
Auch SPD und Bündnis 90/Die Grünen strengten Verfahren gegen das reformierte Wahlgesetz an. Bedauerlicherweise sei es der Politik nicht gelungen, rechtzeitig und möglichst einvernehmlich ein neues Wahlgesetz zu verabschieden, kritisierte Gerichtspräsident Voßkuhle in der mündlichen Verhandlung im Juni 2012.
In der ersten Lesung der Vier-Fraktionen-Vorlage (17/11819) hatten sich Vertreter von Union, SPD, FDP und Grünen Mitte Dezember 2012 überzeugt gezeigt, dass das Bundesverfassungsgericht künftig keinen Grund mehr für Beanstandungen haben werde. (gel/11.03.2013)